Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einunddreißigstes Kapitel

Diana saß am Schreibtisch und setzte zwei Depeschen auf, die eine in Englisch an Herbert Macdonald, Direktor des Neuen Flügels im British Museum, die andere an Professor Dufour, Institut Physiologique in Genf. In beiden fragte sie an, ob sie ihre frühere Tätigkeit wieder aufnehmen könnte. Sie klingelte, um zur Post zu schicken, aber im gleichen Augenblick wurde ihr Signal von einem andern geschnitten, das zweimal von der Haustür kam. Türen gingen, sie hörte eine Stimme, einen Säbel, der klirrte, bis mit sichtbaren Zeichen der Aufregung Mary den Prinzen meldete, wobei sie sich, durch die Zeitungen orientiert, in Fürst verbesserte und noch stotternd stand, als Eduard als Husar schnell eintrat. Noch ehe er Diana erreichte, blieb er stehn, blickte sich um, als wollte er die Dienerin rascher entfernen. Bis diese die Tür geschlossen, bis ihr Tritt verhallt war, hatte sich Eduards Aufregung so weit gesänftigt, daß er imstande war, Diana mit Hackenschlag und Handkuß zu begrüßen und sich, als er ihren staunenden Blick auf die Uniform sah, rasch in das ironische Zitat zu retten:

»Ich versprach dir einmal spanisch zu kommen. Pardon für dies Kostüm!«

Er stellte den Tschako ab.

»Sie sollten nie anders gehn!« sagte Diana. Von Wuchs und Haltung, von diesen Hüften überrascht, dachte sie wirklich im Augenblicke nichts anderes als Klärchen vor Egmont, ja sie trat noch weiter zurück, um ihn besser zu sehn. Ein paar Sekunden hielt er es aus. Dann griff er heftig nach ihren Händen, zog sie auf ihr Sofa, fiel vor ihr hin, riß sie näher, fuhr mit beiden Händen um sie her, tupfte sie mit zitternden Fingern ab, immer ganz leise, überstürzt redend:

»... Diana … Da bist du nun … Ja, das bist du … Verzeih mir nur … Ich bin, ich habe … Diese Tage, diese Dinge, keine Seele, lauter Verneigungen … Es ist gar nicht so ridicule, wie ich dachte, weit schlimmer, es ist Eis, es ist Grönland … Ah, laß mich ruhen, nur fünf Sekunden, alles geht schneller zu machen, als es in den Büchern steht, Menschen werden in zwei Minuten gemacht und sterben in einer, plötzlich rutschen Automobile aus der Chausseebiegung, ein altes Haupt legt sich zur Seite, während es eben noch sprach, sehr schnell, Diana, und steht man auf, so tritt ein Minister auf einen zu und erklärt einen für lebenslänglich gefangen – alles in zwanzig Minuten, alles in vierzehn Tagen von Excelsior bis zu diesem – diesem – Diadem!«

Sein Kopf fiel in ihren Schoß, er schluchzte kurz auf, zweimal, wie in ungeheurer Entspannung. Sie saß erschüttert, wortlos, sie hielt diesen zuckenden Kopf.

Langsam hob er ihn, er nahm ihre Hände von seinem Haar, er küßte sie, nacheinander, behutsam.

»Wie warm du schweigen kannst,« sagte er leise. »Dort die schweigen kalt! Einzige fühlende Brust im ganzen Fürstentum, unser alter Butler, hat sich nach ein paar ausgeglittenen Floskeln wiedergefunden. Was ich schwatze, nicht wahr, Diana?«

»Eduard …«

»Deine Locken schaukeln über mir wie Rettungsboote. Manchmal seh' ich die geschwungene Ohrmuschel durch, das wäre also die Küste, ja …«

»Drückst du dich nicht?«

»– Himmlisch. Nur wahnsinnige Furcht, du könntest aufstehn. Denn ich gedenke hier liegenzubleiben.«

Sie lächelte, sie lehnte sich zurück, sie sagte leise:

»Und ich dachte, du würdest mich küssen.«

Im Augenblicke war er auf den Füßen, im nächsten über sie geworfen. In einem einzigen Drucke von den Lippen bis zu den Knien spürten sich zum ersten Male diese beiden jungen Körper, die seit so viel durchpulsten Monaten, in so viel beschwingten Minuten durch das Fluidum der Luft zueinander vibrierten, lustvoll im Entsagen, zitternd in Erwartung, träumend, schweigend.

Nach einer Weile flüsterte er an ihrem Ohr:

»Diana!«

»Eduard!«

»Bist du mein?«

»Ich liebe dich …«

»Bleibst du nun mein?«

»Ich fühle dich …«

»Schwörst du mir?«

»Wie du jung bist …«

»Nie mehr abzulassen?«

»Später …«

»Nein! Jetzt!«

Er schwang sich auf, rückte an Rock und Kragen, strich sich das Haar, setzte sich neben die Liegende. Sein letztes Wort klang so entschlossen, daß Diana nicht mehr ausweichen konnte. Sie hob sich auf einen Arm, sie strich ihr hellgrünes Kleid.

»Hat dich – meine Knöpfe –?«

»Nein, nein.«

»Nun bitt' ich dich um dein Wort!« Er sagte es einfach, werbend, aber sie hörte das Dunkel darin grollen. Sie legte ihre Hand auf die seine:

»Laß mir Zeit …«

»Fünf Minuten.«

Sie ließ bei diesem Worte seine Hand los, sie blickte aufgestützt an ihm vorbei. Er stand auf, schob den linken Ärmel vom Gelenk, las die Uhr ab, ruhig sagte er:

»Es ist fünf Uhr fünfundfünfzig. Bis sechs muß ich um Antwort bitten.« Er hielt noch das Gelenk.

Plötzlich stand Diana neben ihm, gestrafft; zornig sprühte ihr Auge zu ihm auf, heftig wollte sie erwidern –: da sah sie, wie der heraufgeschobene Ärmel umflort war, dicht über dem Gelenke, das er festhielt. Und plötzlich sänftigten sich Blick und Haltung, ihre Gestalt wurde hingebend, der Wunsch sich anzulehnen, den sie seit Tagen in sich bekämpft, überwuchs sie, sie sah ihren eigenen Vater vor sich stehn, und so ergriff sie diesen Arm und küßte den breiten schwarzen Flor. Eduard, ergriffen von dieser Geste der Überwindung, faßte in ihre Locken, während er sich zurückbog, um nicht zusammenzufallen.

Als sie voneinander ließen, ging Diana langsam an ihren Schreibtisch, nahm die beiden Depeschen auf, wie um sich an ihnen zu prüfen. Er fiel ihr in den Arm, entriß sie ihr, sie, überrascht von dieser autokratischen Geste, zog sie ihm wieder weg und legte sie nun, mit betonter Langsamkeit, unter den Kristall, der als Beschwerer diente.

»Was war das, darf man fragen?«

»Depeschen.«

»Hm. An Scherer?«

»Im Gegenteil. Von Scherer weg.«

»Das heißt?«

»Daß ich fortgehe.«

»Diana!«

»Eduard?«

»Es ist Sechs. Wirst du mir folgen?«

»Ich – mag nicht von deinem Armband bedrängt sein!«

»Es eilt!«

»Warum?«

»Unten wartet mein Auto, bin inkognito hier, muß nachts zu Hause sein. Morgen will Hofmarschall Eidesleistung besprechen.«

»Was hab' ich damit zu tun!«

»Eidesleistung wird meinerseits abgelehnt, falls du nicht – jetzt – versprichst!«

Sie standen, durch den flachen Schreibtisch getrennt. Er sprach sachlich, scheinbar kühl, die Knöchel beider Hände auf die Platte stützend. Sie schwieg, ihre Rechte lag auf dem kalten Kristall, unter dem sie, in Form von zwei Depeschen, zwei Wege zur Freiheit spürte. In dieser Stellung, einander fest ins Auge fassend, standen sie eine Weile, schweigend. Dann sagte Diana, ohne sich zu rühren:

»Und was geschähe in diesem Fall?«

»Formeller Verzicht. Übergang Fürstentums an die Vettern.«

»Was kümmern mich deine Vettern!« sagte sie leise, unbeweglich.

»Habe beileibe nichts dagegen!« nickte er.

In diesem Augenblicke standen sie voreinander, zu einer Entscheidung aufgerufen, die ihr Herz längst gefaßt hatte, die Form allein war ungewiß.

– Wie er wartet, dachte Diana und blickte auf den Kristall. Und weiß doch, daß ich dem Schicksal nie ausweiche! Wie er wirbt – und könnte doch ein Diadem verschenken! Sollt' ich ihn aus dem Blute zerren, aus der Bahn, in die er seit Jahrhunderten geboren ist? Sein Arm wird mich umgürten, sein Blick vor Hof und Narren schützen! Bin ich neulich erst siebenundzwanzig geworden? Mir ist, ich hätte fünf Jahre mehr. Ist man denn doch verwickelt in diese Zeit, in Menschen und Läufe, so will ich's wenigstens in weiter Kurve sein! Ein Park wird mich umschließen, daß ich die Mauer nicht mehr sehe … Sie blickte auf, sie sah ihn vor sich stehn, sie dachte: – Schlanker Husar, ich will dich ohne dein Opfer.

Eduard, reglos, sah sie denken, fühlen. Er wagte nicht ein drittes Mal zu fragen. Nun ließ sie den Kristall los, besah die etwas gedrückte innere Handfläche, strich darüber. Dann blickte sie auf, bat mit den Augen um seine Hand, die er langsam vom Knauf löste und ihr, über die Platte weg, hinhielt. Sie hielt sie neben die ihre, verglich, fuhr die Linien nach. Dann faßte sie ruhig diese Hand mit der ihren, sie sah ihn an, nicht schwermütig, nicht kühn, doch ernster, als er sie je zuvor gesehn. Sie sagte:

»Laß es uns also wagen!«


 << zurück weiter >>