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»Wie stehts, Junker William?« sagte Ready; »wenn Ihr nicht sehr schläfrig seyd, so könntet Ihr vielleicht heute Abend mit mir kommen; wir wollen dann nachsehen, ob wir nicht einige Schildkröten umwenden können, denn ihre Jahreszeit ist bald vorbei, und sie werden dann die Insel verlassen.«
»Mit tausend Freuden.«
»Gut. Wir müssen übrigens warten, bis es dunkel ist. Wir haben heute Nacht nicht viel Mond, und das ist nur um so besser.«
Sobald die Sonne untergegangen war, gingen William und Ready an's Ufer hinunter und setzten sich ruhig auf einen Felsen. Nach kurzer Frist sah Ready eine Schildkröte auf dem Sand einherkriechen, worauf er William aufforderte, er solle ihm in aller Stille folgen, und dann sachte an dem Rand des Wassers hinunterging, um zwischen das Thier und die See zu kommen.
Sobald die Schildkröte ihre Feinde bemerkte, wollte sie wieder nach dem Wasser zurück, wurde aber unterwegs abgefangen. Ready faßte einen von ihren Vorderfüßen und drehte das Thier auf den Rücken.
»Seht Ihr, Junker William, das ist die Weise, eine Schildkröte umzukehren. Ihr müßt übrigens Acht haben, daß sie Euch nicht mit ihrem Maule erwischt, denn was sie zu packen kriegt, beißt sie heraus. Merkt Euch dies. Das Thier kann jetzt nicht wieder fort, denn es ist nicht im Stande, sich umzuwenden, und wir werden es noch morgen früh hier finden. Gehen wir indeß weiter an dem Ufer hin, um nachzusehen, ob wir nicht noch mehr finden können.«
Ready und William blieben bis nach Mitternacht am Ufer und drehten während dieser Zeit sechzehn Schildkröten um – groß und klein, wie es eben kommen mochte.
»Vorderhand können wir genug haben, Junker William. Unsere Nachtarbeit wird uns für viele Tage mit frischer Kost versehen. Wir müssen übrigens in drei oder vier Tagen versuchen, ob wir unsern Vorrath noch erweitern können. Morgen setzen wir sie in den Teich.«
»Aber wie können wir so große Thiere forttragen?«
»Wir brauchen sie nicht zu tragen, sondern legen altes Segeltuch unter und schleppen sie in dieser Weise weiter; das geht leicht auf dem glatten Sande.«
»Warum fangen wir nicht auch Fische, Ready, um sie in den Schildkrötenteich zu setzen?«
»Sie würden nicht lange dort seyn, Junker William, und eben so wenig könnten wir sie leicht herausfangen. Wir müssen bei Gelegenheit einen besonderen Fischteich anlegen; aber jetzt haben wir keine Zeit dazu, da uns wichtigere Dinge drängen. Ich habe oft daran gedacht, einige Leinen zurecht zu machen, bin aber noch nie daran gekommen, da ich mich nach der Arbeit des Tages schläfrig fühle. Wenn übrigens das Haus einmal steht, können wir uns damit abgeben, und Ihr sollt Oberfischer werden, sobald ich Euchs gezeigt habe, wie Ihr's angreifen müßt.«
»Die Fische beißen auch des Nachts an, oder nicht?«
»O ja, und sogar besser als bei Tag.«
»Gut; wenn Ihr mir eine Leine schaffen und mich unterweisen wollt, so kann ich ja nach der Arbeit noch ein Stündlein angeln, denn Tommy verlangt immer nach gebratnen Fischen. Auch weiß ich, daß Mama des Salzfleisches müde und obendrein der Meinung ist, daß es für Caroline nicht gesund sey. Sie war sehr froh, als Ihr vorgestern die Kokosnüsse brachtet.«
»Nun, so will ich Euch morgen Nacht bei einem Stümpfchen Licht ein paar Fischleinen anfertigen; aber ich muß mit Euch gehen, Junker William. Jedenfalls verbrauchen wir nicht viel Kerzen.«
»Nein, weil wir so froh sind, nach der Arbeit zu Bette zu kommen. Aber wir haben zwei oder drei Kisten voll in der Bucht droben; was sollen wir anfangen, wenn sie verbraucht sind.«
»Wir können dann das Kokosnußöl brennen; an diesem Material wird es uns nie fehlen. Gute Nacht, Junker William.«
Am andern Morgen vor dem Frühstück waren alle verfügbaren Hände damit beschäftigt, die Schildkröten in den Teich zu schaffen. Nach eingenommenem Mahle beendigten William und Juno die Mauern, die noch nicht hoch genug waren, und konnten, als sie zum Mittagessen zurückkehrten, berichten, daß ihre Arbeit fertig sey. Auch Herr Seagrave war der Meinung, daß er vorderhand genug Grund gelichtet habe, und da Fran Seagrave Juno Nachmittags für eine Weißzeugwäsche brauchte, so wurde beschlossen, daß William, Ready und Herr Seagrave nach dem Garten hinuntergehen sollten, um die Kartoffeln einzulegen.
Ready arbeitete mit der Spate, wahrend Herr Seagrave und William die Kartoffeln in Augenstücke schnitten. Als sie so beschäftigt waren, sagte William im Laufe des Gesprächs zu seinem Vater:
»Vater, Du hast mir den Tag nach unserer Abfahrt vom Kap der guten Hoffnung versprochen, Du wollest mir erklären, warum man das Vorgebirge so nenne und was man unter einer Kolonie verstehe. Willst Du dies nicht jetzt thun?«
»Ja wohl, mein lieber Sohn; aber Du mußt aufmerksam zuhören und es gleich sagen, wenn Du etwas nicht verstehst, damit ich es versuchen kann, Dir bessere Aufklärung zu geben. Du weißt, daß wir Engländer jetzt die Herren der See sind; dies ist aber nicht immer der Fall gewesen. Die frühesten Seeleute der neueren Zeit waren die Spanier und Portugiesen. Die Spanier entdeckten Südamerika und die Portugiesen Ostindien. In jener Zeit – es sind jetzt mehr als dreihundert Jahre darüber hingegangen – war England nicht die mächtige Nation, wie gegenwärtig, und hatte beziehungsweise nur wenige Schiffe; auch konnten die Engländer an Unternehmungsgeist nicht mit den Spaniern und Portugiesen verglichen werden. Als letztere versuchten, eine Fahrt nach Ostindien zu finden, langten sie bei dem Kap der guten Hoffnung an. Aber damals waren die Schiffe in Vergleichung mit den jetzigen sehr klein, und es windete um jenes Kap so stark, daß sie es nicht umsegeln konnten; deshalb nannten sie es zuerst Cabo tormentoso oder das stürmische Kap. Endlich gelangen ihnen ihre Versuche, und dann wurde es das Cabo da buona speranza oder Kap der guten Hoffnung genannt. Sie langten wohlbehalten in Indien an, nahmen viele Theile davon in Besitz und trieben einen Handel, der für Portugal zur Quelle großen Reichthums wurde. Du verstehst mich?«
»Ja, Papa.«
»Du weißt sehr wohl, mein liebes Kind, daß der Mensch geboren wird, mit dem Mannesalter seine größte Kraft erreicht, dann altert, gebrechlich wird und stirbt. Wie mit den Menschen, so geht es auch bei den Nationen. Die Portugiesen standen damals als Nation in ihrem Mannesalter. Aber nun kräftigten sich auch andere Nationen, und unter diesen namentlich die Holländer, welche sich zuerst mit den Portugiesen um den Handel Indiens stritten und ihnen allmählig ihre Kolonieen abnahmen, um den Handel sich selbst zuzueignen. Dann erzwangen sich die Engländer einen Weg dahin, bemächtigten sich der holländischen und portugiesischen Kolonieen und sind seitdem stets in deren Besitz geblieben. Portugal, welches vordem die unternehmendste Nation der Welt war, ist jetzt eine bloße Null, und die Holländer haben allmählig ihre Bedeutsamkeit verloren. Dagegen läßt sich mit Wahrheit sagen, daß die Sonne nie in den englischen Besitzungen untergeht; denn da sich die Erde dreht, so scheint die Sonne entweder auf einen oder den anderen Theil der Erdkugel, welche eine Kolonie unsers Landes ist.«
»Ich verstehe das wohl, Papa; aber sage mir jetzt, warum England und andere Nationen so darauf versessen sind, Kolonieen, wie Du sie nennst, zu haben?« versetzte William.
»Weil sie viel zu dem Wohlstande des Mutterlandes beitragen. Allerdings kosten sie gewöhnlich in ihrer Kindheit viel, da sie der Pflege bedürfen; aber sobald sie vorrücken, sind sie im Stande, Ersatz dafür zu leisten, indem sie die Manufakturen des Mutterlandes beziehen und dafür durch eigene Produkte Zahlung leisten. Dies ist ein Tauschsystem, das wechselseitigen Vortheil bringt, vorzugsweise aber dem Mutterlande, da letzteres das Recht in Anspruch nimmt, für alle Bedürfnisse der Kolonie zu sorgen, folglich einen Markt für seine Arbeiten besitzt, ohne Mitwerber zu haben. Und hier, mein Kind, kannst Du nun sehen, welche Parallele zwischen einer Kolonie und dem Mutterlande und einem Kinde und seinen Eltern besteht. In der Jugend unterstützt das Mutterland die Kolonie, wie ein Kind. Wird aber letztere kräftig, so hat sie die Verpflichtung des Dankes und der Erwiederung. Die Aehnlichkeit ist übrigens damit noch nicht zu Ende. Sobald die Kolonie stark und kräftig genug geworden ist, um für sich selbst zu sorgen, wirft sie das Joch der Unterwerfung ab und erklärt sich für unabhängig – gerade so wie ein Sohn, der zur Mannheit herangereift ist, das väterliche Haus verläßt und selbst ein Geschäft anfängt, um sich seinen Unterhalt zu erwerben. Dies ist eben so zuverlässig der Fall, als der Vogel, sobald er fliegen kann, das elterliche Nest verläßt. Wir haben ein großes Beispiel davon an den vereinigten Staaten, welche noch vor fünfzig Jahren großbritannische Kolonieen waren, aber nun schnell zu einer der mächtigsten Nationen heranwachsen.«
»Aber ist es nicht sehr undankbar von einer Kolonie, wenn sie, sobald sie nicht länger des Beistandes bedarf, das Mutterland, dessen Schutzes sie sich so lange erfreute, verläßt?«
»So mag es anfangs erscheinen, obschon wir nach weiterer Erwägung anders urtheilen müssen. Das Mutterland ist für seine Leistungen weit mehr als bezahlt – lange, ehe es die Kolonie soweit gebracht hat, sich für unabhängig erklären zu können. Nach einer gewissen Zeit werden die Rechte, welche sich das Mutterland sichern will, zu lästig, um ertragen werden zu können, und man darf einen erwachsenen Mann nicht wie ein Kind behandeln.«
»Beantworte mir noch eine andere Frage, Vater. Du hast gesagt, daß die Nationen sich heben und fallen, und dabei als Beispiel Portugal angeführt. Wird England auch wieder fallen und zu der Bedeutungslosigkeit herabsinken, welche jetzt Portugal hat?«
»Wir können diese Frage nur durch einen Blick in die Geschichte zur Entscheidung bringen, und diese sagt uns, daß alle Nationen dasselbe Loos theilen. Wir müssen daher erwarten, daß unser liebes Vaterland mit der Zeit ein gleiches Geschick trifft. Vorderhand hat es freilich nicht den Anschein, ebensowenig, als wir an unseren Körpern die geheime Saat des Todes bemerken; aber dennoch kommt die Zeit heran, wann der Mensch sterben muß, und ebenso ergeht es den Nationen. Hat wohl Portugal in der Glanzhöhe seines Wohlstandes je daran gedacht, daß es so herunterkommen könnte, wie es jetzt der Fall ist? Würden es damals seine Bewohner geglaubt haben? Ja, mein lieber Sohn, die englische Nation muß mit der Zeit das Geschick aller andern theilen. Es gibt verschiedene Ursachen, welche die Periode beschleunigen oder verzögern können: aber früher oder später wird England aufhören, die Gebieterin der Meere zu seyn und sich seiner Besitzungen über die ganze Welt zu rühmen.«
»Ich hoffe, daß dies noch lange nicht eintreten wird.«
»So ergeht es jedem Engländer, welcher sein Vaterland liebt. Erinnere Dich, daß Großbritannien zur Zeit, als das römische Reich seine größte Macht besaß, nur von Barbaren und Wilden bewohnt war. Nun ist Rom verschwunden und nur noch aus der Geschichte oder aus den Trümmern seiner vormaligen Größe bekannt, während England seine Stellung oben unter den mächtigsten Nationen einnimmt. Wie ist der größere Theil des afrikanischen Kontinents bevölkert? Durch Barbaren und Wilde. Aber wer weiß, was mit der Zeit aus diesem Welttheile werden mag?«
»Wie? Die Neger sollten eine große Nation werden?«
»Gerade so würden die Römer in frühern Tagen gesprochen haben – wie? die britischen Barbaren sollten eine große Nation werden? Und doch sind sie's geworden.«
»Aber die Neger, Vater – sie sind ja schwarz.«
»Sehr wahr; aber dies ist kein Grund für das Gegentheil. Was die Dunkelheit der Haut betrifft, so sind die meisten Mauren eben so schwarz, wie die Neger; und doch waren sie ehedem eine große Nation – ja, sogar das erleuchtetste Volk ihrer Zeit, mit vielen vortrefflichen Eigenschaften und voll Ehrgefühl, Edelmuth, Höflichkeit und Ritterlichkeit. Sie haben den größten Theil von Spanien erobert und viele Jahrhunderte behauptet, haben Künste und Wissenschaften eingeführt, von denen man damals nichts wußte und waren eben so tapfer und heldenmüthig, als tugend- und ehrenhaft. Hast Du nie die Geschichte der Mauren in Spanien gelesen?«
»Nein, Vater – aber ich möchte es wohl gerne.«
»Sie würde Dir sehr wohl gefallen, denn sie ist voll von Abenteuern und Ereignissen – ja vielleicht die unterhaltlichste, die je geschrieben wurde. Ich habe sie in die Bibliothek, welche ich in der Aussicht, wieder nach Sydney zu kommen, sammelte, kann aber nicht sagen, ob sie sich unter den geretteten Büchern befindet. Wir wollen gelegentlich einmal danach sehen.«
»Ich glaube, es wurden zwei Kisten mit Büchern an's Land geworfen, Vater.«
»Ja, zwei oder drei: aber wenn es mir recht ist, so hatte ich im Ganzen fünfzehn oder sechszehn. – Doch die Kartoffeln sind jetzt zerschnitten; wir wollen daher Ready helfen, sie zu stecken und die Samen, welche wir mit heruntergebracht haben, einzulegen.«
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