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Erstes Kapitel.


Im Monat Oktober 18– wurde der Pacific, ein großes Schiff, von einem schweren Sturm auf der Mitte des ungeheuren atlantischen Weltmeers dahingejagt. Das Fahrzeug hatte nur wenig Segel, da dieselben in Fetzen geschlitzt seyn würden unter den wüthenden Windstößen, welche es durch die haushohen Wellen trieb. Die Wogen folgten ihm fast so schnell, als es durch das kochende Wasser schoß, wobei es bisweilen den Stern erhob und die Buge so weit in die Hohlwellen einsenkte, daß es den Anschein gewann, als wolle es in die Tiefe tauchen. Es war übrigens ein gutes Schiff und der Kapitän ein tüchtiger Seemann, welcher Allem ausbot, was er für die Sicherheit seines Fahrzeugs für zweckmäßig hielt, und außerdem auf die über den Menschen wachende Vorsehung baute.

Der Kapitän stand vor dem Steuerrade und sah den Matrosen zu, welche das Schiff lenkten; denn wenn man von einem schweren Sturme gejagt wird, fordert das Steuer besondere Aufmerksamkeit. Wie er so um sich hersah, und nach dem Himmel hinaufblickte, sang er mit gedämpfter Stimme die Worte eines Seeliedes vor sich hin:

»Ringsum nur ein weites Wasser,
Schwarz der Himmel über uns.«

Und so war es damals. Sie befanden sich in der Mitte des atlantischen Weltmeeres; nirgends war ein anderes Schiff zu schauen, und der Himmel hatte sich in schwarze Wolken gehüllt, die wüthend vor dem Winde einherflogen. Das Meer warf berghohe Wogen, die sich in großen weißschäumenden Kämmen brachen, während der Sturm wild durch das Takelwerk heulte.

Außer dem Kapitän und den zwei Steuerleuten befanden sich noch ein paar andere Personen auf dem Decke: die eine war ein Knabe von ungefähr zwölf Jahren, die andere ein wetterfester alter Seemann, dessen graue Locken in dem Wind flatterten, als er sich nach dem Hinterschiffe begab und über den Hackebord schaute.

Als der Knabe eine schwere Woge gegen den Stern des Schiffes aufkommen sah, faßte er den Arm des alten Mannes und rief:

»Wird diese große Welle nicht auf uns hereinbrechen, Ready?«

»Nein, Junker William. Seht Ihr nicht, wie ihr das Schiff seine Windvierung zuwendet? – Und jetzt ist sie unter uns weggegangen. Aber es könnte wohl auch geschehen, und was würde dann aus Euch werden, wenn ich nicht mich und Euch festhielte? Ihr würdet über Bord gewaschen werden.«

»Die See will mir gar nicht gefallen, Ready; ich wollte, wir wären wohlbehalten wieder am Lande,« versetzte der Knabe. »Die Wellen sehen ja aus, als wollten sie das Schiff in Stücke zerschlagen.«

»Ihr habt Recht; und sie brüllen, als zürnten sie, weil sie das Schiff nicht unter sich begraben können. Aber ich bin schon daran gewöhnt, Junker William, und mache mir nicht viel daraus, wenn man sich in einem so guten Schiffe, wie dieses ist, befindet und einen guten Kapitän mit tüchtigen Matrosen hat.«

»Aber bisweilen versinken doch Schiffe, und dann muß Alles was darauf ist ertrinken.«

»Ja, Junker William; und sehr oft gehen gerade die Schiffe unter, welche man für die allersichersten hält. Wir können nur unser Bestes thun und müssen uns dann in den Willen des Himmels fügen.«

»Was sind dies für kleine Vögel, welche so dicht auf dem Wasser fliegen?«

»Das sind Mutter Carey's Küchelchen, Junker William, wie wir Matrosen sie nennen. Man sieht sie selten anders als in einem Sturme, oder wenn der Sturm im Anzuge ist.«

Die Vögel, welche William gemeint hatte, waren die Sturmvögel.

»Habt Ihr je an einer öden Insel Schiffbruch gelitten, wie Robinson Crusoe?«

»Ja, Junker William, ich habe schon Schiffbruch gelitten; aber von Eurem Robinson Crusoe weiß ich nichts. Es haben so viele nach dem Untergang ihrer Fahrzeuge große Mühseligkeiten überstanden, und noch weit mehrere es nicht erlebt, über ihre Leiden Bericht erstatten zu können, daß Ihr mir nicht zumuthen könnt, aus so Vielen den einzelnen Mann zu kennen, von dem Ihr sprecht.«

»Oh! Aber es steht Alles in einem Buche, das ich gelesen habe. Ich kann Euch das Ganze erzählen – und ich will's auch thun, wenn das Schiff wieder ruhig ist. Aber jetzt seyd so gut, mir hinunterzuhelfen, denn ich habe Mama versprochen, nicht lange oben zu bleiben.«

»Was man versprochen hat, muß ein guter Knabe stets halten,« versetzte der alte Mann. »Gebet mir Eure Hand und ich stehe dafür, daß wir ohne Stolpern die Lucke erreichen. Wenn das Wetter wieder schön ist, will ich Euch mittheilen, wie es mit meinem Schiffbruche zuging. Ihr könnt mir dann die Geschichte Eures Robinson Crusoe erzählen.«

Nachdem der alte Seemann Junker William wohlbehalten nach der Kajütenthüre gebracht hatte, kehrte er auf das Deck zurück, denn er hatte die Wache.

Masterman Ready, denn so hieß der alte Mann, war schon mehr als fünfzig Jahre zur See gewesen, da er als zehnjähriger Knabe bei einem Kohlenschiffer, welcher von South-Shields aus segelte, seine Lehrzeit angetreten hatte. Wind und Wetter hatten sein Gesicht gebräunt, und auf seinen Wangen zeigten sich tiefe Furchen, obschon er noch ein gesunder und rühriger Mann war. Er hatte viele Jahre an Bord eines Kriegsschiffs gedient und war schon unter allen Himmelsstrichen gewesen, weshalb er viele seltsame Geschichten zu erzählen wußte, aber trotzdem allen Glauben verdiente, da er nie eine Unwahrheit sprach. Er wußte ein Schiff zu lenken und konnte natürlich auch lesen und schreiben; namentlich hatte er die Bibel mehr als einmal durchlesen. Der Name Ready (fertig) paßte sehr gut für ihn, denn er gerieth selten in Verlegenheit, und selbst in den schwierigsten, gefährlichsten Fällen nahm der Kapitän keinen Anstand, ihn um seine Meinung zu fragen, die er dann auch häufig zur Richtschnur seines Handelns machte. Ready war der zweite Mate des Schiffs.

Wie wir bereits bemerkt haben, war der Pacific ein sehr schönes Schiff und wohl im Stande mit dem ungestümsten Sturme zu kämpfen. Er führte mehr als vierhundert Tonnen Last und war eben mit einer werthvollen Ladung von englischen Eisenwaaren und andern Manufakturartikeln auf der Fahrt nach Neu-Südwales begriffen. Der Kapitän war ein guter Schiffer und außerdem ein rechtschaffener Mann von heiterem, zufriedenem Charakter, welcher stets den Dingen die beste Seite abgewann und, wenn Unfälle eintraten, eher geneigt war, zu lachen, als eine ernste Miene zu machen. Er hieß Osborn. Der erste Mate, Namens Mackintosh, war ein rauher, finsterer Schotte, der übrigens seinen Obliegenheiten mit unwandelbarem Eifer nachkam und im Dienste das volle Vertrauen des Kapitäns genoß, obschon ihn derselbe sonst nicht sehr liebte. Von Ready haben wir bereits gesprochen, der übrigen an Bord befindlichen Seeleute wollen wir jedoch keine weitere Erwähnung thun, als daß ihre Zahl aus dreizehn bestand – allerdings kaum eine hinreichende Menge für ein so großes Schiff; aber als man eben im Begriffe war, auszusegeln, hatten fünf Matrosen, welchen die Behandlung, die ihnen der erste Mate angedeihen ließ, nicht gefiel, das Schiff verlassen, und Kapitän Osborn mochte nicht warten, bis er ihre Stelle mit andern besetzt hatte. Dies war eine unglückliche Hast, wie der Leser im Verlaufe dieser Geschichte finden wird.

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