Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Als Herr von Grabenow sich von dem Grafen Rivero getrennt hatte, eilte er schnell über die dichtbelebten Trottoirs hin nach dem von dem Maler Romano bewohnten Hause in der Straße Notredame de Lorette.

Schnell stieg er die Treppen hinauf und eilte, als auf seinen ungeduldigen Glockenzug die Bonne die Tür geöffnet, in den Salon seiner Geliebten.

Die schöne Julia lag auf ihrer Chaiselongue, von Blumen umgeben. Ein weiter, dunkler Morgenrock, von zwei schweren Seidenquasten zusammengehalten, umfloß ihre schlanke Gestalt, weite Ärmel hingen bis über die Handgelenke herab, und in den auf dem Schoß leicht gefalteten Händen hielt sie einen einfachen Rosenkranz von schwarzen Perlen mit einem kleinen Kreuz von Ebenholz. Um ihr glattgescheiteltes Haar schlang sich ein schwarzes Spitzentuch, das blasse Gesicht mit dem Ausdruck schmerzlicher Ergebung lehnte rückwärts an den Kissen, und aus diesem so schönen, so jugendlichen und doch so tief traurigen Gesicht blickten die dunklen, tiefen Augen schwärmerisch und müde wie in weite Fernen hinaus.

Bei dem Eintritt ihres Freundes erschien ein glückliches Lächeln auf ihren Lippen, ein Strahl unendlicher Zärtlichkeit leuchtete ihm aus ihren Augen entgegen, ohne daß indes der ganze Ausdruck tief schmerzlicher Trauer von ihren Zügen verschwand.

Herr von Grabenow küßte zärtlich die Hände seiner Geliebten, welche sie ihm, halb sich aufrichtend, entgegenstreckte, und setzte sich auf ein Taburett neben sie.

»Wieder trübe Gedanken, meine süße Julia?« sagte er mit weichem Tone, seine Blicke voll tiefen Gefühls in ihre Augen tauchend, indem es fast wie ein Vorwurf in seiner Stimme klang.

»Ich habe dich erwartet,« sagte sie mit einem reizenden Lächeln, »du weißt, Licht und Sonnenschein ist nur bei mir, wenn du hier bist!«

»Teurer Engel,« rief er entzückt, »so verscheuche jetzt wenigstens alle schwarzen Gedanken, denn jetzt bin ich bei dir, um dich heute gar nicht mehr zu verlassen, und ich bin so heiter und glücklich, wir müssen uns heute einen besonders schönen Tag machen!«

»In der Tat, du siehst so freudig und strahlend aus,« sagte sie, das schöne, freie Gesicht des jungen Mannes mit den Blicken liebkosend, »was ist dir Schönes widerfahren?«

»Ich habe meinen König gesehen!« rief Herr von Grabenow mit leuchtenden Augen, »ich war auf dem Nordbahnhofe, wo der König von Preußen ankam! Du weißt nicht,« fuhr er fort, »meine süße Geliebte, was das heißt für einen Sohn meines Vaterlandes, seinen König zu sehen, hier im fremden Lande!«

Sie sah gedankenvoll zu ihm auf, ein leichter Seufzer quoll aus ihren Lippen.

»Sieh,« fuhr er fort, »dort oben in meiner Heimat fehlt jener sonnige Schimmer deines Vaterlandes, es ist nicht die Schönheit des Himmels, des Landes, der blütenreichen Haine, welche unsere Herzen an das Vaterland kettet, das Land ist ernst, die Wälder düster, der Himmel kühl und ohne Farbenzauber, aber was uns durchdringt, erfüllt von Jugend an, das ist der Gedanke eines zu gemeinsamer hoher Arbeit vereinigten Volkes, das in geschlossenen Gliedern, in fester Phalanx sich emporarbeitet unter den Nationen, das in willigem Gehorsam dem Kommandowort seiner Regenten folgt, denn dies Kommandowort heißt immer und immer, heute wie in der Geschichte der Vergangenheit: Vorwärts – aufwärts zum Licht! Und ich denke mir,« fuhr er mit leiserer Stimme fort, »der Strahl des Lichts fällt wohltuender in die Herzen herab, wenn man sich zu ihm heraufgearbeitet hat durch harte und ernste Kämpfe, als wenn er von selbst uns leuchtet in ruhiger Untätigkeit. Diese ganze gemeinsame Arbeit, dies emporstrebende Ringen unseres Volkes aber verkörpert sich für uns in unseren Königen, und darum erblicken wir in ihnen nicht nur den Herrscher, der unser Herr ist, sondern den Priester, der am Altar des Volkes die reine, immer heller erstrahlende Flamme des Volksgeistes erhält und behütet.«

Er hatte lebhaft aus seinem Innern heraus gesprochen. – Julia sah ihn mit träumerischem Blick an. Verstand sie die patriotisch-monarchische Gefühlsaufwallung dieses Sohnes der fernen altpreußischen Küstenlande? Ihre Blicke leuchteten von inniger Teilnahme, verstand sie ihn nicht, so fühlte sie doch, daß ein großes, edles und starkes Gefühl ihn erfüllte, und sie war stolz auf dies Gefühl im Herzen ihres Geliebten, der so anders war als alle die jungen Leute der flüchtig dahinspielenden Welt, die sie kannte, der unter der glatten, eleganten Oberfläche so wunderbare Tiefen voll geheimnisvoll anklingender Poesie in sich verschloß.

Dann ließ sie die Augenlider mit den dunkel schattenden Wimpern herabsinken und flüsterte, indem ein tiefer Atemzug ihre Brust bewegte:

»Eine Heimat – ein Vaterland, o mein Gott!« Und ein glänzender Tränentropfen erschien am Rande ihrer fast geschlossenen Augen.

Langsam beugte sich der junge Mann zu ihr hinüber und trank diesen Tropfen mit seinen Lippen.

Sie richtete sich schnell empor, schlang ihre Arme um seinen Hals und ließ ihren Kopf einige Augenblicke schweigend auf seiner Schulter ruhen.

Dann drängte sie sanft ihren Geliebten zurück, setzte sich ihm gegenüber und sprach, indem sie ihn mit großen, ernsten Blicken ansah:

»Ich habe eine Bitte an dich!«

»Endlich,« rief er glücklich, »endlich einmal! So lange habe ich vergebens darauf gehofft, einen Wunsch von dir zu hören, möchte er mir recht schwer zu erfüllen sein, damit ich mir doch ein kleines Verdienst um meine süße Julia erwerben kann!«

»Es ist eine ernste Bitte, eine sehr wichtige für mich,« sagte sie in fast feierlichem Tone, »und bevor ich sie ausspreche, mußt du mir schwören, sie zu erfüllen!«

»Schwören?« rief er betroffen, »zweifelst du daran? – wenn es in meiner Macht steht –«

»Es steht in deiner Macht!«

»So schwöre ich,« rief er, »bei deinen Augen, bei deinem Herzen, daß –«

»Das genügt nicht!« sagte sie ernst, »meine Augen sind ein vergängliches Ding, und mein Herz –« Sie seufzte tief und schmerzlich.

»Julia!« rief er vorwurfsvoll.

»Du sprachst vorhin,« sagte sie wie einem plötzlichen Gedanken folgend, »von dem Heiligtum deines Volkes, schwöre mir bei deinem Könige!«

»Aber mein Gott,« rief er, »dieser feierliche Ernst, was kann –«

»Schwöre mir,« sagte sie, ihm ihre Hand hinreichend, »ich bitte dich darum!« fügte sie mit liebevollem Blick hinzu.

Herr von Grabenow stand auf, legte seine Hand in die ihrige und sprach mit fester Stimme:

»Ich schwöre bei meinem Könige, deine Bitte zu erfüllen!«

»So höre mich an,« sagte Julia mit einer gewissen Anstrengung, »aber ohne Einwand und Unterbrechung!«

Der junge Mann setzte sich ihr wieder gegenüber, gespannte Erwartung lag auf seinen Zügen.

»Ich will und kann bei meiner Mutter nicht bleiben,« fuhr Julia mit leiser Stimme, aber im Tone fester Entschlossenheit fort, »was bisher wie eine dunkle Ahnung in mir ruhte, ist mir plötzlich zu entsetzlicher Klarheit geworden, sie will mich auf Wege führen, die ich nicht gehen will und kann, ohne dem ewigen Verderben zu verfallen, und auf welche ich doch Schritt für Schritt gedrängt werden würde, wenn ich mich diesem täglichen, langsam umstrickenden Einfluß nicht ein- für allemal entziehe. Meine erste Bitte ist also die, daß du mich sofort hier fortnimmst, heute, morgen, so schnell als möglich!«

»Meine teure Julia!« rief Herr von Grabenow, »in wenigen Tagen soll eine Wohnung für dich bereit sein, ausgestattet mit allem–«

»Ganz einfach und anspruchslos,« unterbrach sie ihn, »aber fern von hier, und niemand darf wissen, wo ich bin; mein armer Vater!« sagte sie schmerzlich, »ich werde ihm später alles mitteilen, er wird traurig sein, aber er wird die Notwendigkeit begreifen. Ich will,« fuhr sie dann mit einem liebevollen Blick auf den jungen Mann fort, »ich will leben und atmen im Genuß meiner Liebe, so lange du hier bist, es ist ja schon eine große Gnade des Himmels, daß er diese reiche Lichtflut von Liebe in mein dunkles und einsames Leben hinabströmen läßt, sie verlöscht alle trüben Erinnerungen der Vergangenheit, sie wirb meine Seele in Zukunft erleuchten, bis sie zur ewigen Klarheit emporsteigt!«

Er ergriff in tiefer Bewegung ihre Hand, sie drängte ihn sanft von sich und hielt mit leicht abwehrender Hand das Wort zurück, welches auf seinen Lippen zu schweben schien.

»Aber kein Dunkel,« fuhr sie fort, »soll später dieses Licht in meiner Seele verhüllen, kein irdisches Bild soll in meinem Heizen leben nach dieser Liebe, die, was auch die Welt sagen mag, so rein ist wie die frisch erschlossene Blume des Waldes, wie die Quelle, die am einsamen Felsenhang dem Schoß der Erde entspringt; dem Dienst des Himmels soll mein Leben geweiht sein, nachdem die Erde ihm das Edelste und Höchste gegeben, was sie zu bieten hat!«

»Julia!« rief er erschrocken.

»Darum,« fuhr sie fort, ohne auf seinen Ausruf zu achten, »darum bitte ich dich, wenn der Augenblick kommt, daß du in deine Heimat zurückkehrst, daß du mich in das Kloster führst, nicht in ein Kloster der träumenden, untätigen Beschaulichkeit, sondern in ein Kloster der barmherzigen, werktätigen Liebe, ich bitte dich, daß, nachdem wir Abschied voneinander genommen haben im heißen Schlagen der Herzen aneinander, unser letzter Abschied stattfinde am Sprachgitter des Klosters, dann wird der Segen des Himmels auf diesem Abschied ruhen, und wenn in unserer Liebe Sünde war, so wird dieser Abschied die Sünde abwaschen von unseren Seelen, ich werde in heiligem Beruf, gestärkt durch meine Erinnerung, Trost und Glück finden, ich werde für dich beten, und meine Gebete werden erhört werden, und du wirst freundlich und ruhig an mich zurückdenken, denn diejenige, die du geliebt hast, wird rein und treu bleiben für ewig und kein irdischer Kummer, keine irdische Unruhe wird das Herz bekümmern, das so heiß für dich schlug, und,« fügte sie hinzu, indem ihre Stimme leise zitterte, »nie für dich zu schlagen aufhören wird, bis es für immer still steht.«

Er sprang auf und ging mit raschen Schlitten durch das Zimmer.

»Julia,« rief er in schmerzlichem Tone, »es ist unmöglich, es kann nicht sein, du vergißt, welche Hoffnungen –«

»Du hast geschworen,« sagte sie ernst und ruhig, »du hast bei deinem Könige geschworen, willst du deinen Schwur brechen?«

»Höre mich, Julia,« rief er, »höre –«

»Willst du deinen Schwur brechen?« fragte sie in demselben Tone.

Er stand schweigend in mächtigem, innerem Kampfe vor ihr.

»Es sei,« sagte er endlich, »es soll geschehen, wie du es willst, aber unter einer Bedingung –«

Sie sah ihn fragend mit dem Ausdruck sanften Vorwurfs an.

»Unter der Bedingung,« rief er, »daß ich dir vor der Ausführung dieses finsteren Entschlusses –«

»Finster?« fragte sie, »würde der Weg, der mir in der Welt zu gehen offen bliebe, ein hellerer sein?«

»Daß du mir erlaubst,« fuhr er, ohne auf ihren Einwurf zu achten, fort, »zuvor dir noch einmal alles zu sagen, was mein Herz, meine Liebe, meine Hoffnung mir eingeben werden, um dich auf andere Gedanken zu bringen.«

»Wozu?« sagte sie sanft. »Dich und mich noch einmal quälen? Doch – es sei,« fuhr sie fort, »ich bin des Sieges auch in diesem Kampfe gewiß.«

Er blickte trübe und traurig zu Boden, voll tiefer Liebe ruhte ihr klarer Blick auf ihm.

Dann aber trat der Ausdruck ruhiger Heiterkeit auf ihre Züge, sie schüttelte leicht den Kopf, wie um alle Wolken zu verscheuchen, die auf ihrer Stirn lagerten, und mit einem Lächeln voll kindlicher Fröhlichkeit sagte sie, zu ihm herantretend und ihre beiden Hände um seinen Arm faltend:

»Nun aber, mein Freund, da wir die Zukunft geordnet haben, wollen wir an die Gegenwart denken, die Gegenwart, die so schön ist, und die ich noch mit vollen Zügen genießen will!«

Er bog ihren Kopf zu sich heran und drückte einen Kuß auf ihre weiße Stirn.

»Ich wollte dir vorschlagen, nach der Ausstellung zu gehen, du hast dich bis jetzt nicht dazu entschließen können, und doch ist so viel Schönes und Wunderbares dort zu sehen, ich hatte gehofft, dich dort zu erheitern, nun hast du mich ganz traurig gemacht!« fügte er mit bewegter Stimme hinzu.

»Du aber hast mich glücklich gemacht durch dein Versprechen,« sagte sie mit anmutigem Lächeln, »und ich will auch von ganzem Herzen heiter sein und mich der Wunder der Weltausstellung freuen; werden wir dort dinieren?«

»So war es mein Plan,« sagte er, »es ist ein vortrefflicher russischer Restaurateur da, welcher eine vorzügliche und höchst originelle Küche führt, deren nationale Gerichte mich ein wenig an meine Heimat erinnern, ich habe meinen Wagen hierher bestellt, da ist er schon,« sagte er, zum Fenster tretend, und einen Blick auf die Straße werfend.

»Ich bin sogleich bereit,« rief sie fröhlich, »meine Toilette soll nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.«

Mit kindlich liebevollem Ausdruck trat sie zu ihm heran und reichte ihm ihre frischen, rosigen Lippen, auf welche er mit inniger Zärtlichkeit einen Kuß drückte.

Dann eilte sie zur Tür ihres Schlafzimmers, nachdem sie eine kleine, hellklingende Glocke bewegt hatte, um ihre Dienerin zu rufen.

Herr von Grabenow blickte ihr sinnend nach, und als ihre schlanke und schmiegsame Gestalt hinter der dunklen Portiere verschwunden war, ließ er sich langsam in einen Fauteuil sinken.

»Es darf nicht sein,« sagte er leise, »dieses junge, frische Leben voll Liebe und Poesie darf nicht in den Mauern eines Klosters verwelken! Freilich – besser wäre es, als daß sie hier allein bliebe in dieser Welt voll Elend und Laster, allein – schutzlos – schlimmer als allein, in den Händen einer solchen Mutter! Und kann ich sie mit mir nehmen,« sagte er nach langem Nachdenken mit dumpfer Stimme, »kann ich ihr den Platz an meiner Seite geben, dessen ihr Herz, ihre reine Seele so sehr würdig ist? Kann ich sie hinführen in meine Heimat, zu meiner Mutter, der die alte, strenge Sitte das Höchste ist auf Erden, zu meinem Vater mit seinem unbeugsamen Stolz auf die Ehre eines makellosen Namens?«

Er stand auf. Hoher, entschlossener Mut leuchtete aus seinem Auge.

»Und doch soll und muß es geschehen,« rief er, »ich kann und will sie nicht verlieren, ich will für sie gegen alle Vorurteile kämpfen, denn sie ist des Kampfes wert!«

Julia erschien wieder, ein graues kurzes Seidenkleid umschloß knapp ihre zierliche Gestalt, ein Fichu Marie Antoinette, diese neue Erfindung der Kaiserin Eugenie, war um ihre Schultern geschlungen, und von dem kleinen, einfachen Hut hing über ihr Gesicht ein weißer Schleier herab, dessen eingestickte Arabesken trotz des leichten Gewebes ihre Züge fast ganz verbargen.

»Ich bin fertig,« rief sie fröhlich, »und nun laß uns schnell hinaus in diese heitere, lachende Welt, die so licht und schön ist!«

Sie nahm seinen Arm; beide eilten mit dem elastischen Schritt der Jugend die Treppe hinab, stiegen in das unten wartende Kupee des Herrn von Grabenow und fuhren schnell durch die belebten Straßen über die Place de la Concorde am Quai d'Orsay hin nach dem mit feenhafter Großartigkeit und Schnelligkeit zum Ausstellungsplan verwandelten Marsfelde.

Es war ein wunderbar schöner Anblick, dieses weite Feld, auf welchem sich der Kunstfleiß, der Reichtum und das bunte Spiegelbild des nationalen Lebens aller Völker der Erde vereinigten.

Hoch und weit erhob sich in der Mitte der gewaltige Rundbau mit seinen im Sonnenlicht funkelnden Glasflächen, in welchem die eigentliche Ausstellung sich befand, und welcher umweht war von den hochragenden Fahnen aller Nationen. Um diesen Mittelbau her lagen weite Wiesenflächen, von Bächen durchrieselt, dichte Boskets und hohe, schattige Baumgruppen, von denen man nicht begriff, wie sie auf die dürre Fläche des Marsfeldes gebracht seien und dort erhalten werden könnten. Dazwischen ragten die Kuppeln der Leuchttürme hoch empor, schlanke Minaretts zeichneten sich am Himmel ab, man sah leichte Schweizerhäuser, den schweren Bau des ägyptischen Palastes, und über all der so bunten, so wechselvollen Szenerie schwebte der große ballon captif, welcher in Intervallen von einer halben Stunde weit hinauf in die Lüfte stieg und an starkem, drahtgewundenem Seil durch die Kraft einer Dampfmaschine wieder herabgezogen wurde. Hinter dem Ausstellungsfelde erhob sich die mächtige vergoldete Kuppel des Doms der Invaliden, umringt von diesem ganzen ungeheuren Paris bis zu dem schon in bläulich dämmernder Ferne aussteigenden Montmartre.

Der Wagen hielt an dem großen, mit den grüngoldenen Farben des Kaisers drapierten Haupteingang gegenüber dem Pont de Jena mit seinen Pferdegruppen.

Herr von Grabenow und Julia stiegen aus, der Wagen suchte seinen Platz in der langen Reihe von Equipagen, welche vor dem Eingänge hielten, denn nur zu Fuß durfte man das Innere der Ausstellung betreten, und die Souveräne allein hatten das übrigens auch von ihnen sehr selten in Anspruch genommene Recht, in den Raum hineinzufahren.

»Wie schön!« rief Julia, indem sie mit ihrem Blick das weite, farbenreiche Bild der Ausstellung und des dahinter liegenden Paris umfaßte und dann ihr Auge hinauf richtete nach den jenseits der Jenabrücke zum Trocadero emporsteigenden mächtigen Steintreppen.

»Ja, es ist schön,« sagte Herr von Grabenow, erfreut Über das kindliche Erstaunen des jungen Mädchens, »es ist kaum möglich, etwas Schöneres und Großartigeres zu sehen, und ich glaube kaum, daß in einer anderen Stadt der Welt Ähnliches so voll Leben und Reiz hergestellt werden könnte, und doch,« fuhr er mit trübem Tone fort, »will es mir jedesmal hier an diesem Eingang wie mit schmerzlicher Beklemmung das Herz zusammenschnüren, wenn ich diese Jenabrücke sehe, die mich an den tiefen Fall meines Vaterlandes erinnert. Unser großer Marschall Blücher,« sagte er halb scherzend, halb ernst, »wollte die Brücke in die Luft sprengen und ersuchte Herrn von Talleyrand, sich vorher darauf zu setzen, vielleicht wäre es besser gewesen, er hatte es getan, die Franzosen hätten dann nicht dieses Denkmal unseres Unglücks vor Augen, das ihnen immer von neuem die Zuversicht gibt, uns meistern zu können.«

»Pfui!« rief Julia scherzend, »ihr Deutsche seid doch alle ein wenig Barbaren; laß die Politik und die Vergangenheit, genießen wir die Gegenwart, so lange sie dauert,« flüsterte sie fast unhörbar mit tiefem, schnell zurückgedrängtem Seufzer.

Und sich an seinen Arm schmiegend, trat sie mit ihm an den Tourniquett, um die Billetts zum Eintritt zu lösen.

Als sie soeben durch den Seiteneingang eingetreten waren, fuhr rasch eine leichte, elegante Equipage auf das große Portal zu. In dem offenen, von zwei zierlichen Pferden gezogenen Wagen sah eine Dame in sehr einfacher, aber eleganter Toilette. Die Züge ihres schönen, heiter lächelnden Gesichts trugen nicht mehr den Ausdruck der frischen Jugend, ohne jedoch eine Spur von den zerstörenden Einflüssen des Alters zu zeigen, blitzend und sprühend von Geist und Mutwillen blickten ihre Augen unter dem kleinen Hütchen mit weißer Feder hervor.

Rasch trat einer der am Eingänge postierten Sergeants de Ville den Pferden, deren Köpfe sich fast schon unter dem grüngoldenen Baldachin befanden, entgegen, und mit jenem schnellen und unbedingten Gehorsam, welchen in Paris in ruhigen Zeiten stets die Organe der öffentlichen Sicherheitspolizei finden, parierte der in würdevoller Ruhe auf seinem Bock sitzende Kutscher die Pferde.

Der Wagen stand unter dem Portal, und neugierig blickte die Dame mit etwas übermütig herausforderndem Blick den Beamten an, der, an Schlag tretend, mit höflicher Bestimmtheit sprach:

»Man passiert nicht, Madame!«

»Und warum nicht?« fragte sie.

»Nur der Kaiser und die fremden Fürsten haben das Recht, mit ihrem Wagen in den inneren Raum zu fahren.«

Ein Blitz von schalkhafter Laune sprühte aus den Augen der Dame, sie maß den Polizeibeamten mit festem Blick von oben bis unten und rief in hochmütig sicherem Tone: »Wohlan, mein Herr, ich bin die Großherzogin von Gerolstein.«

Erstaunt, fast erschrocken trat der Sergeant de Ville vom Wagenschlag zurück, und dann in dienstlicher Haltung stehen bleibend, nahm er seinen Hut ab.

»Allez,« rief die Dame, sich in die Kissen zurücklehnend, und in raschem Trabe fuhr der Wagen die große Allee hinauf dem Rundgebäude der Ausstellung zu.

»Unbezahlbar!« rief Herr von Grabenow.

»Wer war das?« fragte Julia erstaunt.

»Mademoiselle Hortense Schneider, Großherzogin von Gerolstein und Königin des Variététheaters,« sagte Herr von Grabenow lachend, »eine Souveränin, deren Rang und Herrschaft so anerkannt ist, daß der Kaiser Alexander schon von Köln aus sich eine Loge bestellt hat, um sie zu bewundern.«

Julia lächelte. Dann sah sie mit langem, träumerischem Blick dem schon fern dahinrollenden Wagen der lecken Sängerin nach.

»Das ist das glänzende Ende des Weges, den man mich zu gehen zwingen will,« sagte sie leise, »wenn man es erreicht, aber welche Stufen führen zu dieser zweifelhaften Höhe! – ich würde sie nicht übersteigen.«

Und wie um der sich vor ihr öffnenden Gedankenreihe zu entfliehen, zog sie in schnellem Schritt ihren Freund nach dem Innern der Ausstellung hin.

Sie hatten einen Rundgang durch die Räume des Glasbaues gemacht, sie hatten alle diese so treu nachgeahmten Niederlassungen des eigentümlich nationalen Lebens aller Völker durchflogen, welche diesen weiten Plan erfüllten und jedem Fremden einen Platz boten, der ihn mit der Erinnerung an die Heimat begrüßte, und waren endlich in das russische Restaurant getreten, wo sie sich in einer Ecke des eleganten Salons zu einem Diner à la Russe mit verschiedenen Uchas, gepreßtem Kaviar und allen jenen eigentümlichen, aber vortrefflichen russischen Gerichten niederließen, welche ihnen von den Kellnern in der nationalen Kleidung von schwarzem Samt und roter Seide serviert wurden.

Immer mehr war der trübe, träumerische Ernst Julias den bunten, heiteren Eindrücken der wundersam vielgestaltigen Bilder gewichen, in kindlich-heiterem Geplauder sah sie neben ihrem Geliebten, der sie mit entzückten Blicken betrachtete, und als sie einen Kelch jenes leichten Weins der Champagne geschlürft hatte, der an den nationalen Tafeln Rußlands ebenso heimisch ist, wie in dem schönen Lande seiner Entstehung, da funkelten ihre Augen von froher Lebenslust, sie atmete mit vollen Zügen die berauschende Luft der Gegenwart, die graue Vergangenheit vergessend und die langsam heraufziehenden dunklen Wolken der Zukunft.

Der Abend war herabgesunken und dieser ganze Part mit allen seinen Wundern begann sich teils in Schatten zu hüllen, teils mit hellen Gasflammen zu erleuchten.

»Laß uns,« sagte Herr von Grabenow, »bevor wir zurückkehren, noch ein ganz außergewöhnliches Schauspiel aufsuchen, das chinesische Theater, man sieht dort höchst originelle Pantomimen und akrobatische Kunststücke, es ist in der Tat merkwürdig.«

»Laß uns gehen,« erwiderte Julia heiter, »wir müssen heute den Tag vollkommen benützen, morgen gehört der Zukunft,« fügte sie ernster hinzu.

»Morgen werde ich für deine Wohnung sorgen,« sagte Herr von Grabenow, ihr den Sonnenschirm und die Handschuhe reichend, »denn den ersten Teil deiner Bitte, dich von deinen jetzigen Umgebungen zu trennen, erfülle ich mit wahrer Freude.«

Der junge Mann hatte dies in der heiteren Erregung gesprochen, in welche ihn der frohverlebte Tag versetzt, Julia schien durch die Erinnerung an ihr Gespräch vom Morgen peinlich berührt. Ihr Auge senkte sich zu Boden, als sie den feinen Schleier über ihr Gesicht herabzog.

»Wozu jetzt der Schleier?« sagte Herr von Grabenow scherzend, »laß mir den Anblick deines lieben Gesichts, das Publikum sieht dich in diesem Halbdunkel doch nicht.«

Er ergriff scherzend den Schleier und wollte ihn über den Hut zurückschlagen.

»Nein, nein,« rief sie lebhaft und hielt das zarte Gewebe fest.

Er zog sogleich die Hand zurück und bat mit einem Blick um Verzeihung, sie bemerkte nicht, daß der Schleier sich an der einen Seite gelöst hatte und nur noch leicht von einer Blume ihres Hutes gehalten wurde, legte ihren Arm in den seinigen, und beide traten aus der etwas dumpfen Atmosphäre des Restaurants in die freie, würzig laue Abendluft hinaus.

Sie hatten kaum einige Schritte getan, als der junge Mann den Arm seiner Geliebten lebhaft erbeben fühlte.

»Sieh da – da,« flüsterte sie, den Kopf zu ihm erhebend, »jener Mann, dem wir vor einiger Zeit begegnet, er kommt hierher, oh, wie sein Blick mich erfaßt!«

Herrn von Grabenows Auge folgte der Richtung ihres unwillkürlich erhobenen Sonnenschirms und sah wenige Schritte vor sich den Grafen Rivero, der langsam daher geschritten kam und ihn bereits bemerkt haben mußte, denn er blickte lächelnd und mit einer gewissen harmlosen Neugier auf das junge Mädchen an seinem Arm.

Herr von Grabenow fühlte eine leichte Regung eifersüchtigen Mißbehagens und freute sich jetzt, den verhüllenden Schleier nicht von dem Gesichte Julias entfernt zu haben.

Der Graf trat heran und begrüßte den jungen Mann, indem er zugleich mit der feinsten Artigkeit den Hut abnahm und sich vor Julia verbeugte, die seinen Gruß mit einer leichten Neigung des Kopfes erwiderte.

»Ich habe Sie vergeblich auf dem Klub erwartet,« sagte Graf Rivero, »und habe nach dem Diner einen kleinen Ausflug hierher gemacht. Welche Chance, daß ich Sie hier treffe! – ich darf mir kaum die Frage erlauben, ob ich Sie begleiten darf, ich muß fürchten, zu stören.«

Herr von Grabenow wendete sich wie unschlüssig zu Julia, und der Graf richtete mit ruhiger Höflichkeit den Blick erwartungsvoll auf das verschleierte Gesicht des jungen Mädchens. Herr von Grabenow fühlte ein leichtes Zittern ihrer Hand.

»Wir wollen nach dem chinesischen Theater gehen,« sagte sie mit einer durch Verlegenheit gedämpften Stimme, »und ich möchte kein Hindernis sein.«

Der Graf stutzte beim Klange dieser Stimme, da der italienische Akzent seinem Ohr nicht entgehen konnte.

Herr von Grabenow sagte mit vollkommenster Höflichkeit: »Es wird uns also eine Freude sein, wenn Sie uns begleiten wollen, Herr Graf.«

In leichter Plauderei schritten sie weiter. Der Graf Rivero ging zur Seite des jungen Mannes, und obwohl er eine ganz allgemeine Konversation führte, so richtete er doch öfter seine Bemerkungen mehr oder weniger direkt an die junge Dame und veranlaßte sie zu einzelnen kurzen Antworten, bei denen jedesmal ein Ausdruck auf seinem Gesicht erschien, als suche er eine in seinem Innern heraufsteigende Erinnerung festzuhalten.

Sie nahmen ihre Plätze auf den Stühlen des kleinen chinesischen Theaters hinter dem großen Pavillon des Reiches der Mitte. Die Vorstellung hatte begonnen – man sah diese eigentümlichen Gestalten auf der kleinen mit bunten Lampen verzierten Bühne ihre grotesken Pantomimen aufführen, von welchen man wenig begreifen konnte, und welche ein wenig an die burlesken Szenen der kleinen, so beliebten Polichineltheater erinnerten.

Julia saß still und schweigend da, sie hatte ihren Arm in dem des Herrn von Grabenow gelassen und schmiegte sich in der Dunkelheit des Zuschauerraums innig an den jungen Mann an, der zuweilen sanft ihre Hand drückte, der Graf blickte aufmerksam auf das originelle Schauspiel, aber sein Blick schien nach innen gekehrt, und immer lag jener Ausdruck auf seinem Gesicht, als suche er tief und tiefer in seinen Erinnerungen.

Plötzlich trat eine Gesellschaft in lauter Unterhaltung und heiterem Lachen in den Raum.

Es waren mehrere elegante Herren des Jockeyklubs mit einigen Damen jener zweifelhaften Welt des moralischen Halbdunkels, welche hier einen kleinen Streifzug durch die pikanten Abwechslungen der Ausstellung unternommen hatten. Man sah unter ihnen den Herzog von Hamilton, den Vicomte von Valmory, welchen Julia in der Soiree bei Madame de l'Estrada gesehen hatte, auch Madame Pamelas schwarz umzeichnete Augen glänzten in dem Strahl der bunten Lampions.

Herr von Grabenow machte eine Bewegung, um aufzustehen. »Laß uns gehen,« flüsterte er Julien zu, »es sind Bekannte, denen ich nicht begegnen möchte.«

Julia erhob sich, doch gerade diese Bewegung lenkte die Aufmerksamkeit auf sie und ihren Begleiter, der sogleich von den Herren erkannt wurde.

»Ah,« rief der Herzog von Hamilton, »da ist Herr v. Grabenow, den man so selten sieht; man muß also hierher kommen in diesen abgelegenen chinesischen Winkel der Ausstellung, um Sie zu finden! Doch da ist auch zugleich die Erklärung für diese Zurückgezogenheit,« er verneigte sich lächelnd gegen Julia, »ein solches Einsiedlerleben zu Zweien ist zu verstehen.«

Er wendete sich grüßend zum Grafen Rivero, während die anderen Herren den Herrn von Grabenow umringten und Madame Pamela neugierig forschende Blicke auf den Schleier warf, der das Gesicht Julias verdeckte.

»Wir waren im Begriffe, aufzubrechen,« sagte Herr von Grabenow, »ich muß früh zurückkehren –«

»Aber warum verhüllt Ihre schöne Begleiterin so neidisch ihr Gesicht?« rief der Herzog von Hamilton, »das ist nicht recht, schöne Frauen und Blumen müssen alle Blicke erfreuen!«

Julia schmiegte sich ängstlich an ihren Freund, der in ziemlich kaltem Ton erwiderte: »Madame ist nicht ganz wohl und scheut die kühle Abendluft.«

»Sie ist es, ich wette darauf,« sagte Madame Pamela zu ihrem Begleiter, »die Coiffure, der Wuchs, es ist die kleine Italienerin.«

Der Graf Rivero trat an Julias Seite, wie um sie vor der Annäherung der Gesellschaft zu decken, und Herr von Grabenow schickte sich an fortzugehen, seine ernste Miene bewies, daß er nicht geneigt sei, weitere Scherze gut aufzunehmen.

In diesem Augenblick schloß die Vorstellung, das ganze Publikum verließ seine Sitze und drängte nach den Ausgängen zu.

Die Gruppe, welche sich um Herrn von Grabenow gebildet hatte, wurde einen Augenblick dicht umdrängt, da – ohne daß man bemerken konnte, aus welcher Veranlassung – löste sich der Schleier von Julias Hut und fiel zu ihren Füßen nieder, im Lichte der Lampions sah man ihr in tiefem Erröten erglühendes Gesicht.

»Ich hatte recht,« sagte Madame Pamela, ein leiser Ausruf der Überraschung entfuhr dem Vicomte von Valmory.

Der Graf Rivero starrte das entschleierte Gesicht des jungen Mädchens mit einem unbeschreiblichen Ausdruck an. Seine großen, dunklen Augen erweiterten sich und schienen dies so plötzlich vor ihm erscheinende Bild in allen seinen Zügen erfassen zu wollen, dann – dies alles war das Werk einer Sekunde – bückte er sich schnell, hob den Schleier auf und befestigte ihn mit einer Bewegung voll überlegener Autorität wieder auf dem Hut.

»Es ist spät, man wird die Ausgänge schließen,« sagte er dann in festem Tone, »lassen Sie uns gehen.«

Mit ruhiger, aber sehr bestimmt abwehrender Höflichkeit grüßte er die übrige Gesellschaft und schritt Herrn von Grabenow und Julia voran, einen Weg durch das Publikum bahnend. Die anderen machten keinen Versuch, ihnen zu folgen.

»Da haben wir die kleine Prüde,« rief Madame Pamela lachend, »welche bei dieser guten Marquise de l'Estrade so stolz war!«

»Dieser verteufelte Grabenow hat einen vortrefflichen Geschmack,« sagte der Herzog von Hamilton, »wo in aller Welt hat er nur das gefunden? – Wohlan,« rief er dann heiter, »der Abend ist angebrochen, was sagen Sie zu einem kleinen Souper im Café Anglais?«

»Einverstanden – einverstanden!« rief man allgemein.

»De longs soupers – de joyeuses chansons,« trällerte Madame Pamela, und laut lachend und plaudernd machte sich diese ganze Gesellschaft voll sprudelnder Lebenslust auf den Weg nach Paris, um in den glänzenden Salons des Café Anglais bis zum Morgen in rauschendem, herzlosem Jubel Geld, Zeit und Gesundheit zu verschwenden, diese drei Dinge, welche die Jugend so wenig achtet, und welche sich später so hart und unerbittlich für die ihnen bewiesene Verachtung rächen.

Fast schweigend waren Herr von Grabenow, Julia und der Graf Rivero zum Ausgange gelangt.

Von einem der dort wartenden Dienstmänner gerufen, erschien das Coupé des Herrn von Grabenow, der, sich von dem Grafen mit herzlichem Händedruck verabschiedend, schnell einstieg.

Der Graf Rivero ließ auf einer kleinen, goldenen Pfeife, die er aus seiner Tasche zog, einen feinen, aber durchdringenden Pfiff ertönen.

In demselben Augenblick verließ seine leichte Viktoria die bereits sehr wenig zahlreich gewordene Reihe der Equipagen und hielt an seiner Seite.

»Du siehst jenes Coupé, welches soeben dort in der Dunkelheit verschwindet,« sagte der Graf zu seinem Kutscher, »du wirst es nicht aus den Augen verlieren, und wenn es hält, zwanzig Schritte davon halten.«

Er schwang sich leicht in den Wagen. Pfeilschnell schoß auf einen leichten Zungenschlag des Kutschers das ungeduldig schnaubende Pferd dahin und hatte in wenigen Augenblicken das Coupé des Herrn von Grabenow erreicht, dem nun der Wagen des Grafen in gleichmäßiger Bewegung folgte.

Als Herr von Grabenow mit Julia vor dem Hause der Rue Notredame de Lorette ausstieg und sie hinaufführte, hielt der Wagen des Grafen in geringer Entfernung im Schatten der Häuser.

Der Graf stieg schnell aus, und langsam auf dem Trottoir hingehend, blickte er scharf nach der über der Haustür angebrachten Nummer. Dann kehrte er zu seinem Wagen zurück, stieg ein und rief dem Kutscher zu: »Nach Hause!«

»Wäre es möglich,« sagte er in tiefer Bewegung, »daß hier das finstere Rätsel meines Lebens sich löste? – Eine schmerzliche Lösung freilich, aber immer ein hohes Glück im Vergleich mit der schwülen, entsetzlichen Dunkelheit, die mich bisher umgab, denn ich werde die Macht haben, zu sühnen und gutzumachen, was die Sünde an einem unschuldigen Leben verbrochen.«


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