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Sechstes Kapitel

»Nur daß du dir noch immer diese Monstresäle aussuchst, lieber Papa!« sagte Eduard. »Man hat jetzt so hübsche Weinstuben, niedrig, wie sich's ehedem nur die Bourgeoisie und die Künstler erlauben durften, und dabei doch passabel. Diese alten Lindenhotels belasten einen immer gleich mit Bismarckischen Dimensionen.«

»Eben deshalb«, sagte der alte Herr, »werde ich sie mir von meinen Söhnen nicht mehr ausreden lassen. Hier sind Leute genug, daß man verschwindet, andererseits ermöglichen diese vielen Spiegel manche Beobachtungen. Oder werden diese Mittel unserer alten Diplomatie auch schon als Metternichsche Schule verworfen?«

Der Fürst, dessen leidend verfallender, grauer Musikerkopf über dem altmodisch eleganten Frack doppelt geistig wirkte, zeigte sich äußerlich kaum als der Vater des jungen Mannes an, dessen länglicher, sorgsam gescheitelter Blondkopf der Familie der Mutter nachgeraten schien, und nur in einigen ironischen Wendungen gab er eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem jüngsten Sohne kund, den indessen die Verschlossenheit der Jugend und eine persönliche Scheu der Seele häufiger zwangen, sich durch Zynismen zu decken. Als Menschenkenner skeptisch und resigniert, doch immer warm als Vater und als Regent, tolerierte dieser Fürst des kleinen deutschen Landes das absonderliche Wesen dieses jüngsten Sohnes, den er sehr liebte und dem er eine Neigung um so ungestörter zutragen konnte, als er ihn für immer frei von Verantwortungen wußte und in seinen modernen Ideen keine zukünftigen Gefahren zu bekämpfen brauchte. Diesmal freilich war er nach der Hauptstadt gekommen, um in vorsichtigen Gesprächen bei Hofe und bei alten Freunden über seinen Umgang sich zu unterrichten, den ihm der Klatsch der kleinen Residenz sehr schwarz geschildert hatte und sehr rot.

Wie sie dort in der hintersten Reihe des großen Speisesaales soupierten, blieben sie unbehelligt und wären inselhaft abgeschnitten gewesen, hätte ihnen nicht der große, etwas schräge Spiegel gegenüber den entfernten Teil des Saales eröffnet. Der Prinz, dessen Blick durch jene Worte auf den Spiegel gelenkt wurde, schien denn auch, mit geringer Verschiebung des Oberkörpers, etwas darin zu entdecken und sagte bald:

»Im Gegenteil, bin für alte Schule, denn dort kann man Olivia Gräfin Münsterberg himmlisch schön in Dunkelblau allein in einer Ecke speisen sehen, und das lohnt sich selbst für dich, Papa, der du ja wohl noch auf den Knien der Königin Louise …«

»Die Gräfin habe ich gestern im Vestibül begrüßt, und die Königin Louise war mit deiner Urgroßmutter befreundet, wie du dich, trotz bedauerlich geringer genealogischer Interessen, vielleicht noch aus der Stunde deines guten Hofmeisters Mengeberg erinnern dürftest.«

»Also,« – kopierte der Prinz leise die affektierte Stimme des Lehrers – »wiederholen Sie: Ihre hochselige Frau Urgroßmutter …«

»Eduard!«

»Pardon!«

»Ist es übrigens richtig,« sagte der Fürst rasch, teils um den Zwischenfall zu verdecken, teils um seinen Sohn einer lang vorbereiteten Frage entgegenzuführen, »daß die Münsterberg mit ihrer damaligen Rivalin verkehrt, mit dieser – dieser politischen Agentin oder – oder – ja, was treibt diese Frau?«

»Welche Frau, Papa?«

Das kam so höflich und beinahe fremd, daß der Vater sich erkannt fühlte und dem Sohn für seine lautlose Haltung eine stille Anerkennung einräumen mußte. Trotzdem trieben beide das Schauspiel weiter:

»Nun, du warst doch damals dabei …«

»Ah so! Ja, ich denke, sie verkehren miteinander.«

»Du hast die Gräfin wohl dort gelegentlich getroffen?«

»Ja, Papa.«

Kleine Pause. Der Prinz bedient schweigend den Fürsten. Beider Bewegungen verlangsamen sich, sie hüten sich auch nur sich zu räuspern. Der Fürst beugt sich vor, hebt den leidenden Kopf und sieht mit seinen guten Augen dem Sohn ins Gesicht.

»Sag' mal, Eduard, kannst du dort eigentlich verkehren?«

»Wenn die Gräfin Münsterberg –«

Wieder kleine Pause. Der Fürst setzt sich bequem vor seinen Tisch, hantiert etwas lauter mit dem Besteck, trinkt mit zur Schau getragenem Behagen aus, scheint mit dem Blick den Kellner zu suchen.

»Dir fehlt … Senf? Kellner, Senf!«

»Zu Befehl, Durchlaucht!«

Dritte Pause. Der Fürst rückt nochmals vor, jetzt legt er sogar für eine Sekunde die Hand auf den Ärmel des Sohnes.

»Lieber Eduard. Du bist unabhängig. Heinrich und auch Stephan sind gebundener. Bedenke aber, daß es Leute geben könnte, die etwa erzählen würden, man träfe dich öfter im Hause eines Fräuleins, das nicht deine Geliebte sein kann, denn dann käme die Gräfin Münsterberg nicht hin, das aber vielleicht doch nicht Dame genug ist, um unvermählt ein Haus zu machen. Denn sie verkehrt nirgends, und Herrn Scherers Junggesellenheim ist das Maximum dessen, was ihr bisher erreichbar war.«

Prinz Eduard liebte seinen Vater, tief, und wenn er in den letzten Wochen, ganz allein, mit einer Jugendlichkeit, die in dem frühreifen Skeptiker niemand vermutet hätte, Dianas Bild und Namen umkreiste, so sagte er sich stets, wie zur Entschuldigung seines Gefühles: – Doch! da ist entschieden jemand, dem du tiefer anhängst, das ist der Vater. Und als er jetzt den geliebten Kopf vor sich sah, öffnete die Warnung des alten Herrn seinen Mund auf gänzlich ungewohnte Weise, und er sagte lächelnd und beinahe knabenhaft:

»Verzeih, Papa! Das Maximum, was – jener Dame erreichbar ist, geht weit über die Salons und die Parkette hinaus, die ihr Fuß betritt. Entsinnst du dich, was der gute Mengeberg, dessen Kandidatenschatten du vorhin zitiertest, uns auf deinen Befehl über den Adel der Gesinnung lehrte?«

– Ihr Fuß betritt? – dachte der Fürst, dem dieser zarte Ton an seinem Sohne neu war. O weh, das sitzt bereits sehr tief und kompliziert sich noch, da er nicht einmal ihr Liebhaber zu sein scheint … Aber er sagte: »Nur schade, daß du grade mit politischen Frauen umgehst!«

»Verzeih,« sagte höflich der Sohn. »Curtius hat dich unvollkommen unterrichtet – oder war es Senderstein? Die Dame, die deine Herren brouilliert, ist eine ganz unpolitische Frau. Darf ich dir etwas Käse …«

»Nein, sprich nur weiter!«

»Nichts weiter,« sagte Eduard gezwungen. »Sollen wir uns das Wiedersehn durch jemand irritieren lassen, den ich überhaupt nur dreimal gesehen habe? oder sind es vier? Sieht das danach aus, als wäre ich verliebt, Papa?«

»Ich will's nicht hoffen, Eduard.«

»Doch warum fürchtest du's?« fing der Sohn nun nochmals und noch lebhafter an. »Wozu waren dann alle die Rezepte zur Duldung, diese Katechismen der Liberalität, durch die du unter allen am auffallendsten dich, uns und die Leute demokratisiert hast? Weil Heinrich nicht unter dreizehn Zacken ehelichen darf, soll ich nicht bei einer Dame verkehren, die sich ihr Brot verdient? – Und da bin ich gar melodramatisch geworden, wie 'n Volksblatt!«

Er hatte zwar leise, aber so dringend gesprochen, wie es Ehrfurcht und Erziehung noch erlaubten, und wirklich schienen dem Fürsten diese Wendungen um so peinlicher, als solche innere Heftigkeit bei aller Lautlosigkeit an Eduard ihm ungewohnt sein mußte. Aber seine große Duldsamkeit gab dem Sohne recht, und er fühlte sich im Grunde leidlich uniform, als er nur noch kühl zurückfragte:

»Aus deutscher Familie, wie?«

»Glaube, halbslawisch gemischt, Balkan geboren, Vater anglisiert.«

»Hm. Wird dieser – Vater sichtbar?«

»Nur ein Bruder.«

»Der – was betreibt?«

»Ich weiß es nicht, Papa.«

»Man sagte mir, er spielt?«

»Möglich. Sah ihn mal im Klub, er pokerte mit Sagan. Der Herzog gewann.«

Der Fürst spülte vorsichtig die Finger ab und schien, während er sie trocknete, diese Sphäre abtun zu wollen, die ihm peinlich war. Er begriff, daß sein Sohn die günstigere Position innehatte und dachte nur noch, die Antwort mit dem Herzog hätte er geschickt gesetzt, besonders da er die Spielszene in diesem Augenblick erfunden haben mochte. Um loszukommen, sagte er unbefangen: »Siehst du Sagan oft?«

»Neulich, bei meinem Chef.«

»Na, und wie macht sich Mühlwert?«

Eduard, froh, seinem Vater nicht mehr opponieren zu müssen, sagte in seinem alten artig-spöttischen Tonfall: »Mühlwerth spielt Burgtheater, und die Baronin tragiert mit ihm auf ihre Weise. Falsche Demokraten, Papa, Leute, die jetzt links schwimmen, wie man seidengestrickte Krawatten trägt. Im offenen Auto liest er mit Vorliebe den Vorwärts, und was er am ersten Morgen im Amt gemacht hat … – Darf ich eine von meinen anbieten?«

Ihre wappengeschmückten Silberdosen klappten zugleich auf, und wie sie einander Zigarren anboten, der Vater langsam die schweren aus dem breiteren Etui, der Sohn nervöser die schmaleren, war die Versöhnung vollkommen.

»Danke! Und was tat der gute Mühlwerth am ersten Morgen?«

»Vielen Dank. – Er erschien um acht Uhr zwanzig, öffnete selbst die ganze Post von einhundertundachtzig Nummern, las alles, diktierte drei erschrockenen Typistinnen, die um acht Uhr vierzig, fünfzig und fünfundfünfzig eintrafen, einhundertundachtzig Antworten und sagte um halb elf, als die Herren ratlos vor der Katastrophe standen: Ihrer gewohnten Einsicht vertraue ich, daß Sie meine Antworten mit dem Stande Ihrer Akten in Einklang setzen.«

Er unterbrach sich, denn in diesem Augenblick wurde er gegrüßt, und als er aufsah, verbeugte sich der vorübergehende junge Mann auch vor dem alten Herrn. Es war Sidney, und seine Schönheit, die in allem seiner Schwester ähnelte, aber durch seine feminine Art und Bleichheit und durch glanzlose Augen von ihrer jünglinghaften Frische sich zugleich ganz trennte, wirkte so stark, daß der Fürst befremdet fragte:

»Wer grüßte denn da so nett? Ich kenne mich zwar nicht mehr aus in euren modernen Typen, aber das muß ein Natürlicher Sohn gewesen sein oder ein wohlerzogener Schauspieler.«

»Ignotus,« log Eduard, der erschrocken und entschlossen war, nicht wieder Unruhe zu machen.

»Scheint aber, er geht zur Münsterberg. Wohnt die denn hier?«

»Ich glaube.« Im Spiegel sah Eduard, wie Sidney den Kopf auf eine fast mädchenhafte Weise vor der Gräfin senkte und gleich darauf ihrer Geste zum Stuhle folgte. Jene Ähnlichkeit, durch mattes Licht, Entfernung, Dunst des Raumes noch erhöht, die Suggestion des etwas schräg hängenden Spiegels, das eben überstandene Examen wirkten zusammen, um in ihm den Eindruck zu erhöhen, Diana wäre es, die da, als eleganter junger Mann, neben Olivia säße. In solcher Unruhe war er froh, daß sein Vater aufstand und er mit dem Saal die geisterhafte Vision los wurde, und suchte, soweit er von hinten konnte, den Voraufgehenden beim Gehen auf der andern Saalseite zu halten. Aber, wie von Instinkten gezogen, bog der Fürst in der Mitte halb ein, sei's nur, um die Gräfin zu begrüßen, sei es vielleicht, um dem jungen Mann ins Auge zu sehn.

Es waren keine zehn Sätze, die der alte Fürst mit Olivia wechselte, aber es war geschehn: »Herr de Wassilko« war vorgestellt, Eduard, stumm zurückstehend, war bleich geworden, – und er wußte nicht, ob er dem Vater für sein Schweigen beim Fortgehen danken sollte.

»Er ist schön, der Alte,« sagte drinnen Olivias Alt, und alles Schwere ihres Frauenwesens tropfte in die paar Worte. Golden ruhte die sinnliche Fülle ihrer Haare in diesem Nacken, von nie gestillter Leidenschaft antwortete ein Zug vom Munde her dem lastenden Knoten.

Denn schwer lagen diese Lippen und meist schweigend am Ufer des Mundes, wie befrachtete Schiffe, die den Hafen nicht verlassen, obwohl ihre Segel sich nach Sturm sehnen. Prangend in der Mitte ihrer dreißiger Jahre konnte sie dennoch eben Sidneys Mutter sein, und so hatte das passionierte Zwiegespräch ihrer dunkel schwimmenden und seiner katzengrau stechenden Augen etwas Lasterhaftes, etwas vom Inzest: denn nichts als Leidenschaft konnte diese ungleichen Naturen verbinden. –

Erst auf der Heimfahrt gewann Eduard die Ruhe, über diese Beziehung der beiden nachzudenken, die ganz neu, ganz unbekannt und auch ihm selbst eben erst aufgetaucht, freilich gleich zur Gewißheit wurde. Nur einmal war Olivia Dianas Gast gewesen, das wußte der Prinz; damals wahrscheinlich war sie Sidney begegnet, das schloß er. Da mußte wohl ihr durstiger Blick den frühreifen dieses schönen und gefährlichen Menschen gestreift haben.

– Ihr trau' ich alle Paradoxie der Sinne zu, dachte Eduard im Wagen neben dem schweigenden Vater. Er aber? Hat er sich ihr genähert, weil sie Gräfin ist oder weil sie Geld hat?

– Warum hat er den Bruder seiner Geliebten verleugnet? fragte sich zugleich neben ihm der Vater, der seine Kombination desselbigen Namens mit Dianas Namen verschwieg, um Eduard nicht bloßzustellen. »Wassilko?« sagte er nach einer Weile laut. »Ist das nicht ein ruthenischer Name?«

»Möglich, Papa.«

»Vielleicht auch polnisch,« sagte der alte Fürst langsam, denn die Steifheit des Sohnes begann ihn zu amüsieren. »Man weiß nie so recht – bei diesen Leuten …«


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