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In dem großen, hellen Kabinett des Palais am Ballhofplatze in Wien saß in seinem Lehnstuhl vor dem breiten Schreibtisch, den Rücken der Eingangstür zugewendet, der Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußern Freiherr von Beust.
Das leicht ergrauende und etwas dünn gewordene Haar war sorgfältig frisiert und fiel in zwei gleichmäßigen Seitenlocken neben der hohen, weißen Stirn herab. Den an der einen Seite etwas herabhängenden Mund umspielte ein leichtes Lächeln, das im Verein mit dem heiteren Blicke der Augen dem ganzen ausdrucksvollen Gesicht des Ministers den Stempel ruhiger Zufriedenheit aufdrückte.
Herr von Beust war bequem in seinen Stuhl zurückgelehnt und durchflog mit aufmerksamem Blick einen Bericht, den ihm der Sektionschef von Hofmann, welcher zur Seite des Schreibtisches dem Minister gegenüber saß, soeben gereicht hatte.
Herr von Hofmann, eine trockene, bureaukratische Gestalt mit ziemlich unbedeutenden, faltigen Gesichtszügen, älter erscheinend als er war, beobachtete mit aufmerksamen Blicken das bewegliche Mienenspiel in dem Gesicht seines Chefs, der bei seiner Lektüre mehrmals mit dem Kopfe nickte, als wolle er seine Billigung mit dem, was er las, ausdrücken.
»Ich bin sehr erfreut,« sagte er endlich, indem er den durchgelesenen Bericht auf den Tisch warf, »daß der Fürst Michael sich geneigt zeigt, seine weitgehenden Forderungen zurückzuziehen und sich mit der Räumung der serbischen Festungen von türkischem Militär zu begnügen – dieser Prinz von Hohenzollern auf dem rumänischen Fürstenstuhl ist eine böse Sache für uns, man hat ihm durch den französischen Einfluß in Konstantinopel so große Vorrechte zugestanden, daß nun die anderen tributären Fürsten unruhig werden und uns mit ihren Querelen über Nacht die orientalische Frage über den Hals bringen können. – Das ist das Pulverfaß an unseren Grenzen,« fuhr er fort, indem der heitere Ausdruck seines Gesichts einem nachdenklichen Ernst Platz machte, »an welchem Preußen durch seinen Alliierten in Petersburg fortwährend die Lunte hält und das uns in jeder unabhängigen Aktion, in jeder freien Wahl unserer Allianzen behindert!« –
»Dank der Geschicklichkeit Eurer Exzellenz wird es aber gelingen, diese Gefahr zu beseitigen,« sagte Herr von Hofmann, »Österreich tritt ja jetzt wieder in die Reihe der Staaten, welche wirklich durchdachte und geniale Politik machen, und der Geist vergangener großer Tage weht wieder durch die Räume der alten Staatskanzlei.«
Das Lächeln kehrte aus die Lippen des Herrn von Beust zurück.
»Wir müssen nun,« sagte er, die Spitze seines zierlichen Stiefels betrachtend, welche unter dem weiten Beinkleid hervorspielte, »wir müssen allen unseren Einfluß aufbieten, um die Pforte zu bestimmen, diese Räumung zu bewilligen. Lassen Sie schleunigst eine Instruktion in diesem Sinne an den Internuntius abgehen, er soll auf schnelle Antwort dringen, damit diese serbische Frage definitiv geordnet werde.«
Herr von Hofmann verneigte sich.
»Doch wir müssen weitergehen,« sagte Herr von Beust, »diese orientalische Frage muß für lange Zeit ihres gefährlichen Charakters entkleidet werden, und zugleich,« fuhr er langsamer und nachdenklicher fort, »können wir sie benutzen, um die Verbindung Rußlands mit Preußen zu lösen, diese Verbindung, welche uns in jeder Bewegung lähmt. Rußland hält fest zu Preußen, weil es eine Rückendeckung für seine Politik im Orient bedarf, kommen wir ihm unsererseits entgegen, zeigen wir ihm, daß es hier Eingehen auf seine Wünsche findet, so wird es vielleicht gelingen, jene enge Verbindung zu lockern. Ich habe schon mit Gramont darüber gesprochen, daß es nötig wäre, durch eine gemeinsame Vorstellung der Großmächte in die Pforte zu dringen, daß sie die gerechten Anforderungen ihrer christlichen Untertanen in Kandia, Thessalien und Epirus durch genaue Ausführung des Hat Humaym befriedige. – Außerdem aber möchte eine Revision des Pariser Traktates von 1856 behufs Abänderung einiger Rußland zu stark beschränkender Bestimmungen desselben anzuregen sein, man wird uns in Petersburg für eine solche Anregung danken. Wollen Sie eine vertrauliche Instruktion in diesem Sinne an den Fürsten Metternich entwerfen, ich werde ausführlich mit Gramont sprechen.«
»Ich bewundere den genialen Scharfsinn Eurer Exzellenz,« sagte Herr von Hofmann, »Ihr Blick umfaßt das ganze Schachbrett der europäischen Politik und weiß jeden Stein an die richtige Stelle für die große Kombination zu bringen!«
»Ich muß,« sagte Herr von Beust lächelnd, »die Studien und Beobachtungen, welche ich gemacht und als sächsischer Minister nicht verwerten konnte, jetzt für Österreich nutzbar machen. – Dem Kaiser Napoleon traue ich nicht ganz,« fuhr er fort, »ich fürchte, er spielt ein doppeltes Spiel und möchte, wenn er einige Kompensationen zur Beruhigung des französischen Nationalgefühls erlangen kann, sich mit Preußen und Rußland vereinigen und diese Trias als europäischen Areopag konstituieren, mit Preußen allein wird er sich nicht zu eng verbinden. Auch aus diesem Grunde ist die Trennung Rußlands von dem Berliner Kabinett nötig, und wir bewerkstelligen sie am besten durch die geschickte Benutzung des Punktes, welcher sie gebildet, die orientalische Frage. Dies ist eine Giftpflanze für Österreich,« fügte er lächelnd hinzu, »machen wir sie nicht nur unschädlich – sondern ziehen wir aus ihr Honig, wie die geschickte Biene.«
Ein Kanzleidiener trat ein und stellte vor den Minister eine große, schwarze Mappe auf den Schreibtisch.
Herr von Beust öffnete dieselbe mit einem kleinen Schlüssel und zog einige Papiere daraus hervor, welche er eifrig durchflog. Ein Ausdruck von Erstaunen und Schreck überflog sein Gesicht.
»Da sehen Sie,« rief er, »wie recht ich hatte, der französischen Politik zu mißtrauen! – Graf Wimpffen berichtet, man sei in Berlin plötzlich über eine projektierte Abtretung Luxemburgs an Frankreich unterrichtet, die öffentliche Meinung sei aufs äußerste erregt, eine Interpellation im Reichstage werde morgen stattfinden, und trotz der äußeren, fast gleichgültigen Ruhe des Grafen Bismarck müsse die Situation als eine äußerst gespannte und bedenkliche angesehen werden. – Da haben wir,« fuhr er fort, indem er den Bericht, den er soeben gelesen, Herrn von Hofmann reichte, »da haben wir den Schlüssel zur französischen Politik! – Für die Abtretung Luxemburgs – demnächst vielleicht die Erwerbung Belgiens – will er die ernste Anerkennung der preußischen Herrschaft in Deutschland, die Allianz mit Preußen und Rußland geben, Österreichs Zukunft preisgeben! – Glücklicherweise,« fuhr er fort, »täuscht sich dieser schlaue Spieler in seiner Kombination, Graf Bismarck ist kein Faktor, mit dem er zu rechnen versteht, er wird ihm den Preis nicht zahlen – dieser Mann,« fügte er mit unmutigem Tone hinzu, »mit welchem eine regelmäßige vorberechnende Politik gar nicht möglich ist! – Aber,« sagte er nach einer Pause, während Herr von Hofmann aufmerksam den Bericht des Grafen Wimpffen durchlas, »wenn dieser Konflikt zu einem kriegerischen Zusammenstoß führte, vielleicht wäre das in Berlin gar nicht so unerwünscht, was würde die Folge sein? – Jedenfalls eine definitive Konstituierung der europäischen Zustände, und ohne Österreichs Mitwirkung, denn wir sind im Chaos der Übergänge, wir können nicht handeln! Damit wäre,« fuhr er sinnend fort, »Österreich verurteilt, für immer unter den Folgen des Schlages vom vorigen Jahre zu bleiben, das große Ziel, welches nur durch eine wohlvorbereitete, kunstvoll und vorsichtig eingeleitete Aktion der Zukunft erreicht werden kann, wäre für immer verloren. Die große Aufgabe der österreichischen Politik ist es, ohne den Anschein davon zu haben, jede definitive Konstituierung und Konsolidierung der europäischen, insbesondere der deutschen Zustände zu verhindern, durch das Spiel der entgegengesetzten Interessen Zeit zur inneren Kräftigung und zu richtigen Allianzkombinationen zu gewinnen, damit dann,« fuhr er fort, indem sein Auge mit lichtem Blick sich weit öffnete, »dann, wenn die Kraft des neuen Blutes die habsburgische Monarchie durchströmt, wenn der Bann der Isolierung Österreichs gebrochen ist, dann das Verlorene wieder eingebracht und neue, glänzende und feste Macht gewonnen werden könne!«
Er schwieg einen Augenblick, das Auge wie auf eine innere Vision gerichtet.
»Doch,« sagte er dann, »bis dahin ist noch ein weiter Weg zu machen, für jetzt gilt es, die dunklen Wege Napoleons zu durchkreuzen, er darf Luxemburg nicht erhalten, darf auf dieser Basis nicht zur Verständigung mit Deutschland kommen, aber es darf auch kein Krieg aus dieser Frage entstehen, der Österreichs Neugestaltung hemmen und die Politik der Zukunft abschneiden würde.«
»Glauben Eure Exzellenz, daß man in Frankreich bis zum äußersten vorgehen würde?« fragte Herr von Hofmann.
»Wer weiß?« sagte der Minister, »bei Napoleon muß man immer mit der Möglichkeit eines coup de tête rechnen.«
Und er durchblätterte die Papiere, welche er vorher aus der Mappe genommen hatte.
»Da ist ein Bericht von Metternich!« sagte er, lebhaft einen Bogen ergreifend, »wir werden sehen, was in Paris vorgeht.«
Er durchflog das Papier.
»Man ist in Paris sehr aufgeregt,« fuhr er fort, »der Kaiser ist entrüstet über die plötzliche Enthüllung seiner Pläne, Moustier drängt zu festem Vorgehen, eine starke, chauvinistische Bewegung umgibt den Kaiser – das ist schlimm – um jeden Preis muß ein Bruch vermieden werden, doch,« sagte er erleichtert aufatmend, indem er den Schluß des Berichts las und denselben dann Herrn von Hofmann reichte, »die Kaiserin arbeitet auf das lebhafteste für den Frieden – das ist ein Stützpunkt, den man benutzen muß – wir müssen alle Tätigkeit aufbieten, um diesen Schlag zu parieren, – Telegraphieren Sie sogleich an Metternich,« sagte er nach einem augenblicklichen Nachdenken, »daß er auf das lebhafteste unseren Wunsch, den Frieden zu erhalten, betonen und unsere bons offices nach jeder Richtung anbieten solle, ich werde ihm selbst sogleich persönlich schreiben, damit er seinen ganzen Einfluß aufbiete, die Gefahr zu beschwören. Eine gleiche Instruktion muß an Wimpffen abgehen. – Dann,« fuhr er fort, »müssen wir mit England eine gemeinsame Vermittlung vorbereiten, eine Konferenz vorschlagen, das wird man von beiden Seiten kaum ablehnen können, und,« sagte er lächelnd, »haben wir die Sache erst am grünen Tisch, so wird sich das Echauffement abkühlen; wollen Sie eine Instruktion an den Grafen Apponyi aufsetzen und mir vorlegen!«
Herr von Hofmann verbeugte sich.
»Ich müßte die Sachen wohl mit dem Unterstaatssekretär von Meysenburg verabreden?« sagte er.
»Gewiß,« erwiderte Herr von Beust mit leichtem Lächeln, »ich wünsche nicht, daß er übergangen oder verletzt werde, es ist gut, bei dem neuen Bau einige alte Stützen stehen zu lassen – bis wir weiter vorgeschritten sind, sprechen Sie sogleich mit ihm, er wird übrigens in diesem Falle ganz einverstanden sein.«
Herr von Hofmann stand auf. Der Minister zog einen über seinem Schreibtisch hängenden Glockenzug.
»Wer ist im Vorzimmer?« fragte er den eintretenden Bureaudiener.
»Der Herzog von Gramont,« antwortete dieser.
»Das ist gut,« sagte Herr von Beust, »da kann ich sogleich den Anfang machen!« –
»Und dann,« sagte der Diener, »ein Herr, welcher mir diese Karte und diesen Brief für Eure Exzellenz gegeben hat.«
Herr von Beust ergriff die Karte.
»Reverend Mr. Douglas,« las er mit dem Ausdruck des Erstaunens – »kennen Sie den Namen?«
Herr von Hofmann zuckte die Achseln.
Der Minister öffnete das Billett.
»Graf Platen empfiehlt mir Mr. Douglas,« sagte er, »es würde mir von Interesse sein, ihn zu sprechen, er kenne die englischen Verhältnisse genau, und der König von Hannover interessiere sich besonders für ihn – ich begreife nicht recht, aber hören will ich ihn. – Bitten Sie den Herren, einen Augenblick zu warten,« sagte er zu dem wartenden Diener, »und führen Sie den Herzog herein!«
Herr von Hofmann verließ das Kabinett, in der Tür den französischen Botschafter begrüßend, welchem der Minister entgegentrat.
»Guten Morgen, mein lieber Herzog,« sagte er, ihm die Hand reichend, in französischer Sprache, »es ist mir sehr lieb, daß Sie kommen, ich hatte Sie um eine Unterredung gebeten, ich sehe Sturm auf dem Barometer Europas, und wir müssen uns vereinigen, um ihn zu beschwören.«
Der Herzog, im schwarzen Überrock, die große Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch, richtete seine hohe, militärische Gestalt gerade empor, sein fein geschnittenes Gesicht mit dem leicht gekräuselten Haar, dem kurzen, aufwärts gedrehten Schnurrbart überflog ein stolzes Lächeln, und indem er den Händedruck des Herrn von Beust erwiderte, sprach er:
»Es wird vielleicht leichter sein, dem Sturme zu trotzen, als ihn zu beschwören.«
Herr von Beust neigte leicht den Kopf zur Seite, ein fast unmerklicher Schimmer feiner Ironie glitt über seine lächelnden Lippen, und indem er sich vor seinen Schreibtisch setzte, lud er den Botschafter ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
»Den Stürmen zu trotzen,« sagte er, »ist kühn – und klug, wenn es keinen anderen Weg gibt, um ein großes, vorgestecktes Ziel zu erreichen, aber gegen den Sturm zu kämpfen, wenn dadurch das Ziel nicht erreicht – ja seine spätere Erreichung für immer gefährdet werden kann, das möchte ich nicht als die Aufgabe der Staatskunst anerkennen können. – Doch,« fuhr er fort, »sprechen wir ohne Metapher, »Sie sehen mich erstaunt, lieber Herzog, und – ich muß es sagen – bekümmert über die Nachrichten, welche ich soeben von Berlin und Paris zugleich in betreff einer Abtretung Luxemburgs erhalte, man scheint in Berlin nicht geneigt, dieselbe ruhig geschehen zu lassen –«
»Dann muß man Ernst zeigen!« sagte der Herzog, das Haupt emporwerfend, »man muß die gebieterische Stimme Frankreichs vernehmen lassen, welche schon zu lange geschwiegen hat.«
Herr von Beust schüttelte leicht den Kopf.
»Sie wissen, mein lieber Minister,« fuhr der Herzog von Gramont fort, »wie sehr ich es persönlich beklagt habe, daß der Kaiser sich nicht hat entschließen wollen im vorigen Jahre, im Augenblick der großen Bedrängnis Österreichs, ein energisches Veto einzulegen und mit fester Hand in die Ereignisse einzugreifen; Sie wissen, wie sehr ich zu solcher Politik geraten habe, indes,« fuhr er fort, indem er leicht die Achseln zuckte, »sie ist nicht beliebt worden, und mir als Vertreter des Kaisers steht es nicht zu, bedauernde kritische Rückblicke auf das zu werfen, was geschehen ist. Nachdem dies aber geschehen, muß Frankreich tun, was es sich selbst, seiner Sicherheit und Machtstellung und dem europäischen Gleichgewicht schuldig ist. Das vergrößerte Preußen, an der Spitze der deutschen konzentrierten Militärmacht, hat kein Recht, Positionen zu behalten, welche dem inoffensiven deutschen Bunde zugestanden waren, und Frankreich muß zur Sicherheit seiner Grenzen neue militärische Positionen als Garantie verlangen. Eine solche Position ist Luxemburg, und wenn man sie uns verweigert,« sagte der Herzog mit stolzem Ton, »so werden wir sie nehmen!«
Herr von Beust wiegte den Kopf hin und her und blickte unter den leicht gesenkten Augenlidern zu dem Herzog, welcher rasch und lebhaft gesprochen hatte, hinüber.
»Sie haben soeben,« sagte er dann mit ruhiger Stimme, »die Passivität Frankreichs gegenüber der deutschen Katastrophe als einen Fehler bezeichnet, Herr Herzog, ich darf also keinen Anstand nehmen, diesen von Ihnen selbst gegebenen Ausgangspunkt zu akzeptieren. – Glauben Sie aber,« fuhr er mit leichtem Lächeln fort, »daß es den Fehler verbessern hieße, wenn Frankreich, das im rechten Augenblick nicht schlug, nun im unrechten Augenblick schlagen würde?«
Der Herzog blickte ihn ein wenig betroffen an.
»Warum wäre es ein unrechter Augenblick?« fragte er. »Wenn Preußen diese wahrlich bescheidene und höchst berechtigte Kompensation uns verweigert, so wird das französische Nationalgefühl mächtig entflammen, und in seiner zornigen Erregung wird Frankreich unbesiegbar sein, außerdem ist jetzt die Unifikation Deutschlands noch sehr wenig vorgeschritten, die neuerworbenen Länder sind voll Erbitterung, in Süddeutschland regt sich gewaltig der antipreußische Geist, die Wunden, welche der Krieg Preußen selbst geschlagen, sind noch nicht geheilt, kann es eine bessere Gelegenheit geben, dieser neuen preußischen Großmacht eine Lektion zu geben und uns die so berechtigte Genugtuung zu nehmen?«
Herr von Beust schüttelte abermals, immer lächelnd, den Kopf.
»Und wenn Sie nun siegen, wenn Frankreich eine entscheidende Schlacht gewinnt,« fragte er, »was haben Sie dann erreicht?«
»Wir haben das erreicht, was wir forderten!« rief der Herzog in etwas erstauntem Tone, »vielleicht noch ein wenig mehr, wir haben Preußen gezeigt, daß der Augenblick noch nicht gekommen ist, um Frankreich von oben herab zu behandeln und seine Stimme zu überhören, wir haben feste Garantien für die Sicherheit unserer Grenzen.«
»Wollen Sie, lieber Herzog,« sagte Herr von Beust mit ruhiger Stimme, »mir eine Frage beantworten, – aufrichtig nach Ihrer Überzeugung?«
»Gewiß,« sagte der Herzog. »Sie wissen, daß ich mit meiner persönlichen Ansicht nicht zurückhalte, auch wenn sie nicht vollständig mit dem übereinstimmt, was ich als Vertreter meiner Regierung aufrecht halten muß.«
»Nun wohl,« sagte Herr von Beust, »meine Frage betrifft Italien. Sie haben Savoyen und Nizza erworben, um Ihre Grenzen zu sichern der militärischen Konzentration Italiens gegenüber, glauben Sie, daß diese Sicherung dauernder und fester sei, als wenn Sie an der Ausführung des Vertrages von Zürich festgehalten und ein föderatives Italien hergestellt hätten, welches in der Ruhe seines inneren Gleichgewichts niemals hätte daran denken können, Ihnen durch eine offensive Expansion gefährlich zu werden?«
Der Herzog von Gramont sagte nach einem augenblicklichen Schweigen: »Ich habe stets die Grundsätze des Vertrages von Zürich für die beste und weiseste Politik gegenüber Italien gehalten und bedaure, daß es unmöglich war, sie durchzuführen.«
»Nun,« sagte Herr von Beust, »in ähnlicher Lage sind Sie heute Deutschland gegenüber – nur mit dem Unterschiede, daß die physische Kraft Deutschlands mächtiger ist als diejenige Italiens, daß Deutschland, in preußischer Militäreinheit konzentriert, Ihnen viel gefährlicher werden kann als jemals Italien. Machen Sie es mit dem Prager Frieden nicht wie mit dem Vertrage von Zürich.«
Der Herzog blickte nachdenklich zu Boden.
»Erlauben Sie mir, ausführlicher zu sein,« sagte Herr von Beust, »und Ihnen meinen ganzen Gedanken auszusprechen, denn wir stehen vielleicht an einem ernsten Wendepunkt, von dem die künftige Gestaltung Europas und,« fügte er mit einem scharfen Blick auf den Herzog hinzu, »die künftigen Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich abhängen.«
»Frankreich und Österreich sind durch gemeinsame Interessen verbunden,« sagte der Herzog mit verbindlichem Kopfneigen.
»Zunächst durch einen gemeinsamen Gegner,« bemerkte Herr von Beust ruhig, »das ist viel, aber es ist ein negativer Boden – und,« fuhr er fort, »politische Gegnerschaften können zuweilen wechseln. – Ich sehe indes,« sagte er nach einer augenblicklichen Pause, »eine große Anzahl positiver Verbindungspunkte, welche, richtig klargestellt und formuliert, die Grundlage einer festen und dauernden Verbindung werden können, einer Verbindung, welche für beide Länder vom bedeutendsten und glücklichsten Einfluß zu werden bestimmt zu sein scheint.«
Die Züge des Herzogs drückten die gespannteste Aufmerksamkeit aus.
»Wenn Sie jetzt Kompensationen fordern,« fuhr Herr von Beust fort, »wenn Sie dieselben mit den Waffen in der Hand erzwingen wollen, so beginnen Sie einen Krieg – verzeihen Sie, daß meine Ansicht der vorhin von Ihnen geäußerten diametral entgegensteht – einen Krieg unter den ungünstigsten Chancen im allerschlechtest gewählten Moment. – Denn Sie greifen Preußen wegen einer Sache an, welche vollkommen geeignet ist, das deutsche Nationalgefühl zu entflammen, wegen der Abtretung deutschen Gebietes, und wenn die süddeutschen Regierungen auch keine Neigung haben, preußische Interessen zu verfechten, so wird diese deutschnationale Erregung der Bevölkerungen sie um so mehr auf die Seite Preußens treiben, als sie nirgends einen Halt sehen und die traurigen Schicksale der entthronten Fürsten ihnen noch lebendig vor Augen stehen. – Wir unsererseits,« fuhr Herr von Beust achselzuckend fort, »sind vollständig außer Stande, uns auch nur zu regen, und wollten wir trotz unserer unfertigen, im Werden begriffenen Zustände wirklich eine Aktion wagen, so würde Rußland und Italien es uns unmöglich machen. Sie würden sich also ohne alle Bundesgenossen der deutschen Nationalaufregung und der mehr oder minder aktiven Gegnerschaft Rußlands und Italiens gegenüber befinden. Was Italien betrifft, so werden Sie selbst ermessen, welche Folgen ein isoliertes Engagement Frankreichs gegen Deutschland auf die römische Frage haben müßte –«
»Ich verkenne das alles nicht,« sagte der Herzog ein wenig zögernd, »aber,« rief er dann in heftigem Tone, »soll man denn diesem unersättlichen, rücksichtslosen Ehrgeize Preußens gegenüber immer nachgeben, immer zurückweichen, sollen denn alle Großmächte Europas sich beugen vor diesem Berliner Kabinett?«
Herr von Beust blickte mit ruhigem Lächeln in das erregte Gesicht des französischen Diplomaten.
»Wissen Sie,« sagte er dann, leicht mit dem Finger auf dem Tisch trommelnd, »wissen Sie, mein lieber Herzog, welches unsere schärfste und wirksamste Waffe dieser preußischen Macht gegenüber ist? – Die Geduld!«
»Das ist eine Waffe,« rief der Herzog, »welche Frankreich wenig gewöhnt ist zu führen!«
»Und doch,« sagte Herr von Beust ruhig, »kann ich nur dringend raten, zu dieser Waffe zu greifen, denn sie sichert uns nach meiner Überzeugung den Sieg, die endliche Erreichung des Zieles. – Sie werden überzeugt sein,« fuhr er fort, »daß ich nicht nur eine negative Geduld, eine indolente Zurückhaltung empfehlen will, aber ich wünsche die Aktion so ernst und so folgerichtig vorzubereiten, daß der Erfolg so sicher als möglich ist – ich wünsche den Fehler zu vermeiden, den man in Österreich begangen hat, und dessen Folgen ich jetzt wieder gut zu machen berufen bin. – Diese vordrängende preußische Macht,« sagte er, indem seine Züge sich belebten und der Schimmer einer leichten Röte auf seinem bleichen Gesicht erschien, »kann nur mit Erfolg angegriffen werden, wenn man sie isoliert und ihr eine Koalition entgegenstellt, welche sie von allen Seiten übermächtig umzingelt. Jetzt ist die Lage umgekehrt. Preußen ist von starken Allianzen flankiert – Österreich ist ohnmächtig –, Frankreich steht also allein. Unsere erste Aufgabe muß sein, Italien von Preußen zu trennen. Frankreich, Österreich und Italien bilden eine starke Macht, noch bedeutungsvoller dadurch, daß sie Süddeutschland in eisernem Ringe umfassen und von der Einigung mit dem Norden zurückhalten können. – Wird es nun möglich sein, Italien einer österreichisch-französischen Allianz einzufügen? – Ich glaube ja. Der König Viktor Emanuel wünscht dringend die Anbahnung eines besseren Verhältnisses mit unserem Kaiserhaus, der französische Einfluß ist mächtig in Florenz – das Ministerium wird diesen Einfluß unterstützen – und mit einigen Konzessionen in der römischen Frage kann man, ohne das Prinzip aufzugeben, die öffentliche Meinung günstig stimmen. Ist dies erreicht, so stehen wir schon auf einer festen, ernsten Basis. Dann aber muß Rußland von Preußen getrennt werden, und das scheint mir nicht so sehr schwer. Kommt man Rußland ein wenig im Orient entgegen, so fällt der Grund seiner festen Anlehnung an Preußen fort. Sie wissen, daß ich schon eine Revision des Pariser Traktats angeregt habe, und ich bemerke infolgedessen bereits eine fühlbare Verbesserung unseres Verhältnisses zu dem St. Petersburger Kabinett. Gehen wir vorsichtig und geschickt auf diesem Wege weiter, so werden wir, wie ich hoffe, diese kompakte Verbindung der nordischen Mächte lockern, welche für die Politik Österreichs so lähmend und erdrückend ist. – Das ist,« fuhr Herr von Beust aufatmend fort, »die diplomatische Aufgabe, welche wir uns zu stellen haben. Zugleich aber müssen wir unausgesetzt und sorgfältig daran arbeiten, alle antipreußischen Elemente in Deutschland in ihrem Widerstande zu bestärken, sie zu sammeln und zu organisieren, um, wenn der Augenblick des Handelns kommt, auf die schwankenden Regierungen einen starken Druck ausüben zu können. Aber auch dazu ist Zeit nötig. Wir haben hier den König von Hannover und den Kurfürsten von Hessen und damit die Fäden der Agitationen in jenen Gebieten, Sie werden auf die katholische Presse in Bayern wirken können, die unangenehmen Berührungen der preußischen Zentralisationsbestrebungen werden das ihrige tun und so bin ich überzeugt, wird die Zeit, anstatt, wie Sie fürchten, das unvollendete Werk des vorigen Jahres zu konsolidieren, dasselbe vielmehr zerbröckeln.«
»Ich bewundere in der Tat die weite und tiefe Kombination, welche sich in Ihren Worten vor mir öffnet,« sagte der Herzog von Gramont.
Herr von Beust lächelte.
»Um nun dies alles vorbereiten und ausführen zu können,« fuhr er fort, »ist vor allem nötig, daß die Grenze zwischen Nord- und Süddeutschland scharf aufrecht gehalten wird, und statt Kompensationen zu suchen und zu fordern, sollte die französische Politik sich mit der österreichischen zur festen Aufrechterhaltung des Prager Friedens verbinden, und die in diesem Traktat vorgesehene und völkerrechtlich stipulierte Herstellung eines Südbundes anstreben, welcher ja unter unseren beiderseitigen Einfluß fallen würde – darin liegt der Schlüssel der Zukunft.«
»Aber der Prager Frieden ist ja bereits verletzt!« rief der Herzog von Gramont, »die Militärverträge mit den süddeutschen Staaten, welche soeben bekannt gemacht werden –«
Herr von Beust lächelte fein.
»Gerade diese Verträge,« sagte er, »mischen unsere Karten. Preußen hat den Prager Traktat schon verletzt, und wir haben den Konflikt ganz fertig zur Hand, wenn der Moment gekommen sein wird, wo wir seiner bedürfen. Wenn aus dieser Frage ein Konflikt entsteht, so greift Preußen ein von ihm selbst geschaffenes Vertragsrecht an, und wir sind die Verteidiger desselben, das ist sehr wichtig, insbesondere für Frankreich, denn wenn Frankreich sich in die Angelegenheiten Deutschlands mischt, so muß es geschehen zur Verteidigung deutscher Rechte, nicht, um aus deutschem Gebiet Kompensationsobjekte zu nehmen. – Da haben Sie,« fuhr er fort, »in großen Zügen die Ideen, welche nach meiner Überzeugung für die Zukunft maßgebend sein müssen, die näheren Modalitäten ihrer Ausführung werden sich Schritt vor Schritt ergeben, wenn wir uns entschließen, gemeinsam und im Einverständnis auf diesem Wege vorzugehen, welcher zwar für jetzt uns große Zurückhaltung und Vorsicht auflegt, aber dafür mit Sicherheit endlich zum Ziele führt.«
Herr von Beust hatte lebhaft gesprochen – sein Gesicht zeigte die Erregung seines Geistes – erwartungsvoll blickte sein helles Auge auf den Herzog.
Dieser saß einige Augenblicke stumm, der feine, zierlich geschnittene und fast immer lächelnde Mund war ernst zusammengepreßt – sein Blick zu Boden gerichtet.
»Ich glaube, Sie haben recht,« sagte er endlich. »Sie sind der wahre Staatsmann, welcher von persönlichen Gefühlen, Neigungen und Erregungen abzusehen versteht und ruhig und fest alles dem großen Ziel unterordnet und dienstbar macht. Ich erkenne die Weisheit Ihrer Bemerkungen, die Größe und Klarheit Ihrer Ideen an, wenn sich auch,« fügte er mit leichtem Kopfschütteln hinzu, »mein militärisches Gefühl ungern dem System der Geduld unterwirft.«
»Seien Sie ruhig, mein lieber Herzog,« sagte Herr von Beust lächelnd, »auch Ihre Zeit wird kommen, wir haben eine starke Festung zu besiegen; nach der stillen und mühsamen Arbeit der Ingenieure in den Laufgräben kommt der Augenblick für die stürmenden Bataillone. – Für jetzt also,« fuhr er fort, »billigen Sie meinen Plan und teilen meine Ansicht?«
»So sehr,« erwiderte der Herzog, »daß ich mir alle Mühe geben werde, Ihre Anschauungen in Paris zur Geltung zu bringen. Sie erlauben mir, über unsere Unterredung ausführlich zu berichten?«
»Sie werden mich dadurch verpflichten,« sagte Herr von Beust, »ich werde den Fürsten Metternich veranlassen, in gleichem Sinne zu sprechen; vor allem vergessen Sie nicht, auf das bestimmteste zu betonen, daß, wenn der Kaiser meine Anschauungen, welche vollkommen von Seiner apostolischen Majestät geteilt werden, nicht zu den seinigen machen könnte, wenn demnach aus dieser Luxemburger Frage ein ernster kriegerischer Konflikt entstehen sollte, eine Unterstützung Österreichs in keiner Weise zu erwarten sei. Es ist meine Pflicht, mich darüber sehr klar und bestimmt auszudrücken, in keiner Weise; Österreich würde die absoluteste und vorsichtigste Neutralität zu beobachten gezwungen sein, man darf darüber in Paris keinen Augenblick im Zweifel sein.«
Der Herzog verneigte sich leicht.
»Doch,« fuhr Herr von Beust fort, »die Sache ist von so großer Wichtigkeit, daß es vielleicht noch besser wäre, wenn Sie sich entschließen könnten, selbst nach Paris zu gehen. Sie kennen die Situation hier genau und das mündliche Wort, die persönliche Einwirkung sind einflußreicher als alle Berichte –«
»Ich bin vollkommen dazu bereit,« sagte der Herzog, »und wenn Sie es wünschen, will ich sogleich abreisen.«
»Warten Sie noch einige Tage,« sagte Herr von Beust, »bis ich Mitteilungen über den weiteren Verlauf der Sache in Berlin und über die Auffassung des englischen Kabinetts habe, damit ich meine Ansicht in genauer Erwägung aller einschlagenden Verhältnisse formulieren kann, vielleicht wird sich dann auch in Paris die erste Erregung etwas gelegt haben.«
»Sie werden selbst die Güte haben zu bestimmen, wann Sie für meine Reise den Augenblick für den richtigsten halten,« erwiderte der Herzog, indem er aufstand, »ich werde inzwischen sogleich meinen Bericht absenden und meine Ankunft ankündigen.«
Herr von Beust begleitete den Herzog zur Tür und verabschiedete sich von ihm mit herzlichem Händedruck.
»Wie schwer wird es sein,« rief er seufzend, »die Ruhe zu erhalten, bis das Werk der Wiedergeburt Österreichs vollendet ist, bis alle diese so heterogenen Elemente in eine dem gemeinsamen lenkenden Willen gehorchende Maschinerie vereinigt sind!«
Er stand einen Augenblick sinnend still.
»Doch es wird gelingen!« rief er dann lächelnd, indem der Ausdruck freudiger Zuversicht auf seinem Gesicht aufleuchtete, »alle diese Faktoren, aus denen sich die politische Welt zusammensetzt, sind lenkbar durch den Geist, durch die Kombination, durch die geschickte Leitung des Widerspiels der Kräfte, es gilt nur, den vorzeitigen Ausbruch der rohen Gewalt zu verhüten. Versuchen wir mutig, was der Geist und die geschickte Staatskunst vermögen!«
Er trat zu seinem Schreibtisch und bewegte den Glockenzug.
»Lassen Sie den Herrn eintreten, der mir vorhin die Karte gesendet,« sagte er dem Bureaudiener, und erwartungsvoll blickte er dem Eintretenden entgegen.
Reverend Mr. Douglas, wie er sich durch seine Karte angemeldet, ein breitschulteriger, kleiner, untersetzter Mann von etwa fünfzig Jahren, war eine jener Erscheinungen, welche man schwer wieder vergißt, sobald man sie einmal gesehen.
Sein großes, stark markiertes Gesicht mit hoher, breiter Stirn, von glatt herabhängendem Haar umgeben, von einzelnen Narben zerrissen, trug einen aus Energie und Schwärmerei gemischten Ausdruck; die Augen, so stark schielend, daß es unmöglich war, jemals ihren Blick zu erfassen, bildeten im Verein mit dem großen, breiten Mund, den starken Kinnbacken und der mächtig hervortretenden, etwas schief im Gesicht stehenden Nase ein Bild von so ungemeiner Häßlichkeit, wie es schwer zum zweiten Male zu finden gewesen wäre. Dennoch entbehrte dies auf den ersten Anblick fast erschreckende Ensemble nicht einer gewissen Anziehungskraft durch das Licht geistigen Lebens, welches diese so absonderlich gebildeten Züge durchschimmerte.
Mr. Douglas, in einfachem schwarzen Rock, trat in ruhiger Haltung herein, verneigte sich und blieb mit jener den englischen Geistlichen eigentümlichen würdevollen Zurückhaltung vor dem Minister stehen.
Herr von Beust blickte ihn erstaunt und betroffen von der eigentümlichen Erscheinung an.
Er deutete artig auf den Stuhl, welchen der Herzog von Gramont soeben verlassen, und setzte sich vor seinen Schreibtisch.
»Graf Platen schreibt mir,« sagte er, als Mr. Douglas ihm gegenüber Platz genommen, im reinsten Englisch, »daß Sie von England kommen und mir manches Interessante mitzuteilen haben.«
Mit einer sonoren Stimme, deren Ton ein wenig an die Gewohnheit kirchlicher Vorträge erinnerte, erwiderte Mr. Douglas:
»Ich bin beglückt, den großen Staatsmann zu sehen, dessen Name uns Engländern sympathisch ist, dessen Geist ich lange bewundert habe und von dem ich überzeugt bin, daß er die Ideen, welche mich bewegen, verstehen und würdigen wird.«
Herr von Beust neigte lächelnd den Kopf. »Es freut mich sehr,« sagte er, »wenn mein Name in England einen guten Klang hat, ich bin meinerseits stets ein aufrichtiger Bewunderer des Geistes der englischen Nation gewesen.«
»Wir verfolgen in England,« sagte Mr. Douglas, »mit gespanntem Interesse alles, was Eure Exzellenz tun, um die große Aufgabe zu erfüllen, welche Ihnen übertragen ist, und,« fügte er hinzu, »welcher niemand in dem Grade gewachsen wäre als Sie. – Ich insbesondere,« fuhr er fort, »habe meine Blicke voll Aufmerksamkeit auf Ihr Werk gerichtet, weil ich dasselbe in Verbindung bringe mit einem großen Gedanken, der mich erfüllt und mächtig bewegt, so mächtig, daß ich mich aufgemacht habe aus meiner Heimat, um auszuziehen zur Ausführung dessen, was mit der leuchtenden Gewalt der Wahrheit mein Inneres durchdringt.«
Herrn von Beusts erstaunte Blicke drückten die Spannung aus, mit welcher er den Mitteilungen entgegensah, die dieser eigentümlichen Einleitung folgen sollten.
»Ich habe,« fuhr Mr. Douglas fort, »die Geschichte Europas, wie sie sich in den letzten Jahren gestaltet und entwickelt hat, genau und aufmerksam verfolgt – und ich habe zugleich infolge meines geistlichen Amtes die heiligen Schriften eingehend studiert, und aus dieser doppelten Beobachtung habe ich die Überzeugung gewonnen, daß die Offenbarungen des großen Evangelisten sich erfüllen und daß der Streit mit dem großen Drachen geführt werden muß, welcher gegen den Himmel anstürmt, damit die endliche Herrschaft des Reiches Gottes vorbereitet werde!«
Mit großen Augen sah Herr von Beust diesen Mann an, der da vor ihm saß, das scharf markierte Gesicht durchzittert von dem Ausdruck fanatischer Überzeugung, die rechte Hand erhoben mit zwei ausgestreckten Fingern, die linke auf die Brust gelegt. – Er wußte in der Tat nicht, was er mit dieser merkwürdigen Persönlichkeit anfangen sollte.
»Der Drache,« sprach Mr. Douglas weiter, »ist Preußen, das die Grundsätze des Rechts zerstört, das die Heiligkeit des Glaubens, des Christentums mit Füßen tritt, Thron und Altar zu Boden wirft und dem Unglauben, dem Heidentum die Welt überantworten möchte. Die aber von ihm niedergeworfen und erwürgt sind, die Männer in den weißen Kleidern, das sind diejenigen, die am Recht am Glauben, an der Religion festhalten, das sind diejenigen, die sich vereinigen müssen, um dem Erzengel Michael beizustehen in dem großen Kampfe gegen den Drachen der Finsternis.«
Ein eigentümliches Lächeln zuckte um die Lippen des Herrn von Beust. Schweigend und mit immer wachsender Verwunderung betrachtete er den sonderbaren Interpreten der Apokalypse.
Mr. Douglas ließ die Hand sinken, der Ausdruck der begeisterten Erregung schwand von seinem Gesicht und im Tone ruhiger Konversation fuhr er fort: »Das alles habe ich gefunden in der sorgsamen Verfolgung der Geschichte und dem Studium der Offenbarungen, es ist mir immer klarer geworden, seit ich eingedrungen bin in die Geheimnisse des Spiritismus, ich habe Verkehr gehabt mit den hervorragendsten Geistern der Vergangenheit, und alle ihre Mitteilungen haben mir bestätigt, daß der Augenblick gekommen sei, um den gemeinsamen Kampf gegen den großen Drachen zu beginnen.«
Herr von Beust schwieg immerfort.
»Diejenigen aber, welche berufen sind, diesen Kampf aufzunehmen, sich zu demselben in engem Bunde zu vereinigen, das sind diejenigen Mächte in Europa, welche jede in ihrer Weise am positiven Christentum festhalten, welche das weiße Kleid der Auserwählten tragen: das ist England, die Vertreterin der reinen Hochkirche, das ist Österreich und Frankreich, die katholischen Mächte, das ist Rußland, welches in seiner Hand das griechische Kreuz trägt, dem der Osten huldigt. Was bedeutet,« fuhr er fort, »der Unterschied, welcher die englische Hochkirche, den Katholizismus und den griechischen Kultus voneinander trennt, im Vergleich zu dem Abgrunde, welcher alle diese Vertreter des christlichen Glaubens von jener Macht trennt, welche das Recht mit Füßen tritt, die Fürsten von den Thronen wirft und die Kirche zu einer Institution der Staatsräson macht? Die großen christlichen Mächte müssen sich also vereinigen, um Preußen und seinen Satelliten Italien niederzuwerfen, das Recht, die Autorität und den Glauben auf Erden wiederherzustellen.«
Herr von Beust machte eine leichte ungeduldige Bewegung.
»Ich glaube nicht recht,« sagte er mit einem kaum merkbaren Lächeln, »daß diese der geistlich-kirchlichen Anschauungsweise entnommenen Gesichtspunkte geeignet sein möchten, die Politik der Kabinette Europas zu bestimmen, welche sehr weltlich gesinnt sind,« fügte er mit leichtem Achselzucken hinzu.
Mr. Douglas lächelte mit überlegener Würde.
»Die weltlichen Interessen stimmen vollkommen mit den Bedingungen der vorbezeichneten Entwicklung der christlichen Neuordnung überein, wie es ja überhaupt das Wesen der Religion ist, daß ihre Wahrheiten auch diejenigen beherrschen und lenken, welche sie nicht erkennen. Betrachten Exzellenz,« fuhr er fort, »die Stellung und die notwendigen Aufgaben der europäischen Mächte, Sie werden finden, daß sie in ihrem eigenen, rein politischen, rein weltlichen Interesse handeln müssen, wie sie nach meiner Auffassung der Weltlage handeln sollen. Sie, Exzellenz, stehen an der Spitze des österreichischen Staates, welcher niedergeworfen ist von dem gemeinsamen Feinde, beraubt seiner heiligsten und unantastbarsten Rechte, dem Verfall und Untergang preisgegeben, wenn er sich nicht aufrafft zu ernstem, rücksichtslosem Kampf. Sie sind bedroht von Italien, dem Bundesgenossen Ihres Feindes, Sie sind angewiesen auf die Allianz Frankreichs, das nur bestehen kann, wenn es sich fest stützt auf die Religion und das Recht, denn in seinem Innern gärt schon die Revolution, und die Kraft der Religion, das ewige Recht allein kann die aus dem Krater heraufdrängenden bösen Geister bannen. – Die beiden anderen Mächte,« fuhr Mr. Douglas seufzend fort, »welche berufen wären, an dem großen Kampfe teilzunehmen, stehen leider abseits. England, mein Vaterland, weil es versunken ist in Materialismus, aber es schläft nur, es kommt darauf an, den alten englischen Sinn zu wecken, und England wird von neuem seine ganze Kraft einsetzen, um das heilige Recht zur Geltung zu bringen. Rußland – ich bin überzeugt, daß man dort mit Besorgnis den Umsturz alles dessen sieht, was als heilig und ehrwürdig jahrhundertelang dagestanden hat, aber Rußland ist von denen, welche mit ihm gemeinsam handeln müßten, zurückgestoßen, man hat ihm den Weg seiner naturgemäßen Entwicklung verschlossen, statt sich mit ihm zu vereinigen, um die Heiden aus der alten Hauptstadt Konstantins des Großen zu vertreiben, dadurch hat man Rußland gewaltsam zu Preußen gedrängt und die Kraft des allgemeinen Feindes mächtig verstärkt.«
Herr von Beust hatte immer aufmerksamer zugehört.
»Sie würden also, um Ihre Ideen, die mich sehr interessieren, zur Ausführung zu bringen –« fragte er mit forschendem Blick.
»Rußland vor allem, diese christliche Macht, den Bannerträger des Christentums im Osten, von Preußen trennen; durch eine richtige Behandlung der orientalischen Frage würde das sehr leicht sein, England aufrütteln aus seiner Lethargie, durch zahlreiche Freunde, welche denken wie ich, durch kräftige Benutzung der Presse, würde auch das bald geschehen können, und dann,« fuhr er fort, abermals die Hand mit den emporgerichteten Fingern erhebend, »den Vernichtungskampf des großen europäischen Bundes für das christliche Recht gegen das Heidentum in Staat und Kirche beginnen. Der Sieg kann nicht fehlen.«
Herr von Beust sann einen Augenblick nach.
»Haben Sie schon mit jemand über Ihre Ideen und Ihre Pläne gesprochen?« fragte er.
»Ganz im allgemeinen mit einigen gleichgesinnten Freunden in England,« erwiderte Mr. Douglas; »eingehender und was die Durchführung der Gedanken betrifft, die mich bewegen, noch nicht, als hier. – Es ließ mir keine Ruhe,« fuhr er fort, »Tag und Nacht bewegte mich der immer mächtiger und klarer in mir sich emporarbeitende Gedanke, ich fühlte die Mission in mir, seine Ausführung den Mächtigen der Erde zu predigen, aber wie sollte meine Stimme, die Stimme eines einfachen Geistlichen, der bisher in stiller Zurückgezogenheit seinen Studien und den Pflichten seines Amtes gelebt, dahin dringen, wo die Macht wohnt, in die Geschicke der Welt einzugreifen? – Da gab mir Gott, den ich anrief, ein,« fuhr er fort, »mich an den König von Hannover zu wenden. Er ist geborener Prinz meines Landes, er ist hart und schwer von dem mächtig durch die Welt schreitenden Unrecht getroffen, er mußte besonders berufen sein, mir meinen Weg zu öffnen. Ich erhielt von einer Dame ein Einführungsschreiben an die Königin Marie, welche in trauriger Einsamkeit auf der Marienburg leidet; ohne Besorgnis ließen die preußischen Wachen mich, den einfachen Geistlichen, zu der hohen Frau, und ich brachte ihr Trost und Stärkung, ich erweckte in ihr den Glauben und das Vertrauen auf die göttliche Hilfe und deutete ihr an, wie durch die Macht des christlichen Gedankens die Mächte Europas erweckt werden müßten, um alles Recht und auch das ihrige wieder aufzurichten. – Die Königin verstand mich und sendete mich an ihren erhabenen Gemahl nach Hietzing, welchem ich in großen Zügen den Gedanken entwickelte, der mich erfüllt. Der König,« fuhr er fort, »ergriff meine Ideen mit großem Interesse, er begriff vollständig sowohl die christlich-religiösen Prinzipien, von welchen ich ausging, als auch die politischen Kombinationen, durch welche ich die Erreichung meines großen Zieles möglich machen wollte, und er befahl sogleich, mir den Weg zu Eurer Exzellenz zu öffnen, »denn,« sagte Seine Majestät zu mir, »dort werden Sie den großen Geist finden, um Ihre Gedanken zu erfassen, und die geschickte Hand, um Ihnen den Weg zu ihrer Ausführung zu zeigen und zu öffnen«.«
Herr von Beust hatte nachdenkend zugehört.
»Ich bin in der Tat frappiert von Ihrer Auffassung,« sagte er, als Mr. Douglas schwieg, »Sie fassen mit weitem Blick die ganze Gesamtlage Europas zusammen und bezeichnen so scharf und treffend die Punkte, welche die Situation bestimmen, daß ich lebhaft bedauern würde, wenn diese Gedanken lediglich private Reflexionen blieben. Ich freue mich meinerseits, Ihre Ideen gehört zu haben, allein,« fügte er achselzuckend hinzu, »ich vertrete nur eine europäische Macht, und zwar eine Macht, welche in diesem Augenblicke sehr wenig mächtig ist. Um Ihren Gedanken ernste praktische Folgen zu geben, müßten dieselben in Paris und St. Petersburg gehört und erfaßt werden.«
»Ich wünsche nichts mehr,« rief Mr. Douglas, »als dort Gehör zu finden! – Der König von Hannover hat mir versprochen, mich sowohl beim Kaiser Napoleon einzuführen als auch in St. Petersburg, wo er und besonders die Königin, mit der ich darüber schon sprach, ganz nahe Beziehungen hat. – Ich möchte indes,« fuhr er fort, »nicht ausschließlich als Verfechter der ganz besonderen Rechte des Königs von Hannover dastehen, ich möchte eine Macht wenigstens zur Seite haben, deren Zustimmung und Unterstützung meinen Worten größeres Gewicht geben würde.«
»Ich bin vollständig bereit, mein lieber Mr. Douglas,« sagte Herr von Beust, »Sie auf jede Weise in Ihrem Werke zu unterstützen, in der Weise natürlich, in der das möglich ist, denn Sie werden begreifen, daß, so sehr ich Ihre Gedanken bewundere und billige, ich sie nicht offiziell als die Formel der österreichischen Politik aufstellen kann. Das würde Ihnen den Eingang erschweren und vorzeitige Publizität und Wachsamkeit der Gegner hervorrufen. – Ich würde es indes,« fuhr er fort, »für höchst wichtig und bedeutungsvoll halten, wenn Sie persönlich mit der eindringenden Beredsamkeit, deren Wirkung ich soeben empfunden,« er verneigte sich mit verbindlichem Lächeln, »Ihre Kombinationen dem Kaiser Napoleon sowie dem Kaiser Alexander und dem Fürsten Gortschakoff entwickelten. – Ich glaube nun,« sagte er nach einem kurzen Nachdenken, »daß es das beste wäre, wenn Sie sich zunächst durch die Beziehungen des Königs von Hannover, dessen Sache mir am Herzen liegt und gegen welchen Österreich eine Ehrenverpflichtung hat, einführen ließen. Ich werde die Vertreter Österreichs anweisen, Sie in jeder Weise zu unterstützen und Ihnen überall, wo Sie es nötig finden, den Zugang zu erleichtern. Zunächst müßten Sie nach Paris gehen, lassen Sie sich einen Brief vom Könige von Hannover geben, ich werbe Ihnen eine Einführung an den Fürsten Metternich mitgeben, demnächst müßten Sie dann Ihr Werk in St. Petersburg beginnen.«
»Ich danke Eurer Exzellenz von ganzem Herzen für dies freundliche Entgegenkommen und diese wirksame Unterstützung,« sagte Mr. Douglas, »auf welche ich bestimmt hoffte, und werde sogleich mit dem Könige von Hannover sprechen, er wird sehr erfreut sein, daß ich bei Eurer Exzellenz so volles Verständnis gefunden.«
»Jedenfalls werde ich Sie noch sehen,« sagte Herr von Beust, »kommen Sie abends zu mir, da werde ich stets für Sie zu Hause sein, wenn keine drängenden Geschäfte mich mehr stören, ich werde mich freuen, mit Ihnen noch eingehender und ausführlicher mich zu unterhalten. Ich hoffe, daß Sie mich von Paris und demnächst von St. Petersburg aus fortlaufend und genau über Ihre Unterhaltungen und Ihre Erfolge unterrichten werden!«
»Ich stehe von diesem Augenblick an ganz zu Eurer Exzellenz Disposition!« sagte Mr. Douglas aufstehend, »verfügen Sie vollständig über mich und seien Sie überzeugt,« fügte er, die Hand erhebend hinzu, »daß ich alles aufbieten werde, um die Leitung der europäischen Politik in Ihre Hände zu legen.«
»Haben Sie mit dem Grafen Platen über Ihre Ideen gesprochen?« fragte Herr von Beust.
»Wenig,« antwortete Mr. Douglas achselzuckend, »ich hielt es kaum für nötig.«
Herr von Beust nickte lächelnd mit dem Kopf.
»Auf Wiedersehen also!« sagte er aufstehend und reichte Mr. Douglas die Hand, welcher sich darauf langsam und ruhigen Schritts entfernte.
»Though this be madness. – yet there is method in't!« rief Herr von Beust, indem er sich wieder in seinen Lehnstuhl setzte und nachdenklich vor sich hin blickte. – »Lassen wir diesen sonderbaren Schwärmer als ballon d'essai die Stimmung der Kabinette sondieren, jedenfalls wird er manches sehen und hören, was dem Blick der Diplomatie verborgen bleibt und mir als Information von hohem Nutzen sein kann. – Und wenn er auch von dem Standpunkt theosophischer Schwärmerei ausgeht, seine politischen Gedanken passen vollständig in meinen Plan, der Kaiser Napoleon ist zugänglich für schwärmerische Mystik, und in Petersburg, wer weiß, auch Frau von Krüdener hatte einst großen Einfluß, und sie zog aus ihren dunklen Prämissen nicht so klare Konsequenzen als dieser eigentümliche Mensch. Je mehr Fäden, je besser, und am besten und wirksamsten ist oft derjenige, welcher in verborgener Dunkelheit sich hinzieht.«
Er warf einen Blick auf seine Uhr und zog die Glocke.
»Sagen Sie meinem Diener,« befahl er dem eintretenden Bureaubeamten, »daß er mein Pferd vorführen lasse, ich will ausreiten!«