Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Herr von Beust saß nachdenkend in dem Lehnstuhl vor seinem Schreibtisch; der Sektionschef von Hofmann hatte soeben den Vortrag eines der zahlreichen Berichte beendet, welche die neben ihm stehende Mappe enthielt, und blickte erwartungsvoll in das ernste, etwas ermüdete Gesicht des Ministers, der lange schweigend vor sich niedersah.

»Es ist eine sehr unangenehme Wendung,« sagte Herr von Beust endlich tief aufseufzend, »welche dieser immer verlarvte Spieler der Politik gibt, er geht auf dem Throne Frankreichs immer dieselben dunklen Wege, die er verfolgte, um dessen Stufen zu ersteigen! – Ich hoffte,« fuhr er fort, »durch eine vernünftige, in gemäßigter Berücksichtigung des Interesses aller Parteien vorgenommene Revision einzelner Punkte der Verträge über den Orient den dort schwebenden Fragen ihren akut drohenden Charakter zu nehmen und zugleich die für Österreich so verhängnisvoll gespannten Beziehungen zu Rußland besser und freundlicher zu gestalten, diese plötzliche so über alle Grenzen des Möglichen hinausgehende Überbietung unserer Vorschläge von Paris aus verrückt das ganze Spiel und bringt für die Stellung Österreichs gerade das Gegenteil von dem hervor, was ich zu erreichen strebte!«

»Aber gerade diese übertriebenen Propositionen,« warf Herr von Hofmann ein, »lassen ja die ganze Frage sofort wieder von der Oberfläche der Diplomatie verschwinden.«

»Doch der böse Bodensatz für Österreich bleibt zurück,« sagte Herr von Beust kopfschüttelnd, »der Türkei und England gegenüber stehen jetzt wir als diejenigen da, welche die beiden Mächten so unangenehmen Fragen angeregt haben, und Rußland gegenüber müssen wir wieder die Rolle der Verhinderer seiner Wünsche übernehmen, denn wollen wir nicht rund um unsere Grenzen her einen flammenden Brand entzünden, so können wir doch unmöglich die französischen Propositionen uns aneignen. – In den christlichen Vasallenstaaten aber ist die Gärung stärker angeregt als je, so ist,« sagte er, die Lippen des sonst so heiter lächelnden Mundes finster zusammenpressend, »die Gefahr vergrößert und Österreich steht isolierter da als je.«

»Man hätte in Paris vielleicht rechtzeitig darauf aufmerksam machen können,« bemerkte Herr von Hofmann, »was kann denn Napoleon mit einer solchen Politik beabsichtigen, er wünscht ja doch so dringend unsere Allianz?«

»Was er beabsichtigt, ist mir sehr klar,« sagte Herr von Beust, indem ein seines Lächeln über sein Gesicht flog, »er will Österreich jeden Weg zu anderen Allianzen verschließen, er will uns zwingen, mit ihm zu gehen, indem er uns nach allen anderen Richtungen völlig isoliert. Nun, das ist ihm für den Augenblick gelungen, ich will ja auch die französische Allianz,« fuhr er etwas lebhafter fort, »aber auf einer vernünftigen, vor allem auf einer klaren Grundlage, und bis jetzt ist noch nichts klar nach jener Seite. Die endlich glücklich beseitigte Luxemburger Sache –«

»Soeben ist der Bericht eingegangen,« warf Herr von Hofmann ein, »daß die Auswechslung der Ratifikationen des Vertrages nahe bevorstände, sodann wird die Räumung der Festung sogleich beginnen.«

Herr von Beust neigte leicht den Kopf.

»Jedenfalls bewies diese Sache, daß Napoleon, während er uns zu isolieren trachtet, sich selbst nach allen Seiten freie Hand zu halten beabsichtigt, die Freundlichkeit gegen Rußland, diese gleichzeitige Anwesenheit des Kaisers Alexander und des Königs von Preußen in Paris, die öffentliche Meinung sieht dahinter schon eine Allianz,« warf Herr von Hofmann ein.

»Wer weiß,« sagte der Minister sinnend, »die öffentliche Meinung sieht oft schärfer als die Diplomatie. – Vielleicht trifft ihr Instinkt hier weniger die Tatsachen als die Absichten. Ich glaube wenigstens, daß den Ideen des Kaisers Napoleon eine solche Allianz nicht so ganz fern liegen möchte, und gerade das macht mich so vorsichtig und zurückhaltend ihm gegenüber. – Die Allianz mit Frankreich können wir nur auf fester Basis eingehen, und – nicht ohne Italien – und das,« fügte er mit leichtem Seufzer die Achseln zuckend hinzu, »macht noch einige Schwierigkeiten. Doch auch die werden mehr und mehr schwinden, da ja nun die nähere Verbindung der Höfe als gesichert betrachtet werden kann.«

Er sann einen Augenblick nach, indem er die Spitze seines kleinen zierlichen Stiefels betrachtete.

»Immerhin kann ein Versuch nicht schaden,« sagte er dann, diese gleichzeitige Anwesenheit der Souveräne von Rußland und Preußen in Paris zu verhindern – was Österreich vor allem braucht, das ist Vertrauen zu seiner inneren und äußeren Erhebung – und den aus diesem Vertrauen entspringenden Kredit,« fügte er seufzend hinzu, »und wenn jene Zusammenkunft auch nur den Glauben einer bedenklichen Isolierung Österreichs in Europa hervorruft, so tut sie uns schon genug Schaden; man hat von Berlin aus mehrmals den Wunsch betont, ein freundliches Verhältnis herzustellen und alle übrig gebliebene Ranküne aus dem Kriege des vorigen Jahres verschwinden zu lassen, daran können wir ja anknüpfen und den Grafen Wimpffen anweisen, ganz vertraulich einige Bedenken in bezug auf eine gleichzeitige Zusammenkunft der Monarchen von Rußland und Preußen in Paris zu äußern. – Wollen Sie die Güte haben, eine Depesche in solchem Sinne zu entwerfen.«

»Sogleich, Exzellenz,« sagte Herr von Hofmann.

»Aber ganz vertraulich, – nur bei gelegentlicher Unterhaltung darf die Sache berührt werden, wir müssen es vollständig ignorieren können, wenn unsere Vorstellungen keinen Erfolg haben, was ich fast fürchte. – Wenn nur erst irgend eine greifbare Grundlage für eine gemeinsame Politik mit Frankreich geschaffen wäre, wenn der Kaiser nach Paris geht, müssen die wesentlichsten Punkte schon festgestellt sein, sonst wird bei dem versteckten Spiel Napoleons und bei der mißtrauischen Zurückhaltung und der natürlichen schüchternen Verschlossenheit unseres allergnädigsten Herrn die Zusammenkunft erfolglos sein.«

»Wäre es nicht vielleicht besser gewesen,« sagte Herr von Hofmann etwas zögernd, »wenn Seine Majestät vor dem Besuche des Königs Wilhelm und des Kaisers nach Paris gegangen wäre?«

»Nein,« rief Herr von Beust lebhaft, »dann wäre der Besuch ganz erfolglos gewesen, und Napoleons Hintergedanken hätten jede Verständigung unmöglich gemacht. – Der Kaiser muß nach jener Zusammenkunft nach Paris gehen; entweder hat Napoleon dort etwas erreicht, nun, dann sehen wir wenigstens vollkommen klar und können unser Spiel danach einrichten, ober seine Ideen sind ins Wasser gefallen, dann wird er mit bestimmten Propositionen hervortreten, Italien – Italien,« fuhr er fort, »das ist immer der Hauptpunkt, unsere Allianz mit Frankreich kann niemals wirksam sein, solange dies Bindeglied fehlt. – Doch,« fügte er, sich unterbrechend, »der Bericht von Metternich war noch nicht zu Ende.«

»Der Fürst berichtet noch,« sagte Herr von Hofmann, »daß die Rastatter Besatzungsfrage nunmehr Gegenstand eines Depeschenwechsels zwischen Paris und Berlin geworden sei, Eure Exzellenz erinnern sich –«

»Ja,« fiel Herr von Beust ein, »ich wollte meinerseits diese delikate Frage nicht anregen, da ich jetzt durchaus keine unangenehmen Erörterungen mit Preußen wünsche, Napoleon ist ja bei dem Prager Frieden Pate gewesen, mag er zunächst seine gewissenhafte Ausführung überwachen! – Nun? –«

»Frankreich hat,« sagte Herr von Hofmann, »anknüpfend an das Gerücht, baß Preußen die Truppen, welche es aus Luxemburg zurückziehe, nach Rastatt verlegen wolle, in Berlin bemerken lassen, daß es Preußen nicht das Recht zuerkennen könne, eine badische Festung zu besetzen, es stehe das mit dem Wortlaute wie mit dem Geiste des Prager Friedensschlusses im Widerspruch.«

»Und ist eine Antwort erfolgt?« fragte der Minister gespannt.

»Graf Bismarck hat sofort sehr bündig erwidert,« sagte Herr von Hofmann, »daß seine Regierung gegenwärtig nicht die Absicht habe, Truppen nach Rastatt zu legen, daß ihr aber das Recht dazu allerdings kraft des mit Baden abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisses zustehen würde. Dabei hat der preußische Minister zugleich sehr artig, aber sehr bestimmt, hervorgehoben, daß die einzige Macht, welche er zu Interpellationen über die Ausführung der Bestimmungen des Prager Friedens für berechtigt erachten könne, diejenige sei, welche jenen Frieden unterzeichnet habe, nämlich Österreich.«

Herr von Beust nickte mehrmals nachdenkend mit dem Kopf.

»Das ist sein Spiel,« sagte er halblaut, »er will mich hervorlocken, es soll ihm aber nicht leicht gelingen! – und Napoleon –«

»Benedetti ist beauftragt,« fuhr Herr von Hofmann fort, »dem preußischen Ministerpräsidenten zu eröffnen, daß die französische Regierung seinen tatsächlichen Erklärungen gegenüber keine Veranlassung habe, die Frage weiter zu diskutieren, daß sie sich jedoch die Prinzipienfrage vorbehalte. – Der Marquis de Moustier hat dem Fürsten Metternich gegenüber bemerkt, daß es dem Kaiser nicht angemessen erschienen sei, in dieser für den Augenblick praktisch gegenstandslosen Frage weiter zu gehen, da der Besuch des Königs von Preußen in Paris nahe bevorstehe, und es ihm der internationalen Courtoisie zu widersprechen scheine, in einem solchen Augenblick Erörterungen über delikate Prinzipienfragen zu provozieren.«

»Immer doppeltes Spiel und halbe Maßregeln,« rief Herr von Beust, »Sie sehen zugleich, wieviel ihm an diesem Besuch des Königs gelegen ist; das Ende davon wird sein, daß eines Tages die Preußen in Rastatt einziehen werden, dann wird er sich vor der Alternative eines plötzlichen unvorbereiteten Krieges oder der der schweigenden Hinnahme der vollzogenen Tatsachen befinden.«

Er schwieg einige Augenblicke.

»Sie sprachen mir vorgestern,« sagte er dann, »von der hier bei Pichler erschienenen Broschüre L'Autriche à la recherche de la meilleure des alliances. – Ich habe sie gelesen,« fuhr er fort, indem er eine auf seinem Schreibtisch liegende Druckschrift ergriff und flüchtig durchblätterte, »sie ist merkwürdig klar und in elegantem Französisch geschrieben, also zunächst jedenfalls nicht für das hiesige Publikum, sondern für die weiteren Kreise der europäischen Diplomatie bestimmt. Es sind eigentümliche Gedanken, die der Verfasser ausspricht, Abweisung jeder Allianz mit Frankreich, Lösung der orientalischen Frage unter engem Anschluß an Deutschland und in Verständigung mit Rußland, haben Sie eine Spur finden können, woher diese Schrift kommt?«

»Nein, Exzellenz,« fugte Herr von Hofmann, »der Verleger ist vollständig verschwiegen, die Vermutungen schweifen nach allen Richtungen, ich möchte glauben, daß der Verfasser in den Straßen der deutsch-österreichischen Aristokratie, vielleicht gar in Berlin zu suchen sei.«

Herr von Beust lächelte fein.

»Ich möchte ihn in Pest suchen,« sagte er mit einem eigentümlichen Blick, »die Verlegung des Schwerpunktes dorthin würde doch das Resultat seiner Ideen sein. – Nun,« sagte er, »für den Augenblick ist es mir ganz recht, wenn solche Ideen ausgesprochen und diskutiert werden; sie tragen immer ein wenig dazu bei, denjenigen einen Zügel anzulegen, welche uns in übereiltem Vordrängen in eine politische Aktion stürzen wollen und welche die Zeit nicht erwarten können, bis die Pläne reif sind, die in sorgfältiger Vorbereitung allein Österreich wieder zu Kraft und Größe führen können. Lassen Sie immerhin,« fügte er lächelnd hinzu, »in den Journalen die Ansicht aussprechen, jene Broschüre möge wohl von mir inspiriert ober gar geschrieben sein, jedenfalls meinen Anschauungen sehr nahe stehen, das wird den Verfasser ein wenig überraschen. Haben Sie die Güte gehabt,« fragte er dann, »mir die Akten für den Vortrag bei Seiner Majestät zu ordnen? Ich muß zur Burg wegen der ungarischen Krönung.«

»Hier sind sie, Exzellenz,« sagte Herr von Hofmann, einen Aktenfaszikel vor dem Minister auf den Tisch legend.

»Wenn der ganze Ausgleich nur ebenso leicht zu machen wäre als die Krönung!« rief Herr von Beust, »und hat man dann die Ungarn zufrieden gemacht, so fangen die Deutschen an, Schwierigkeiten zu machen, bereits sehen sie mit scheelen Blicken auf den Ausgleich mit Ungarn.«

»Eure Exzellenz wollten ja mit Giskra und Schindler sprechen,« sagte Herr von Hofmann.

»Ich erwarte beide heute,« erwiderte Herr von Beust, »ich muß sie bestimmen, in den inneren Fragen nicht zu drängen, es wird am besten sein, wenn ich einige dieser Parlamentaristen in die Regierung ziehe, dann können sie selbst sich an allen den Schwierigkeiten müde arbeiten, die ihren Forderungen entgegenstehen, doch das geht noch nicht so rasch, vorläufig müssen sie mir freie Hand für den Ausgleich mit Ungarn lassen, ich will ihnen ein anderes Ziel zeigen, das sie beschäftigen soll!«

Durch die Tür, welche nach den inneren Räumen der Wohnung des Ministers führte, hereintretend, meldete der Kammerdiener: »Baron von Gilsa wünscht Eure Exzellenz zu sprechen.«

»Sogleich,« erwiderte Herr von Beust, »der Baron Gilsa ist ein großer Pferdekenner,« sagte er, zu Herrn von Hofmann gewendet, »er wird mir sein Urteil über ein paar Pferde mitteilen wollen, die ich ihn zu besehen gebeten. Sie sehen,« fügte er lächelnd hinzu, »daß ich mich in den Pausen der hohen Politik auch ein wenig mit meinem Stall beschäftigen muß.«

»Eure Exzellenz sind ja in allen Sätteln gerecht,« sagte Herr von Hofmann aufstehend, »ich werde also die vertrauliche Depesche an den Grafen Wimpffen sogleich entwerfen; für jetzt haben Eure Exzellenz keine weiteren Befehle?«

»Ich danke Ihnen,« erwiderte Herr von Beust, erhob sich und verabschiedete sich mit freundlichem Händedruck von dem Sektionschef, der sich durch das äußere Vorzimmer zurückzog.

Baron Beust zog stark die Glocke und einige Augenblicke darauf öffnete der Kammerdiener die innere Tür des Kabinetts für den Baron von Gilsa.

Der Eintretende war ein Mann von etwas über vierzig Jahren, mager und muskulös, das scharf geschnittene blasse, vom Leben etwas mitgenommene Gesicht mit langem, schwarzem Schnurrbart und kleinen, dunklen Augen zeigte einen Ausdruck spähender Beobachtung.

Rasch trat ihm der Minister entgegen.

»Ich habe Sie mit Ungeduld erwartet,« sagte er, »was bringen Sie für Nachrichten?«

»Ich bin heute morgen angekommen,« erwiderte Herr von Gilsa, »und vorgestern abend von Paris abgereist, hier ist ein Brief des Staatsrats Klindworth,« er zog einen versiegelten Brief aus der Brusttasche seines Rockes und reichte ihn dem Minister, der ihn hastig ergriff und das Kouvert aufriß, indem er sich auf seinen Lehnstuhl setzte und Herrn von Gilsa einen Sessel bezeichnete.

Rasch durchflog Herr von Beust die Seiten des Briefbogens.

»Der Staatsrat schreibt mir,« sagte er dann, »daß der Kaiser Napoleon vollständig in der Idee einer Allianz mit Österreich und Italien lebe, doch sei Italien etwas schwierig – was die politische Allianz betrifft; so sehr man dort auch zu einer persönlich freundlichen Gestaltung der Beziehung zu Österreich entschlossen sei, er verweist mich auf eine mündliche Mitteilung, die Sie mir über diesen Punkt machen würden.«

»Der Staatsrat hat mir aufgetragen, Eurer Exzellenz zu sagen,« erwiderte Herr von Gilsa mit einer klaren, aber etwas dumpfen Stimme in sehr bemerkbar hessischem Dialekt, »daß Ratazzi vollständig in den Ideen des Kaisers Napoleon und denen Eurer Exzellenz sei, daß es ihm indes sehr schwer sein würde, den Agitationen der extremen Parteien gegenüber der Idee einer Allianz mit Österreich in der öffentlichen Meinung und dem Parlament, von denen die Regierung sehr abhängig sei, Eingang zu verschaffen, besonders da damit eine Lossagung von der preußischen Allianz und eine feindliche Stellung gegen Preußen notwendig verbunden sei, Preußen aber sei in Italien sehr populär, während man in Österreich, abgesehen von der langjährigen vergangenen Feindschaft, jetzt ganz insbesondere die spezifisch römisch-katholische Macht sehe, welche sich stets allen den Ideen entgegenstellen werde, die für Italien in bezug auf das Verhältnis zu Rom maßgebend bleiben müßten.«

»Nun,« rief Herr von Beust, »und was meint der Staatsrat, daß man tun könne, um in dieser Richtung das Mißtrauen zu beseitigen?«

»Ratazzi meint,« sagte Herr von Gilsa, »daß der sonst so richtige und naturgemäße Gedanke einer Koalition zwischen Österreich, Italien und Frankreich im Publikum und auch in den parlamentarischen Kreisen Italiens leicht Eingang finden werde, wenn von Österreich aus in irgend einer Weise öffentlich klargestellt werden möchte, daß das Wiener Kabinett nicht unter der Herrschaft der Ideen des römischen Papsttums stehe.«

Herr von Beust neigte den Kopf in ernstem Nachdenken.

»Der Kaiser Napoleon teilt diese Ansicht vollkommen,« fuhr Herr von Gilsa fort, »und der Staatsrat ist der Ansicht –«

Herr von Beust erhob schnell das Haupt und blickte gespannt in das gleichgültig ruhige Gesicht des Barons Gilsa, der in so einförmigem Tone sprach, als ob er die unwichtigste und bedeutungsloseste Bestellung machte.

»Der Staatsrat ist der Ansicht, daß ein ernstes und entschiedenes Erfassen der Konkordatsfrage in dieser Richtung von vortrefflicher Wirkung sein würde, man würde, meint er, damit nach zwei Seiten vorteilhaft operieren, indem man im Innern die parlamentarische Opposition beschäftigte und von zu schnellem Vordrängen auf anderen Gebieten abhielte, auch würde dadurch Österreich in der öffentlichen Meinung Deutschlands gehoben werden.«

Herr von Beust stand auf und ging einige Male lebhaft im Zimmer auf und nieder, während der Baron Gilsa ruhig neben seinem Sessel, von dem er sich ebenfalls erhoben, stehen blieb und mit fast gleichgültigem Blick den Bewegungen des Ministers folgte.

»Er hat recht,« sagte Herr von Beust halblaut, »er hat recht – und doch, niemand kann besser als er die ungeheuren Schwierigkeiten kennen, welche auf dem Wege liegen, den er vorzeichnet; – warum,« rief er, vor dem Baron stehen bleibend, »hat der Staatsrat mir über diesen Gegenstand nicht geschrieben? Eine Memoire mit der geistreichen und scharfen Motivierung, welche ihm so sehr zu Gebote steht, wäre mir viel wert, warum sendet ei mir nur diese mündliche Botschaft?«

Ein leichtes Lächeln erschien um den geschlossenen Mund des Barons.

»Ich glaube, Eure Exzellenz kennen die große Abneigung des Staatsrats, sich schriftlich über wichtige Fragen zu äußern. Er pflegt zu sagen, daß das meiste Unheil in der Welt durch Briefe und Mißverständnisse ihres Inhalts entstanden sei.«

Herr von Beust machte wieder einige Schritte durch das Zimmer.

»Ich verstehe,« sagte er leise. – »Scripta manent – er kennt die Schwierigkeiten, darum soll ich allein die Hand an dieselben legen, nun,« sagte er, indem ein Ausdruck von stolzer Willenskraft sein blasses Gesicht erleuchtete und sein Auge sich strahlend öffnete, »ich scheue nicht davor zurück – aber – er soll mir helfen und Farbe bekennen.«

»Halten Sie sich bereit, lieber Baron,« sagte er dann, »bald wieder nach Paris zurückzureisen, ich werde Ihnen einen Brief an den Staatsrat mitgeben und ihn auffordern, zurückzukommen. – Sie werden mündlich besonders darauf dringen, daß er wirklich sogleich abreist. – Was hatte man in Paris für Nachrichten aus Mexiko?« fuhr er fort, »was glaubte man –«

»Die Gefangennahme Maximilians galt für ausgemacht,« erwiderte Herr von Gilsa, »indes glaubte man nicht, daß er eine Gefahr liefe, die ernste Vermittelung Nordamerikas ist zugesagt.«

»Es wäre sehr traurig,« sagte Herr von Beust halb für sich, »wenn eine tragische Wendung dort hinzukäme, um die unsicheren und unklaren Beziehungen zu Paris noch mehr zu verwirren. – Ich danke Ihnen, lieber Baron,« fuhr er fort, sich zu Herrn von Gilsa wendend, in einem Tone, welcher andeutete, daß die Unterhaltung beendet sei. – »Sie –«

»Der Staatsrat hat mir noch einen Auftrag an Eure Exzellenz gegeben,« sagte der Baron mit ruhiger Stimme.

Erstaunt blickte Herr von Beust auf.

»Nun?« sagte er erwartungsvoll.

»Graf Langrand ist in großer Unruhe und Verlegenheit,« sagte der Baron.

Eine Wolke flog über die Stirn des Ministers, er richtete unter den leicht gesenkten Augenlidern hervor den Blick forschend auf das unbewegliche Gesicht des Herrn von Gilsa, der im Tone gleichgültiger Berichterstattung fortfuhr:

»Eure Exzellenz werden sich erinnern, daß die italienische Regierung am 4. Mai den Vertrag mit dem Grafen Langrand über die finanzielle Regelung der Kirchengüterfrage definitiv unterzeichnet hat. – Der Graf hat nun erfahren, daß der Finanzminister Ferrara entschlossen ist, den Vertrag nicht auszuführen, ja schon weit vorgeschrittene Verhandlungen mit Rothschild gepflogen habe. Graf Langrand hat nun zwar seinen Vertreter, Herrn Brasseur, angewiesen, auf das Energischste Protest gegen dies Verfahren zu erheben und eventuell vor die Gerichtshöfe zu gehen, er ist indes vollkommen überzeugt, daß dieser Schritt höchstens zu einem Skandal führen könne, bei welchem die öffentliche Meinung Italiens dennoch auf der Seite Ferrarars stehen würde, daß aber die italienischen Gerichtshöfe niemals die Aufrechterhaltung seines Vertrages aussprechen würden.«

»Aber da müßte doch die französische Regierung durch Ratazzi –« unterbrach Herr von Beust.

»Was von dort aus zu tun möglich, ist geschehen,« sagte der Baron, »Ratazzi aber befindet sich in einer sehr prekären Lage in dieser Angelegenheit und wird kaum wagen können, sich seinem Kollegen in dieser Frage mit äußerster Schärfe entgegenzustellen, wenn er nicht seine Stellung kompromittieren und geradezu gefährden will, deren Erhaltung doch aus andern Gründen so wichtig ist. – Rothschild zwar wird nun wohl das Geschäft schließlich ablehnen, man hat von seiten des Hofes in Paris stark auf ihn eingewirkt, allein schon steht das Haus Erlanger hinter ihm bereit.«

»Aber was kann ich –« rief Herr von Beust.

»Der Staatsrat ist der Ansicht,« fuhr Baron Gilsa fort, »daß bei dem Wunsch der italienischen Regierung, sich mit Österreich gut zu stellen, und bei der in Aussicht genommenen näheren Verbindung der Höfe eine kräftige Einwirkung von hier aus den Hof von Florenz bestimmen könnte, energisch für Langrand einzutreten, der Finanzminister wird vielleicht einer solchen Einwirkung zugänglicher sein als derjenigen von seiten seines Kollegen Ratazzi, mit dem er nicht in besten Beziehungen steht, außerdem aber könnte man eine Pression auf das Haus Erlanger ausüben.

»Ich weiß in der Tat nicht,« sagte Herr von Beust, »wie man von hier aus auf Erlanger wirken könnte, und sehe wirklich nicht –«

»Jedenfalls bittet der Staatsrat,« fuhr Herr von Gilsa fort, »daß Eure Exzellenz tun möchten, was möglich ist, die Unternehmungen des Grafen Langrand haben bedeutende Stockungen erlitten, er rechnete sicher auf die Ausführung des italienischen Vertrages, und wenn diese Hoffnung fehlschlägt, so drohen ihm Verlegenheiten nach allen Seiten, sein Kredit würde erschüttert, er gezwungen werden, ausstehende Forderungen zu realisieren.«

»Der Staatsrat weiß,« sagte Herr von Beust, »wie sehr ich mich für die genialen Unternehmungen des Grafen Langrand interessiere, ich werde über die Sache nachdenken und Ihnen schreiben, was geschehen kann.«

»So erlauben Eure Exzellenz, daß ich mich zurückziehe, um etwas auszuruhen?« fragte der Baron.

Herr von Beust nickte nachdenklich und zerstreut mit dem Kopf und reichte von Gilsa die Hand, der sich mit ehrerbietiger Verbeugung entfernte.

Der Minister ließ sich in einen Lehnstuhl sinken und blickte sinnend mit trübem Ausdruck vor sich hin, die Arme auf die Seitenlehnen gestützt.

»Daß die finanziellen Fragen sich doch immer in die Politik mischen!« rief er seufzend, »es sind wahrlich ohne das schon überall der Schwierigkeiten genug. – In dieser Weise kann ich Langrand nicht helfen, es ist unmöglich, vielleicht kann man ihm in anderer Art zu Hilfe kommen.«

Er blieb schweigend in tiefem Nachdenken sitzen.

Die innere Türe öffnete sich mit leichtem Geräusch.

»Fräulein Gallmeyer fragt, ob Eure Exzellenz sie einen Augenblick empfangen wollen,« sagte der Kammerdiener.

Herr von Beust richtete sich empor, ein heiteres Lächeln flog über seine eben noch so sorgenvollen Züge.

Er zog seine Uhr hervor und sagte mit einem Blick auf dieselbe:

»Es ist schon spät, ich will das Fräulein gerne sehen, aber sagen Sie ihr, daß –«

»Daß die Pepi nicht lange bleiben darf,« rief die heitere Stimme der Angemeldeten, und den Kammerdiener rasch zur Seite schiebend, trat Fräulein Gallmeyer in einfacher Frühlingstoilette rasch ein.

Der Minister erhob sich und reichte ihr freundlich die Hand.

»Ich will Eurer Exzellenz kostbare Zeit nicht lange stehlen,« rief die launige Schauspielerin, deren große, geistvolle Augen vor lustigem Übermut funkelten, »i bin halt nur eben einmal von Pest herübergekommen, um zu sehen, was diese ungezogenen Wiener eigentlich ohne mich anfangen, und da hab' ich denn nicht versäumen wollen. Eure Exzellenz ein wenig an mich zu erinnern. – Sie sind halt immer so gnädig für mich gewesen – und ich fürchte, Sie möchten mich vergessen.«

»Das hat die fröhliche und liebenswürdige Pepi niemals zu fürchten,« sagte Herr von Beust lächelnd, indem er eine Photographie von seinem Schreibtisch nahm und sie dem Fräulein zeigte, die ihr eigenes, heiter und schelmisch unter einem runden, blumengarnierten Hut hervorlachendes Gesicht erkannte. »Sie sehen,« fuhr er fort, »wenn ich ein kurzes Gedächtnis hätte, so würde meiner Erinnerung das Bild zu Hilfe kommen, das freilich nur ein schwacher Ersatz für das lebendige Original ist.«

»Schauns,« sagte die Gallmeyer treuherzig, »das ist recht von Ihnen, Exzellenz, daß Sie das Bild da auf Ihrem Schreibtisch stehen haben, mir graust's ordentlich, wenn ich an all die langweiligen, wüsten Akten denke, die Sie da alle vor sich haben, und an all die noch langweiligeren und wüsteren Menschen, die daher kommen und Sie plagen mit ihren faltigen und staubigen Bureaugesichtern.« – Sie legte ihr Gesicht auf eine so komische Weise in ernste und feierliche Falten, während die blitzenden Augen so mutwillig darüber herstrahlten, daß Herr von Beust in ein lautes Lachen ausbrach.

»Nun sehen Sie,« sagte sie weiter, »da ist's ja wahrhaftig gut, daß Sie dazwischen von Zeit zu Zeit einmal einen Blick auf mein Konterfei werfen können, das bringt Ihnen wieder etwas Humor.«

»Und mit dem Humor kommen die guten Gedanken,« sagte Herr von Beust.

»Ich hoff', Eurer Exzellenz wird der Humor und die guten Gedanken nicht ausgehen, das hab' ich Ihnen halt schon gleich angesehen, als Sie herkamen,« sagte sie ernsthaft, »Sie sind so ganz anders als die andern Exzellenzen und Minister, Sie haben so – so – so etwas Gewisses –«

»Nun und was ist denn dies Gewisse?« fragte Herr von Beust, unendlich belustigt durch das originelle Kompliment, welches ihm auf so besondere Weise hier gemacht wurde.

»Das werd' ich Eurer Exzellenz ganz genau sagen,« erwiderte Fräulein Gallmeyer.

»Das weiß ich nicht,« fiel Herr von Beust lächelnd in noch stärker prononciertem sächsischem Dialekt ein, »sagte man bei mir in Dresden –«

»Doch,« rief Fräulein Gallmeyer, »das weiß ich ganz genau. – Sehen Sie,« fuhr sie fort, »alle die andern großen Herren, die sind so feierlich, so weitläufig, noch weit mehr als man sie auf dem Theater darstellt, die räuspern sich – so« – sie ging mit äußerst komischer Gravität hin und her – »und dann machen sie solche Gesichter, so lang, so würdevoll, und sagen tun sie gar nichts – und denken glaub' ich auch nichts, sie sind halt wie ein Schrank, der immer fest verschlossen gehalten wird, und jedermann glaubt, daß da Wunder was für kostbare Sachen darin sind, wenn man aber mal zufällig dazu kommt, hinein zu sehen, dann ist,« rief sie lachend, »nichts darin, gar nichts, gar nichts als alter Staub!«

Sie schnippte leicht mit den Fingern.

»Eure Exzellenz aber,« fuhr sie dann mit offenem und treuherzigem Blick fort, »das ist ganz etwas anderes, bei Ihnen da stehen alle Schubladen weit offen, jeder kann hineinsehen, denn sie sind alle voll, und ein Wunder ist's, was da für schöne, niedliche, allerliebste Sachen drin sind, mir steht halt der Verstand still, wie Sie so vielen guten Geist und frischen Humor beherbergen können neben all den großen und ernsten Dingen, die Sie in sich haben«

Herr von Beust lachte. »Das werfen mir ja Ihre ernsten Leute mit den feierlichen Mienen so oft vor,« fügte er, »doch Sie machen mich eitel, wenn Sie mir so viel schöne Dinge sagen.«

»Ich sag' Ihnen nichts mehr!« rief Fräulein Gallmeyer, »ich bin auch gekommen,« fuhr sie mit großer Wichtigkeit fort, »um über eine sehr ernste Sache mit Eurer Exzellenz zu sprechen.«

»Damit ich auch ein solches Gesicht mache wie die andern?« sagte Herr von Beust scherzend.

»Nun,« rief Fräulein Gallmeyer, »für einen Augenblick kann's nicht schaden, ich habe eine sehr ernste Bitte an Eure Exzellenz.«

»Die im voraus gewahrt ist,« sagte der Minister artig.

»Versprechen Sie nicht zu schnell, Exzellenz,« rief die Gallmeyer, »denn ich nehme Sie beim Wort!«

Und indem sie zu ihm hintrat, legte sie eine Hand auf seinen Arm, schlug die Augen mit bittendem Ausdruck zu ihm auf und sprach mit eindringlichem Tone:

»Ich bitte, Exzellenz, schaffen Sie mir einen Mann, aber schnell,« rief sie heftig, »lieber heut als morgen, ich muß partout heiraten!«

Herr von Beust fuhr ganz erstaunt zurück.

»Ich begreife in der Tat nicht,« sagte er dann mit heiterem Tone, »wie ich das anfangen sollte, diese schönen Augen werden Ihnen die besten Dienste leisten, wenn Sie in der Tat Ihrer Freiheit Fesseln anlegen wollen.«

»Nicht Fesseln anlegen will ich,« rief Fräulein Pepi mit dem Fuß auf den Boden stampfend, »sondern von Fesseln mich befreien, die mich quälen und ärgern. Sehen Sie, Exzellenz, ich bin am Karltheater engagiert und man will mich nicht loslassen, ich will aber halt in Wien nicht mehr spielen vor diesem undankbaren, boshaften, langweiligen Publikum, was bleibt mir übrig, ich muß heiraten, denn die Heirat hebt den Kontrakt auf nach dem Theatergesetz, dann kann ich fortgehen und in Pest bleiben, wo das Publikum viel artiger ist.«

Herr von Beust warf sich in seinen Lehnstuhl und lachte so herzlich, daß ihm die Tränen in die Augen traten.

»Ich habe,« fuhr Fräulein Gallmeyer noch immer in großer Erregung fort, »immer gelacht über die närrischen Frauenzimmer, die immer durchaus heiraten wollen, wie die Fontelive, die ja jetzt ihren Fürsten hat, und die Grobecker, die ihren spanischen Herzog noch immer nicht ganz festhält, aber jetzt – jetzt will ich auch heiraten, Fürst – Herzog – Bankier oder Unterleutnant, was Sie haben, aber – ich bitt' sehr schön, Exzellenz, schaffen's mir einen Mann, damit der Ascher mich vom Karltheater loslassen muß.«

»Sie werden doch gewiß nicht glauben,« rief Herr von Beust, »daß ich dazu beitragen möchte, Sie von Wien loszumachen, was wollen Sie denn in Pest tun?«

»O da ist's sehr schön!« rief die Gallmeyer, »und,« fuhr sie fort, »wenn ich Eurer Exzellenz einen Rat geben soll, kommen Sie auch dahin, die Wiener taugen nichts und werden gegen Sie eben so undankbar sein wie gegen mich, nehmen Sie die ganze Boutike, Regierung – Parlament – alles, verlegen Sie den Schwerpunkt nach Pest, wie die Zeitungsschreiber sagen, dann werden die Wiener haben, was ihnen gebührt,« sagte sie, die Zähne auf die Lippen drückend.

Herr von Beust wurde ernst und blickte vor sich hin

Der Bureaudiener trat durch die Türe, welche zu dem großen Vorzimmer der Staatskanzlei führte, ein und sagte:

»Herr Doktor Giskra.«

Herr von Beust stand auf.

»Da kommt schon wieder so einer, um Eurer Exzellenz den Humor zu verderben,« rief Fräulein Gallmeyer – »und wann Sie den verlieren, dann schaffen's mir halt meinen Mann nit!«

»Nun,« sagte Herr von Beust, »ich verspreche Ihnen, darüber nachzudenken, Sie müssen aber die Sache auch noch einmal überlegen, jedenfalls sehe ich Sie bald wieder.«

»Ich werde Eure Exzellenz an meine Bitte erinnern,« rief die Gallmeyer, die dargebotene Hand des Ministers ergreifend, »und denken Sie an mich, Sie werden die Undankbarkeit der Wiener noch kennen lernen!«

Rasch verschwand sie durch die innere Türe.

»Die Undankbarkeit,« sagte Herr von Beust gedankenvoll, »wo findet sich denn die Dankbarkeit?« seufzte er, und den Kopf vorgebeugt, den Blick zur Erde gerichtet, blieb er einige Minuten schweigend stehen. Dann hob er das Haupt empor und indem sein Auge den ihm eigentümlichen, heitern und klaren Ausdruck wieder annahm, rief er mit festem Tone:

»Darf ein Staatsmann um Dankbarkeit werben? – Der einzige wahrhaft befriedigende Lohn ist das Zeugnis des eigenen Bewußtseins, getan zu haben, was möglich war, also an die Arbeit, um diesen Lohn zu verdienen. Die kleine, lustige Person hat recht, der Humor ist die Hauptsache, um den frischen Mut zu erhalten, nun, ihr Geplauder hat mir wieder einigen Vorrat von dieser köstlichen Himmelsgabe gebracht; jetzt diesem Manne entgegen, von dem ich hoffe, daß er mein Mitarbeiter werden soll an dem mühsamen Werk der Wiedergeburt Österreichs.«

Er zog die Glocke und nach einigen Augenblicken führte der Bureaudiener den Doktor Giskra in das Kabinett ein.

Der Präsident des Abgeordnetenhauses ergriff mit etwas zurückhaltender Höflichkeit die dargebotene Hand des Ministers und setzte sich demselben auf dessen artige Einladung gegenüber.

Die scharf markierten, geistvollen, aber strengen und etwas an bureaukratische Verschlossenheit erinnernden Züge des liberalen Parlamentsführers, seine etwas enge und knappe Haltung kontrastierten merkwürdig mit dem freien, offenen und lächelnden Ausdruck in dem Gesicht des Herrn von Beust und mit dessen vornehm nachlässiger und degagierter Haltung.

»Ich danke Ihnen herzlich,« begann Herr von Beust die Unterhaltung, »daß Sie so freundlich auf meinen Wunsch einer näheren, persönlichen Verständigung eingegangen sind, ich hoffe, wir werden heute die Grundlagen dafür finden und im fortgesetzten Verkehr immer mehr Ausgangspunkte zu gemeinsamem Wirken für den Ausbau des österreichischen Verfassungslebens gewinnen.«

»Ich bin stets bereit,« erwiderte Doktor Giskra, »dazu die Hand zu bieten; wenn ich in Opposition gegen die frühere Regierung stand, so bin ich darum gewiß kein prinzipieller Gegner der Regierung überhaupt, am wenigsten der Regierung, an deren Spitze Eure Exzellenz stehen und der ich zwei wesentliche Dinge von Herzen zugestehe, das richtige Erkennen und das ernste, feste Wollen. Wo diese Dinge vorhanden sind, muß man auf einen guten Ausgang hoffen, auch wenn die Überwindung hemmender Schwierigkeiten nicht so schnell vor sich geht, als wir wünschen möchten.«

»Ich habe die maßvolle Zurückhaltung, die freundliche Rücksicht auf die schwere Aufgabe der neuen Regierung so vielen traditionell eingewurzelten Anschauungen gegenüber mit großer Freude in Ihrer Präsidentenrede bemerkt und bin Ihnen besonders dankbar dafür,« sagte Herr von Beust verbindlich.

»Eine solche Rücksicht,« erwiderte Doktor Giskra, »entspricht meiner persönlichen Überzeugung und ist mir durch meine Stellung besonders zur Pflicht gemacht, ich möchte indes Eure Exzellenz darauf aufmerksam machen, daß die gleiche Zurückhaltung nicht immer und überall in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses beobachtet werden wird, die Wünsche und Anschauungen, welche ich in vorsichtiger Begrenzung angedeutet habe, dürften von andern Abgeordneten lauter und drängender ausgesprochen werden.«

»Ich habe gewiß nichts dagegen zu erinnern,« sagte Herr von Beust, »im Gegenteil, solche Äußerungen können mir zur kraftvollen Durchführung der Aufgabe, die ich mir gestellt, nur erwünscht sein, nur muß man nicht das Vertrauen zu mir verlieren, wenn die Dinge nicht so schnell vorwärts gehen, als man es wünscht, an der Aktion eines Ministers hängen schwere Gewichte, während die Wünsche der Parlamente in ungehemmten, freien Fluge sich bewegen. – Meine Aufgabe ist wahrlich keine leichte,« fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort, »ich gehöre der Regierung und dem Reiche nicht seit Jahren, sondern nur seit Monaten an, ich bringe nicht jene Spezialkenntnisse mit, welche jedem Minister zur Durchführung der von ihm im großen und ganzen erfaßten Ideen notwendig sind, ich muß mir dieselben erst erwerben, und die Regierungs- und Verwaltungsmaschine, mit der ich arbeiten muß, ist von meinen Ideen wahrlich nicht durchweht, ich finde nicht die richtige Unterstützung, oft leider sogar widerwillige Hemmung,« sagte er seufzend, »um so mehr bin ich auf die Hilfe aller der Männer angewiesen, welche die Zukunft des Reiches mit gleicher Wärme im Herzen tragen, wie ich, welche aber die Lebensbedingungen Österreichs besser als ich kennen müssen.«

»Die wesentlichste Lebensbedingung Österreichs,« sagte Doktor Giskra, »ist in dem einfachen, kurzen Wort enthalten: Nicht rückwärts, sondern vorwärts – und zwar so schnell als möglich vorwärts, denn Österreich ist zu lange rückwärts gegangen oder wenigstens zurückgeblieben hinter dem Geist des Jahrhunderts und dem Fortschritt anderer Staaten.«

»Und dies Programm akzeptiere ich aus vollstem Herzen,« rief Herr von Beust, »und werde nicht zögern, es laut und öffentlich zu bekennen, um es aber ausführen zu können, bedarf ich vor allem des Vertrauens – und leider – leider ist in Österreich der Geist des Mißtrauens heimisch geworden.«

»Und war das Mißtrauen nicht berechtigt?« fragte Doktor Giskra, »allen den Experimenten, allen den wechselnden Regierungen, allen den nicht gehaltenen Versprechungen gegenüber?«

»Doch mir gegenüber, glaube ich,« erwiderte Herr von Beust, »hat es keine Berechtigung.«

»Es ist auch Eurer Exzellenz gegenüber noch nicht hervorgetreten, vollständig verschwinden könnte es aber nur durch die Überzeugung, daß Sie – verzeihen Sie meine Offenheit – nicht eine vorübergehende Regierung bilden, – Es waren immer die Nachfolger,« sagte Doktor Giskra mit Betonung, »welche die Versprechungen ihrer Vorgänger nicht hielten.«

Herr von Beust schwieg einen Augenblick.

»Je fester die Männer des Volkes und des Fortschritts auf meiner Seite stehen,« sagte er dann, »je mehr die öffentliche Meinung, durch die Abgeordneten und die Presse vertreten, mich unterstützen, um so mehr wird die von Ihnen angedeutete Besorgnis an Berechtigung verlieren. – Vor allem,« fuhr er fort, »ist es ein Punkt, in welchem ich des Vertrauens bedarf, das ist der Ausgleich mit Ungarn; daß die Lage der Dinge war, wie ich sie gefunden, das ist doch wahrlich meine Schuld nicht, daß die Wohltaten eines verfassungsmäßigen Staatslebens den so lange verfassungslosen Ungarn gegeben werden, muß jeder freisinnig denkende Mann billigen, und daß dies Verfassungsleben begründet wird aus der Basis der nationalen Autonomie, das liegt eben in den natürlichen, notwendig zwingenden Verhältnissen; auch muß man anerkennen, und ich glaube, ein wenig als ein Verdienst der Regierung anerkennen, daß es gelungen ist, der Krone den Vorteil der freien Initiative zu lassen und die neue Ordnung der Dinge in Ungarn mit einem Ministerium zu beginnen, das sich dort auf die große, nationale Majorität stützt und doch von gut dynastischen, gut österreichischen und gemäßigten Gesinnungen beseelt ist. Wie notwendig der Ausgleich, der befriedigende Ausgleich mit Ungarn war, das zeigt doch in der Tat schon ein Blick auf die Ereignisse der letzten Zeit. – In den Kreisen des Abgeordnetenhauses ist die vermittelnde Tätigkeit der Regierung in dem luxemburgischen Konflikt, welcher so bedenklich den europäischen Frieden bedrohte, anerkannt worden.«

»Wir sind Eurer Exzellenz aufrichtig verpflichtet,« sagte Doktor Giskra, »für Ihre energische Tätigkeit zur Beseitigung jener Gefahr, über welche Sie uns Mitteilung gemacht haben.«

»Nun,« rief Herr von Beust, »kann man denn glauben, daß eine vermittelnde Macht in einer solchen Frage ihren Zweck dadurch erreichen könne, daß sie in mehr oder weniger gelungenen Noten den streitenden Parteien die Vorzüge des Friedens und die Nachteile des Krieges zu Gemüte führt, oder vielleicht eine glückliche Formel für die Lösung der streitigen Frage aufstellt? – Nein – der Haupthebel liegt doch nur darin, daß der vermittelnde Staat ein Faktor in den Berechnungen des Krieges und Friedens ist – und wären wir das gewesen, wenn wir eine brennende, offene, innere Frage gehabt hätten?«

»Dieser Vorteil des getroffenen Ausgleichs wird auch gewiß nicht verkannt,« sagte Doktor Giskra mit einer gewissen Zurückhaltung.

»Dennoch aber,« rief Herr von Beust, »sehen die Deutschen scheel auf diesen Ausgleich, sie befürchten eine prädominierende Stellung des nationalen, ungarischen Elementes im Reich, kann man denn von mir,« fuhr er fort, »von mir, dem Deutschen von Geburt und Gesinnung, voraussetzen, daß ich das deutsche Element vernachlässigen und Zurückstellen könnte, daß ich darauf verzichten würde, Österreich von Deutschland auch innerlich zu entfremden, wie es äußerlich davon losgerissen ist?«

Doktor Giskra blickte einige Augenblicke schweigend zu Boden.

»Exzellenz,« sagte er dann, »ich will Ihnen meine Anschauung dieser Frage offen aussprechen, ich glaube, sie ist auch diejenige meiner Freunde und Parteigenossen. – Tiefer Schmerz erfüllt mich,« sprach er mit wärmerer Betonung, »über die Trennung des vielhundertjährigen Verbandes zwischen Österreich und Deutschland, dieses Verbandes, der nicht ein politischer war, sondern ein nationaler, denn wir waren Fleisch vom Fleische Deutschlands und Blut von seinem Blut, bevor die Fürsten des Hauses Habsburg Könige von Ungarn wurden, ich kann nicht schwer genug die Politik verurteilen, welche den törichten Krieg des vorigen Jahres mit seinen entsetzlichen Folgen herbeigeführt hat.«

Herr von Beust senkte den Blick zu Boden und spielte leicht mit den Fingern auf der Lehne seines Sessels.

»Darum,« fuhr Doktor Giskra fort, »wünsche ich, daß die verhängnisvollen äußeren Folgen des unglücklichen Krieges nicht zugleich verhängnisvoll werden für die innere Entwickelung Österreichs, daß der innere Zusammenhang mit Deutschland, der Zusammenhang in Fleisch und Blut nicht ebenfalls zerrissen, sondern im Gegenteil fester und lebendiger gemacht werde durch den Geist der Freiheit.«

Herr von Beust nickte mehrmals schweigend mit dem Kopf. »Ich freue mich,« sagte Doktor Giskra, »über die parlamentarischen Rechte, welche man den Ungarn gegeben, meine Partei und ich, wir widerstreben dem politischen Dualismus durchaus nicht, nur halten wir es für unsere Aufgabe, bei der finanziellen Auseinandersetzung mit Ungarn das schärfste Augenmerk auf die Interessen und Rechte der zisleithanischen Provinzen zu richten, Ihre Freiheiten und autonomen Rechte gönne ich den Ungarn also ohne Rückhalt – aber ich will dieselben Lebensbedingungen auch für das deutsche Österreich, denn,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »nicht durch die Gewalt der Waffen wird Österreich seine Stellung in Deutschland wieder erringen, sondern durch die Gewalt des Geistes, und wenn der deutsche Geist, der Geist wahrer Volksfreiheit mächtig durch das öffentliche Leben Österreichs weht, dann – dann allein wird Österreich den ihm gebührenden Platz in Deutschland wieder gewinnen, den keine Heeresmacht und keine Fürstenpolitik wird ihm denselben streitig machen!«

In rascher Bewegung beugte sich Herr von Beust vor und ergriff die Hand des Redenden.

»Sie sprechen aus meiner Seele!« rief er lebhaft, »wenn wir so einig über das Ziel sind, sollten wir nicht gemeinsam die Mittel finden, es zu erreichen? – Sie haben,« fuhr er fort, »im Abgeordnetenhause bereits ein ziemlich eingehendes Programm über die nächsten politischen, nationalen und volkswirtschaftlichen Aufgaben des Parlaments und der Regierung entwickelt, würden Sie nicht geneigt sein, dies Programm mit den Modalitäten seiner Ausführung auszuarbeiten? – ich bin überzeugt, daß wir darin die Basis eines gemeinsamen Wirkens und Arbeitens finden werden.«

»Ich bin dazu bereit,« erwiderte Doktor Giskra, »doch ist das Programm, das ich im Abgeordnetenhause in großen Zügen entwickelt habe, nicht vollständig, es fehlt ein wesentlicher, wichtiger Punkt, den ich dort nur andeutend berührt habe und der doch der Angelpunkt alles dessen ist, worauf nach meiner Überzeugung Österreichs Zukunft erbaut werden muß. – Sie sehen, Exzellenz,« fügte er mit leichtem Lächeln hinzu, »wie sehr ich geneigt bin, stets die weiteste Rücksicht auf die Schwierigkeiten zu nehmen, von welchen die Regierung sich umgeben sieht.«

»Und dieser Punkt ist?« fragte Herr von Beust.

»Das Konkordat,« erwiderte Doktor Giskra mit festem Tone.

– »Dieser unglückselige Vertrag – der für das österreichische Volk kein Vertrag, sondern ein Gesetz ist, lähmt die Regierung in ihrem Streben nach freieren Bahnen, er gibt den Geist des österreichischen Volkes in die Hände Roms, das heißt einer fremden Macht, das heißt einer Macht der Finsternis und der Stagnation! Das Protestantenpatent,« fuhr er fort, »dieser allerhöchste Akt, durch welchen Österreich mit einer finstern Vergangenheit brechen wollte, ist nicht nur nicht durchgeführt, sondern in letzterer Zeit auch in seinen Hauptgrundsätzen verletzt! Das Recht, Volksschulen zu gründen, ist durch manche bureaukratische Mittel illusorisch gemacht, die protestantischen Gemeinden werden nach wie vor zu Beitragsleistungen für katholische Kultuszwecke angehalten, die Praxis in Beziehung auf das Reverswesen bei gemischten Ehen erinnert an die dunkelsten Zeiten einer finstern Vergangenheit, das versprochene Gesetz zur Regelung der interkonfessionellen Verhältnisse ist ausgeblieben, das Religionsedikt ist im Reichsarchiv begraben – und das alles ist die Folge dieses unglückseligen Konkordats. Man spricht jetzt so viel in Österreich von Intelligenz und Freiheit; so lange das Kondordat den Geist Österreichs unter die Herrschaft Roms gibt, kann die Intelligenz nimmer erwachen und nimmer die Freiheit erblühen, darum hallt es in ganz Österreich, im ganzen Volke wieder: das Konkordat muß aufgehoben werden, diese Fessel muß fallen, sonst gibt es kein Heil.«

Doktor Giskra hatte bewegt und lebhaft gesprochen.

»Das, Exzellenz,« sagte er nach einem augenblicklichen Schweigen, »ist der Ausgangspunkt eines jeden Programms, das ich aufstellen könnte, und um in fester, aufrichtiger und ehrlicher Verbindung mit der Regierung zusammenzuwirken, müßte ich ihres ehrlichen, festen und nachhaltigen Willens in dieser Richtung vergewissert sein.«

»Ich bin Protestant,« sagte Herr von Beust, als Doktor Giskra schwieg, »in einem protestantischen Lande geboren und in protestantischem Geiste erzogen, es ist darum überflüssig, Ihnen zu sagen, wie sehr ich mit allem übereinstimme, was Sie soeben gesagt, allein eben weil ich Protestant bin, stehen mir gerade in dieser Frage besondere Schwierigkeiten entgegen. – würde nicht,« fuhr er fort, »die ganze katholische Geistlichkeit und alles, was unter ihrem Einflusse steht, jede Initiative von mir als einen Angriff des Protestantismus gegen die katholische Kirche als solche bezeichnen, und würde nicht eine solche Auslegung gerade mir gegenüber an maßgebender Stelle – Sie wissen, wie sehr der Kaiser persönlich gläubig strenger Katholik ist – würde jene Auslegung bei ihm nicht mir gegenüber weit leichter Eingang finden, als wenn ein katholischer Österreicher an der Spitze der Regierung stünde, würde es mir nicht ungleich schwerer sein, solche Auslegung zu entkräftigen, als einem Katholiken? – Außer dieser persönlichen Schwierigkeit liegt noch eine besondere Verwicklung der Frage darin, daß das Konkordat seiner Form nach ein völkerrechtlicher Vertrag ist.«

»Bei welchem Österreich das getan hat, was die alten Römer so treffend mit dem Worte bezeichneten: ruere in servitiem!« rief Doktor Giskra mit bitterem Tone.

»Wahr – sehr wahr,« sagte Herr von Beust, »allein über diesen Vertrag hinweg auf dem Boden der Gesetzgebung vorzugehen, denn freiwillig wird Rom das Konkordat nicht aufgeben – das wird mir abermals sehr viel schwerer werden, als jedem andern, der nicht in den Verdacht prinzipiell konfessioneller Feindschaft gegen die katholische Kirche gebracht werden könnte.«

»Und darum wollten Eure Exzellenz vor dieser Aufgabe zurückstehen?« fragte Doktor Giskra, »all Ihr Wirken schon in seinem Beginn zur Erfolglosigkeit verurteilen? – denn nie kann von einer Wiedergeburt Österreichs die Rede sein, so lange nicht die freie Regung des Geistes von den Fesseln des Konkordats befreit ist!«

»Gewiß will ich nicht zurückstehen,« rief Herr von Beust, »nicht die persönliche Anfeindung schreckt mich, ich bin sie gewohnt und werde sie später dennoch genug zu tragen haben, aber ich möchte der Sache selbst nicht neben den großen Schwierigkeiten, die sie schon an sich bietet, noch besondere Hindernisse bereiten durch meine persönliche Initiative. – Wenn aus dem Abgeordnetenhause –«

»Die Initiative wird kommen,« rief Doktor Giska, »um so kräftiger und entschiedener, wenn man weiß, daß dadurch die Regierung, daß Eure Exzellenz dadurch unterstützt werden! – Doktor Mühlfeld – der Generalsuperintendent Schneider werden mit feurigem Eifer die Sache wieder und immer wieder zur Sprache bringen.«

»Dann ist meine Aufgabe vorgezeichnet,« sagte Herr von Beust, »eine Frage, die das Abgeordnetenhaus aufnimmt und der Regierung entgegenbringt, muß ich ernsthaft erfassen. – Wir sind also,« fuhr er lächelnd fort, »auch über diesen besonderen Punkt Ihres Programms völlig einig.«

»Und wenn Eure Exzellenz nichts weiter für Österreich tun, als den Geist des Volkes von der lethargischen Fessel des Konkordats zu befreien, so wird Ihr Name für immer in Österreich gesegnet sein.«

»Sie würden nun also kein Bedenken tragen, mit mir in aufrichtiger und fester Verbindung an der Heilung des kranken Staatskörpers zu arbeiten?« fragte Herr von Beust, indem der Ausdruck ruhiger Befriedigung aus seinen klaren Augen strahlte.

»Keines,« erwiderte Doktor Giskra, »wenn Eure Exzellenz das, was Sie mit mir für recht erkannt, fest und unbeirrt durchzuführen entschlossen sind.«

»Das bin ich,« sagte Herr von Beust. – »Ich habe,« fuhr er nach einem kurzen, sinnenden Schweigen fort, »immer die stille Hoffnung gehegt, daß es mir gelingen möchte, mich nicht nur mit den liberalen Parteien – der bisherigen Opposition – zu verständigen, sondern auch die eminenten Kräfte, welche sich innerhalb dieser Parteien bisher in einer fruchtlosen Negation verzehrten, heranziehen zu können zu wirkungsvoller Tätigkeit in der Regierung. Indem ich mit Ihnen gesprochen habe,« fuhr er mit verbindlicher Neigung des Hauptes fort, »ist diese Hoffnung lebhafter als je geworden, mehr als je wünschte ich zum Heile Österreichs, mich, den Fremden, den das allerhöchste Vertrauen mit so schwerer Aufgabe beehrt hat, mit den ersten und besten Geistern des Reiches zu umgeben, sollte meine Hoffnung mich täuschen?«

»Halten Eure Exzellenz es für möglich, das durchführen zu können?« fragte Doktor Giskra ein wenig erstaunt, »ein parlamentarisches Bürgerministerium in Österreich?«

»Ich bin von dem freien und hohen Sinne unseres allergnädigsten Herrn so tief überzeugt, daß ich keinen Zweifel daran hege, wenn die – Bürger – das Parkett des Hofes betreten wollen.«

Ernst und einfach antwortete Doktor Giskra: »Ich kenne den Ehrgeiz nicht, der nach äußerem Glänze strebt, wohl aber denjenigen, welcher wünscht, seinem Vaterlande so kräftig und wirksam als möglich zu dienen, und wenn meine Gesinnungen und Ziele die allerhöchste Billigung finden sollten, so würde ich stets bereit sein, in die Regierung einzutreten.«

»Und Ihre politischen Freunde?« fragte Herr von Beust.

»Ich glaube, daß ich unter ihnen bereite und geeignete Männer finden würde, Herbst zum Beispiel, doch es kommt dann noch eine Frage in Betracht,« fuhr er fort, »wie weit nämlich das Herrenhaus imstande sein wird, sich den Forderungen der Zeit anzuschließen, haben Eure Exzellenz darüber eine Fühlung gewonnen?«

»Der Fürst Auersperg,« sagte Herr von Beust, »der erste Kavalier des Reiches, wie man ihn nennt, und mit Recht, ist tief durchdrungen von der Notwendigkeit einer freieren Bewegung und sein Einfluß ist groß.«

»Der Fürst hat in der Tat bei der Eröffnung des Herrenhauses in großen Zügen ein meisterhaft entworfenes Bild der Lage des Reiches und der Aufgaben des Reichsrats entrollt,« sagte Doktor Giskra, »wenn sein Einfluß vom Hofe unterstützt wird, so läßt sich ein fruchtbares Zusammenwirken mit dem Herrenhause als möglich denken.«

»Nun, so erfassen wir denn mit Mut und Vertrauen unsere Aufgabe, denken Sie nach über die Männer, welche Sie um sich versammeln möchten, ich werde nach anderer Richtung das Terrain vorbereiten, und ich hoffe, in nicht zu langer Zeit soll dem Schoße des neugeborenen, öffentlichen Lebens die neue Regierung Österreichs entsteigen, welcher Sie im voraus den schönen, edlen Namen des Bürgerministeriums gegeben haben.«

Doktor Giskra stand auf und drückte kräftig die dargebotene Hand des Herrn von Beust.

»Dann wird diese Stunde keine verlorene sein für mein österreichisches Vaterland,« sagte er mit warmem Tone.

Herr von Beust begleitete ihn zur Türe.

»Ich hoffe,« sagte er, »es wird gelingen, mich mit diesen Männern zu umgeben und in dem Reichsrat feste Stützen zu gewinnen, dann,« flüsterte er lächelnd, »wird der Schwerpunkt auch hier noch immer stark genug sein, um das Gegengewicht gegen Pest zu halten, und man dürfte meine Erbschaft nicht so leicht und so bald antreten, als man es vielleicht hofft. Doch jetzt zum Kaiser!« rief er, ordnete seine Papiere in ein großes Portefeuille und zog die Glocke. »Die kleine Uniform und den Stephansorden!« befahl er dem eintretenden Kammerdiener und begab sich in sein Toilettenzimmer.


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