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Fünfzehntes Kapitel

Unbeirrt folgte die Möwe. War's ein verspäteter Flug? Von welcher Insel kam sie, von welcher Küste? Minutenlang war es, als schwebte sie über dem Mast. Plötzlich stürzte sie sich nieder, in lautlosem Schnitt am Maste schräg herabfahrend, in das Wasser, wie auf eine Beute.

– … Einsame Wesen, dachte Diana, die den Nachmittag im Deckstuhl vorn zugebracht, allein, fast unbeweglich, schauend. Freiheit ist um sie, unendlicher als die Freiheit des Jaguars in Afrika oder des Zobeltieres da im Norden. Jäger, ja, es gibt Jäger, aber die können nur töten. Sie fangen nicht oder nur die Unmündigen oder nur die Überlisteten. Nahm je ein Mensch wie dieser Vogel solches Maß von Freiheit auf sich, von Einsamkeit? Und will ich, Tollkühne, nicht das Strafbare? Heimatlos bleiben zu wollen wie diese Möwe … Schweift sie im Unendlichen, gauklerisch zwischen den Elementen, und schreit aus Lust dem sinkenden Gestirne nach – oder hat sie in den Klippen einer Insel ihre Brut, die die häßlichen Schnäbel öffnet, wenn sie heimkommt? … Heim! Wie sie zurückblicken, alle fünf Männer, wenn wir in See gehn, jeder jedesmal, als ließen sie an dieser fremden Küste eine Mutter zurück oder ein Werk. Hätt' ich je eine Mutter gekannt, hätt' ich ein Werk zu bilden … Vielleicht weil ich ihr Bild mir selber formte, sucht' ich sie nie. Vielleicht weil mir zu große Vorstellung vom Vollkommenen eingeboren ist, versucht' ich's nie. Wie sie bauen, diese Männer, wie sie im Schleier gefangen sind, in die Vielfalt des Trockenen müssen sie die Hände mischen – und keiner ist einsam genug das Meer zu lieben. Ist es Hochmut, Diana, der sich rächen will? Ich bin allein …

Gegen die breiten Strahlen schloß sie die Augen, denn wie das große Gestirn aus einem veilchenblauen Wolkengürtel trat, vermochte es noch zu stechen, obwohl es schon tief sank. Indem ihr Auge sich verschloß, verdoppelten sich alle andern Sinne. Deutlicher klang ihr nun das leise Dröhnen der Maschinen, der geheime Rhythmus der Fahrt empor, ihr Puls versuchte fast sich ihm anzupassen, sie roch Salz, Ölfarbe, feuchte Leinwand, Lack, Scheuerseife, Maschinenöl, und wieder Salz, Sprühatem der Welle, nun schmeckte sie's auf den Lippen, nun fühlte sie's feucht und stärkend in den Poren der Wangen, trocken heftete sich's in die zerkrausten Locken. Eine Weile trank sie so mit Ohr und Nase, mit Zunge, Haut und Haaren die Seefahrt ein. Geschlossenen Auges schlürfte sie das Element, wie sie zuweilen die Liebe einsog, und als sie dann den Blick öffnete, wäre sie ohne Erstaunen in Mannesarmen erwacht. Nun hatte das Licht die siegende Gewalt doch verloren, zwischen phantastischen Wolkensäumen sank es goldrot, mit berauschter Schnelle.

– … Nach Norden tanzt es, dachte Diana, unbeweglich liegend, – in blaugoldnem Gekräusel tanzt das Meer, lächelnd aus tausend Mündern, weil der Wind sachte von Süden kommt und treibt es an. Aber tief unten gehen die großen Strömungen, kalte, heiße, violette, grüne, unter dieser blauen Fläche, nach ungekannten Gesetzen, den Winden fern, die sie nie fühlten …

Plötzlich faßten ihre Augen, schräg vor der Spitze des Schiffes eine fremde Bewegung, eine dunkle Samtwelle, mutwillig aufschnellend: – Delphine! Nun saß sie aufrecht, der Rücken vorgeschoben, Handflächen die Lehne umgreifend, fassende Füße, das Auge vor allem, das noch eben geschweift, doch nun zu greifen schien, gaben die plötzliche Intensität ihres Wesens kund. Sie schaute, sie dachte:

– Wie sie sich freuen, wie sie purzeln, lustiger als die stummen Fische, von denen wir lernten. Wenn man pfeift, lehrte mich Rafaello in Ischia, dann kommen sie näher, dann springen sie Wette. Und plötzlich sprang sie zur Schiffsspitze und pfiff und eine Fontäne von Jugend sprühte aus ihrem schrillen Tone, der einem Raubvogel gehören konnte. Immer neue nasse Leiber schnellten empor, verschwanden, tauchten aufs neue, als ob ihre Rücken gebogene Messer wären, immer quer durch die unbeirrbar stolze Linie des sicheren Schiffes, zum Sprühkamm gelockt und zum Lichte.

»Sie pfeifen und da kommt man,« sagte Eduard, der sich ihr leise genähert hatte. Diana, in voller Freude über die Springer, sah ihn kaum, sie lachte, sie rief:

»Wilhelm sollte kommen und wie Arion auf ihrem Rücken reiten!«

»Der neue Orpheus sitzt beim Tee. Meine unmusischen Lippen melden sich zur Stellvertretung.« Er fing an zu pfeifen.

»Auf dem Tisch, bei meinem Vater stand … Hei! Noch einer! Jetzt da! Jetzt, jetzt!« Sie warf die Arme über die Reeling, sie jauchzte.

»Bei Ihrem Vater stand …?« fragte er, zwischen dem Pfeifen, denn immer spürte er vergebens ihrer Kindheit nach.

»Eine kleine Aphrodite stand auf seinem Tische, die hatte einen Delphin zu Füßen!«

Sie sprach aufgeregt, laut; – doch plötzlich fuhr sie leise fort:

»Und als ich ihn fragte, warum, da sagte er: Weißt du, Diana – und er ließ die drei Vokale immer ganz langsam fallen – die sind beide aus den Wellen entstanden! Ja, das sagte er. Und nun sind sie fort.«

»Beide?« sagte Eduard.

»Alle!« sagte Diana und sprang ihm aus dem Netze seiner Frage.

In tief aufschwellenden Orgeltönen nahm nun der Wind die Führung des Abends, denn wie mit einem Male das Spiel des Lichtes, der Fische, der Gedanken hinlosch, erhob und sandte er seine große Stimme über die Weite. Hinter bläulich drohenden Wolken rollte die Kugel meerwärts ab, doch aus der Verborgenheit schien sie verdoppelt ihre Feuerkraft emporzuwerfen, denn wie ein ungeheurer Opal sog nun die Kuppel das Scheidelicht in ihre milchige Bläue.

»Dort aber, drüben,« sagte Diana verwandelt, leise, »ist alles noch Herrlichkeit, indem wir schon im Erloschenen versinken.«

Langsam trat zwischen gezackter Wolkenwand und Horizonte das Gestirn für Augenblicke noch einmal vor die Blicke.

»Wenn der König stirbt, kann jeder Lakai in sein gebrochnes Auge gaffen,« sagte Eduard in menschenfeindlichem Tone und wandte sich weg, zugleich mit ihr, wie um dies Ende nicht zu sehen.

»Aber dieser ersteht immer neu!« sagte Diana abgewandt.

Giorgino kam herauf getappt, er holte die Flagge ein, und wie sie eben noch im Sinken flatterte, nun lag sie plötzlich platt und tot auf dem Boden. Eduard zog die Mütze, kurz, mit verdunkeltem Antlitz.

»– Sie beten noch immer einen Fetzen Leinwand an?« fragte plötzlich Kyrills Stimme, und er trat aus der Glaskabine, wo er gelesen hatte. Eduard, der an dieser Zeremonie als einziger an Bord festhielt, mit einer gewissen Gêne und sonst nur, wenn er allein war, stand in diesem Augenblicke hilflos, denn er durfte nicht spotten und konnte, bei der völligen Freiheit, die er um sich breitete, keinesfalls scharf werden. Diana fühlt' es und im Tone abweisendsten Ernstes sagte sie:

»Der Prinz grüßt einen Sterbenden.«

Eduards Herz flog ihr für diese Antwort zu, in der Sekunde, als dies Wort an sein Ohr schlug, hätte er vor ihr niederfallen wollen, doch er stand unbeweglich, und nur ein Zucken um seine Lippen zeigte dem Russen, wie sehr er ihn getroffen hatte. Darum raffte sich dieser auf und sagte doppelsinnig, indem er die Pfeife aus dem Munde nahm, die Hand an die Mütze legte:

»Jawohl, Durchlaucht, einen Sterbenden …«

Eduard wandte sich ihm halb zu, und indem er gleichfalls an die Mütze griff, sagte er in seinem lasziven Tonfall:

»Keine Umstände, Herr Doktor. Schwarzweiß ist Preußen. Rot ist die Internationale. Vielleicht hab' ich nur alle drei zusammen gegrüßt.«


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