Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

In Dianas breitem Wohnzimmer lag in einem Fauteuil versunken, mit hochübergeschlagenen Beinen, elegant und müde, ihr Bruder Sidney, während Prinz Eduard an einem flachen Glasschrank stand, die langen Beine etwas vorgestreckt. Beide rauchten, schwiegen, horchten mit der nervösen Ungeduld von Leuten, die ihres peinlichen Alleinseins überhoben sein möchten, auf die Tritte nebenan, in denen sie Dianens Fuß erkannten.

Sie mochten einander nicht, und nachdem Diana sie einmal zusammengeführt, suchten beide vergebens nach Gründen, warum sie's heut ein zweites Mal versuchte. Von außen schien sie manches zu verbinden. Als junge Leute, Anfangs und Ende Zwanzig, denselben Zerstreuungen in befreundeten Klubs hingegeben, beide artig, ironisch, verschlossen, hätten sie Jahre nebeneinander zubringen können, ohne sich zu reiben.

Aber obwohl zuerst keiner vom andern mehr wußte, als was er sah, hatte ein erster Blick genügt, um beide mißtrauisch zu machen. War es Sidneys knabenhafte Schönheit, mit der er stand und eine zögernde Hand halb hinreichte? War es Eduards gespielte Straffheit, mit der er die natürliche Melodie seines Wesens überdeckte? Eduard erkannte ein gefährliches, Sidney ein hochmütiges Verschweigen im andern, und Vorbehalte, tiefer als üblich, fielen ihnen auf. Als sie dann einander nachdachten und forschten, fühlten sich ihre Instinkte bestätigt. Der Bruder erkannte in Eduard nur einen Prinzen, der eine schöne und elegante Mätresse suchte, Eduard in Sidney einen Bruder, dessen durch Spiel und unterirdisches Leben schon erschütterter Name Dianas Hause mehr schaden konnte als volle Isoliertheit. Heut abend tauschten sie einen erfrorenen Gruß.

Obwohl es Sidney war, der die verspätete Hausfrau als Bruder ersetzen sollte, nahm schließlich Eduard das Wort und sagte, mit dem Hacken seines Lackschuhs auf den Glasschrank deutend, an dem er stand:

»Sehr gutes Stück. Simplizität ist doch immer der beste Vorwand, sich eines Stiles zu enthalten. Wie angenehm dieser Raum, mit seinen paar Fauteuils, seinen zwei flachen Tischen, den vielen Blumen und wenigen Bildern, es vermeidet, seinen Bewohner zu kommentieren.«

»Gott sei Dank,« sagte Sidney langsam, erhob sich und sah rundum. »Stil ist, was zusammenpaßt, und ich darf Eurer Durchlaucht beipflichten, daß nichts intolerabler scheint als diese stilisierten Wohnungen, in denen man wie ein Marquis eintreten, wie Raffael essen, wie Napoleon Musik anhören und schließlich wie ein Biedermeier verdauen muß. – Es ist eben englisch,« fügte er leise hinzu.

»Sie waren lange dort?«

»Wir sind dort erzogen, mindestens ich. Mein Vater lebt in London.«

»Fräulein de Wassilko sprach noch nie von ihm.«

»Nein, sie spricht selten von ihm. Sie liebt ihn sehr.«

– … Wie schön, dachte Eduard, ohne der Schärfe dieser Wendung nachzugehen, und ein alter Neid stieg wieder in ihm hoch, auf alle privaten Menschen, deren Leben und Stamm nicht im Lichte lag.

– Das ist ihm peinlich, dachte Sidney zugleich. Einen Vater sieht er ungern auftauchen, da er hier mit dem Bruder leichtes Spiel zu haben meint. Und wie um sich an diesem Sohn eines regierenden Hauses zu rächen, von dem er Hochmut und Verrat erwartete und der doch umgekehrt nur zu verschwinden wünschte, sagte er: »Neulich war mir, ich sähe Sie mit Seiner Durchlaucht dem Fürsten sprechen. Doch schien er mir älter als seine Bilder.«

»Mein Vater ist etwas leidend,« sagte der Prinz und war froh, als Diana eintrat.

»Verzeihn Sie – was treibst du, Sidney, hast du die Hausfrau vertreten? Ist es spät?«

Sie trug sich einfach und schmückte das fallende Hauskleid nur durch eine lange Ambrakette, die ihr fast bis zum Knie hing, obwohl sie sie doppelt um den Hals geschlungen hatte.

»Gut, daß Sie en famille sind,« sagte Eduard. »Habe Auftrag abzuladen.«

»So feierlich?«

»Gnädige werden höflichst ersucht, eine Göttin darzustellen. Eine göttliche Jägerin.«

»Eine südliche?« fragte Sidney feindlich. »Wir haben preußischen Februar!«

»Und doch komm' ich eben aus einem Bienenkorb summender Damen,« sagte der Prinz, »versammelt zur Hebung oder Besserung oder Erziehung, kurz Frauenverein. Ehrenvorsitz meine hohe Chefin Mühlwerth, immer für den Fortschritt der Menschheit mit dem ganzen Gewicht ihrer … ihrer Stellung eintretend. Sinnspruch: Hinweg mit allen Vorurteilen! Heut also Komiteesitzung zur Abhaltung eines Propagandafestes. Eintritt ohne Kuvert, Herren dreißig Mark, Damen zwanzig. Habe diese Differenzierungen der Geschlechter im Entree nie begriffen. Reinerlös für uneheliche Kinder, daher Ball mit lebenden Bildern. Thema: Galerie bedeutender Frauen. Natürlich nicht die wirklichen, die ja höchstens in Memoiren vorkommen, sondern die legitimen, nach Jahrhunderten aufgeschichtet wie Baumkuchen, von Semiramis bis Sonja Kowalewska.«

»Wieviel Billetts soll man zeichnen?« fragte Diana.

»Weit gefehlt, gnädiges Fräulein! Bienenkorb fleht Sie durch meinen Mund ergebenst an, als Nummer 4 oder 5 Bild zu stehen. Damen stürmten mein Herz: Sie kennen doch Fräulein Wassilko! Sie ist doch so schön! Sie müssen sie bewegen! Sie allein kann Atalanta darstellen!«

Sidney zog die Braunen hoch, die Unterlippe etwas beiseite, wie Windhunde tun, ehe sie böse werden, und sagte leise, indem er sich etwas entfernte: »Sonderbarer Einfall!«

Diana liebte nicht, daß man ihr Urteil vorwegnahm, ihre trotzige Natur mußte in diesem Augenblick eher für den Plan optieren, bevor ihre Bedenken dagegen reden konnten.

Mißbilligend sah sie ihrem Bruder nach. Sie wippte dabei auf den Spitzen ihrer Schuhe wie ein junger Mann. – »Atalanta?« sagte sie dann leise und ging durch das große Zimmer langsam auf eine kleine Bronze zu, die auf dem flachen Schreibtische stand. Es war Diana, Nachbildung jener geschürzten Statue des Louvre, die sich recht wunderlich am Geweih des Hirsches festzuhalten scheint, den sie erst jagen soll. Vor der kleinen Statuette blieb sie stehen, sie hielt die Hände auf dem Rücken, wie um die Linien dieses vollkommenen Körpers nicht nachzufahren, aber ihr Blick, kalt, forschend, umstrich die bronzene Gestalt.

Wie lange sie so vor ihrem vergöttlichten Ebenbilde stand, wußte sie nicht. Sidney, rauchend wie immer, schielte aus einer Gardinenecke schräg hinüber. Eduard aber, der stehngeblieben war, sah mit verdoppelten Pulsen von rückwärts dem stummen Zwiegespräche zu, das seine Phantasie zu bestätigen schien und wiederum zu beleben vermochte. Wie sie dort, vor der fast nackten Schwester, in ihrem faltenreichen langen Kleide stand, die Hände rückwärts gebunden, in dies metallene Abbild ihres Selbst vertieft, sah er zum ersten Male mit leiblichem Auge ihre doppelte Gestalt: die sinnende und die befreite, die feurige und die musische, dies zwiefache Wesen, das erst seine Instinkte, dann seine Bildung in ihr erkannt hatten und das dann in diesen Wochen aufs neue sein Instinkt ergriff, kühner, betörter, jugendlicher, als er es je zu erleben hoffte.

Als er den pädagogischen Plan der Damen hörte, war's ihm nur peinlich; doch als dann die ernste Vorsitzende den Namen Atalanta aus der Liste vorlas, kalt wie aus unumstößlichen Annalen, erhob sich ihm vor diesem Namen sogleich Dianens Bild, und so konnte ihn der Auftrag nicht überraschen. Würde sie annehmen, fragte er sich auf dem Wege. Für drei Sekunden würde er sie von ferne sehen. Aber – mußte es leiblich, vor tausend Augen geschehen? War denn nicht, eben jetzt auf diesem abendlichen Wege zu ihr alles längst in seiner Phantasie erfüllt und schon Erinnerung geworden? Mißtraute er etwa und wollte mit eigenem Auge, mit einem Opernglas bewaffnet, aus einer dunklen Loge prüfen, was er längst erkannt hatte?

Das fiel ihm jetzt wieder ein, und schon reute ihn der überbrachte Auftrag, als sich Diana umwendete, kurz, wie nach einem Entschluß, und, während sie nun die Hände rückwärts auf die Tischplatte stützte, auf der die Göttin stand, mit undurchdringlich kalter Miene in ihrem klaren Tone sagte:

»Einverstanden!«

Sidney zog die Brauen, Eduard verbeugte sich leicht, schien aber auf einen Kommentar zu warten.

»Aber sagen Sie den Damen,« fügte sie schroff an und kam wie drohend auf ihn zu, »ich spielte kein provinzielles Griechentum, ich hasse Trikots, und niemand dürfte mir mit irgendeinem Worte wegen meines Kostüms raten oder abraten! – Guten Abend!« Und sie reichte den eben Eintretenden die Hand: erst Scherer, dann Franklin, die sich im Kommen begegnet waren.

Franklin hatte sie bei seinem ersten Besuche leicht befremdet: etwas Forschendes lag in seinem Wesen, und brach es auch bei seiner Frische in offenen Fragen durch, so war sie doch nicht mehr gewohnt, gefragt zu sein: Seine Natürlichkeit konnte ihre Freiheit nicht bestechen. In den vielen Jahren, seit sie sich nicht gesehn, war Diana sie selbst geworden, Franklin aber gesetzter, wenn auch immer noch jugendlicher als seine Haare, und so erschien sie nun als eine Jüngere, Feurigere, nach mannigfachen Proben des Lebens, er aber noch halb im Wahne, man könnte die Hand über ein Wesen halten, das längst in Freiheit schwebte.

Vielleicht wirkte in ihm trotz seines wunderlichen, der Welt stationsweise abgetrotzten Lebensganges, der Weltmann und Künstler vereinigen wollte, ein liebender Neid auf dieses Mädchen, die im Getümmel des Weltlebens ihm dennoch künstlerisch zu wirken schien. Dazu kamen Argwohn und Neugier des Kenners, wie denn nun ein Mann aussehen würde, dem dieses Kind – so fühlte er sie noch immer – ihre Gunst schenkte; denn eine mehr väterliche Neigung, die auch aus seiner Beziehung zu ihrem Vater quoll, ließ in dem Frauenfreunde jeden Gedanken an Eifersucht in diesem besonderen Falle schlafen.

Diana, die Franklins Stimmungen um so leichter erriet, als sie ihn schon mit dem Instinkt erster Begegnungen erfaßt hatte, war gesonnen, ihm alles gesellig wegzuspielen, was er ihr etwa allzu offen abfragen mochte, – und so schnitt sie ihn auch jetzt gleich von ihrem Bruder ab, dem Franklins reine Natur seine Geheimnisse ablesen wollte. Sie fühlte die leicht befangenen Blicke dieser vier Männer, die sich alle kannten, die alle schon in diesem Raum, doch nie zusammen hier gestanden hatten, wie Mahnungen, als besten Ausgleich den runden Tisch rasch aufzusuchen, und so kam Wilhelm als der letzte recht erlösend:

»Nein, es ist nicht meine Schuld,« sagte er in seiner vertraulich kunterbunten Art, »denn was kann ich dagegen tun, wenn ein Apfelschimmelgespann, ganz langsam, wie es immer bei Einzügen heißt, à la Dumont oder so ähnlich, an mir vorbeigleitet und eine Himmelskönigin darin lächelt, wirklich wie in den Hofberichten, lächelt voller Huld mir zu!«

»Das ist Wilhelm!« sagte Diana, ohne seinen Nachnamen zu nennen, »und er hat sich ja mit seinen Apfelschimmeln selbst als Dichter vorgestellt. Gehn wir zu Tische?«

Rasch wurden alle wärmer, niemand wollte glänzen, jeder bei dem Spiele einer leichten Unterhaltung helfen, und während das Gespräch ihrer fünf Gäste von der Überfütterung auf den Ozeandampfern zu ungarischen Rouladen und wieder zu Delphinen und fliegenden Fischen zurückging, dachte Diana, die an ihrem Tisch sich immer zurückhielt: – Weltleute und Künstler, aber ich wäre in Verlegenheit, wenn ich, außer Wilhelm, einen genau identifizieren wollte, denn Scherer ist doch auch Philosoph und der Prinz vielleicht heimlicher Dichter.

»Entscheiden Sie, Herr Doktor,« hörte sie jetzt den Prinzen zu Franklin sagen, »denn in so honorabler Klemme zwischen zwei Dichtern bleibt mir als Diplomaten nur das alte Mittel, einen gegen den andern zu hetzen. Rechter Hand« – er umschiffte den Namen, denn den jungen Menschen kannte er nur als Wilhelm – »schwärmt man nämlich von der Romantik Ihres Konsulates. Würden Sie nun, obwohl Sie da waren, kalten Blutes beeiden, daß dieses Zanzibar, Exportplatz dritten Ranges, gottlob gegen Helgoland ausgetauscht, eine notorisch im Meer schwimmende Insel ist, nicht nur auf der Karte, wo das Wasser sich immer so sehr blau gebärdet; daß Palmenwälder, sprich: Wälder, so wie etwa die Kiefern unseres Grunewaldes meilenweit, das heißt wie etwa bei Potsdam, in einen ewig blauen Himmel wachsen? Daß ferner Kokosnüsse von der Größe eines ausgewachsenen Säuglings drohend über den Köpfen der Eingeborenen hängen, wobei dann, wenn sie herunterfallen, nicht der Kopf springt, sondern die vom Kopfe getroffene Nuß?«

»Was tun Sie, – Prinz Durchlaucht!« rief Wilhelm. »Wollen Sie nicht auch noch den Nelkenduft wegblasen? Herr Doktor? Riecht es nach Nelken auf dieser Zauberinsel, nach Nelken in endlosen Vollmondnächten – oder nicht? Bitte! Ich habe zwar alles längst ganz genau in einer Beschreibung gelesen und will Sie keineswegs beeinflussen!«

»Und nun,« sagte Scherer lächelnd, »werden Sie als Dichter antworten oder als Weltmann?«

»Beide Darstellungen sind richtig,« fing Franklin höflich an, aber er konnte nicht weiterreden, denn alles brach in herzliches Gelächter aus.

»Als Diplomat!« rief Diana, – »aber wenn Sie k. u. k. Minister des Äußern sind, lieber Franklin, dann machen Sie wieder Gedichte auf Zanzibar!«

»Vielleicht – nach Tisch,« rief Wilhelm, der sonst stets gutwillig war, in naivem Autorenneide. »Jetzt ist die Frage des Prinzen offen!«

»Ja, lieber Herr Wilhelm,« sagte nun Franklin, »Zanzibar ist eine Phantasmagorie indischer Edelsteine, von Seiden, Intarsien, Dolchen, eine Wildnis von Phönixpalmen, eine Insel im Ozean, die Mond und Sonne auffängt wie die verzauberte Muschel, eine Szene schlanker Araber und dunkler angeketteter Paläste, mit hohen offenen Dächern, auf denen sich abends braune fürstliche Frauen fächeln, und keine Grotte der Sage duftet betörender als diese Nelkeninsel. Aber Zanzibar ist auch ein Stapelplatz dritten oder – jetzt vielleicht schon zweiten Ranges, ein Exporthafen mit tranigen Schuppen, mit brüllenden Negern, mit schwarzen Weibern, an deren Hängebrüsten runzlige Kinder saugen, ein Nest boshafter Intrigen zwischen den Mächten, die dort vertreten sind, ein verkommenes Land von Raubbau treibenden Arabern, heißhungrigen Halfcasts, tückischen Indern – und so ist wohl die Welt, Herr Wilhelm, und Staaten und Ministerien und Geschäfte duften wie Zanzibar, nach Nelken und nach Schweiß.«

»Ich bin für die Nelken,« sagte Wilhelm entschlossen.

»Aber da hört' ich neulich einen Redner,« sagte Scherer, ohne Diana anzusehen. »Er wollte das Rechte für seine Brüder und wurde doch von ihnen niedergeschrien, weil er es auf seine Weise wollte, nicht auf ihre. Wofür ist nun der gewesen: für die Nelken oder für den Schweiß?«

»Fürs Kreuz,« sagte Eduard.

»Vielleicht für die Macht,« sagte Diana nach links zum Prinzen und sah ihn an. Eduard antwortete nicht: in solchen Augenblicken verhallte Dianas Stimme vor seinem Ohr, er sah nur den Strahl ihres falkenbraunen Auges.

»Machte Ihnen der Russe diesen Eindruck?« fragte Scherer. Diana, nun auch von rechts attackiert, sah nicht zu ihm hin, sie hob langsam den Löffel und sagte scheinbar ruhig: »Wir sprechen ja wohl im Gleichnis, Herr Scherer. Und hat nicht Bonaparte seinen achtzehnten Brumaire mit einem Kollaps angefangen?«

»Was ist Kollaps und Brumaire?« fragte Wilhelm herüber und rettete die Stimmung.

Als sie später im Wohnzimmer saßen, sagte der Prinz leise zu Diana:

»Neue Form der öffentlichen Betätigung, dieser Konsul. Überspringt sozusagen die Enttäuschungen des Idealisten. Und doch werde ich einen letzten Zweifel nicht los, ob Aufwand an Zeit, Kraft, Talent im Verhältnis zu gehabter Erkenntnis steht, ob Gleichgewichte gut einstehn, wie bei der alten ehrlichen Kuckucksuhr in unserem Spielzimmer, die zwanzig Jahre ging und offenbar nur von Gott aufgezogen wurde.«

»Dieser Kuckuck hier«, sagte Sidney kalt und starrte mit dem Blick nach Franklin, »wird offenbar allmorgendlich sorgsam aufgezogen.«

Er traf mit diesen Worten den ihm allzu väterlichen Freund gern, selbst auf die Gefahr, mit dem Prinzen beinah übereinzustimmen, denn gegen keinen ihrer Verehrer konnte er ein Mißgefühl überwinden: so eifersüchtig war er auf die Schwester, ohne sie doch zu lieben, während Dianas Freunde ihn meist haßten, ohne eifersüchtig zu sein.

Nur Scherer, der sich diesen Abend sehr zurückhielt, sagte langsam: »Herr Franklin ist doch ein Dichter.«

»Und deshalb«, sagte Diana, »gönne man ihm seine Exportziffern.«

Indessen stand Franklin mit Wilhelm im Erker, der junge mußte dem älteren Dichter gefallen, Natürlichkeit und das volle Vertrauen auf alles, was gesagt wurde, ließen ihn seine eigene Jugend mit jener vergleichen, und wie er sich in der Erinnerung viel ehrgeiziger fand, freute ihn der Glaube dieses halben Knaben an die Welt, die er selbst in jenen Jahren erst zu untersuchen beschlossen hatte.

»Möchten Sie auch reisen?«

»Sie sind mir unheimlich,« sagte Wilhelm versonnen. »Hört man Sie, dann denkt man an Ritter, die unter Stahlpanzern seidene Hemden tragen.«

»Keinen Panzer,« sagte Franklin lachend. »Nur einen Operngucker trage ich bei mir, durch den ich abwechselnd richtig und verkehrt schaue: die Welt ganz nah', die Welt ganz weit, das ist so eine hygienische Abwechselung für die Augen der Seele.«

Er lenkte zur andern Gruppe hinüber, denn er wollte Scherer auf eine Idee zurückbringen, von der er neulich mit ihm im politischen Klub gesprochen: den englischen Nachrichtendienst, der alle Ereignisse ohne Kommentar aufzeichnet, den ›Tape‹, nach dem Kontinent zu importieren. Scherer nickte:

»Freilich müßte in Berlin möglich sein, was in London jedes große Hotel in seiner Halle stehn hat. Es ist ja so einleuchtend.«

»Ich liebe den elektrischen Funken und wünschte ihn bis in den Urwald,« sagte Franklin plötzlich, beinah mit rhapsodischer Stimme. »Das blaublitzende Gleichnis dieser Epoche: immer wieder reißt mich der Gedanke hin, daß mein Wille aus einem kleinen Ministerialzimmer in Sekunden durch die Meere fließt und drüben kommt er ganz trocken an und prägt sich als Gesetz dem staunenden Negerhäuptling auf!«

»Trocken ist recht gut,« sagte Eduard, »besonders wenn solche Depeschen aus der Wilhelmstraße kommen.«

Wilhelm, der zuhörte, verstand nicht, warum sie lachten, und fragte.

»Denken Sie sich«, sagte Franklin, während Diana herankam, um den Kaffee zu reichen, »also einen langen Papierbogen, der unter einer kleinen Glasplatte immerzu um eine Stange läuft und immerzu von einem unheimlichen Stift beschrieben wird, Tag und Nacht, während Sie davorstehen.«

»Was schreibt er? Einen Roman?«

»Etwas viel Kostbareres,« sagte Diana, die Scherers neue Unternehmung mit vorbereiten half. »Das Spannendste, was es gibt, denn dieses Band weiß selbst nicht, was es in zwei Minuten schreiben soll.«

»Hm,« sagte Wilhelm und blickte mißtrauisch auf diese Menschen, ob sie sich einen Spaß mit seiner Weltfremdheit machten. »Wer diktiert denn?«

»Das Leben, Wilhelm,« sagte Diana. Die Art, wie sie dies Wort wählte und wie sie es aussprach, still und mit Ehrfurcht, ergriff Eduard und er trat leise aus dem Kreis.

Franklin lauschte Dianas Stimme nach, er dachte unbestimmte Dinge. Wilhelm stutzte, doch kam Scherer sogleich dem Dichter zu Hilfe:

»Auf einer Telegraphenzentrale, müssen Sie wissen, laufen dauernd und aus aller Welt tausend Nachrichten ein.«

»Freilich!«

»Nun. Und vermittelst eines Fernschreibers«, so dozierte er höflich weiter, »werden diese Nachrichten tausend Apparaten diktiert, die Sie in Hotels, Klubs oder zu Hause verfolgen. Und so schreibt der Stift auf diesen Bogen, der immer weiter rückt, alle wichtigen Dinge auf, die gleichzeitig in Peking, Washington, Hamburg und Zanzibar passieren, immer im gleichen Tempo, im gleichen Druck, ohne Unterbrechung, ohne System, wie sie eben geschehen und gemeldet sind.«

»... Wundervoll!« sagte Wilhelm leise. »Das ist ja ein Gobelin.«

»Ein Spiegel,« sagte Diana.

»Eine Rhapsodie!« sagte Franklin und alle sahen auf den versonnenen Wilhelm.

Da sie nun verstummten und nur ihre letzten Worte nachklangen, trat der Prinz hinzu und sagte: »Das klang eher wie eine Fuge!«

»Es ist auch eine Fuge,« sagten Diana und Franklin gleichzeitig und nun lachten sie. Der Prinz ward unruhig. War sie mit diesem ergrauten Jüngling einig oder war ein altes Einvernehmen so groß, daß sie, nach langer Pause, unvorbereitet dasselbe zu denken vermochten?

Da wurde eine Tür geklinkt und alle blickten auf. Die Klinke ging herunter, aber niemand kam.

»Doreville!« rief Diana. Die Tür wurde ein wenig aufgeklemmt und hellgrau schob sich unten eine spitze Schnauze dazwischen, dann ging die Tür ganz auf, und ein großer rauher Greyhound kam herein, dem Windhund an Länge und Aufbau der Beine, der Dogge an Kahlheit und Muskulatur ähnlich. Sidney war wie verwandelt. Das Tier, das erst zu ihm hinlief, bohrte seinen spitzen Kopf, der immer gekraut sein wollte, gegen seine Knie. Nur wenig herabgebeugt, lachend und leise das Tier mit Stimme, Knien und Händen liebkosend, war Sidney in diesem Augenblick so schön, daß alle schweigend zusahen, obwohl ihn keiner der vier Männer leiden mochte.

Als aber der Hund dann zu Diana kam, und sie, mit einer kühnen Bewegung aufgereckt, den Hund plötzlich an sich drückend, nach der bronzenen Göttin hinübersah, wie zu einer Probe und einem Vergleich, da sah nicht nur der Prinz in ihr jene Diana, die sie bei seinem Kommen, im stummen Anschauen der Göttin ihm vorgespiegelt.

– Auf Pferderücken sollte das Mädchen sitzen, dachte Franklin, statt auf einem Bureaustuhl, und auf den großen Seen ihrer mazedonischen Heimat rudern, statt auf den Teichen dieser Stadtgespräche.

– Fremd und fürstlich, dachte Scherer, wie kommt ein solches Wesen in die Versammlung vom letzten Sonnabend?

– Vielleicht für die Macht –, wiederholte sich Eduard, denn Dianas Ton hatte ihn gezwungen, dies Wort auf sich selber anzuwenden.

Sidney und Wilhelm sahen sich über den Raum weg an. – Schön ist er ja, dachte Wilhelm. Aber ob er wirklich zeichnen kann?

– Hätte man die Naivität dieses Boys, dachte Sidney: man wäre ein Genie …


 << zurück weiter >>