Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Buch


Dreiundzwanzigstes Kapitel

Auf der mittleren von drei großen Terrassen, die sich ins Meer um so weiter vorschoben, als sie sich ihm zusenkten, unter knistrig gelbem Strohdach, das auf leichten Bambusstäben die Sonne wegblenden sollte, lag in langem Korbstuhl Olivia, in heller Seide auf ein braun und weißes Fell gebreitet, das sie, wie es eben kam, in den Ecken und Riffen des Geflechtes festgesteckt hatte. Doch hielt sie ihren Blick dem Lichte abgewandt, sie sah nach Osten, wohin das Widerspiel des abendlichen Lichtkampfes in frischgeballte Wolkenberge drang, und wie sie von dieser Burgterrasse hinunterblickte in die Bucht und auf das graue Städtchen, schien sich in ihr die Legende zu sammeln, die hinter ihr, in jenem auf den Fels getürmten Schlosse vor den Jahrhunderten ihre dalmatinischen Väter umfaßte. Denn drohend mehr als denkend, herrisch und dunkel sah sie zu diesem kleinen grauen Steinhaufen nieder, in dem ein paar hundert Fischer die Knechtschaft ihrer Väter in muffig feuchten Seelen weitertrugen. Sie fühlte sich allein, sie war es nicht.

Goldblond wie sie, aber von matterem Glanze, im stillen Ausdruck unerwachter Augen, doch von vollen Lippen, wie ohne Schuld belebt; madonnenhaft, doch schon die Zeichen einer Frauenzukunft in den Zügen: so erschien Maria, die neben ihr auf einem kleinen Stuhle saß, die Hände hinter dem Haarknoten gekreuzt, nach dem farbenströmenden Westen über die Weite blickend. Wunschlos begleitete das Auge der Sechzehnjährigen das Feuerspiel von Licht und Meer, denn sie begriff es nicht und folgte nur mit dem Mutwillen ihrer Jugend der Helle, ehe sie schwand. Doch schwer in die aufsteigende Nacht verheftet, grollte der Blick der großen Frau hinab, die ihrer Mutter an Jahren wenig nachstand.

Maria mochte vorgelesen haben, das Buch lag neben ihr, klein, arm, gezaust vom Meereswinde wie ein verlassenes Wesen. Seit sie durch Gregors Tod befreit, doch auch vereinsamt worden, las Olivia wieder, doch mit einer Art Feindschaft gegen die Bücher, die sie wählte. Dieser Winter, den sie unter Literaten verbrachte, hatte sie von ihren Werken eher weggeführt, und was sie versuchte, um es des Autors wegen anzusehen, war ihr sogleich Objekt der Unzufriedenheit. Ihr Herz, nur immer suchend, ermüdet von den Gewohnheiten der Klasse, war vor der Arbeit derer vollends erstarrt, die sie frei glaubte und in bedenklicherer Wirrnis gebunden fand.

Als sie nun, zum Frühling, in das große verlassene Schloß der Mutter heimkehrte, war diese, eine weltlich rüstige Frau, nach zwei Tagen des Wiedersehens nach Rom abgereist, um nach einem stumpfen, von ihrem Enkel kaum belebten Winter sich noch ein paar Wochen lang von der ihr geläufigen Gesellschaft erfrischen zu lassen. Brieflich hatte Olivia diese Reise der Mutter vorgeschlagen, denn ihr war darum zu tun, den gemeinsamen Sommer abzukürzen.

Allein schien ihr das Schloß am Meere schön, sobald es aber nach den Gewohnheiten der Ihren ein Haus für befreundete Adlige aus Dalmatien wurde, die dies Jahr die Mutter mit besonderem Grunde heranziehen wollte, war es ihr verleidet. Heiße Wochen auf der breiten Terrasse zu verträumen, von den Freunden des Knaben wenig überlärmt, langsam unten baden, viel liegen, morgens nach Westen schauen, abends nach Osten, selten, doch dann von einem aufreizenden, phantastischen Buche in kurze Wallung aufgetrieben: so dachte sie bis in den Juni hier zu atmen, ungestört, und nur dieser Nichte, Marias stille Gegenwart war ihr lieb, denn sie spielte, wenn man sie bat, mit Fingern, deren Kraft bei soviel Zartheit überraschte, zuweilen eine Fuge, eine Chaconne von Bach, und wenn sie ihr beim Gutenacht die Stirne küßte, kam ein Geruch von Frauenhaaren ihr nahe, den sie mit der Unruhe ihres nie schlafenden Erwartens einzog.

Immer lag sie still, die Bucht, von Booten zuweilen schläfrig gefurcht, die die langen Netze hinter sich aufzogen, wenn sie morgens den Fang einbrachten, und kam, zweimal in der Woche, der Tag, wo der Triester Küstendampfer anlegte oder, war es stürmisch, seine Schaluppe herübersandte, so war man vorbereitet, denn alles erwartete die Post. An diesen Nachmittagen war Olivia ungern draußen, ihre schlafend wilde Natur konnte Warten und Ausblicken nicht vertragen, und der Dampfer kam nie zur gesetzten Stunde. An anderen Tagen lag sie über dem Meere in der traumhaften Sicherheit, von außen könnte nichts kommen, sie wider Willen zu erfassen.

So war's ein Schreck mehr als Freude oder selbst nur Neugier, als in dieser Stunde an der Kante der Felsenbucht eine weiße schmale Spitze hervorstieß und sich rasch zu einem Schiff erweiterte. Leise rief sie: »Maria …«

Das Mädchen, ihren Anruf in solcher Stille nicht gewohnt, fuhr herum und indem sie's tat, sah sie auch schon das Schiff und rief: »Ein Schiff! Sieh nur, ein weißes Schiff! Das ist nicht von unseren!«

»Wie sie glücklich sind, diese Fahrenden!« sagte Olivia leise. »Immer durchs Meer und in den Abend, um rascher in die Nacht zu tauchen …«

»Es wendet!«

»Wie …«

»Es dreht bei, in der Bucht, sie wollen unten landen!« Das Mädchen eilte an die Brüstung.

Nun erhob sich auch Olivia, schritt vor, doch noch ehe sie recht um sich geschaut, rief die Stimme ihres Sohnes von der unteren Terrasse herauf: »Maria! Mama! Ein Kutter fährt in die Bucht! Ich laufe hinunter, ich will es ansehn, unten!«

Haus und Leute gerieten in Bewegung, man sprach, man kombinierte, und als eine halbe Stunde später ein Matrose, von Clemens etwas herrisch herangeführt, mit deutschen Worten einen Brief übergab, konnte Olivia, die zwar von Scherers Plan, doch nicht mehr von Daten und Ausführung gehört, indem sie seine grade Handschrift erkannte, mit einem Blick auf alles schließen.

 

»Gnädigste Gräfin, in Venedig hörte Prinz Eduard, Sie wären schon zurück. Nun liegt Excelsior in Ihrer Bucht, doch noch unter Dampf, daß Sie uns freimütig wissen lassen, wenn wir ungelegen kommen. Dann ziehen wir einen Wimpel auf, der bedeutet Auf Wiedersehn! Sind wir indessen Ihnen und der Fürstin nicht zur Last, so kommen wir auf eine Stunde.

Verehrend

Scherer.«

 

Gemeint waren ein paar Tage, doch als man die Fahrt beschloß, war man darin einig, an Bord wohnen zu bleiben, um nicht, zu fünft, ein halbschlafendes Haus zu verwirren. Zwar hatte Scherer, wie er den Vorschlag machte, heimlich auf Widerstand gehofft und hätte gerne solchem nachgegeben. Ein neues, vielleicht weiter verteiltes Wohnen schien ihm von fern willkommen. Seit jenem Morgengespräch in Leukas hatte sein Geist in immer erneuten Kurven Diana umfaßt, und als vorgestern der Prinz zur Heimfahrt auf dem Großen Canale so entschlossen in ihr Boot gestiegen war, hatten sich Scherers Leinen und Taue fester um sie geschlungen. Ihre sensuelle Anziehung für ihn nahm zu, je mehr sie in die Nähe des jungen Mannes rückte. Kyrills schweigende Blicke hatten sie ihm nur begehrenswerter gemacht. Nun fand er bei den beiden anderen Männern eine unverhoffte Zustimmung, und er dachte heimlich, ob sie vielleicht aus ähnlichen Gründen geheime Befürchtungen hegten und lieber an Bord zusammenbleiben wollten.

Mit voller Natürlichkeit, beinah ohne Überraschung, trat man sich entgegen, es schien nur ein Wiedersehn zwischen Freunden nach einigen Wochen an anderem Platze, das Fernsein von Olivias Mutter erleichterte den Verkehr, und Maria, die keiner kannte, sah sich rasch von einem einzigen gefangen. Es war Wilhelm, der ihr, in seiner kindlichen Weise, beim ersten Händedruck Herz und Verehrung zutrug und als der Jüngste die halb Erwachsene von jenen doppelt leicht abtrennte, da Clemens sich von dem wunderlichen Dichter angezogen fühlte und ihn und sie mit kindlicher Hast von der Gesellschaft forthob, wie einen Dreiklang der Jugend.

Kyrill und Olivia begegneten einander fremd. Verschlossen, kalt und heiß, wie sie im Grunde beide waren, trugen sie jene feindliche Attraktion einander zu, die Menschen von großem Mißtrauen gegen glückliche Begegnungen verbindet. Es war nicht Irrtum, es war jenes verbissene Vorurteil des Russen, als er die Gräfin zuerst mit Durchlaucht ansprach, als ließe er sie der fürstlichen Abkunft nicht entrinnen. Trotz schied sie beide von jeder heiteren Gemeinschaft und verband sie wider Willen. Den Freunden mußte das gleich sichtbar werden.

»Haben Sie es bemerkt?« fragte Scherer den Prinzen auf einem ersten Gang durch den steilen, abendlich verdunkelten Park, der sich, aus dem Abhang des Gebirges terrassenförmig gewonnen, klüftereich in schmale Wege schlang. »Auch die Gräfin lacht nicht.«

»Wäre sie nicht auf einem Schlosse geboren,« sagte der Prinz, der mit ihm den anderen Paaren folgte, »unser russischer Freund könnte ihr die Lippen öffnen, indem er ihr die schönen Zähne zeigte!«

»Und das alles ist Ihres!« fragte Wilhelm, der zwischen Maria und Clemens vor ihnen ging, mit der freigebigen Bewegung der Könige in den Balladen und umfaßte mit einer Geste halb Dalmatien. »Das können wir alles durchsuchen, ob es viele Wachteln gibt und Eidechsen! Wollen wir? Jetzt gleich?«

»Es wird schon dunkel,« sagte Maria milde, obwohl sie am liebsten gleich angefangen hätte, die Wege zu verlassen. Clemens begriff sofort, wie er sich gegen den jungen Menschen zu halten hätte.

»Wir haben welche mit blauen Köpfen,« sagte er, als spräche er von seinen Untertanen. »Sie wohnen in unsern Grotten über dem Strand. Es ist sehr schwer, hinaufzuklettern, aber ich bin mit Giro schon zweimal oben gewesen.«

»Nehmen wir Giro mit, morgen früh!« rief Wilhelm, obwohl er nicht wußte, wer das sein mochte.

»Ich werde ihn für sechs Uhr an die Rocca grande bestellen,« sagte Clemens fürstlich.

»Um sechs fischt er doch noch,« sagte Maria.

»Er braucht nicht zu fischen, wenn wir Gäste haben!« entschied Clemens.

Diana, die als erste zwischen Kyrill und Olivia den alten überwachsenen Taxusweg entlangschritt, machte sich aus der Dumpfheit dieses Weges und Gespräches los, indem sie sich aus den schweigsamen Gesten der Gräfin zu den entschlossenen Fanfaronaden ihres Sohnes zurückwandte. In diesem Knaben, der ihres erschossenen Freundes Sohn war, suchte sie den Vater. Sie faßte seine Hand, zog ihn von den andern ab und sagte, indem sie ihre nun verbundenen Hände hin und her schwang:

»Wenn wir dann aber nichts zu essen haben, Clemens!«

Der Knabe, den Wilhelms vertrauliche Drolligkeit zuerst von den andern Fremden abgezogen, erkannte erst jetzt, als er sich mit seinem Namen aufgerufen fühlte, Diana wieder, doch auch nur halb, denn er hatte sie in der Gesandtschaft bei seiner Mutter nur einmal gesehn und das war zwei Jahre her.

»Wir haben Fische! Wir haben immer sehr viele Fische im Vorrat!« log er nun zwischen Verwirrung und Hochmut. »Kennen Sie mein Boot? Haben Sie schon mein Boot gesehn?«

Er zog etwas an seinen kurzen Leinenhosen, als könnte er sie dadurch zu langen machen, die er seit einem halben Jahre von der Großmutter vergeblich gefordert und erst seit der Rückkehr der Mutter bei dieser durchgesetzt hatte. Nun waren sie bestellt, aber es dauerte alles so lange – und grade heute mußten die Fremden kommen und er war noch in kurzen Hosen. War es ein Wunder, wenn ihm die schöne junge Dame Clemens sagte, als wollte sie ihn duzen?

Diana lauschte: – Haben Sie mein Boot schon gesehn? Sprach so nicht Gregor einst, sein Vater, keck und leicht, – mutwillig und doch befangen? Sie wollte ihm gern den Gefallen tun, er hungerte ja nach einem Sie, aber sie wollte das Vertrauen des Knaben, nicht die Huldigung des Jünglings, der er kaum war.

»Wo liegt denn Ihr Boot? Ach, unten! Bei der Excelsior!«

»Heißt Ihr Schiff Excelsior?«

»Ja, so heißt Herrn Scherers Schiff!«

»Ach, Sie sind nicht – Ich dachte nämlich –«

»Nein, ich bin nicht seine Frau. Warum denn?«

»Ich dachte nur – Es sah so aus, wie Sie kamen.«

– Guter Instinkt, dachte Diana. Wär' ich hier eines Mannes Frau, das könnte wirklich höchstens Scherer sein. Könnt' ich ihn nur mal von vorn anschaun! – Und sie sagte:

»Und nun sehen Sie mich recht an, Clemens, ob Sie mich nicht erkennen!« Sie blieb stehen, er drehte sich zu ihr um, es war an einer Biegung des Weges, und so konnten, während sie da standen, die beiden anderen Paare passieren. Indem sie sich so von dem Knaben mustern ließ, hörte Diana Wilhelm im langsamen Vorübergehen hinter ihr zu dem Mädchen sagen: »Wir fahren vielleicht noch eine Woche, ja, aber ich könnte auch überall aussteigen …«

»Das wäre freilich schön,« sagte Maria.

»– Vielleicht, aber ich weiß es nicht gewiß,« sagte nun Clemens zu Diana, indem er befangen von einem Schuh auf den anderen trat. »Waren Sie nicht mal bei uns unten, in der Gesandtschaft, wie mein Vater noch lebte?«

– Er sagt also nicht mehr Papa, wie damals, dachte Diana. Durch Tod und Schicksal ist er ihm Vater geworden. Da! Sind es nicht auch Gregors blaue Augen, diese Taugenichtse und Betörer? … Und sie stand und vergaß die Antwort.

»Park mit Gruppe,« hörte sie plötzlich den Prinzen sagen, der indessen mit Scherer herangekommen war, aber sie hörte ihn darunter denken. – Auch heute noch, durch diesen Knaben lebt er in ihr fort … unausrottbar –

»Ja, ja, ich war einmal bei euch,« sagte sie dann von oben, »und nun wollen wir die Mutter suchen gehn. Gefällt Ihnen der dort?«

»Das ist doch Prinz Eduard! Der war doch damals bei uns!« als spräche er von einem Gutsinspektor.

»Nein, nicht der! Sondern der mit der Komtesse geht!«

Clemens, der diese Minuten sehr befangen verbracht und eine Wendung herbeigewünscht, wurde wieder frischer, als er Wilhelm sah: »Der sollte gleich bei uns bleiben! Der paßt für uns, weil er sich nicht geniert, und ist doch noch gar nicht so alt und gewiß auch nicht von Adel!«

Diana horchte auf Stil und Tonfall, sie sah den Gestus seiner Hand und wie sie das Haar überstrich, und sie erkannte Gregor wieder, wie er war, noch ehe sie ihn den tollen Münsterberg nannten. – Weil er sich nicht geniert … Und gewiß auch nicht von Adel, dachte sie und lächelte.

Olivia war mit Kyrill stehengeblieben, denn wie sie selbst nicht willig war, alles zu zeigen, was der Wirt dem Ankömmling zu erklären pflegt, so war der Russe nicht gewöhnt, das Übliche zu erfragen, und so waren sie schweigend gegangen, seit Diana sie verlassen. Einmal hatte Kyrill hart und ohne Übergang in seinem tiefen Bariton gefragt: »Sie kennen wohl Fräulein Wassilko?«

»Ich kenne sie,« klang ihr schöner Alt zurück. Doch dabei war es geblieben, und diese beiden Verächter der Gesellschaft dankten einander solche Beschränkung, die alles Floskelhafte wegließ. Nun aber, am Ausgang der verschlungenen Parkwege, kamen Treppen und Terrassen, und Olivia mußte füglich warten, um ihren Gästen wenigstens mit einem Wort den ältesten Turm zu zeigen, dessentwegen Fremde das Schloß zu besuchen pflegten. Man trat zusammen, auf dem begrasten Platz vor dem Gemäuer, Clemens überhob die Mutter der fatalen Aufzählung, indem er, zusammenhanglos und ohne Deutlichkeit, ein paar Daten und Namen durcheinanderwarf. Scherer, gewissenhaft wie immer, machte ihn fest, fragte genauer, suchte den Zusammenhang zweier Rittergeschichten zu finden und wandte sich schließlich freundlich dem Russen zu, dessen spöttischem Munde während der Erklärungen der Prinz wortlos widerstanden hatte:

»Es wird nicht ungeschehen, indem wir es negieren, Doktor, und es wird auch nicht unschön durch nachgeborene Verachtung.«

»Nur überflüssig,« sagte Kyrill kalt.

»Finde Riesenefeu charmant,« sagte Eduard mit der gekünstelten Schneidigkeit, die er annahm, wenn er gewisse natürliche Überlieferungen aus dem Romantischen retten wollte. »Und was den raubenden Ahnen des Herrn Clemens betrifft, dessen Historie dieser ebenso lichtvoll als fesselnd dargelegt hat, so ist er prinzipiell nicht schlechter als einer von unseren Vorfahren, bis zum Beweis des Gegenteils durch Doktor Sergjewitsch!«

»Ich werde Urenkel haben,« sagte der Russe, »Vorfahren habe ich nicht.«

»Sie möchten also nur Vorfahr werden?«

»Meine Enkel sollen mich vergessen, wie ich meine Väter. Taten dauern, nicht Namen noch Bilder.«

»Einfachstes Mittel: kein Ölbild, kein Photogramm.« schnarrte der Prinz.

»Taten?« fragte plötzlich eine Stimme. Es klang wie eine Herausforderung. »Hat dieser Raubritter keine Taten vollbracht?« fragte Diana noch einmal kalt.

»– Nur Abenteuer!« sagte Kyrill von drüben noch kälter und zog die dichten Brauen. »Wer nur vagabundiert ohne Idee, wie dieser Dalmatiner, ist freilich wert, als Ahne in einem Turme des Geschlechtes fortzuleben, wenn er es wenigstens zu Kindern brachte. Wir, heute, wollen nicht für ein Schloß und eine Familie wirken. Wir wollen in die Menschheit, gnädiges Fräulein!«

»Car tel est notre plaisir!« rief Diana über den Kreis hin, als wollte sie mit diesem Tyrannenzitat die innersten Motive seiner Worte enthüllen. Sie wandte sich, und wie man nun wieder in Gruppen über neue offene Treppen und Terrassen dem bewohnten Teile des Schlosses zuschritt, sagte Maria halb erschrocken zu Wilhelm:

»Wer – ist das Fräulein?«

»Ich weiß nicht,« sagte Wilhelm benommen. »Am Ende ist sie immer Siegerin.«

Clemens ging schweigend nebenher und dachte: – Was ist das bloß für ein französischer König gewesen, der das immer gesagt hat? Wir haben ihn doch erst neulich gehabt!«

Olivia folgte mit Scherer. »Was geht uns dieser Räuber an?« sagte sie dunkel. »Man möchte lieber von Bauern stammen!«

»Weil er von Bauern stammt,« erwiderte Scherer, »ist ja dieser Russe so hochmütig.«

»Und er ist doch ein Bandit,« sagte Eduard, der mit Diana folgte.

»Der Russe?«

»Der Ritter!«

»Aber dieser Russe soll sich nicht wie ein Hoherpriester dünken und mir mein Leben vorhalten!« Sie sprach so heftig, daß er sie sänftigen wollte, indem er mit bewußter Fälschung die Schuld auf sich nahm und sagte:

»Sein Vorwurf meinte uns, nicht Sie!«

Diana, wie sie den freundlichen Betrug dieser Stimme hörte, drehte sich zu Eduard um und sagte, mit einem plötzlichen Lächeln:

»Sie, Prinz? Haben Sie denn Abenteuer?«


 << zurück weiter >>