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Die erste Begrüßung der Kaiser von Österreich und Frankreich in Salzburg hatte stattgefunden, und alle Zeitungen waren voll von der Beschreibung des Empfangszeremoniells und des Diners am Abend des ersten Tages, bei welchem der Kaiser Franz Joseph persönlich dem Fürsten Richard Metternich den Orden des Goldenen Vließes überreicht hatte, wo er ihm seine Anerkennung ausgedrückt für die Verdienste, die er um die guten Beziehungen der beiden Höfe sich erworben.
Der Kaiser Napoleon hatte, den Sinn dieser Auszeichnung in ostensiblem Verständnis erfassend, dem Kaiser von Österreich dafür, als für eine ihm selbst erwiesene Artigkeit, gedankt, und damit der ganzen Begegnung noch um einen Grad mehr den politischen Stempel aufgedrückt. Daneben berichtete man ausführlich von der Begegnung der Kaiserinnen, über die Toiletten der hohen Damen, über den Spazierstock der Kaiserin Eugenie, über den Hund der Kaiserin von Österreich und über alle jene tausend kleinen Details.
Kurz, das Schauspiel, welches sich vor den Augen Europas vollzog, war in vollem Gange. In der alten Bergstadt, umragt von den mächtigen Alpen, entwickelte sich das ganze bunte und geschäftige Treiben zweier großer Höfe, welches den eigentlichen Kern des Lebens der Souveräne wie mit einer glänzenden Wolke verhüllt, die profanen Blicke ablenkend auf kleine und unscheinbare Äußerlichkeiten.
Der Herzog von Gramont mit seiner zahlreichen Dienerschaft bewohnte das Hotel de l'Europe. Nicht wenig Neugierige drängten sich vor der Tür des Hotels, der glänzenden Auffahrt des französischen Botschafters beizuwohnen.
In später Abendstunde, wenn alle Festlichkeit zu Ende war, versammelte sich noch ein ziemlich zahlreiches, neugieriges Publikum vor den weitgeöffneten Fenstern der Wohnung des Fürsten Metternich, um den wunderbaren Phantasien zu lauschen, welche der Sohn des großen österreichischen Staatskanzlers auf seinem Piano in die laue Sommernacht hinausklingen ließ.
Die Kaiser selbst sah man wenig öffentlich, außer wenn sie, rasch durch die Straßen fahrend, sich zu den im Programm festgestellten Ausflügen der Umgegend begaben. Und inmitten all dieses glänzenden Treibens zog nur noch die Gestalt des Reichskanzlers Freiherrn von Beust die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, wenn man diesen Staatsmann, von dessen Tätigkeit alle Welt so große Dinge für die Zukunft Österreichs erwartete, in seiner, vielleicht ein wenig absichtlichen Einfachheit und Nonchalance zu Fuß durch die Straßen gehen sah.
In der frühen Morgenstunde nach dem ersten Tage seines Aufenthalts in Salzburg saß der Kaiser Napoleon bereits völlig angekleidet in dem Salon seines Appartements in der Residenz. Er hatte seinen Tee genommen und lehnte etwas müde und abgespannt in dem reichen Lehnsessel, den er in die Nähe des Fensters gezogen hatte. Der feine Duft seiner Zigarette erfüllte das Zimmer, und der Kaiser hörte aufmerksam den Worten des Herzogs von Gramont zu, welcher vor ihm saß und soeben eine längere und lebhafte Auseinandersetzung beendet hatte.
»Sie glauben also wirklich, mein lieber Herzog,« sagte der Kaiser, »daß es nicht möglich sein wird, in Gemeinschaft mit Österreich eine Aktion zu beginnen, welche Frankreich das wiedergibt, was wir durch die gezwungene Untätigkeit des vorigen Jahres verloren haben?«
»Ich glaube nicht an die Möglichkeit einer solchen Aktion, Sire,« erwiderte der Herzog, »wenigstens nicht für jetzt, schwerlich nach einem vorbereiteten Plane. Das ganze Programm des Herrn von Beust ist ein passiver Widerstand gegen die preußische Machterweiterung. Er will Garantien finden für die Aufrechterhaltung des Prager Friedens, der ja doch bereits in seinen wesentlichen Grundprinzipien verletzt ist. Er glaubt Preußen dadurch zu einer Aggression zu bewegen, welche alle Kabinette Europas zu Gegnern des Berliner Hofes machen würde. Er täuscht sich darin, wie in den meisten seiner zu feinen Berechnungen, welche theoretisch vielleicht richtig, praktisch aber unausführbar sind. Ich kann Eure Majestät nur wiederholt meine Ansicht dahin aussprechen, daß, wenn auch Österreich, wozu man indes bis jetzt noch nicht geneigt ist, die bestimmtesten und bindendsten Verpflichtungen zu einer gemeinsamen Aktion eingehen wollte, dennoch die eigentümliche Geschicklichkeit dieses vielgewandten Staatsmannes Mittel finden wird, seine Tätigkeit und Mitwirkung von dem ersten Erfolge unserer Aktion abhängig zu machen. Immer wird Frankreich die Rolle des ersten Handelns allein zufallen und,« fügte er hinzu, mit der Hand leicht über seinen kleinen Schnurrbart streichend, »ich muß Eurer Majestät aufrichtig bekennen, daß mir diese Rolle für Frankreich als die passendste und auch als die klügste erscheint. Ich halte die französische Macht für stark genug, nötigenfalls auch allein ihren Willen in Europa zur Geltung zu bringen, und warum sollten wir die Früchte unserer Anstrengungen zu teilen gezwungen sein? Gegen uns kann und wird Österreich niemals stehen, für uns eintreten wird es aber nur dann, wenn wir siegreich sind, warum also unter solchen Verhältnissen uns die Fesseln einer vorher stipulierten Allianz auferlegen?«
Der Kaiser hatte schweigend zugehört, ohne daß sein Blick einen Moment aus der schleierhaften Verhüllung seiner Augenlider hervorgetreten wäre. Er kräuselte leicht seinen Schnurrbart und sprach nachdenklich:
»Wenn es sich aber um eine deutsche Frage handelt, und schließlich liegt doch die ganze Zukunft Europas in der Gestaltung der deutschen Zustände eingeschlossen, so bedürfen wir der Allianz Österreichs und seiner tätigen Mitwirkung für das deutsche Nationalgefühl. Die Fürsten Süddeutschlands werden schwere Bedenken haben, sich Frankreich anzuschließen, während sie gewiß gern einem österreichischen Vorgehen folgen möchten.«
»Ich muß mir erlauben, es auszusprechen, Sire,« erwiderte der Herzog von Gramont, »daß ich diese Meinung Eurer Majestät nicht zu teilen imstande bin. Ich bezweifle es überhaupt, ob die Könige von Bayern und Württemberg nach den Erfahrungen des vorigen Jahres und nach den drohenden Beispielen, welche die Annektierung von Hannover und Hessen ihnen gegeben hat, sich, ohne einen großen Erfolg vor Augen zu haben, je wieder zu einem militärischen Widerstande gegen die norddeutsche Übermacht entschließen werden. Jedenfalls werden sie dies am leichtesten tun, wenn sich ihnen der Schutz einer starken Macht wie Frankreich bietet. Österreich,« fügte er achselzuckend hinzu, »dürfte ihnen wenig Vertrauen einflößen zu nochmaligen Experimenten, bei welchen ihre Kronen aufs Spiel gesetzt würden.«
Der Kaiser schüttelte zweifelnd das Haupt.
»Sie rechnen nur mit der politischen Klugheit,« sagte er, »doch kommt hierbei noch sehr wesentlich ein Faktor in Frage, das ist das deutsche Nationalgefühl, welches jeder Verbindung deutscher Staaten mit uns entgegenstehen wird.«
Der Herzog zuckte mit leichtem Lächeln die Achseln.
»Sie kennen die Deutschen nicht,« sagte der Kaiser, den Kopf leicht zur Seite neigend, »wie ich sie kenne. Ich habe in Augsburg Erinnerungen meiner Jugend wieder emporsteigen gefühlt. Dies deutsche Volk ist merkwürdig in seiner fast lethargischen Gleichgültigkeit, so lange es nicht durch irgendeine große Idee erwärmt und angeregt wird. Diese große Idee aber, die Idee der nationalen Einheit und Kraft, ist jetzt vorhanden und durchdringt das Volk in allen seinen Teilen. Man darf heute mit dem deutschen Volke nicht mehr rechnen, wie mein Oheim es konnte, als mit einem willenlosen Element, das sich schweigend den Verhältnissen unterwirft. – Doch,« fuhr er abbrechend fort, »das sind Konjekturen, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit die Zeit zeigen wird. Ich hoffe, daß der König von Bayern heute oder morgen hierher kommt, es wird nicht schwer sein, auf den Geist dieses jungen Fürsten Einfluß zu gewinnen. Auf der Reise hierher war er sehr zurückhaltend, es war mir kaum möglich, ein ernstes und eingehendes Gespräch mit ihm zu führen.«
»Und glauben Eure Majestät,« fragte der Herzog, »daß der König von Bayern wirklich hierher kommt?«
»Zweifeln Sie daran?« fragte der Kaiser, indem sein plötzlich klar hervortretendes Auge sich voll Verwunderung auf den Herzog richtete. »Der Kaiser Franz Joseph hat ihn eingeladen, ich habe ihm selbst den Wunsch ausgedrückt, ihn noch hier zu sehen.«
»Es wäre fast eine Unhöflichkeit, wenn er nicht käme, und doch, Sire,« sagte der Herzog von Gramont, »glaube ich es nicht. Ich habe es stets,« fuhr er fort, gleichsam dem forschenden Blick des Kaisers antwortend, »für meine Pflicht gehalten, zum Verständnis der Situation in Wien mir ein wenig Fühlung mit den süddeutschen Höfen zu erhalten, und was ich von München gehört habe, läßt mich sehr daran zweifeln, daß Bayern geneigt sei, eine Rolle in den Kombinationen des Herrn von Beust zu spielen.«
Der Kaiser blickte finster vor sich nieder und warf das ausgebrannte Ende seiner Zigarette zu Boden.
»Und wenn Sie recht hätten,« fragte er dann mit dumpfem Tone, »was würde die Allianz dieses Österreichs bedeuten, wenn es nicht einmal die Macht hätte, die Staaten Süddeutschlands in seine politische Aktion hineinzuziehen?«
Er saß einige Sekunden in schweigendem Nachdenken.
»Ich darf mir erlauben, Eure Majestät daran zu erinnern,« sagte er, »daß die Stunde herannaht, zu welcher die Kaiserin von Österreich mir die Ehre einer Audienz gewähren will.«
»Gehen Sie, mein lieber Herzog,« sagte der Kaiser, indem er sich erhob und dem Herzog die Hand reichte. »Ich erwarte Herrn von Beust und hoffe bald zu sehen, wie viel festen Grund man in seinen Ideen finden kann.«
»Darf ich Eure Majestät noch um die Erlaubnis bitten,« sagte der Herzog, »Zu der Vollendung des Systems der Vizinalwege, welche soeben verkündet wird, meinen Glückwunsch abzustatten? Es ist dies eine große Tat der Regierung Eurer Majestät, wichtiger und segensreicher als eine gewonnene Schlacht.«
Ein glückliches Lächeln umspielte den Mund des Kaisers und gab seinen Zügen jenen so angenehmen und sympathisch berührenden, fast kindlichen Ausdruck, der ihm in gewissen Augenblicken eigen war.
»Ich bin in der Tat stolz auf dieses Werk,« sagte er, »das ich ohne Anmaßung als mein eigenes bezeichnen darf, denn es ist das Resultat meines eigenen ernsten Studiums und langer Arbeit. Sie kennen, lieber Herzog,« fuhr er fort, indem er sich, wie in einer Anwandlung körperlicher Schwäche, auf seinen Stuhl sinken ließ, »Sie kennen die Verhältnisse der ländlichen Produktion in Frankreich, es freut mich, daß Sie mit mir in der Beurteilung der hohen Wichtigkeit und Bedeutung jener Maßregel übereinstimmen, welche ich lange vorbereitet und nunmehr glücklich ausgeführt habe. – Die reiche Produktion Frankreichs,« sagte er, wie unwillkürlich einem Lieblingsgedanken folgend, »konnte bisher nicht zur Verwertung kommen, weil es den Landbauern unmöglich war, ihre Erzeugnisse nach den Absatzorten zu führen. Sie produzierten daher nur ihren eigenen Bedarf, und ein großer Teil des nationalen Reichtums ging verloren. Das neue Wegesystem gibt nun jedem Bauern die Möglichkeit, die Produkte seines Bodens leicht und einfach zu verwerten. Er wird deshalb die Produktion auf das höchste anspannen, um seinen Grundbesitz auf die größtmögliche Kulturstufe zu bringen. Erst später,« fuhr er, immer lebhafter sprechend, fort, »wird man vollständig beurteilen können, welchen ungeheuren Zuwachs der Nationalreichtum dadurch gewonnen hat, und wenn Frankreich jemals in die Lage kommen sollte, großen Katastrophen die Spitze bieten zu müssen, große finanzielle Anstrengungen zu machen, wird man erstaunen über die unerschöpflichen Leistungen des Landes. Nicht aus den schimmernden Schatzkammern der Börsenwelt, die in anscheinend unerschöpflicher Fülle die Augen der Welt blenden, wird man in der Stunde der Opfer schöpfen, sondern aus dem stillen, dem Schoße der ländlichen Arbeit entwachsenden Reichtum des Landes, der unerschöpflich ist wie die Fruchtbarkeit, welche Gott in die Erde legte, wie die Arbeitskraft, welche den Arm der Menschen spannt. Ich bin hier inmitten der so vielfach gekreuzten Fäden der europäischen Politik, mein Geist arbeitet an weiten Kombinationen für die Große und Macht Frankreichs, alle diese Fäden, die heute das Spiel der politischen Kräfte lenken, werden vergehen, meine Kombinationen können mich trügen, des Schicksals Hand kann zu schwerem, vielleicht vernichtendem Schlage sich gegen mich erheben, das alles liegt im Reich der Ungewißheit und hängt von den dunklen Schlüssen des Fatums ab, aber die Quelle des Segens und Wohlstandes, die ich durch die Ausführung meines Systems der Landwege geöffnet habe, wird in immer vermehrter Ergiebigkeit fließen, das ist eine Gewißheit, die nicht vom Zufall abhängt, wenn nicht eine neue Völkerwanderung zerstörend über die europäische Zivilisation hereinbricht. Glauben Sie mir, mein lieber Herzog,« fuhr er mit einem milden, strahlenden Lächeln und einem leuchtenden Blick seines weit offenen, wie verklärt in die Ferne schauenden Auges fort, »glauben Sie mir, wenn alle Gebäude meines Ehrgeizes und meiner Hoffnungen zusammenbrechen sollten, wenn, was die Vorsehung verhüte, schwere Zeiten über Frankreich kommen und schwere Opfer von diesem schönen, teuren Lande verlangt werden sollten, wenn man Magenta und Solferino vergessen wird, dann wird man erkennen, was ich geschaffen habe für die innere Entwicklung des Wohlstandes meines Volkes, das aus dem eigenen Boden, wie einst Antäus, die ewig verjüngende und regenerierende Kraft saugen wird. Möchte man dann so gerecht sein, sich meiner in dankbarer Anerkennung zu erinnern und um dieser Wohltat willen die Fehler zu vergessen, die ich zu begehen bestimmt bin, wie jeder Mensch, der geboren ist in diesem Reich des Irrtums und der Dämmerung.«
Er ließ langsam das Haupt sinken und schien schweigend seinen Gedanken zu folgen.
»Eure Majestät sehen mich voll tiefer Bewunderung,« sagte der Herzog von Gramont im Tone des Hofmanns, »vor dem Geist, der so sorgsam an die tiefen und dem gewöhnlichen Blick verborgenen Quellen denkt, aus welchen sich die nationale Kraft entwickelt und ergänzt, wahrend er zugleich die weite Anspannung dieser Kraft mit freiem Blick und sicherer Hand zu lenken versteht.«
»Aus den kleinen Wurzeln ziehen die mächtigen Bäume ihre Kraft,« sagte der Kaiser, »ich habe viel und tief über alle Fragen der nationalen Ökonomie nachgedacht in langen einsamen Stunden – es ist doch gut,« fügte er mit anmutigem Lächeln hinzu, »wenn ein Souverän vorher ein wenig Verbannter und Gefangener gewesen ist. – Doch,« sagte ei dann abbrechend, »die Kaiserin Elisabeth erwartet Sie. Auf Wiedersehen!« und freundlich mit der Hand grüßend entließ er den Herzog, der sich mit tiefer Verbeugung zurückzog.
Längere Zeit blieb der Kaiser in schweigendem Nachdenken auf seinem Stuhle sitzen.
»Er hat recht,« sagte er dann, er hat recht, es ist eine schwache Stütze, diese österreichische Allianz, deren Abschluß noch nicht einmal gesichert ist, und deren Bedingungen in verschwimmender Unklarheit schwanken. Dieser Staat hat keine Kraft in seiner inneren Gärung, und dieser Staatsmann mit seinem seinen kritischen Geist hat keinen Entschluß. Und wenn es wahr ist, was Gramont sagt, der gut unterrichtet ist und fein zu beobachten versteht, wenn es wahr ist, daß die süddeutschen Staaten sich scheu und vorsichtig zurückhalten, welchen Wert hat dann diese österreichische Kombination? – Immerhin,« sagte er nach einem kurzen Nachdenken mit einem feinen und, zufriedenen Lächeln, »immerhin hat diese Zusammenkunft die große Bedeutung einer Drohung gegen Preußen, man sieht in Berlin, was ich tun, wohin ich mich wenden könnte, wenn man dort hartnäckig jede Ausgleichung und Verständigung zurückweist und lediglich den Standpunkt der vollendeten Tatsache festhält, – Oh,« fuhr er mit demselben zufriedenen Lächeln fort, »er ist nicht so gleichgültig gegen das, was hier vorgeht, dieser preußische Minister, der es unternommen hat, mir den Rang in Europa abzulaufen, so ruhig er scheint, so bin ich überzeugt, baß sein Auge und sein Ohr hier ist! – Nun, je weniger Wirkliches hier geschehen und erreicht werden kann, um so mehr Staub muß aufgewirbelt werden; kann die Koalition nicht wirklich gebildet werden, so soll das Gespenst der Koalition ihn aus seiner sicheren Ruhe aufschrecken und ihm die Anmaßung nehmen, ohne Verständigung mit mir die Gestaltung Deutschlands in seinem Sinne vollenden zu können.«
Er stand auf und ging einigemal mit langsamem, etwas schwerfällig schleppendem Schritt im Salon auf und nieder.
»Es wird notwendig werden,« sagte er dann halblaut vor sich hin, »es wird notwendig werden, Italien ganz fest zu halten und vor allem die letzten Fäden seiner Beziehungen zu Preußen abzuschneiden. – Durch Italien halte ich Österreich, durch Österreich und Italien die Süddeutschen. – Eine Konferenz über die römische Frage,« fuhr er noch leiser fort, als fürchte er, daß die stummen Wände seine Gedanken vernehmen könnten, »eine Konferenz der Großmächte, Preußen mit den stark katholischen Elementen seiner Bevölkerung kann den Papst nicht preisgeben, ich werde ein günstiges Spiel haben, die Alliierten von 1866 werden sich immer weiter voneinander entfernen, dazu einige Rekriminationen – Lamarmora –«
Er vertiefte sich immer mehr in seine Gedanken, deren Folgen ihm befriedigende Bilder in der Zukunft zeigen mußten, denn immer heiterer wurde der Ausdruck seines Gesichts, er ließ sich wieder auf den Lehnstuhl nieder und zündete eine neue Zigarette an, deren feine blaue Wölkchen das Gemach erfüllten – aufsteigend sich kräuselnd in verschlungenen Ringen und wieder verfliegend, wie die Gedanken und Pläne der Zukunft, die im Kopf des Kaisers sich bildeten.
Nach einiger Zeit trat Felix, sein Kammerdiener, ein und meldete:
»Der Herr Baron von Beust steht zu Eurer Majestät Befehlen.«
Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf und trat dem österreichischen Minister entgegen, welchem der Kammerdiener die Tür öffnete.
Herr von Beust war im schwarzen Morgenanzug, das ergrauende Haar an den Schläfen sorgfältig in Locken frisiert, sein Gesicht mit den feinen, geistig bewegten Zügen war heiter und frisch und zeigte seinen sorglos lebensfrohen Ausdruck, den man an diesem so sehr gewandten Staatsmann zu allen Zeiten zu bemerken gewohnt war.
Der Kaiser reichte Herrn von Beust die Hand, und indem er sich wieder in seinen Sessel niederließ, lud er den österreichischen Minister ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
»Es freut mich sehr, mein lieber Baron,« sagte Napoleon in verbindlichem Tone, »daß ich mich einmal mit Ihnen allein ausführlich besprechen kann, bevor wir in weitere Konferenzen treten, namentlich bevor der König von Bayern hier eintrifft, denn es wäre in der Tat sehr erwünscht, daß die süddeutschen Staaten unser Einverständnis nicht nur im großen Prinzip, sondern auch in der einzelnen Detailfragen bereits vollständig fertig fänden.«
Ein eigentümlich forschender Blick zuckte in schnellem Aufblitzen aus den Augen des Kaisers zu dem österreichischen Minister herüber.
Kein Zug veränderte sich in dem ruhig lächelnden Gesicht des Herrn von Beust.
»Eure Majestät sind sehr gnädig,« sagte er, »daß Sie auf eine persönliche Verständigung mit mir einen gewissen Wert legen; allerdings würde es für die weiteren Verhandlungen von großem Vorteil sein, wenn gewisse maßgebende Grundzüge zwischen Eurer Majestät und mir vorher festgestellt würden. Ich habe meine unmaßgeblichen Ideen über die verschiedenen Fragen der europäischen Politik mir in kurzen Sätzen zusammengestellt und möchte mir erlauben, sie Eurer Majestät zur gnädigen Beurteilung zu unterbreiten.«
Er zog aus der Tasche seines Überrocks einen Bogen Papier, auf welchem eine Reihe von Notizen von der eigentümlich ineinander fließenden, fast unleserlichen Handschrift des Herrn von Beust sich befand.
»Ich bin aufs höchste gespannt, Ihre Ideen aus Ihrem eignen Munde zu hören,« sagte der Kaiser, »nachdem ich über dieselben bereits ein wenig durch den Herzog von Gramont unterrichtet worden bin. Vor allem wird es wichtig sein, uns über alles das auszusprechen, was Deutschland betrifft,« fuhr er fort, indem abermals jener rasche, forschende Blick das Gesicht des österreichischen Staatsmannes traf. »Sie legen mit Recht einen hohen Wert auf die Herstellung eines deutschen Südbundes, der, gestützt auf die Bedingungen des Prager Friedens, ein Gegengewicht gegen den in den Händen Preußens befindlichen norddeutschen Bund zu bilden geeignet wäre. Gerade über die Natur der Durchführung dieses Südbundes müßten wir uns vollkommen verständigen, bevor der König von Bayern hierher kommt, der ja wohl heute noch zu erwarten ist.«
»Die persönliche Anwesenheit des jungen Königs von Bayern,« sagte Herr von Beust, ruhig und unbeweglich den Blick des Kaisers erwidernd, »würde bei der großen Verschlossenheit dieses Fürsten vielleicht von geringer Bedeutung sein, da er nicht gewohnt ist, sich über politische Fragen ohne tieferes vorheriges Nachdenken auszusprechen. Die Verhältnisse sind hier mächtiger als die Person, ich bedaure deshalb auch nicht so sehr, wie ich sonst tun würde, die Nachricht, welche ich soeben von Graf Trautmannsdorf erhalten, und nach welcher der König Ludwig sich wahrscheinlich nicht wird entschließen können, seinem fast menschenscheuen Hange zur Einsamkeit Gewalt anzutun und hier in Salzburg zu erscheinen.«
Trotz der dem Kaiser eigenen Selbstbeherrschung konnte er den Ausdruck düsterer Niedergeschlagenheit nicht ganz verbergen, der bei den letzten Worten des Herrn von Beust auf seinem Gesicht erschien. Er senkte den Blick auf den Boden und kräuselte die Spitze seines Schnurrbarts mit den Fingern.
»Vielleicht,« fuhr Herr von Beust fort, »ist es auch besser, die Idee des Südbundes hier zunächst nach allen Richtungen zu ventilieren und vorläufig festzustellen, um sie dann dem König von Bayern vollständig ausgearbeitet zur Erwägung mitzuteilen. Der leicht zu Mißtrauen geneigte Geist des jungen Fürsten könnte bei einer plötzlichen persönlichen Anregung der Sache die Furcht vor Überrumpelung fassen und zurückgeschreckt werden.«
Das Gesicht des Kaisers hatte seine vollständige gleichmäßige, heitere Ruhe wiedergefunden. Er stützte den Arm auf die Lehne des Sessels, und indem er das Haupt mit leichter Neigung auf die Schultern herabsinken ließ, sagte er in fast gleichgültigem Tone:
»Ich finde den Gedanken einer innigen Verbindung der Südstaaten, die sich in natürlicher Gravitation an Österreich anlehnen würden, in hohem Grade bedeutungsvoll für die politische Entwicklung der Zukunft. Wie ein solcher Bund indes ins Leben geführt werden könnte, namentlich bei der unsicheren Haltung von Baden, ist für mich, der ich den inneren deutschen Verhältnissen ferner stehe, sehr schwer zu übersehen. Ich möchte Sie deshalb bitten, mir eine kurze Notiz über Ihre Gedanken mitzuteilen, nicht aus Furcht vor Überrumpelung,« fügte er lächelnd hinzu, »bis morgen werde ich dann wohl die Muße gefunden haben, mich genau über Ihre Ideen zu orientieren und en connaissance de cause mit Ihnen über dieselben zu sprechen.«
Herr von Beust sah den Kaiser bei diesen im unbefangensten Tone gesprochenen Worten befremdet an. Er warf einen Blick auf das Papier in seiner Hand und schien eine Bemerkung machen zu wollen. Bevor dies jedoch geschehen, fuhr der Kaiser fort:
»Da der Besuch des Königs von Bayern nicht zu erwarten ist, so haben wir ja auch keine dringende Veranlassung, diese Frage vor allen anderen in Erwägung zu ziehen. Für die großen europäischen Interessen liegt uns eine andere Frage näher, das ist die orientalische; ich glaube, daß Frankreich und Österreich nach dieser Richtung hin fast ganz identische Interessen haben. Der Orient ist vollgehäuft von Zündstoff, und wenn die dort schlummernden gewaltigen Konflikte einmal zum Austrag kommen, so steht zu befürchten, daß eine vernünftige Diplomatie nicht imstande sei, Herrin des angeschürten Brandes zu werden. Ihre Aufgabe muß daher sein, darüber zu wachen, daß kein Funken in jenes mit Explosionsstoffen vollgefüllte Arsenal falle, so lange nicht Chancen vorhanden sind, daß man die dortigen Ereignisse lenken und beherrschen könne.«
Eifrig erhob Herr von Beust sein Notizblatt und sprach:
»Ich freue mich, in bezug auf diesen wichtigsten Punkt ganz mit den Anschauungen Eurer Majestät übereinzustimmen, denn ich hatte mir als Basis für das Einverständnis der Politik Österreichs und Frankreichs folgendes notiert:
›Die orientalische Frage darf augenblicklich ihrer Lösung nicht näher gebracht werden. Etwaigem Versuch einer dritten Macht, nach dieser Seite hin vorzugehen, ist entgegenzutreten.‹«
Der Kaiser nickte mehrmals zustimmend mit dem Kopfe.
»Das ist in wenigen Zügen,« sagte er dann, »ganz genau die Richtschnur einer vernünftigen Politik; es handelt sich nur darum, zu erwägen, welcher Art die Versuche der dritten nächstbeteiligten Macht etwa sein könnten, und vor allem, durch welche Mittel solchen Versuchen wirksam entgegengetreten werden könnte.«
Schnell erwiderte Herr von Beust:
»Die Versuche, welche Rußland, denn eine andere Macht hat kein Interesse an der Anregung der orientalischen Frage, – die Versuche, welche Rußland machen könnte, werden nicht in der direkten Herbeiführung von Konflikten zwischen dem Petersburger Kabinett und der Hohen Pforte bestehen, man wird, wie das fortwährend schon geschieht, die von der Türkei abhängigen Fürstentümer zum Streben nach Unabhängigkeit aufreizen und in diesen Bestrebungen unterstützen, man wird von Griechenland aus die griechischen Untertanen der Pforte aufwiegeln, so daß, wenn irgend eine, Europa beunruhigende Katastrophe ausbrechen wird, die Türkei im Unrecht ist und Rußland vor den Augen der europäischen Mächte nur den Schutz einer gerechten Sache in die Hand zu nehmen hätte.«
»Ganz recht,« sagte der Kaiser, »dies Spiel liegt ziemlich deutlich vor Augen; um ihm aber wirksam entgegenzutreten, müßte wenigstens eine feste Defensiv-Allianz geschlossen werden, welche unter gewissen Voraussetzungen zur Offensive überzugehen hätte, um mit gewaffneter Hand einzuschreiten.«
Eine peinliche Bewegung zuckte einen Augenblick über das Gesicht des Herrn von Beust.
»Bei geschickter Verfolgung und Leitung der diplomatischen Fäden,« sagte er, »dürfte es nach meiner Überzeugung kaum zu diesem Äußersten kommen, wenn Eurer Majestät Diplomatie vollständig in Übereinstimmung mit der von Österreich in ihrer Haltung und in ihren Worten unbeirrt daran festhält, daß der Vertrag von 1856 die einzige völkerrechtliche Grundlage für die Verhältnisse im Orient bildet, und daß jede etwaige, durch die politische Entwicklung gebotene Veränderung nur auf der Basis des Pariser Traktats und unter der Zustimmung seiner Unterzeichner vereinbart werden könnte, so wird das Gewicht einer so bestimmt ausgesprochenen Haltung zweier Großmächte nach meiner Überzeugung vollkommen genügen, um alle weiteren Versuche zurückzudrängen. Denn nach den Erfahrungen der Geschichte entstehen die großen Kriege nur dadurch, daß nicht rechtzeitig und kraftvoll genug das moralische Gewicht den Angriffen gegen berechtigte Interessen entgegengesetzt wird. Wenn irgendwo, so heißt es hier: Principiis obsta.«
Der Kaiser Napoleon strich mit der Hand über seinen Schnurrbart und verbarg unter dieser Bewegung ein unwillkürlich über seine Lippen zitterndes Lächeln.
»Wir würden also nur noch genau die Wendungen festzustellen haben, in welchen die Diplomatie über ihre Sprache in den orientalischen Angelegenheiten zu instruieren wäre, und gewiß werden Sie, mein lieber Baron, diese Wendungen in einer so feinen, scharfen Weise zu finden wissen, daß es mir eine Freude sein wird, mich denselben in allen Punkten anzuschließen. – Nach dem Orient,« sprach der Kaiser weiter, »sind es insbesondere die Bestimmungen des Prager Friedens, welche, wie ich glaube, ein hohes gemeinschaftliches Interesse für Frankreich und Österreich haben.«
»Auch hierüber,« erwiderte Herr von Beust, »habe ich mir erlaubt, die weiteren hauptsächlichsten Gesichtspunkte zur Grundlage für die Besprechungen und Übereinkunft in kurzen Worten zu formulieren.«
Und sein Notizblatt erhebend, las er langsam und mit Betonung:
»Zur Erhaltung der allseitigen guten Beziehungen würde eine angemessene Vereinbarung Dänemarks mit Preußen bezüglich Nordschleswigs wesentlich beitragen. Eine freundschaftliche Vermittlung Österreichs und Frankreichs, die vielleicht dazu beitragen würde, die allerdings zu hoch gespannten Erwartungen Dänemarks auf das richtige Maß zurückzuführen, wäre nicht unpassend.«
Napoleon blickte mit dem Ausdruck einer gewissen Befremdung zu Herrn von Beust hinüber.
»Eine herabstimmende Vermittlung Dänemark gegenüber?« fragte er, »und den preußischen Forderungen gegenüber, die in betreff Nordschleswigs denn doch ein wenig über die Grenzen der Bestimmungen des Prager Friedens hinauszugehen scheinen? Was soll –«
»Es wird natürlich auch in Berlin erforderlich sein, ernstlich an die Ausführung des Prager Traktats zu mahnen, um alle Punkte zu beseitigen, welche früher oder später dem europäischen Frieden gefährlich werden könnten,« warf Herr von Beust ein, »indes je mehr man auch Dänemark von exorbitanten Forderungen zurückzuhalten sucht und dies offiziell zu erkennen gibt, um so mehr wird man auf Preußen wirken können, seinerseits das Notwendige zuzugestehen.«
Es schien, als ob Napoleon etwas sagen wolle, doch hielt er inne und sprach nach einem Augenblick des Besinnens:
»Eröffnungen, wie Sie dieselben soeben angedeutet haben, und wie ich sie meinerseits ebenfalls als nicht unpassend betrachten kann,« der Kaiser legte hier eine leichte Betonung auf die Wiederholung des vorher von Herrn von Beust gebrauchten Wortes, »möchten meiner Ansicht nach nur von Österreich gemacht werden können. Denn es ist Österreich, welches den Traktat von Prag unterzeichnet hat, und wenn auch Frankreich als vermittelnde und ratende Macht den hohen Kontrahenten zur Seite stand und an der strikten Erhaltung des Friedens von Prag ein sehr ernstes Interesse hat, so sind uns doch unmittelbar aus jenem völkerrechtlichen Dokument keine Rechte erwachsen, welche zu einer Interpellation – auch der vorsichtigsten Art – Veranlassung geben könnten. Frankreich würde in Erörterungen über die Ausführung des Prager Friedens immer nur dann eintreten können, wenn die unmittelbar Beteiligten dazu eine direkte oder indirekte Anregung gäben und es sich um Ausgleichung entstandener Differenzen handelte. Dann würde sowohl unsere Stellung als europäische Macht, als auch unsere frühere vermittelnde Tätigkeit bei dem Abschluß des Traktats uns Berechtigung zur Einmischung geben, welche sonst als unberufene Zudringlichkeit aufgefaßt werden könnte. – Ich würde daher in der Notiz, welche Sie die Güte gehabt haben, mir vorzulesen, bei der in Aussicht genommenen freundschaftlichen Vermittlung nur den Namen Österreichs nennen.«
»Nach Eurer Majestät Bemerkungen ist dies gewiß richtiger,« sagte Herr von Beust, mit einem Bleistift seine Notiz korrigierend, »das gegenseitige Einverständnis über die ganze Sache bedingt ja ohnehin, daß der österreichischen Vermittlung die französische Unterstützung zur Seite steht.«
»Soweit dies die Formen des diplomatischen Verkehrs zulassen,« sagte der Kaiser. »Doch,« fuhr er fort, »da Sie vom Prager Frieden sprechen, so können wir den eigentümlichen Umstand nicht aus den Augen lassen, daß dieser Traktat doch eigentlich schon vollständig in den wesentlichsten Prinzipien verletzt ist. – Die militärischen Verträge der Südstaaten mit Preußen, welche wenigstens unserer Auffassung des Friedens ganz zuwiderlaufen, sind geschlossen, und es wird in diesem Augenblick der Eintritt Süddeutschlands in den Zollverein durch das Zollparlament vorbereitet, was kann diesen Verhältnissen gegenüber geschehen, um die Herstellung eines Südbundes für die Zukunft möglich zu erhalten?«
Herr von Beust antwortete:
»Eure Majestät haben vollkommen recht darin, daß durch den Abschluß der Militärkonventionen, welche im tiefsten Geheimnis während der Friedensverhandlungen ohne Österreichs und Frankreichs Wissen vorbereitet wurden, der Sinn und die Bedeutung des Traktats vollkommen alteriert ist, indes,« fuhr er mit einem feinen Lächeln fort, »gerade dieser Umstand kann für die Zukunft sehr günstig sich gestalten. Wir haben ganz gewiß das Recht, wegen jener Militärverträge zu interpellieren und sie als unverträglich mit den Friedensbestimmungen anzugreifen, das gibt uns in jedem Augenblick, in welchem wir seiner bedürfen, den Konflikt ganz fertig in die Hand, und zwar einen Konflikt, in welchem das formelle und materielle Recht auf unserer Seite steht. Im gegenwärtigen Augenblick darf nach meiner Überzeugung jener Punkt gar nicht berührt werden, der Kampf zwischen den Unifikationsbestrebungen Preußens und den Selbständigkeitsneigungen der süddeutschen Fürsten und Völker wird Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten und Verstimmungen auf Verstimmungen häufen, die ja durch eine geschickte diplomatische Einwirkung noch immer vergrößert werden können. Lassen wir daher das alles seinen eigenen Weg gehen, es ist der Weg der Zersetzung des so schnell Geschaffenen, und reservieren wir uns den fertigen Konflikt für den Augenblick, in welchem wir seiner bedürfen werden.«
Er hielt inne, der Kaiser schwieg.
»Was nun,« sprach dann Herr von Beust weiter, »das Zollparlament betrifft, so habe ich mir den Satz notiert: ›Bezüglich Süddeutschlands Eintritt in den Zollverein ist nichts zu bemerken, solange Preußen die Bestimmungen des Prager Friedens im Auge behält.‹«
Wieder spielte jenes eigentümliche Lächeln um die Lippen des Kaisers.
»Im Prager Frieden,« sagte Herr von Beust, »ist den Süddeutschen überlassen worden, auf dem Gebiete des materiellen Verkehrs Vereinbarungen mit dem Nordbund zu schließen, es würde also ganz unmöglich sein, gegen die angestrebte Zolleinigung irgend etwas zu sagen, so lange dieselbe nicht eine Ausdehnung gewinnt, welche die politische Aktionsfähigkeit der süddeutschen Staaten einschränkt.«
Der Kaiser neigte schweigend den Kopf.
»Ich möchte nun,« sagte Herr von Beust, »der Meinung sein, daß, wenn diese Punkte auf der von Eurer Majestät soeben gebilligten Grundlage zwischen Eurer Majestät und meinem allergnädigsten Herrn diskutiert und ein Einverständnis darüber erzielt und formuliert ist, daß dann das Resultat dieses Einverständnisses in ganz allgemeinen Sätzen den übrigen Mächten mitgeteilt, und daß daran die Bemerkung geknüpft werde, die hier erzielte Entente bedrohe niemanden, halte den anderen Mächten den Zutritt offen, und nur im Falle von irgend welcher Seite Entschlüsse zur Durchkreuzung der Entente sich kundgeben sollten, könnten weitergehende und äußerste Eventualitäten erwogen werden.«
Rasch erwiderte der Kaiser:
»Ich stimme auch hierin ganz mit Ihnen überein, doch werden Sie gewiß ebenfalls der Meinung sein, daß eine Mitteilung über die hier besprochenen und etwa vereinbarten Punkte an andere Höfe nicht gemeinschaftlich und nicht etwa in identischer Form zu geschehen haben würde, das könnte als eine Provokation aufgefaßt werden, die doch mit dem so friedlichen Inhalt unserer Erwägungen gewiß nicht im Einklang stehen würde. Auch ist ja der rechtliche Standpunkt, namentlich in betreff des Prager Friedens, für uns nicht bei gleiche, es würde mir daher am besten scheinen, die Diplomaten anzuweisen, daß sie in gelegentlichen Unterhaltungen im Sinne der von Ihnen soeben ausgesprochenen Auffassung sich äußern sollten.«
»Vielleicht wäre ein Rundschreiben dennoch angezeigt,« bemerkte Herr von Beust, »damit bei dem festgestellten Wortlaut der Erklärungen jedes bei mündlichen Mitteilungen immerhin mögliche Mißverständnis ausgeschlossen bliebe.«
»Ich glaube,« sagte der Kaiser, »daß bei der Stellung Österreichs zu den mit dem Prager Frieden zusammenhängenden Fragen ein solches Rundschreiben gewiß zweckmäßig sein kann, ich meinerseits müßte mir eine größere Vorsicht und Zurückhaltung auferlegen, um weder juristische Einwendungen noch nationale Empfindlichkeiten zu provozieren.«
Herr von Beust verneigte sich.
»Ich möchte noch einen Punkt hervorheben, einen schmerzlichen Punkt,« sagte er dann mit etwas leiserer Stimme, »er betrifft die Auslieferung der Leiche des ermordeten Kaisers Maximilian, die Bemühungen Österreichs allein möchten vielleicht nicht von so großem Erfolg sein, als wenn –«
Der Kaiser erhob sich und trat dem ebenfalls sogleich aufstehenden Minister einen Schritt entgegen, ein wehmütiges Lächeln umspielte seinen Mund.
»Der Kaiser, Ihr erhabener Herr,« sagte er mit voller Stimme, »kann überzeugt sein, daß ich mit ihm gemeinschaftlich bei allen Mächten die entschiedensten und dringendsten Schritte tun werde, um die Auslieferung der Leiche des unglücklichen fürstlichen Opfers eines zu feinen und hochsinnigen Ehrgefühls zu erreichen, und für die Sicherstellung der beiderseitigen Untertanen von Frankreich und Österreich Sorge zu tragen. Alles in dieser Richtung soll gemeinschaftlich erwogen und ausgeführt werden. Gott gebe, daß der gemeinsame Schmerz, den der Kaiser kaum tiefer empfinden kann als ich, ein Band bilden möge, das Frankreich und Österreich für die Zukunft immer fester und inniger vereinigt. – Ich möchte nun meinerseits,« fuhr Napoleon nach einem längeren Schweigen fort, »noch eine Frage anregen, welche für jetzt und insbesondere für die Zukunft eine große Bedeutung hat. Ich will nämlich von dem Verhältnis zu Italien sprechen, dieser Macht, die bei einem Einverständnis zwischen Frankreich und Österreich nicht unberücksichtigt bleiben darf, da sie ebenso sehr geeignet ist, eine gemeinsame Aktion zu verbinden und zu unterstützen, als unter Umständen trennend zu verhindern.«
»Eure Majestät wissen,« erwiderte Herr von Beust, »wie sehr ich von der Notwendigkeit der Verständigung und des Zusammengehens mit Italien überzeugt bin und wie sehr ich das neuentstandene Reich für ein notwendiges Glied halte in dem Gefüge der Kooperation von Frankreich und Österreich. Ich habe alles getan, um eine freundliche Annäherung herzustellen und die Erbitterung und Verstimmung schwinden zu lassen, welche die Erinnerung an die Vergangenheit geschaffen hat. Eure Majestät wissen auch, auf wie schmerzliche Weise die Pläne zur Wiederbelebung der verwandtschaftlichen Beziehungen beider Höfe durchkreuzt worden sind, indes auch ohne das Band unmittelbarer fürstlicher Verwandtschaft wird es möglich sein, die Verbindung von Österreich und Italien herzustellen und zu erhalten, ich hoffe, daß diese Macht, welche in früheren Zeiten der Schauplatz war, auf welchem Frankreich und Österreich um ihren Einfluß kämpften, nunmehr bestimmt sein wird, das verbindende Element mit den beiden Mächten zu bilden.«
Der Kaiser hörte aufmerksam zu und schien noch weitere Erörterungen des Herrn von Beust zu erwarten.
»Auch das Projekt einer fürstlichen Familienverbindung,« fuhr Herr von Beust fort, »ließe sich ja, wenn auch in anderer Form, wieder aufnehmen. Der Vertraute des Königs von Hannover, welcher vor kurzem von Paris nach Wien kam, hat mir von einer Eurer Majestät ohne Zweifel bekannten Idee gesprochen, nach welcher das hannöversche Haus durch eine seiner Prinzessinnen das Bindeglied zu einer persönlichen, nahen Beziehung zwischen dem österreichischen und italienischen Hofe werden soll. Bei dem innigen Freundschaftsverhältnis, welches das Kaiserhaus mit der Familie des Königs von Hannover verbindet, und bei der ganz besonderen Zuneigung, welche Ihre Majestät die Kaiserin für die hannöverschen Prinzessinnen hegt, würde die Ausführung jener Idee in ihrer Wirkung einem unmittelbaren Verwandtschaftsbande zwischen den Häusern von Habsburg und Savoyen fast gleichkommen. Der Kaiser, mein allergnädigster Herr, hat nicht unterlassen, auf die erste Mitteilung von jenem Gedanken sich sogleich zum König von Hannover zu begeben, um ihm zu sagen, daß der König durch ein schnelles Eingehen auf dieses Projekt seiner eigenen Sache einen ebenso großen Dienst leisten würde als den Interessen Österreichs.«
»Ein sehr guter Gedanke,« sagte der Kaiser, seinen Schnurrbart streichend, »von dem ich hoffe, daß er sich ausführen lassen wird; doch,« fuhr er abbrechend fort, »jede solche Verbindung würde immer nur die Krönung eines Gebäudes sein, das auf einem politisch sicheren Fundament erbaut sein müßte. – Sie wissen, daß die vorgeschrittene Aktionspartei in Italien einer Verbindung mit Österreich sehr abgeneigt ist. – Die Allianz mit Preußen hat Italien die Erfüllung längst gehegter und berechtigter Wünsche gebracht, durch deren rechtzeitiges Zugeständnis Österreich, als es nicht unter Ihrer politischen Leitung stand,« fügte er mit artiger Verneigung hinzu, »sich vieles Unglück hätte ersparen können. – Um der italienischen Regierung, welche von der Fortschrittspartei leider nur zu sehr abhängig ist, die Möglichkeit zu gewähren, sich von Preußen definitiv zu trennen und mit Österreich zu verbinden, müßte Italien als Preis dieser neuen Allianz eine wenigstens teilweise Erfüllung der Wünsche geboten werden, welche dort noch übrig blieben, damit die Regierung dem Volk einen Gewinn zeigen und den Einfluß der radikalen Aktionspartei paralysieren könne.«
»Eure Majestät wissen,« sagte Herr von Beust, »daß ich in diesem Augenblick im Begriff stehe, einen großen und ernsthaften Kampf gegen den Ultramontanismus wegen der von allen liberalen Parteien geforderten Aufhebung des Konkordats zu führen. Eure Majestät werden ermessen, daß Seine Majestät der Kaiser Franz Joseph bei seiner streng kirchlich katholischen Gesinnung sich nur sehr schwer, nur im Hinblick auf den allgemeinen Wunsch des Landes hat entschließen können, diesen Kampf aufzunehmen, es würde unter diesen Umständen doppelt schwer sein, Seine Majestät zur Teilnahme an einer Aktion zu bestimmen, wenn sie darauf abzielte, das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien zu alterieren oder gar die Unabhängigkeit der päpstlichen Kurie weiteren Beschränkungen zu unterwerfen. – Seine Majestät müßte vielleicht mit Recht befürchten, daß in einem gleichzeitigen Vorgehen gegen das Konkordat und gegen die völkerrechtliche Stellung des Papstes eine prinzipielle Gegnerschaft gegen die katholische Kirche erblickt werden könne. Und selbst die freisinnige Bevölkerung des österreichischen Kaiserstaates möchte eine solche Auffassung teilen und, wie ich überzeugt bin, derartige Schritte nicht überall billigen.«
Napoleon lächelte.
»Seien Sie unbesorgt,« sagte er, »es ist nicht Rom, wovon ich sprechen will, ich bin keineswegs gesonnen, den Papst fallen zu lassen und zu gleicher Zeit eine für den französischen Einfluß so wichtige Position aufzugeben. Das italienische Nationalgefühl verlangt, nachdem Venetien wieder mit dem neuen Reiche vereinigt ist, daß auch alle Gebiete, welche nach Bevölkerung und Sprache zu Italien gehören, mit dem Nationalstaate wieder vereinigt werden. Von diesen Gebieten ist wesentlich das italienische Tirol noch übrig, welches, wie mir scheint, für Österreich nur eine sehr geringe Bedeutung hat, und dessen Abtretung an Italien dort eine große Freude erregen und den Wunsch nach Rom als Hauptstadt, für einige Zeit wenigstens, in den Hintergrund drängen würde. Könnte die italienische Regierung mit Tirol als Angebinde vor die Nation treten, so würde sie der österreichischen Allianz eine enthusiastische Aufnahme sichern, den preußischen Einfluß definitiv aus der italienischen Politik verdrängen und kräftig in unsere Aktion eingreifen können. Selbstverständlich,« fügte er in leichtem Ton hinzu, indem ein scharfer Blick seines schnell aufgeschlagenen Auges zu Herrn von Beust hinüberglitt, »selbstverständlich dürfte, wenn eine solche Aktion einträte und, wie kaum zu zweifeln ist, siegreichen Erfolg hätte, Österreich die Berechtigung ansprechen, für jene Gebietsabtretung Kompensation nach anderer Richtung für sich in Anspruch zu nehmen.«
Herr von Beust blickte mit einiger Verlegenheit zu Boden und spielte leicht mit den Spitzen seiner Finger an der Schleife seiner Krawatte.
»Sire,« sagte er nach einigem Nachdenken, wahrend der Kaiser sich wie ermüdet wieder in seinen Sessel niedersinken ließ, »ich mache kein Hehl aus meiner persönlichen Überzeugung, nach welcher für Österreich weder aus dem Besitz der Gebiete italienischer, noch aus dem der Landesteile polnischer Nationalität Segen erwachsen ist. Österreich hätte diese Gebiete vielleicht besser nie erworben, die italienischen Besitzungen gewiß besser rechtzeitig aufgegeben, um seine ganze Kraft nach Norden zu wenden und sich seine Stellung in Deutschland ungeschmälert zu erhalten. – Aber,« fuhr er etwas zögernd fort, »was die politische Überlegung dem Minister als richtig und vernünftig zeigt, das findet oft – einen sehr natürlichen und berechtigten Widerstand in den Gefühlen des Monarchen. Eure Majestät werden begreifen, daß die Vergangenheit persönliche Gefühle im Herzen meines Souveräns erzeugt hat, welche einer Allianz mit Italien nicht günstig sind, und welche um so schärfer hervortreten, wenn eine solche Allianz erkauft werden sollte durch Abtretung von Gebietsteilen, die lange zum Besitz des Hauses Habsburg gehört haben. Der Gedanke dieser Kombination müßte also, wie ich glaube, langsam und ruhig erwogen werden, er ist nicht ein Gegenstand für eine schnelle und unerwartete Besprechung, bei welcher die Rücksichten des persönlich unmittelbaren Verkehrs noch mehr hemmend einwirken. Lassen Eure Majestät es meine Sorge sein, diesen Gedanken zu pflegen und zu entwickeln, er wird reif werden und seine Früchte tragen. Hier in Salzburg und im persönlichen Verkehr möchte ich Eure Majestät bitten, diesen delikaten Punkt nicht zur Sprache zu bringen.«
»Ich danke Ihnen, lieber Baron,« sagte der Kaiser in verbindlichem Konversationston, »daß Sie so aufrichtig und eingehend mir geantwortet haben, das ist ja die Bedingung jedes gemeinsamen Handelns, zugleich bin ich erfreut, daß Ihre politische Anschauung der Lage mit der meinigen vollständig übereinstimmt, und ich werde mit äußerster Vorsicht vermeiden, Ihrer vorbereitenden Tätigkeit zur Ausführung unserer Gedanken vorzugreifen.«
Er sah nach seiner Uhr.
»Es ist für heute ein Ausflug nach Klesheim festgesetzt, die Kaiserin freut sich unendlich auf die schönen Berge, ich werde vorher die Ehre haben, Ihren Majestäten meinen Besuch zu machen; wir können vielleicht noch eine Stunde Zeit gewinnen, einige der angeregten Punkte beim Kaiser zu besprechen.«
»Ich werde Seine Majestät darauf vorbereiten,« sagte Herr von Beust, »und habe nur noch zu fragen, ob Eure Majestät vollkommen mit den Arrangements Ihrer Wohnung zufrieden sind oder ob Sie noch irgend welche Befehle haben?«
»Ich danke,« erwiderte der Kaiser aufstehend, »ich wüßte nicht, was noch zu wünschen übrig bleiben könnte. Die Kaiserin ist entzückt von ihrem Appartement und besonders gerührt von der Aufmerksamkeit, mit welcher ihr Schlafzimmer ganz genau demjenigen in den Tuilerien gleich hergestellt ist. Was mich betrifft,« sagte er, indem er den Blick im Salon umherschweifen ließ, »es wäre kaum möglich, mehr Pracht, Geschmack und Komfort zu vereinen.«
»Es wird dem Kaiser hocherfreulich sein,« erwiderte Herr von Beust, »daß Eure Majestät zufrieden sind; die Einrichtung Ihres Appartements hat ein gewisses historisches Interesse; es ist diejenige, welche der arme Kaiser Maximilian, der so viel Geschmack besaß, für die Residenz in Mailand machen ließ, als er Statthalter der Lombardei wurde.«
Eine plötzliche tiefe Blässe zog über das Gesicht des Kaisers, seine Lippen preßten sich aufeinander und seine Augen blickten mit dem Ausdruck des Entsetzens auf diese reichen und schön geformten Möbel, die den Salon ausfüllten.
Schnell aber faßte er sich wieder, reichte Herrn von Beust die Hand und sagte mit verbindlichem Lächeln:
»Auf Wiedersehen also; ich wünsche mir nochmals Glück, daß unsere Ideen sich so sympathisch begegnen.«
Herr von Beust verließ den Salon.
Kaum war der Kaiser allein, als abermals jener Ausdruck des Entsetzens auf seinem Gesicht erschien, er ließ sich wie in tiefer Erschöpfung auf seinen Stuhl niedersinken und flüsterte mit bebenden Lippen:
»Ist es eine Mahnung des Verhängnisses, daß diese Möbel mich hier umgeben, die der tote Maximilian einst im Glück und Glanz machen ließ, er, der jetzt so schauervoll geendet? – Ich kam hierher,« fuhr er fort, indem sein Haupt schwer auf die Brust herabsank, »um diesen blutigen Schatten zu beschwören, der sich zwischen Frankreich und Österreich erhebt, und nun tritt er mir selbst in den leblosen Möbeln meines Zimmers drohend entgegen!«
Wie zurückschaudernd vor der Berührung des Stuhles, in dem er saß, sprang er rasch empor und ging mit einigen großen Schritten im Zimmer auf und nieder.
»Ist es der dämonische Einfluß dieses Toten, der alle meine Pläne hier scheitern läßt?« sagte er dann, finster vor sich niederblickend. – »Ich suchte die Basis einer festen Stellung – und ich finde diesen Mann, dessen beweglicher Geist nur die Phrase und die Formel zuzuspitzen weiß, der nicht über die Negation hinauskommen kann! – Welch eine wunderbare Auffassung, welch eine nebelhafte Selbsttäuschung oder furchtsame Besorgnis, den Verhältnissen gerade ins Auge zu sehen!« rief er mit bitterem Ton. – »Dänemark, das erste Opfer der preußischen Macht, soll durch freundschaftliche Einwirkung zum Nachgeben bestimmt werden, gegen die Verletzung des Prager Friedens weiß er kein anderes Mittel zu empfehlen, als Schweigen und Warten, Warten, bis die jetzt noch den Süddeutschen widerstrebende Einigung mit dem Norden sich durch die tausend Beziehungen des materiellen Lebens unauflöslich verkittet hat! Und die Allianz mit Italien langsam vorbereiten, ein kleines Opfer will man scheuen, um so Großes zu erreichen! – Nein, nein,« fuhr er fort, »dieser Mann wird nie ein fester Verbündeter sein – ich habe mich getäuscht – dies in so viele Teile gespaltene Österreich bedarf einer festen und energischen Hand, um alle diese Teile zu einem handlungsfähigen und tatkräftigen Ganzen zusammenzufügen, nicht eines dialektischen Geistes, der seine Gewandtheit zu beweisen glaubt, indem er die Kräfte der einzelnen Teile des Reiches in konstitutionellem Spiel und Gegenspiel gegen einander abnützt und sie so untätig macht. – Ich muß anders vorgehen,« sagte er nach einer Pause, »ich muß mit Italien mich zunächst verständigen, das italienische Tyrol muß es erhalten, und dann soll Österreich und dieser unschlüssige Herr von Beust vor die einfache Frage: Ja oder Nein – gestellt werden. So allein ist eine Koalition möglich, welche auch die süddeutschen Staaten umfaßt, ohne welche eine Aktion gegen Preußen töricht wäre. Ohne einen starken Druck werden die süddeutschen Fürsten es niemals wagen, zu handeln, und steht Italien fest zu mir, folgt Österreich dem notwendigen Zuge dieser Allianz, so ist Süddeutschland eingeschlossen und hat einen gewiß willkommenen Vorwand, um sich von der immer engeren Umarmung des Nordbundes zu befreien. – Hier ist nichts zu tun,« sprach er seufzend, »als die Komödie mit Anstand zu Ende zu spielen, damit sie wenigstens vor den Augen der Welt ihren Zweck erfülle und mir als Druckmittel in Berlin nütze, wo ich doch noch einen Versuch machen will, denn dort liegt die wahre Macht, mit der ich lieber mich verbinden als gegen sie kämpfen möchte. – Immerhin ist dieser Besuch nützlich gewesen. Diese Vormittagsstunde ist nicht verloren, das Nichterscheinen des Königs von Bayern, diese Unterhaltung mit Herrn von Beust, die mir das Vakuum in seinem Geiste klar gezeigt hat, das alles hat mir wie ein erhellender Blitz die Situation klar gemacht, und von diesem Augenblick an beginnt eine neue Aktion für mich – ohne Illusion, mit bestimmtem Ziel.«
Er richtete den frei aus seinen Augenlidern hervortretenden Blick sinnend aufwärts und zitierte langsam die Worte aus dem »Tod des Pompejus«:
»J'ai servi, commandé, vécu quarante années:
Du monde entre mes mains j'ai vu les destinées;
Et j'ai toujours connu, qu'en tout événement,
Le destin des États dépendait d'un moment.«