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Einundzwanzigstes Kapitel

Klar war das Licht des Morgens in den Klosterhof der armenischen Insel gestiegen, und wie nun die schrägen Schatten der Säulen und Bogen die Gänge überquerten, verdoppelten sie dies Wirken der quadratischen Kreuzgewölbe und schufen auf dem bunt marmorierten Boden eine zweite Architektur.

Dazwischen fielen zwei Menschenschatten. Schwarz stand ein langer alter Mönch an einer Säule und sprach leise, doch dringend zu einem alten Herrn in Schwarz, der seinen Kopf in gleicher Höhe zu ihm hinhielt, jedoch gesenkt wie ein Hörender. Beiden floß der weiße Bart vom Kinn. Im Hofe des Kreuzganges aber, auf dem Rande der kleinen Fontäne, die die Mitte bildete, saß eine junge Frau und strich mit sinnlich zarter Geste das Fell der großen Katze, die mit langsam aufwärts wogender Bewegung der Hand auf ihrem Rückweg durch die Luft Nacken und Rücken entgegenhob, indem sie zugleich, wie schauernd vor der erwarteten Bewegung, sich wellenhaft zurückbog.

Allen vier Wesen drang die Sonne sichtbar in Haut und Poren, und drei von ihnen schienen wunschlos. Nur der das Zeichen der Weltabgeschiedenheit trug, schien von Leidenschaft gefangen.

– Auch ein Kloster tötet die Triebe nicht, dachte Diana, als sie das besonnte stille Antlitz ihres Vaters, das blinzelnd weiche, vom vielen Streichen nun ganz reglos gewordene Tier und ihre eigene Stimmung zusammenfaßte und der heimlichen Flamme des Mönches entgegenhielt. – Vielleicht hat auch mein Vater diese Versenkung erst gewonnen, seit ihn der Tod seiner Gefährtin traf. Helena! Wie er gestern den Namen aus dem Herzen zog. Und starb ihm über dem Sohn, den er nie sieht …

Sie sah, wie sich die Männer trennten, wie ihr Vater sie suchte, und schritt nun, das Tier vorsichtig verlassend, den flachen Steinweg auf ihn zu, an dessen sorgsam gelegte Platten sich gerade Gemüsebeete schlossen, aus feuchter Erde frühe Halme sendend. – Sie mögen, dachte sie, vor einer Stunde hier gegossen haben, eh' es zu heiß wird …

Den Umgang, den sie beim Zusammentreffen mit dem Mönche unterbrochen, setzten Vater und Tochter nun unter den offenen Spitzbogen fort. Diana sagte:

»Wie ich euch beisammen sah, schien mir der weltliche Herr der geistliche zu sein. Was hatte den Armenier so erregt?«

»Ich kenne ihn seit zwanzig Jahren,« sagte der Vater und nahm den Elfenbeinstock im Rücken in beide Hände. »Damals, als ich östlich von Aleppo grub, in Anatolien, sprach er schon grade so heftig. Es sind immer noch diese Verfolgungen durch die Türken, und er glaubte, ich hätte Einfluß, weil ich noch zuweilen beim Botschafter in London bin.«

»Du hast noch viel Verbindungen hinunter?«

»Ich pflege sie nicht mehr. Aber du warst inzwischen unten und, scheint mir, kreuz und quer.«

»Nicht kreuz und quer, Vater.«

»Aber das Herz – Schriebst du nicht so?«

Sie hängte sich in seinen Arm: »Wann wird es stetig schlagen?«

»Wenn es langsamer schlägt, Diana,« sagte er und sah sie freundlich an. Sie faßte fester seinen Arm im Schreiten.

»Wann fing das deine damit an, Vater?«

»Das ist schon lange her.«

»Wie lange?«

»Seit diese hier ihre Farbe verloren.«

»So wollt' ich mir graue Locken wünschen,« sagte sie lächelnd.

»Ich wünschte mir keine braunen mehr. Ich liebe das Alter. Es ist wie ausgegrabene Statuen: schöner als die neuen, obwohl ihnen zuweilen ein Glied fehlt.«

Er blieb vor einem geborstenen Säulenkapitäl stehen, das neben dem Kreuzgang im Grünen lag, umwuchert von blauer Iris, als wär' es an dieser Stelle aus der Erde geschaufelt und unter ihm stände die Säule noch vergraben. Diana stand schweigend dabei.

»Wozu mag dies alte Wesen jetzt dienen?« fragte sinnend der Vater, unmittelbar aus seinen vorigen Gedanken.

»Um in seinen geschwungenen Voluten das Wasser des Himmels aufzufangen, damit dann die Vögel trinken können,« sagte Diana. Er richtete sich auf, sie schritten weiter.

»Wie schön du zu reden weißt,« sagte er dann. »Aber meine Vögel sind fortgeflogen und suchen andere Brunnen.«

»Laß mich noch eine Weile fliegen, über das weite Meer, das dort hinter der langen Lagune atmet. Hörst du die Möwen schrein!« Sie machte sich von seinem Arme los, wie um an der Säulenreihe dem Ufer näher zu sein, das dort in geringer Tiefe sandreich die Insel umzog. Lächelnd wartete er, sah, wie sie den großen Strohhut abnahm, an den Arm hängte und leise die Locken schüttelte, als wollte sie sie dem Meerwind öffnen, der herüberstrich. Bald kehrte sie sich ihm wieder zu, ergriff und küßte seine Hand:

»Verzeih mir! Nun bin ich einen Tag von Bord und werde schon vom Schrei einer Möwe sehnsüchtig. Wie wird der Vogel sich ins Binnenland fügen!«

»Und Sidney?« fragte er.

»Sidney?« sagte Diana. »Möchtest du ihn nicht mehr zu dir nehmen?«

»Er wollte fort, vor zwei Jahren. Ich bin nicht fähig, großen Kindern zu befehlen.«

»Bezieht er denn – genug Geld von dir?«

»Einen kleinen Wechsel, von dem er leidlich leben könnte, so wie ich ihn auch dir angeboten, da ihr immer fortwollt. Ich habe nicht mehr.«

»Er braucht aber viel.«

»Mir hat er nie um mehr geschrieben. Verdient er nicht? Zeichnet er nicht?«

»Er – hat vor kurzem einmal modelliert.«

»Also doch? Karikaturen? Tiere?«

»Nein, einen Akt.«

»Einen männlichen, denk' ich.«

»Nein. Mich.«

Der Vater schwieg. Sein kurvenhaft im Gleichnis denkender Geist, den Diana von ihm geerbt und so als Gabe in der Jugend empfangen hatte, was meist erst mit der Reife erworben wird, sah seine beiden Kinder vor sich, wie das eine als schönes Material der Kunst des anderen diente. Die Freiheit, die ihn zeitlebens vor den Werken der Meister erfüllt, gesellte sich zu jener symbolischen Auffassung, und so fühlte er nur Mythos und Plastik und beide dämmerhaft vereint. Er verlor sich in merkwürdigen Konklusionen, in denen mythische Geschwister sich vermählten, kehrte dann zu seiner Vaterschaft zurück und umkreiste den Gedanken, wie nun die Mutter dieser beiden Kinder, in der er stets das Gleichnis der Schönheit sah, sich in Dianas Gliedern, er selbst, der Vater, aus seinen bildnerischen Trieben in Sidneys formende Hand verwandelt hätte. Sinnend schritt er neben Diana und wollte eben, wie erwacht, erkunden, ob denn der Versuch gelungen wäre, als er Dianas Schritte sich beschleunigen und eine lange Erscheinung ihr entgegengehen sah, und wie sie sich begrüßten.

Eduard, der mit Diana vom Kloster San Lazzaro einmal gesprochen, war, in Vereinsamung sie umkreisend, am Morgen gleichfalls hierher gefahren, er hoffte sie hier zu treffen. Der Vater, wie er aus seiner Nachdenklichkeit Dianas Gestalt so behende dem Fremden entgegengehen sah, dachte zuerst etwas traurig, wie fern er doch ihrem Schicksal gerückt war. Dann aber sah er in den Zügen des jungen Mannes innere Beglückung aufziehen, und so schloß er lächelnd seine Betrachtung vorläufig ab, als die jungen Leute, wie ein Paar, auf ihn zutraten. Als Diana seinen Namen nannte, verneigte sich Eduard tiefer als sonst und als er es selbst wußte.

»Und nun stör' ich Ihnen die seltene Morgenfreude!« sagte er in einem Ton, der Diana durch eine gewisse knabenhafte Zögerung überraschte.

»Gewiß nicht, Durchlaucht,« sagte der alte Herr. »Diana erzählte mir, wie sie an Bord von Ihnen allen verwöhnt war, und muß das nun schon beinahe vierundzwanzig Stunden um ihres alten Vaters willen entbehren.«

»Ich habe für eine Einladung zu danken, Herr von Wassilko,« sagte Eduard und merkte, daß er diese Anrede lieber diesem weißen Haupte als jenem jungen Sohn in Berlin bestätigte.

»Sie finden nur, was ein Reisender in zwei gemieteten Zimmern eines verfallenen Palazzo rasch zusammenrafft.«

Sie setzten diese Höflichkeiten fort, indem sie weiterschritten, um am Ende des Kreuzganges auf einer Steinbank in der Sonne Platz zu suchen. Der alte Herr empfand den jungen artig, doch ein wenig üblich, und fragte sich, warum Diana grade von diesem so freundlich gesprochen; diese selbst wartete schweigend auf eine jener windigen Wendungen, aus denen das Gespräch des Prinzen sonst bestand.

Eduard aber genoß diese Formalitäten so, daß er nur immer mehr davon haben wollte, und wie er nun den alten Herrn auf diplomatische Personen in London brachte, die ihm ganz gleichgültig waren, wie er selbst die ihm sonst überdrüssige Anrede von ihm gern flüssig geformt hörte, befriedigten ihn weltliche Sicherheit, Bekanntheit, Kreis dieses Mannes, der ihm endlich, nach so langem Suchen, eine erste biographische Bestätigung für Dianas innerlich längst erkannte Rasse und Erziehung lieferte. Indem er für den Rest von Vorurteilen, die seinem Freimut ererbte Grenzen setzten, grade das Uniforme suchte, mit dem er die sonderbare Frau einhüllen könnte, gab er sich selbst vollkommen uniform und begegnete diesem Manne, dessen seltsamer Geist aus seinen Zügen sprach, mit einer Glätte, die sein eigener Vater von ihm im Verkehr mit seinesgleichen oft vergeblich gewünscht hatte.

»Durchlaucht kennen San Lazzaro?« fragte schließlich der alte Herr, indem er aufstand und auf die Gebäude wies. »Denn ich fürchte Sie zu lange in England zu halten, statt in Armenien.«

»Ich kenn' es und auch hier gibt es ja ein englisches Zimmer.«

»Lord Byrons, ja! Sie schätzen diesen Dichter?«

– Nun wird er sich endlich demaskieren, dachte Diana.

Der Prinz schwieg. Durch die prototypischen Wechselreden war er in jene Welt zurückgetaucht, in der seinem abseitig gebildeten Wesen eine bestimmte Rolle zugewiesen war, und wie er seit langem in Betrachtung Dianas mit dieser Rolle kämpfte, wie er sich fragte, ob dieses Kind der Freiheit sich den Gesetzen seiner Klasse je würde einordnen wollen, nur so weit, wie die Hierarchie den Schein forderte, trieb es ihn an diesem Morgen, bei dieser einzigen Gelegenheit, sich vor ihr und ihrem Vater noch enger in den Kreis der Klasse zu schlingen, wie zu einer Versuchung, – und als nun der Name des Dichters in diese morgendlich besonnte Seeluft fiel, blickte er an dem Fragenden und auch an Diana vorbei über die beglänzte Fläche und sagte dann:

»Als Dichter schätze ich ihn sehr. Als Edelmann hat er sich doch wohl etwas verwirtschaftet.«

In diesem Augenblicke begriff Diana, die nun seinen vergebens glaubwürdig gestimmten Ernst, die ganze Soigniertheit dieser Unterhaltung wie in einem Epigramm erfaßte, was in Eduard vorging, warum er hier und heute den Lord vom Dichter trennte – und im nächsten durchschaute sie das ganze vielfältige Maschenwerk von Erwägungen und Zögerungen, in dem er seit langem mochte verfangen sein. Doch ließ sie sich den großen Abenteurer in keinem Falle schelten, ihre Kämpferart faßte sogleich Position, aber Erziehung hieß sie doch erst die Antwort dem Vater einzuräumen, der, mit ihr und Eduard im Dreieck stehend, die Pause ruhig durchgewartet hatte.

»Eure Durchlaucht«, fing er formell an, »nehmen den Edelmann vor dem Künstler in Schutz und sind von Geburt und Standes wegen durchaus gehalten dies zu tun. Wir anderen, die wir weder als Engländer noch auch als Edelleute von seinem Range gebunden sind, dürften ihm vielleicht mit freierem Urteil seine Verse zugute halten, deren Schönheit Sie ja selbst hervorhoben.«

»Zuweilen«, sagte nun Diana leise, die den Männern lange schweigend zugehört, »erhob er sich dort drüben im Ostflügel vom Tische seiner Klause, denn das Licht war untergegangen und seine armenische Bibel war verdunkelt. Dann reckte er sich nach vielstündigem Studium, trat ans Fenster, sah und horchte hinüber nach der Lagune der Stadt. Ich glaube, es war Juni, daß er hier studierte. Er rief seinen Diener, der wollte die Gondel herrichten, er stieg zum Ufer hinab und ließ sich wartend den Fuß benetzen. Plötzlich warf er Rock und Stiefel ins Boot, wie es oben losfuhr, rief seinen Leuten einen Befehl zu und sprang ins Meer und schwamm hinüber. Dann ist er an der Piazzetta triefend an Land gestiegen, hat sich bei einer Geliebten umgezogen und die Nacht durchtanzt und früh fuhr er wieder zu diesen heiligen Vätern und setzte seine Übersetzung fort. Ja, Prinz! Da bleibt man freilich unfruchtbar als Dichter – und skandalös als Edelmann!«

Mit steigender Hingabe hatte Eduard, seine konstruierten Absichten völlig vergessend, Dianas Worten zugehört, wie sie aus melodiös gebanntem Grunde allmählich lauter wurden und sich am Ende scharf gegen ihn wandten. Er lächelte und sagte: »Gnädigste haben den Dichter preisgegeben. So hindert nichts, daß ich das Nämliche mit dem Edelmann tue.«

»In England dürftest du nicht so reden, Diana,« sagte der Vater, um von dieser Kollision abzuleiten, aber er dachte: – Sie müssen wohl in kämpferischem Einvernehmen sein.

Und mit Artigkeit geleitete man einander zu den Gondeln.


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