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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Rascher als die von Schiffskost verwöhnte Gesellschaft erwartete, ging das kleine Diner zu Ende, und nur Scherer bedachte, wie mühsam es dennoch gewesen, es herzurichten, denn in dem hohen, etwas kahlen Saale, den Herr von Wassilko neben einem Schlafzimmer bewohnte, mochte für Gäste das meiste fehlen, und doch war, wie besonders der Prinz bemerkte, alles tadellos. Die Einfachheit, durch Improvisation dem Wirte aufgedrungen, schien vornehm und war's im Grunde. Mary war als Bedienung lautlos tätig. Das Tischgespräch, bei dem unter der rötlichen Stehlampe jeder unbefangen schien, während jeder zwischen den Schatten forschte, hatte zumeist der alte Herr mit Scherer geführt, dem er sich am leichtesten anschloß. Diana war abgelenkt, indem sie durch Winke an die Dienerin das Fehlende zu ersetzen suchte und als Wirtin, noch dazu auf Reisen, still wirkend achtgab. Eduard wiederum ließ keinen Blick von ihr, wie sie in ihrem langen lila Kleide diese Rolle erfüllte, vor seinem Geiste stieg ihr Bild an anderen Tafeln empor, keineswegs repräsentativ, vielmehr häuslich im großweltlichen wie auch im idyllischen Sinne, und während er seine Betrachtungen unbemerkt glaubte, fühlte sie sein Auge und konnte ihn, nach dem plötzlichen Erraten seiner Gedanken von heute morgen, heut abend leicht das ausbauen sehen, was er in sich seit langem ausbaute.

Kyrill, schweigsam von Natur und erst in plötzlichen Debatten seine Ideen endlos entladend, hier in Venedig durch manches parteiliche Zusammentreffen, durch neue unterirdische Nachrichten betroffen, war still gekommen, war aber vom Anblick seines Wirtes gefesselt und nun zu aufmerksamer Betrachtung getrieben. Wilhelm allein schien etwas enttäuscht. Er hatte auf einen Sterndeuter und heimlich wohl auf etwas wie einen Alchimisten gehofft, glaubte in ein Haus mit Karten und Globus, mit Flaschen, Retorten und Dosen zu kommen, und sah nun im Vorzimmer eines ehedem schönen, etwas verfallenden Palazzo nicht einmal Rüstungen und Ketten, sondern nur eine Reihe vier oder fünf sorgsam geordneter Hüte des alten Herrn, deren Katechismus Kyrill verachtet, Scherer schweigend in das Budget eingetragen hatte, während der Prinz in ihnen nur den Zylinder vermißte, der ja aber wohl in seinem Kasten geblieben sein konnte.

Als Herr von Wassilko nach Tische vorschritt, sagte er:

»Verzeihen Sie somit diese primitive Gastlichkeit, wie sie die verarmten Erben eines großen Geschlechtes ermöglichen, die hier ein paar Säle vermieten. Sie erscheint mir immer noch besser als Hotelsäle, in denen man immer Gebärde und Maske von Leuten spürt, die vor zwei Stunden auf denselben Stühlen gesessen, dieselben Gabeln an fremde Lippen geführt und die mit dem Hauch ihrer törichten Rede vielleicht die Luft in eine Vibration versetzt haben, die wir noch feindlich spüren, wenn wir uns niedersetzen.«

An den großen aufgespannten Glastüren des Balkons nahm man, jedoch noch drinnen, in einem natürlichen Halbkreise Platz und stritt um die Sessel, von denen zwei modern und bequem, die anderen antik und steif schienen. Der alte Herr, in einen der Fauteuils genötigt, lehnte ab und belegte den großen gotischen Stuhl ohne Kissen. Eduard und Scherer, um nicht bequemer als ihr weißhaariger Wirt zu scheinen, hatten instinktiv nach ähnlichen gegriffen, Diana aber, ihren großen venezianischen Schal umhüllend, für sich einen niedrigen Hocker an den Balkonrand geschoben, wo sie vor Eduards Blick nur zuweilen von unten durch das Flackerlicht vorübergleitender Gondeln beleuchtet war.

»Dann bleibt den jüngeren Herren nichts übrig,« sagte der Wirt, »als die Großväter zu spielen!«

Wilhelm, der darauf gelauert, warf sich rasch in den tiefen Sessel und rief:

»Das will ich meinen! Wir müssen auch sehr geschont werden, denn wir sind die Hoffnung der Nation!«

»Ich nehme ihn gern,« sagte der Russe, indem er den andern Fauteuil nahm, »weil er mir verständig und gar nicht großväterlich scheint. Diese andern steilen Stühle dagegen sind doch um Jahrhunderte überholt, sie erinnern an die Macht längst überwundener Höfe und gehörten höchstens in ein Museum, wo eine vorgelegte Schnur symbolisch andeutet, daß ein Mann um 1900 dergleichen nur noch betrachten darf, – wenn er zu solchen Studien wirklich in unserer Epoche noch Zeit findet.«

»So scheinen Sie hier der Vorgeschrittenste und in solchem Sinn in der Tat der Jüngste, Herr Doktor?«

»Seine Durchlaucht ist nicht älter,« sagte Kyrill mürrisch.

»Und nun müssen Sie ihnen das Horoskop stellen!« rief Wilhelm. »Die Apparate haben Sie gewiß nebenan!« Er wollte aufstehen, wie um das für seine Neugier Nötige zu holen. Scherer hielt ihn zurück.

»Wir wollen heut Herrn von Wassilko nicht bemühen.«

»Meine Tochter hat geplaudert? Und der junge Herr hält mich am Ende für einen andern Swedenborg!«

»– War Swedenborg nicht auch in Venedig?« fragte Diana von ihrem Sessel aus leise hinüber, denn sie hatte kaum zugehört und schien nun auf eine Verwandtschaft des Geistes hinzudeuten, die der Vater eben ferngehalten.

»Einmal war Swedenborg hier, Anno 1718. Es sind bald zweihundert Jahre, Diana.«

Eduard lauschte. Der kühle Tonfall dieser leisen Worte, das Geheimnis des schwedischen Geistersehers und wie er ihn mit dem altväterisch lateinischen Worte beschwerte, die Vertraulichkeit, in der er dann am Ende ihren vokalreichen Namen aufklingen ließ, diese ganze Verwandtschaft seiner Redeweise mit der ihren, sinnend, artig, als verschwiege man den besten Teil davon; die Wendung, die seine hohe Gestalt aus dem hochlehnig gotischen Stuhle nach dem Balkon hin nahm, und wie nun, im Lichte der indessen herangeschobenen Stehlampe, sein weißer Bart, herabwallend, und ihr Antlitz, kinderhaft aufgehoben, entspannt und fragend, von rötlichen Schatten belebt waren: dies alles ergriff den Prinzen mit einer plötzlichen und süßen Heftigkeit, seine einsame Natur fühlte sich von dem Wunsch ergriffen, solchen Menschen verbunden zu bleiben, die ihre große Freiheit in eigene Gebundenheit faßten, – und zum ersten Male wünschte er Diana dies Gefühl durch einen Blick der Neigung aufzuklären. Doch wie er dann aus dem Schatten in den Lichtkreis treten wollte, um ihr im Rücken der andern sichtbar zu werden, fühlte er sich durch eine sonore Stimme gehemmt, denn Kyrill sagte, in das Schweigen hinein:

»Was hat denn nun dieser Swedenborg faktisch geleistet?«

Diana wendete den Kopf von ihrem Vater der Stimme aus dem Dunkel zu, und Eduard sah, wie sich ihre Brauen zusammenzogen. Aber der Vater schien unberührt.

»Nun,« erwiderte er ruhig, »er hat wohl zwanzig Bände zur Naturkunde hinterlassen, besonders Mineralogisches, war ja auch Mitglied mehrerer Akademien und ist mit diesen Werken in die Geschichte der Wissenschaft eingetragen.«

Kyrill wurde unruhig. Gebildet im Fanatismus einer aufgeklärten Zukunft, kämpfend gegen Vorurteile und Überlieferung als solche, hatte seine Natur noch keine Zeit gefunden, sich gegen die Aufgaben, die ihm Geist und Amt setzten, ins Gleichgewicht zu bringen, und so hatte er, bei allem Studium, bei aller Kraft des Denkens, das dämonisch Gebannte seines Wesens noch gar nicht erfaßt, und wo er es im Blut gespürt, als ein altmodisch Dunkles, als ein zu Überwindendes zurückgedrängt. Und doch zog ihn jene andere Welt der Triebe, das irrationale Gleichnis besonders in der Musik, es zog ihn das kosmisch undurchdringliche Gesetz immer wieder aus dem Kreise des ökonomisch deutlichen Gesetzes und unterwarf ihn, wider Willen, seiner Natur. Indem er nun zum erstenmal erfuhr, daß einer jener Visionäre, denen er so sehr mißtraute, zugleich exakter Forscher gewesen, sah er, der nach Art begabter Naturen das Biographische bedeutender Geister stets in Relation zu sich selber brachte, eine ferne Möglichkeit, selbst einst in solchen Verfall zu geraten, und erwiderte nach einer Pause:

»Mit diesen Werken wäre er aber wohl kaum in das Gedächtnis der Menschen gedrungen. Ich wußte nichts davon und die wenigsten mögen sie kennen.«

»Das ist wahr,« sagte Scherer, »und entsinn' ich mich recht, so hat selbst der Professor, der ihm in der Stockholmer Akademie die Gedenkrede hielt, sich für außerstande erklärt, alle Werke des Verewigten zu kennen, den er feiern sollte.«

Nun lachte die Runde, und der alte Herr sagte:

»So ist es und ich bin nicht klüger als jener laudator officialis.«

Kyrill persistierte: »Aber die andern, diese okkulten Schriften – oder die Überlieferungen seiner sogenannten ›übernatürlichen‹ Erkenntnisse sind Ihnen gewiß geläufig. Ist nun in diesen irgendein greifbarer, dauernder Wert enthalten?«

Diana wandte sich ab, sie trug den Blick zu dem großen Kanale hin, sie dachte: – Mit seinen schönen Beinen sollte er auf Segelstangen klettern, und in feste reife Äpfel beißen mit diesen herrlichen Zähnen. Aber nach Venedig und zu meinem Vater paßt er nicht!

Eduard hatte, über den Kreis hinweg, ihre Züge gesehen, als sie sich abwendete. Er dachte: – Säße ich jetzt mit ihr in jener Gondel, die dort vorüberzieht, ich wollte ihr alles fortflüstern, was sie hier leiden macht!

»Da läßt sich schwer erwidern,« sagte Herr von Wassilko, aufrecht in seinem hohen Stuhle. »Greifbar sind diese Dinge wohl nie, und daß sie dauern, ist auch kaum ihre Bestimmung. An die Zeit scheinen sie nicht gebunden, nur an Menschen, wie es immer solche gab, die sich ihnen nach dem Gesetz ihrer Natur zu nähern trachten.«

– Sehr geschickt, dachte Scherer, der allen transzendentalen Anfragen mit ähnlicher Allgemeinheit auszuweichen gewöhnt war, und indem er sich dem alten Herrn als Weltmann verglich, übersah er ganz, daß dieser aus der Verschwiegenheit einer gläubigen Seele erwiderte, nicht, wie Scherer selbst, aus Vorsicht für eine hochkultivierte, doch im Grunde rationale Weltanschauung, die man nach zwei Seiten stützen mußte.

Kyrill schwieg, eigentlich fühlte er sich abgewiesen, und wie auch die Andern dies erkannten, waren alle recht froh, sich aus solcher Befangenheit durch Wilhelm befreit zu sehen, der mit seiner stillen Aufmerksamkeit gefolgt war und nun mit naiver Frische sagte:

»Wenn ich nur wüßte, ob man das Geistersehen erlernen kann! Ich habe schon einmal so einen gefragt, in Berlin, wie ich nach der Vorstellung mit ihm zusammenkam, und der hat mir gesagt: ›Sie spielen ja die Laute, wie ich von Ihrem Freunde höre. Na, wenn, einer mal erst Musik in sich hat, da ist's zum Okkultismus nicht mehr weit!‹«

»Wo haben Sie Ihre Laute, Wilhelm?« fragte Diana von ihrem entfernten Platze aus, und alle waren froh, sie ablenken zu sehen. Man sprach von Instrumenten, und wie Wilhelm seine Laute hereinholte, ohne die er abends selten ausging und vollends nicht in Venedig, wie man sich wechselseitig fragte, was jeder spielte, sagte der alte Herr:

»Leider gibt es keinen Flügel hier und keine Geige. Aber meine alten Wirte hatten ein schönes Cello, und weil ich früher einmal ein wenig gespielt habe, stellen sie mir den Kasten immer wieder ins Zimmer, wenn ich komme.«

Und damit ging er und kam nach kurzer Zeit mit einem Cello wieder, das seine Gäste eilten ihm abzunehmen. Nur Wilhelm war in seinem Fauteuil sitzen- oder liegengeblieben, den er heut abend, nur um die Laute zu holen, kurz verlassen, und er sagte leise zu Diana, als die andern nun im Saale aufgestanden waren und um das Cello herumstanden:

»Mich bekommt niemand aus diesem Sessel, den er so ›vernünftig‹ genannt hat! Außer natürlich, wenn Sie ihn haben wollen, Diana!«

Die kleine Zärtlichkeit ging ihrem Gemüte nahe, denn wie sie, von Eduard getrennt, von Kyrill verletzt, von diesem ganzen Gespräch sich eigentlich gestört fühlte, hatte sie nur immer inniger in das Dunkel und das Rauschen, in dieses Auftauchen seltener Lichter und Rufe sich versenkt, das vom großen Canale zu ihr heraufdrang; nun traf sie das burschikose Wort des jungen Mannes freundlich, sie dachte an Franklin, warum er wohl wegbliebe, ob er sie, ob er ihren Vater fürchtete, und dann dachte sie wieder an den Prinzen.

Drüben hatte Kyrill, irgendwo niedersitzend, das Cello angeschlagen, gestimmt, sich dann, er wußte selbst nicht wie lange, stumm in das Instrument vertieft:

»Spielen Sie?« sagte Scherer.

»Allein?«

»Wilhelm wird das Klavier ersetzen und auf der Laute akkompagnieren.«

Dies fand bei allen Beifall. Wilhelm, der Noten kaum kannte, stets aus dem Kopfe spielte und sich daher jedem Gesange anzupassen wußte, ging darauf ein, forderte aber in seinem Sessel bleiben zu dürfen, den er den Revolutionssessel nannte, Kyrill tauschte mit dem Prinzen, um höher zu sitzen, er blickte etwas mißtrauisch auf Wilhelm, dann, ohne zu fragen oder anzukündigen, fing er eine Bachische Cellosuite an. Wilhelm, der alles kannte, erschrak und ließ sogleich seine Laute los, denn er wußte, dergleichen ließ sich nicht aus dem Kopfe und vollends mit der Laute begleiten. Kyrill, kurz aufblickend, schien zufrieden und spielte allein. Diana hatte sich, wie die ersten straffen Töne in die Weichheit dieses Frühlingsabends fielen, gleichfalls aufgerichtet und umgedreht. Einige Sekunden lang wallte ihr Blut zornig vor, als wäre sie beim Fechten touchiert worden. Dann hatte sie die Gewalt dieser gefaßten Melodik ergriffen, ganz grade saß sie auf ihrem Schemel, sie hatte, ohne es zu wissen, ihr schwarzes Tuch fallen lassen.

Und wie die Töne durch das Ohr alle Kämpferkraft in ihr aufrissen, so faßte sie zugleich die Gestalt des Russen ins Auge. Sie sah, wie er dort, im Lichtkreis der rötlichen hohen Lampe mit seiner großen Rechten den harzigen Bogen über die Tiersaiten führte, wie die großen Finger seiner Linken auf dem Ursprung dieser Saiten künstlich zitterten, wie seine muskulösen Schenkel das braune, hohl gewölbte Holz gegen das Knie drückten, und von der hohen gotischen Lehne eines venezianischen Edelmannes der blonde Bauernkopf eines fanatischen Russen zu diesem Kasten sich in Mildheit herabsenkte, wie zu einer Frau, die er an sein Knie drückte und mit der Rechten streichelnd zum Klingen brachte – und dennoch zitterten die Finger seiner anderen Hand an ihrem Halse …

Eduard sah, wie ihr Blick den musizierenden Mann umfing und hätte in diesen Minuten das Fürstentum seines Vaters und seiner Brüder hergeschenkt, hätte er seine Geige herbeizaubern und konkurrieren können.

Als Kyrill geendet, trat ein Schweigen ein. Dann sagte Wilhelm:

»Da konnte ich Ihnen aber nicht helfen! Ich dachte, Sie meinen Chopin!«

Man lachte über den natürlichen Einwand, der alte Herr rühmte die Kunst des Cellospielers, Scherer und Eduard stimmten bei. Diana, die wie aus einer Erstarrung sich abgewandt, nun aufgestanden und an das barocke Steingitter des Balkons getreten war, tat die Magie dieser Augenblicke, in denen sie sich gleichsam wider Willen hingegeben fühlte, wie einen Schauer ab, wandte sich zur offenen Saaltür, streckte die Arme, als wollte sie diesen Abend mit seiner ganzen Schwermut einfangen, um sich aufs neue in seinen Mantel zu hüllen, der von ihren Schultern gefallen war, wie das schwarze Tuch, und sie rief: »Ja! Wilhelm hat recht! Sie haben ja den Tag gespielt und die Kraft der Sonne – und hier ist mehr als Nacht!«

Kyrill sah zu ihr hinüber und gab ihr im stillen recht, denn durch das Medium der Musik begriff er alle Zögerungen des Herzens, die er in seinen Theorien als unverständig verwarf. Als er nun das Es-dur-Notturno begann, nahm Wilhelm eine leise Begleitung auf und führte sie zurückhaltend bis zum Ende durch. Diana stand am Gitter des Balkons und blickte, herabgebeugt, in das leise strömende Wasser. – Dies alles ist gut, dachte sie. So ist diese Stadt und so ist der Vater und so ist der Prinz und so ist Wilhelm und so bin ich an diesem Abend und vielleicht ist zuweilen sogar der Russe so, der jetzt in meinem Rücken das Cello an sein Knie drückt. Und wenn es alles anders sein sollte, so will ich, heut abend soll es so bleiben!

Als man bald darnach aufbrach, um an Bord und vor Tagesanbruch in See zu gehen, ergriff der Vater, mitten im Saale, ihr Haupt und küßte sie auf den Scheitel ihrer Locken. Es geschah im Schatten, aber nicht heimlich. Alle vier Männer blickten schweigend hin: Scherer und Wilhelm wie zu einer Zeremonie, die sie unbedingt besser machen würden als jeder der andern Anwesenden, Kyrill in einer halb eingesunkenen Erinnerung an russischen Vatersegen, Eduard aber sah noch einmal im Geiste seinen Vater vor sich, wie er Diana küßte.

Mit freundlichen Worten, herzlicher als man gekommen und dennoch fremd, nahmen die Herren von ihrem Wirte Abschied, und wie man sich verteilte, um beide wartenden Gondeln zu benutzen, und Eduard, diesmal ohne zu fragen, neben Diana saß, Scherer und Kyrill in der anderen Gondel Platz gefunden, stand Wilhelm unschlüssig und dachte: ob er lieber Scherer durch seine Abwesenheit erfreuen und den Prinzen nicht allein mit Diana fahren lassen oder ob er diesem sich gefällig erweisen sollte, indem er seinem Boote fernbliebe. Scherer ließ ihn unbeeinflußt wortlos wählen, aber da fiel ihm Diana selber ein, die – man wußte es bei ihr nie gewiß – am Ende doch gern mit dem Prinzen blieb, und so sprang er in Scherers Boot und spielte und sang eines jener leichtsinnigen Lieder von Venedig, die so heiter sind, als wären sie in Vicenza geboren. Die alte Mary kam mit einem Matrosen im dritten nach.

»Soll er schweigen?« fragte Eduard neben Diana, leise, im vorderen Boot.

»Nicht doch! Ist es nicht süß, wie seine Laute durch diese schluchzenden Kanäle lacht …«

»Herr von Wassilko spielte gut?«

»Seine Seele spielte, seine Finger waren nicht sehr geübt.«

»Und doch haben sie Statuen ausgegraben …«

»Sogar Vasen von Glas, die sind noch zerbrechlicher.«

»Er scheint kräftiger als mein Vater und ist doch kaum älter.«

»Ist der Fürst noch leidend? Haben Sie Nachrichten?«

Sie fragte nie, immer ließ sie ihn von den Seinen beginnen.

»Er ist leidend seit dem Tode meiner Mutter. Ich mißtraue den Nachrichten und dem Arzt,« sagte Eduard leise und wandte sich ab.

»... Ich liebe auch den meinen,« sagte Diana, indem sie einen Gedanken offen ließ. Er war ergriffen, daß sie seines Vaters gedachte, die Szene auf der Treppe und beim Abschied fiel ihm wieder ein, er griff nach ihrer Hand, die im Schoße lag, sie ließ es geschehen. Er sagte: »Diana …«

Er wußte, daß er sie nie so genannt. Und mit einer sehr langsamen Bewegung senkte er seine Lippen auf diese Hand, um sie nicht wieder loszulassen. Sie dachte:

– Wie zart küßt dieser junge Mann. Ich möchte ihn küssen … Doch er schweigt und scheint in großem Kreise mich einzuschließen, langsam, kurvenreich … Hinter uns jubiliert Wilhelms kleine Stimme und seine Laute tut, als wäre das Leben ein Himmel von Amoretten, hellblau und kurzgeschürzt. Träumt' ich das alles schon?

Und als hätte er durch die Poren ihrer gebräunten Haut ihre Gedanken erfühlt, sagte der Prinz, indem er nun die Lippen hob und, ihre Hand noch in der seinen haltend, sich in die schwarzen Kissen zurücklehnte:

»... Einmal fuhren wir in einer Gondel und ich nannte Sie das erstemal Diana … Entsinnen Sie sich noch? Es war den Abend, als uns Ihr Vater zu Gaste geladen. Der Russe hatte ihn nach Swedenborg ausgeforscht, wissen Sie noch? dieser blonde Russe, der mit mir am selben Tage geboren war. Er spielte Bach wie ein Mann. Ob er noch lebt? Ob er schon aufgehängt ist? Und Scherer war dabei, damals noch jung und gastlich und tätig und Wilhelm spielte hinter uns das Lied der Venezianerin vom tölpelhaften Gatten und ihrem schönen Vetter. Es war mitten zwischen diesen barocken Fahrten, entsinnen Sie sich? Excelsior … und die Fahrt war noch nicht zu Ende …«

»Und als wir an der Piazzetta vorüberfuhren,« sagte Diana, zurückgelehnt wie er, im gleichen Tone, »da schlugen auf dem Uhrturm zur Linken die beiden Giganten eben an die Glocke, denn es war Mitternacht. Aber die Fahrt war noch nicht zu Ende … Entsinnen Sie sich noch, Prinz?«

Sie schwiegen, Hand in Hand, ohne sich anzusehen, bis dicht hinter San Marco die Gondel um die Ecke bog und nun leuchtete Excelsior weiß durch das Dunkel.

Am Fallreep sprang der Prinz heraus, half ihr, oben küßte er ihre Hand, dann sagte Diana den Andern gute Nacht, die dicht hinter ihr angelegt hatten.


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