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II. Voltaire und sein königlicher Freund

Der König hatte sich heute früher wie sonst in seine Bibliothek zurückgezogen. Er hatte seine Kabinettsräte in der Frühe des Morgens, eine Stunde vor der gewöhnlichen Zeit, zu sich beschieden, dann hatte er seine Minister empfangen und mit ihnen gearbeitet, und froh endlich, diese Pflichten seines königlichen Amtes beendet zu haben, war er in seine Bibliothek gegangen, um die Zeit, welche ihm heute mit Schneckenlangsamkeit vorwärts zu kriechen schien, mit Lektüre und Schreiben zu töten.

Der König erwartete Voltaire. Er wußte, daß derselbe bereits in Potsdam angelangt sei und dort in den für ihn im königlichen Schlosse eingerichteten Zimmern nur ein wenig ausruhe, um dann nach Sanssouci zu kommen und seinen königlichen Freund zu begrüßen.

Der König sah diesem ersten Begegnen Voltaires nach jahrelanger Trennung indessen mehr mit schmerzlicher, angstvoller Beklommenheit, als mit freudiger Ungeduld entgegen. Voltaires Ankunft zu längerem Aufenthalt war ein seit Jahren von Friedrich begehrtes und glühend erstrebtes Ereignis, und jetzt, da es sich seiner Erfüllung nahte, zitterte der König fast davor, wie vor einem Schrecknis, fühlte er sein Herz beklemmt und fast kummervoll. Was bedeutete das? Wie kam es, daß diese Freundschaft, die man seit sechszehn Jahren so vielfach beteuert, so exzentrisch und begeisterungsvoll einander gelobt hatte, jetzt an dem Ziele ihrer Wünsche angelangt, dennoch den König nicht befriedigte, sondern ihn mit einem eisigen Hauche des Todes und der Vernichtung anwehte?

Der König, wie sehr er immer auch von Bewunderung und Anbetung für das Genie des großen französischen Dichters Voltaire durchdrungen war, der König fühlte jedoch, daß diese Bewunderung dem Menschen Voltaire vielleicht schaden könnte, weil dieser derselben nicht genügen möchte. Er ahnte, daß die Wirklichkeit und das tägliche Zusammensein sich wie ein erkältender Mehltau auf diese seltene Wunderblume einer Freundschaft zwischen dem König und dem Dichter legen könnte, einer Wunderblume, welche man so viele Jahre der Trennung mit glühenden Beteuerungen und feurigen Erklärungen genährt und erwärmt hatte, und die man jetzt aus diesem Treibhause des imaginären und brieflichen Lebens an die Wirklichkeit und zur Wahrheit verpflanzen wollte. Und doch fehlte dieser Freundschaft schon das Fundament der Wahrheit und Wirklichkeit, doch hatte sie keinen Boden mehr unter sich, sondern schwebte wie ein schillerndes Phantom in der Luft, wie eine köstliche Fata Morgana, deren glänzende Tempelhallen und Säulen bald wieder in Nebel und Duft zerfließen sollten!

Und in diesen Tempelhallen der Fata Morgana wollten die beiden größten Geister, die beiden vorurteilslosesten Freidenker, die beiden genialsten Philosophen ihres Jahrhunderts, den Kultus der Freundschaft begehen? In diesem Tempel von Nebelduft wollten sie einander umarmen, während doch das zweischneidige Schwert des gegenseitigen Mißtrauens und Argwohns schon zwischen ihnen hing und mit seinem unheimlichen Blitzen und Funkeln sie beide hätte zurückschrecken sollen. Beide glaubten sie nicht mehr an die Tiefe ihrer Freundschaft, und dennoch, je weniger sie daran glaubten, mit desto beredteren Worten sprachen ihre Lippen von der Ewigkeit und Unvergänglichkeit derselben. Jeder von ihnen sagte zu sich: »ich allein will die Früchte dieser Freundschaft genießen und dem andern nur die Blüten derselben geben.« Beide bedachten sie nicht, daß solche Blüten immer nur künstlich, geruchlos und bald verblüht sein müßten, wie glänzend sie beim ersten Anblick auch erscheinen möchten.

Der König konnte Voltaire nie verzeihen, daß er einst, im jugendlichen Ungestüm seiner Begeisterung, sich so weit herabgelassen hatte, Voltaire die Hand zu küssen Thièbault, V, 245. – Preuß I, 244, und daß der stolze, ehrgeizige Dichter diese Huldigung laut ausgeprahlt hatte in die Welt, während er sie als ein zugleich heiliges und gefährliches Geheimnis in dem tiefsten Schrein seines Herzens hätte verbergen sollen.

Voltaire zürnte dem König, weil er jüngst erst an den jungen Dichter d'Arnaud ein Gedicht gemacht, in welchem er Voltaire die »untergehende«, d'Arnaud »die aufgehende Sonne« nennt Oeuvres posthumes .

Und doch liebten sie beide einander, und doch wollten sie jetzt diese Liebe langer Jahre betätigen, indem sie dieselbe auf den Prüfstein steten Beisammenseins und ununterbrochener Gemeinschaft legten.

Der König also erwartete Voltaire, und wie er jetzt das Heranrollen eines Wagens, dann das Öffnen der Türen, das Geräusch sprechender Stimmen vernahm, sprang er mit Heftigkeit von seinem Sitz empor und näherte sich, dem ersten Impuls seiner Freude nachgebend, der Tür, um Voltaire entgegenzueilen. Aber schon auf der Schwelle der Tür angelangt, blieb er stehen und überlegte.

Nein, sagte er dann, ich werde ihm nicht entgegengehen. Vielleicht würde er mich damit nur verspotten, vielleicht würde er sich dessen rühmen.

Und mit traurigen Mienen kehrte der König zu seinem Lehnsessel zurück und nahm wieder das Buch zur Hand, in welchem er zuvor gelesen.

Jetzt klopfte es an die Tür, jetzt erschien der Lakai und meldete den Herrn von Voltaire, – und nun, diese Gestalt, die da auf der Schwelle erscheint, dieser Mann mit der etwas zusammengedrückten schmalen Brust, dem von Alter oder Krankheit gebeugten Nacken, dieser Mann mit dem wunderbaren Antlitz, von dem man nicht weiß, ob es das Antlitz eines Satyrs oder eines Halbgottes ist, dessen Augen bald von einem göttlichen, bald von einem dämonischen Feuer leuchten, dessen Mund sich bald zu einer erschreckenden Grimasse, bald zu einem bezaubernden Lächeln öffnet, dieser Mann ist Voltaire.

Wie der König diesen wunderbaren sprühenden Augen mit seinen Blicken begegnete, vergaß er alles, sein Königtum und seine Würde und Voltaires Eitelkeit und Bosheit. Er war für ihn nur noch der große Dichter, das staunenswürdige Genie, und mit diesem Gefühl eilte er Voltaire entgegen, öffnete er ihm die Arme und drückte ihn zärtlich an seine Brust.

Willkommen, willkommen, mein Herr und Meister! rief der König. Ich empfange Sie, wie es dem Schüler geziemt, in meiner Schulstube, umgeben von den Büchern, dessen verschlossene und rätselhafte Weisheit Sie, mein Lehrer, mir ausdeuten und erklären sollen.

Im Gegenteil, Sire, sagte Voltaire mit seinem einnehmendsten Lächeln und seiner sanftesten Stimme, im Gegenteil, Sire, Sie empfangen mich mit allem Prunk Ihres Königtums, sitzend auf einem Thron, den Euere Majestät nicht ererbt, sondern erobert haben. Auf dem Thron der Wissenschaft und Gelehrsamkeit, bekränzt mit dem Lorbeer, den die Götter nur den Helden und den Dichtern aufbewahren. Ah, mein Auge wird geblendet von dem Glanz, der mich hier umgibt, ich beuge mich in Demut vor diesem schönen Haupt, das zu gleicher Zeit zwei Kronen trägt und in zweien Reichen herrscht. Sire, empfangen Sie mich als den Abgeordneten aus diesem Reich der Dichter, dessen Krone Sie mit so viel Erhabenheit und Anmut tragen.

Der König lächelte. Lassen Sie mich Ihren Mitbürger und Kampfgenossen in der Republik der Geister sein, sagte er. Wenn ich sonst die Republiken für ein Unding und eine Unmöglichkeit halte, so glaube ich doch an diese Republik und trage ihr ein echt republikanisches, nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit strebendes Herz entgegen. Erinnern Sie sich dessen immer, mein Freund, und lassen Sie uns in Sanssouci vergessen, daß Ihr Republikaner anderswo noch der erste Beamte eines Königreiches ist. Und jetzt lassen Sie mich zuerst erfahren, wie Ihnen die Reise bekommen ist und ob Sie überall denjenigen aufmerksamen Empfang gefunden haben, den ich auf allen Stationen für Sie anbefohlen hatte?

Ah, Sire, bei jeder Station, die ich in Ihrem Lande erreichte, habe ich mich sehr zerknirscht und demütig Ihrer Größe gegenüber gefühlt. Wie erhaben, mächtig und allgewaltig, sagte ich mir, muß doch dieser König sein, da man mich so ehrt und feiert, bloß weil ich die Gnade genieße, mich seiner Gunst erfreuen zu können. Diese Freude, Sire, ist es auch allein gewesen, welche mir die Kraft verliehen hat, hierher zu kommen. Meine Freunde in Paris nannten es eine Lächerlichkeit, daß ich in diesem jammervollen und elenden Zustande eine Reise unternehmen wollte. Aber ich, Sire, ich fühlte, daß ich nicht sterben würde, bevor ich nicht noch einmal zu den Füßen dieses großen und doch so einfachen Mannes, dieses erhabenen und doch so liebenswürdigen Philosophenkönigs gesessen und an seiner Weisheit und seinen Scherzen mein krankes Herz erquickt hätte. Ich bin also gekommen, Sire, nicht als Voltaire, sondern als der tragische Scarron Ihres Jahrhunderts, und habe mich auf dem ganzen Wege auch immer nur den »Kranken des Königs von Preußen« genannt Oeuvres complètes de Voltaire. Gotha 1788. LVIII 313. .

Ah, rief der König lächelnd, Sie und der Marschall von Sachsen sind mit Ihrer Krankheit in derselben Lage. Sie haben in Ihrer größten Hinfälligkeit mehr Energie und Kraft, als alle andern Menschen in ihrer schönsten Gesundheit Oeuvres posthumes. II, 323.. Wären Sie also jetzt nicht gekommen, so würde ich Sie für einen Falschmünzer gehalten haben, der mir statt der echten Münze seiner Freundschaft nur versilbertes Blei gibt und mich betrügt, indem er mich zu beschenken scheint. Ihr Glück also, daß Sie da sind! Wahrlich, Sie gleichen dem weißen Elefanten, um dessenwillen sich der Schah von Persien und der Großmogul bekriegen und mit dem sie ihre Titel vermehren, wenn sie glücklich genug gewesen, ihn erobert zu haben. So werde ich von heute an meine Titel so beginnen: Friedrich von Gottes Gnaden, König von Preußen, Kurfürst von Brandenburg, Besitzer von Voltaire et cetera Des Königs eigene Worte. Oeuvres posthumes. II, 357..

Euere Majestät mögen sagen: »Besitzer vom unveräußerlichen Voltaire«, denn darin bin ich wenigstens klüger wie der weiße Elefant, daß ich es um meinen Besitz nicht zu einem Kriege kommen lasse, sondern mich ganz freudig und bereitwillig zum Eigentum Euerer Majestät erkläre, lassen Sie mich also der weiße Elefant Euerer Majestät sein, und wenn der Großmogul mich zurückbegehrte, so verleugnen mich Euere Majestät!

Während Voltaire so sprach, warf er einen lauernden, raschen Blick auf das Antlitz des Königs, und seine Züge verloren für einen Moment den Ausdruck der Zärtlichkeit und des Lächelns. Friedrich sah das nicht oder wollte es nicht sehen.

Nicht doch, sagte er heiter, ich werde Sie nicht verleugnen, sondern sagen, daß Sie Mein sind.

Ich bin immerhin doch noch Untertan des Königs von Frankreich, rief Voltaire achselzuckend, man hat mir, als ich Paris verließ, nicht den Titel eines Historiographen des Königs von Frankreich, sondern nur meine Pension abnehmen wollen. Man wußte vielleicht, daß ich mit der Post reise, und daß ein Titel weniger schwer für meine Pferde fortzuschleppen sei, als eine Pension von sechstausend Livres. Man hat mich also von derselben erleichtert, und ich komme ohne Pension zu Euerer Majestät.

Diese Anspielung war zu deutlich, als daß der König sie nicht hätte verstehen müssen; aber er wollte sie nicht verstehen. Nur flog es wie ein Schatten über seine Stirn und der leuchtende Ausdruck seines Angesichts trübte sich ein wenig. Er, welcher Voltaire so gern als erhabenes Genie anbeten mochte, fühlte sich schmerzlich davon getroffen, ihm als kleinlichen, berechnenden Menschen zu begegnen.

Sie sind also in Ungnade bei meinem Bruder Ludwig von Frankreich gefallen? fragte er.

Im Gegenteil, Sire, man versicherte mich der höchsten Gnade, man ging sogar so weit, mich mit einem ebenso schmeichelhaften als erfreulichen Auftrag zu beehren, und wenn es mir Euere Majestät erlaubt, möchte ich mich sogleich desselben entledigen.

Tun Sie das, sagte Friedrich lächelnd, machen Sie es sich bei mir immer leichter, damit Ihre Schwingen Sie desto höher emportragen. Man hat Sie um Ihre Pension erleichtert, werfen Sie nun noch Ihren Auftrag zu dem andern Ballast hin.

Sire, die Marquise von Pompadour hat mir aufgetragen, Euerer Majestät die allergehorsamsten und untertänigsten Grüße zu sagen und Euere Majestät ihrer größten Ehrerbietung und Devotion zu versichern.

Der König zog ruhig seine goldene, mit Brillanten besetzte Tabatière aus seiner Westentasche hervor, und während er langsam eine Prise nahm und seine großen brennenden Augen auf Voltaires lächelndes, erwartungsvolles Antlitz heftete, sagte er vollkommen gleichgültig: die Marquise von Pompadour? Ich kenne sie nicht »Oeuvres« complètes de Voltaire. LVIII 325. .

Voltaire zuckte zusammen und blickte den König erstaunt und fragend an.

Aber Friedrich schien das gar nicht zu bemerken, sondern fuhr ruhig fort: Aber haben Sie mir sonst keine Grüße zu bringen? Hat keiner der großen Geister, an denen Paris so reich ist, sich meiner erinnert?

Sire, ich werde mich wohl hüten, weitere Grüße zu bestellen, denn Euerer Majestät gegenüber werden alle sogenannten großen Geister klein erscheinen und Euere Majestät werden sie nicht anerkennen.

Der König lächelte. Oh, nicht doch, ich erkenne gern an, was wirklich groß und anerkennenswert ist. Voltaire wird niemals einen größeren Bewunderer haben, als ich es bin!

Ah, diese Worte sind ein Balsam, Sirs, den ich auf meine Brust legen will, welche noch ganz zerfleischt ist von der wilden Meute meiner Kritiker!

Ah, die Kritiker machen Ihnen also noch immer Sorgen und Kümmernisse? rief Friedrich kopfschüttelnd.

Sie haben mich wund gehetzt und in mein innerstes Fleisch ihre unersättlichen Giftzähne gebohrt, sagte Voltaire mit dem ihm eigenen, schnell aufflammenden Zorn. So miserabel und jammervoll sind sie, daß ich mir selber schon ganz miserabel und jammervoll erschien, und ganz zerknirscht und demütig Euere Majestät fragen will: ob, wenn solche Meute ihre Stimme erheben und ungestraft bellen kann, es nicht besser ist, daß Voltaire sich in eine Höhle verkriecht und die Tiere der Wüste, welche vielleicht seine Verse als melodisches Gebrüll anerkennen möchten, seine Brüder nennt!

Also immer noch der Brausekopf, der Orlando Furioso? rief der König lächelnd. Immer noch ist Ihre Haut so weich, daß die Nadelspitzen der kleinen Kritiker Sie verletzen? Und ihnen zu Gefallen wollten Sie verstummen? Wenn Sie sich von den Musen scheiden lassen wollten, Freund, wer sollte dann noch Mut haben, mit ihnen anzubinden? Nein, nein, ahmen Sie nicht dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nach, und strafen Sie die Verbrechen der Väter nicht bis ins dritte und vierte Glied, lassen Sie das Publikum von heute und von den nächsten Jahrhunderten nicht entgelten, was einige Kritiker verschuldet haben! Die Verfolgungen des Neides sind ein Tribut, den das Verdienst an die Gewöhnlichkeit zahlt, wenn einige elende Kritiker gegen Sie belfern, so denken Sie nur nicht, daß die Nationen und die Zukunft von denselben sich düpieren lassen. Ungeachtet der Kritteleien der sogenannten Kunstkenner bewundern wir noch heute die Meisterwerke Griechenlands und Roms; das Geschrei des Aeschines hat den Ruhm des Demosthenes nicht verdunkelt, und was Lucian auch immer sagen mochte, Cäsar ist und bleibt einer der größten Männer, den die Menschheit jemals erzeugt hat. Ich garantiere Ihnen dafür, daß Sie nach Ihrem Tode vergöttert werden. Aber ich bitte Sie, beeilen Sie sich nicht, Gott zu werden, sondern begnügen Sie sich vorläufig damit, Ihre Apotheose in der Tasche zu haben, und von allen denen verehrt zu werden, die über Neid und Vorurteile erhaben sind und in deren erster Reihe ich selber stehe! Des Königs eigene Worte. Oeuvres posthumes II, 337.

Ah, warum ist die ganze Welt nicht da, die erhabenen Worte eines Königs zu hören, den ich von heute an so stolz bin, meinen König nennen zu wollen, rief Voltaire leidenschaftlich. Sire, ich liebe Sie leidenschaftlich, ich bilde mir ein, daß die Götter uns füreinander geschaffen haben, ich habe Sie lange zärtlich geliebt, ich bin erzürnt auf Sie gewesen, aber ich habe Ihnen alles verziehen und liebe Sie wirklich bis zur Raserei. Es hat nie einen schwächeren Körper als den meinen, nie aber eine gefühlvollere Seele gegeben. Ich wage es, Sie ebenso sehr zu lieben, als ich Sie bewundere. Voltaires eigene Worte. Und wahrlich, ich halte das für einen ebenso großen Sieg, als die fünf andern Siege, die Euere Majestät erkämpft hat, und um deretwillen die Welt Sie bewundert. Ich, Sire, ich will Sie nicht bloß bewundern, sondern auch lieben, und von heute an werde ich als Ihr treuer Hund immer zu Ihren Füßen liegen und Sie anschauen, gleichviel, ob Sie mich von da fortjagen und sagen, daß Sie nicht mein Herr sein wollen. Ich werde dennoch wiederkehren, auf Ihrer Türschwelle soll meine Heimat sein, und da werde ich zufrieden sein mit den Brosamen, die von Ihrer Tafel fallen. Mein Reichtum und mein Glück soll darin bestehen, Sie zu lieben!

Nun, und ich werde Ihre Liebe nicht auf eine so harte Probe stellen, sagte der König lächelnd. Es wird sich hoffentlich noch eine andere dauernde Wohnung für Sie finden, und wir werden schon dafür sorgen, daß Sie nicht dem Lazarus gleichen, der die Brosamen empfängt, sondern dem reichen Mann, von dessen Tische sie fielen.

Das war endlich eine Art Zusicherung und Verheißung, welche die bange Sorge und Unruhe Voltaires ein wenig zu beschwichtigen vermochte und sein Antlitz strahlen machte vor Freude. Aber er unterdrückte schnell genug wieder diese Freude, welche dem aufmerksamen Auge des Königs seine egoistischen und habsüchtigen Wünsche hätte verraten können, und nahm eine traurige Miene an.

Ach, Sire, sagte er wehmutsvoll, ich gleiche dennoch gar sehr dem Lazarus, und wenn Euere Majestät nicht die Wunderkraft des jungen jüdischen Rabbi Jesus Christus besitzen, so werden Sie mich wohl begraben müssen. Aber ich bin so gläubig, wie nur irgendeiner der Juden war; ich glaube an die wundertätige Kraft Ihrer Hand. Hat doch die Berührung Ihrer Hand genügt, um in die Krone Preußens das schöne Schlesien als funkelnden Brillanten einzufügen, die schlummernden Geister zu wecken, und auf diesen nordischen Steppen die Blüten der Kultur und Bildung hervorzurufen. Sire, ich glaube nicht an die Wunderkraft des sogenannten Messias, aber ich glaube an die Wunderkraft des Salomons des Nordens, und ich bin bereit, vor der ganzen Welt Zeugnis für ihn abzulegen!

Indes, wenn der französische Hahn kräht, werden Sie mich doch dreimal verraten, sagte der König. Ich kenne Sie schon, und ich weiß, daß, wenn Sie zornig sind, Ihnen nichts heilig ist, und ich fürchte, Sie werden hier wie überall noch oft Gelegenheit finden, zornig zu sein. Aber jetzt vor allen Dingen, was bringen Sie mir mit? Welches Geschenk hat Ihnen Ihre Muse für den armen Philosophen von Sanssouci gegeben? Denn ich will nicht fürchten, daß Sie mit leeren Händen kommen und daß Frankreichs Homer seine Leier zerbrochen hat?

Nein, Sire, ich komme nicht mit leeren Händen. Ich bringe Ihnen etwas mit, und ich denke, es ist das Beste und Schönste, was ich jemals meiner Muse abgerungen habe. Seit zwanzig Jahren war ich indigniert zu sehen, was mein guter Freund und Meister Crebillon aus dem besten und erhabensten Sujet des Altertums gemacht hatte. Wie er aus der purpurnen Toga sich mit geschickten Schneiderhänden eine kleine Affenjacke zusammengeflickt und sie aufgeputzt hatte mit dem elenden Flittertand einer erbärmlichen Liebe und hochstelziger, ostgotischer Verse. Crebillon hat einen französischen Catilina geschrieben, ich, Sire, ich habe einen römischen Catilina geschrieben! Ah, Sie werden sehen und Sie werden staunen! In einer meiner jammervollen schlaflosen Nächte bemächtigte sich meiner der Teufel und sagte zu mir: »Räche Cicero und Frankreich! Beiden hat Crebillon Schmach angetan, wasche die Schande von deinem Lande ab.« Dieser Teufel war ein guter Teufel, und selbst Sie, Majestät, hätten mich nicht mehr zur Arbeit antreiben können, wie er es tat. Tag und Nacht fesselte er mich an den Schreibtisch. Ich glaubte zu sterben vor Aufregung, aber der Teufel hielt mich fest und die Geister der großen Römer umstanden meinen Schreibtisch und rissen die lächerlichen Masken ab, welche Crebillon ihnen angeklebt; sie zeigten mir ihr wahres, erhabenes, strahlendes Angesicht, und befahlen mir, sie abzukonterfeien, damit die Welt endlich ihrer Schönheit inne werde und nicht von Crebillons Karikaturen mehr betrogen werde. Ich mußte wohl gehorchen, Sire, ich arbeitete unaufhaltsam und in acht Tagen war mein Werk vollendet, Catilina war geboren, aber ich war so erschöpft davon, wie nur jemals eine Frau nach ihrer Entbindung es gewesen Die ganze Rede ist von Voltaire selbst. Siehe Oeuvres complètes. LVIII, 277-78..

Das heißt, Sie wollen nicht sagen, daß Sie in acht Tagen eine Tragödie geschrieben haben? fragte der König. Sie haben den Plan dazu entworfen, und den bringen Sie mir mit und wollen ihn hier ausarbeiten?

Nein, Sire, ich bringe Ihnen die fertige Tragödie, und es ist wahr, ich habe sie in acht Tagen geschrieben Oeuvres complètes de Voltaire. LVIII, 273. . Ah, Sire, das ist ein Werk, an dem Sie Freude erleben sollen! Sie werden da keine verliebte Tullia, keinen schwatzhaften, zahnlosen Cicero, aber Sie werden ein furchtbares Bild von Rom sehen, ein Bild, welches mich selber noch erschaudern macht. Aber, Sire, wenn Sie es lesen, muß ich Sie beschwören, es in dem Sinne zu lesen, in welchem ich es geschrieben habe. Ich habe meinem Kollegen Crebillon all diesen dramatischen Plunder gelassen, der auf der Bühne einmal hergebracht ist; sein Catilina ist eine reine Fiktion, ich habe den meinen in meiner Eigenschaft als Historiograph geschrieben. Bei mir ist Rom</> die Hauptperson; sie ist die Liebhaberin, für welche ich will, daß sich das Publikum von ganz Europa interessiere. Ich habe keine Intrige als Roms Gefahr; keine andere Verknüpfung als die rasenden Kunstgriffe Catilinas, die Vehemenz und handelnde Tugend Ciceros, die Eifersucht des Senats, die Entwicklung des Charakters von Cäsar. Keine andere Frau als eine Unglückliche, die um so natürlicher von Catilina verführt worden, als, wie die Geschichte uns lehrt, dies Ungeheuer liebenswürdig war. Ich weiß nicht, Sire, ob Sie beim vierten Akt schaudern werden, aber ich, der Dichter, ich habe dabei gebebt und geschaudert Voltaires eigene Worte.. Meine Tragödie ist nach keinem Modell gearbeitet, sie ist ganz neu, in nova fert animus. Freilich wird mich die Welt wieder damit verlästern, und die kleinen Seelen werden mich zähnefletschend anbellen, aber mein Werk ist geschrieben mit einer großen Seele; die großen Seelen werden mich verstehen und die eklen kleinen und gemeinen werde ich doch endlich alle zerschmettert unter meine Füße niedertreten. Jupiter kämpfte mit den Titanen und bezwang sie! Nun bin ich kein Jupiter, aber wahrlich, meine Gegner sind auch keine Titanen!

Und während seine Worte so in einem unaufhaltsamen, mächtigen Strom über seine Lippen sprudelten, war Voltaire ein ganz anderer geworden. Sein Antlitz war jetzt von einer leuchtenden, imponierenden Schönheit, seine Augen strahlten in einem erhabenen Feuer, ein wundervolles Lächeln umschwebte seine Lippen und seine vorher gebeugte und zusammengedrückte Gestalt war jetzt hochaufgerichtet, stolz und gebieterisch.

Der König hatte ihm mit freudigem Herzen zugeschaut, und als Voltaire jetzt hochaufatmend schwieg, legte Friedrich seine beiden Hände auf Voltaires Schultern und sah ihm lange und mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe und Zärtlichkeit in das leuchtende Angesicht.

Ah, sagte der König, jetzt habe ich endlich meinen Voltaire wieder, meinen stolzen, begeisterten Dichterkönig, meinen ruhmstrahlenden Homeros. Der Genius hat das Krokosmäntelchen des Hofkavaliers abgestreift, und statt der kleinlichen, geschmeidig demütigen Worte finde ich endlich die zerschmetternde, melodische, juwelenfunkelnde, stolze Sprache meines Dichters wieder. Willkommen, Voltaire, willkommen, mein Dichterkönig, in Sanssouci, dessen armer Philosoph nur über Menschen König ist, während Ihnen die Geister unterworfen sind. Ah, mein mächtiger König und Herr, seien Sie gnädig! Sie besitzen ein so großes Königreich, schenken Sie mir wenigstens eine kleine Provinz desselben!

Ah, Sire, Sie spotten meiner, rief Voltaire. Ich habe Cicero und Cäsar für das Theater geschrieben, Sie aber stellen diese beiden größten Männer des großen Altertums beide vereint in Ihrer Person auf dem Theater der Welt dar Voltaires eigene Worte. LVIII, 316., und ich bin hierher gekommen, um dieses Wunder zu sehen, welches jedenfalls ein höheres Drama ist, als das meine, und jedenfalls würdiger ausgeführt wird. Denn Euere Majestät stellen dar, was Sie wirklich sind, wo aber werde ich Schauspieler finden können, welche meinen Cäsar, meinen Cicero und Catalina darstellen könnten? Wie soll man Kulissenreißer in große Männer verwandeln, und aus hundewedelnden, kleinen pappenen Modehelden freie Römer machen können? Ich habe keine Schauspieler für meine Tragödie in Paris finden können, und ehe ich es schlecht darstellen lasse, werde ich es gar nicht geben.

Wir wollen es hier bei uns auf die Bühne bringen, sagte der König. Ja, wahrlich, mit diesem neuen großen Werk soll Voltaires Ankunft über Berlin als ein flammender Komet aufleuchten! Indem man erfährt, daß Sie endlich da sind, soll man aufs neue zugleich sehen, daß Sie würdig sind, angebetet und verehrt zu werden! In vier Wochen soll Ihr neues Werk in meinem Schlosse dargestellt werden!

Wie? Euere Majestät haben auch ein französisches Schauspiel, und zwar ein solches, welches es wagen darf, meinen Catalina zu geben?

Voltaire zu Liebe werden alle meine Hofherren, ja selbst meine Geschwister, sich in Schauspieler verwandeln, und wenn Ihnen in Paris ein Cicero fehlte, nun in Berlin wird er Ihnen nicht fehlen, denn haben wir nicht Voltaire, welcher ihn darstellen wird? Und wenn es Ihnen in Paris an einem guten Direktor und Regisseur mangelte, so wird das in Berlin nicht der Fall sein, denn Voltaire hat die Erlaubnis, sich an meinem Hofe diejenigen auszuwählen, welche er für die geeignetsten Schauspieler hält, und er selber wird ihnen ihre Rollen einstudieren. Nur mich selber nehme ich aus. Vor zehn Jahren wollte ich in Rheinsberg Ihren »Tod Cäsars« aufführen und darin eine Rolle übernehmen. Da starb der Kaiser von Deutschland, und das Schicksal rief mich auf das große Theater der Welt, wo ich seitdem meine Rolle zu spielen versuche, wie es eben geht, und ihr alle meine Kraft und Tätigkeit weihen muß. Ich darf daher nicht noch andere Rollen übernehmen, denn die beiden Rollen könnten sich verwirren, und was könnte nicht alles daraus entstehen, wenn der König von Preußen von heute morgen sich mit dem Cicero von gestern abend verwechselte, und gegen die Tyrannen eine fulminante Rede hielte und die freien Römer zur Verteidigung ihrer Rechte aufriefe, während er doch selber ein Stückchen Tyrann sein muß und seine Untertanen mehr Sklavenseelen als römische Freiheitshelden sind. Ich muß mich also darauf beschränken, den Zuschauer abzugeben und Ihnen auf der Bühne als Cicero zu applaudieren, wie ich es außer derselben Ihnen als Voltaire tue.

Und es ist also in der Tat Ihr Ernst, Sire, Sie wollen mein Drama, das bis jetzt noch wie ein Scheintoter in meiner Schreibmappe liegt, zum Leben erwecken?

In vier Wochen, spätestens in zwei Monaten muß es zur Darstellung kommen, und Sie werden dieselbe leiten!

Voltaires strahlendes Antlitz verfinsterte sich, das heitere Leuchten verschwand von der Stirn des Dichters, und der eigennützige Mensch zog wieder seine Linien und Furchen über dieselbe.

In vier Wochen, Sire? sagte er kopfschüttelnd. Ich fürchte, daß ich alsdann nicht mehr hier sein werde. Ich bin gekommen, um mich einige glückliche Tage an Ihrem Anblick zu sonnen und zu erwärmen.

Und dann? unterbrach ihn Friedrich mit schnell verfinsterten Mienen.

Dann will ich einen Lieblingstraum meines ganzen Lebens ausführen und nach Italien gehen, nach der heiligen Stadt Roma, um da auf den Gräbern Cäsars und Ciceros zu knien, Sankt Peter, die Mediceische Venus und den Papst zu sehen.

Der König lächelte. Sie werden nicht nach Rom gehen, sagte er, und der heilige Vater wird nicht das Glück haben, den gottesleugnerischen Saulus in einen frommen und gläubigen Paulus verwandeln zu können. Sie werden in Berlin bleiben, und wenn Sie es nicht freiwillig tun wollen, so werde ich Sie mit Gewalt dazu zwingen. Ich werde Sie zu meinem Untertan machen, ich werde Sie mit Orden und Titeln binden, ich werde Sie nötigen, ein Gehalt von mir anzunehmen, und dann, wenn Sie mir dann noch entfliehen wollen, dann werde ich das Recht haben, Sie mit Gewalt von jedem Potentaten der Erde zurückzurufen!

Jetzt ward Voltaires Gesicht wieder strahlend und freudig. Ah, Sire, rief er lächelnd, es wird keiner Gewalt bedürfen, um mich hier zu fesseln. Ihr Befehl allein genügt.

Und Ihre Pflicht! Mein Kammerherr darf nicht auf einen Tag von meinem Hoflager sich entfernen, ohne meine Erlaubnis zu haben. Ich mache Sie also zu meinem Kammerherrn. Ich lege das Band meines Ordens pour le mérite um Ihren Hals, damit ich doch ein Band habe, an welchem ich Sie halten kann, und um Sie ganz zu meinem Gefangenen zu machen, gebe ich Ihnen in meinem Schloß zu Potsdam eine Wohnung. Damit Sie sich dort nicht als Einsiedler fühlen, werden Sie jeden Tag sechs Kuverts für Ihre Freunde bereit haben, und um Ihnen den Anschein der Freiheit zu geben, werden Sie Ihre eigene Equipage und Dienerschaft haben, die Ihnen in allen Dingen gehorchen müssen, nur dann nicht, wenn Sie Ihren Bedienten befehlen, Ihre Sachen einzupacken, und Ihrem Kutscher, die Reiseroute nach Rom oder Paris einzuschlagen.

Voltaire hörte den Worten des Königs mit gespannter, atemloser Aufmerksamkeit zu. Etwas Lauerndes, Argwöhnisches und Unbefriedigtes war in seinem Gesicht, das dem König nicht entging und dessen Ursache er wohl kannte. Dennoch schwieg er, und Voltaire erschöpfte sich in Worten der Dankbarkeit und Freude, aber diesen Worten fehlte der Elan der Wahrheit, und von der Freude, welche seine Lippen schilderten, war nichts in seinem Antlitz zu lesen.

Ich habe nur noch eins hinzuzufügen, sagte der König endlich, und Eure Göttlichkeit und Größe möge es einem andern Erdenwurm verzeihen, wenn er es wagt, in Ihrer erhabenen Gegenwart von einem so schmutzigen und gemeinen Dinge zu reden, als da ist: das Geld!

Voltaires Augen blitzten höher auf, und es schien durchaus nicht, als ob dieser Gegenstand der Unterhaltung ihn beleidigte.

Sie haben, fuhr der König fort, in Frankreich eine Pension von sechstausend Livres aufgegeben. Es ist billig, daß ich Sie dafür entschädige. Wie sehr auch Ihr großer Geist über alles Irdische erhaben sein mag, so hat doch auch die irdische Existenz ihre Rechte, und ich will nicht, daß diese jemals, solange Sie bei mir sind, durch den Schatten irgendeiner Entbehrung getrübt sei. Sie werden also von mir ein Jahrgehalt von fünftausend Talern annehmen müssen, und da Sie außerdem freie Wohnung und freie Tafel haben, so denke ich, werden Sie damit behaglich leben können.

Voltaires Herz hüpfte hoch vor Freude, aber er zwang sich ruhig und gelassen zu erscheinen.

Euere Majestät vergessen das Wichtigste, sagte er, Sie geben mir Wohnung und Speise, aber es fehlt mir noch das Licht und das Feuer. Ich bin ein alter Mann und werde es nicht aus mir selber schöpfen können.

Der König lachte laut. Wahrlich, sagte er, ich finde es ganz in der Ordnung, daß der größte Freigeist und Dichter seines Jahrhunderts in Sorgen ist um das Licht, welches ihm leuchten soll. Rechnen wir also für jeden Monat zwölf Pfund Wachslicht, ich denke, das wird genügen, damit es bei Ihnen niemals dunkel werden soll. Was aber die übrigen kleinen Bedürfnisse des Lebens anbelangt, so werden Sie die Güte haben, dem Kastellan des Schlosses aufzuschreiben, was Sie bedürfen, und es wird Ihnen regelmäßig am ersten Tage jedes Monats eingeliefert werden. Wir sind also einverstanden? Sie bleiben bei mir?

Ich bleibe bei Ihnen, Sire, nicht um den Kammerherrntitel und den Orden, nicht um die Pension, ich bleibe bei Ihnen, Sire, weil ich Sie liebe. Mein Herz opfert Ihnen den Traum meines Lebens, die Reise nach Italien. Oh, ich wollte, ich könnte Ihnen noch größere und gefährlichere Opfer bringen, ich wollte, es gäbe ein Mittel, Ihnen meine Liebe, meine Anbetung, meine aufrichtige Bewunderung zu bezeigen!

Der König legte sanft seine Hand auf Voltaires Schulter und sah ihm lange und tief in die Augen. Seien Sie ein so guter Mensch, als Sie ein großer Dichter sind, sagte er, das ist das schönste Opfer, was Sie mir darbringen können!

Ah, ich sehe schon, rief Voltaire erglühend, man hat mich bei Ihnen verleumdet. Euere Majestät haben meinen Feinden Ihr Ohr geöffnet und das höllische Gift ihrer Schmähsucht beginnt schon in Ihrem Herzen zu wirken. Da man dem Dichter Voltaire nichts anhaben konnte, will man den Menschen Voltaire angreifen und seinen Charakter verdunkeln, weil man seinen Ruhm nicht verdunkeln konnte. Aber ich kenne meine Feinde und ich fürchte sie nicht! Ich werde ihnen immer mit offenem Visier und ungeharnischter Brust entgegentreten. Mögen sie mit ihren vergifteten Pfeilen aus ihrem Hinterhalt hervor mich töten. Es ist besser zu sterben, als von dem größten von mir angebetenen König beargwöhnt zu werden!

Der König lachte. Ah, sagte er, welche seltsame Kreaturen seid ihr Dichter. Immer in Aufruhr und Agitation, entweder den Himmel stürmend oder die Hölle, entweder Kobolde bekämpfend oder mit Engeln schwärmend. Niemals in der ruhigen, gleichmäßigen Alltäglichkeit und Gewöhnlichkeit ausharrend. Wenn Ihr jemandem begegnet, der Kartoffeln pflanzt, so glaubt ihr's ihm nicht, sondern bildet euch ein, es seien Drachenzähne, die er säet, um mit der aufgelaufenen Kriegerschar gegen euch zu kämpfen. Wenn einer euch mit ruhiger Miene ansieht, so meint Ihr schon die Verwünschung gegen euch auf seinen Lippen zu lesen, und wenn man euch bittet, gut zu sein, so seht ihr darin die Anklage, daß Ihr schlecht seid! Nein, nein, mein Dichter, niemand hat die Gifttropfen der Verleumdung in mein Ohr gegossen, niemand hat Sie bei mir verleumdet! Auch bin ich gewohnt, mir selber mein Urteil zu schaffen und die Meinung anderer hat keinen Einfluß auf dasselbe.

Aber Euere Majestät lieben es, meinen Feinden Ihr Ohr zu öffnen, sagte Voltaire düster. Gerade diejenigen, welche mich am heftigsten angreifen, werden von Euerer Majestät mit der größten Huld und Gnade beehrt. Oh, Euere Majestät sind grausam gegen mich wie eine kokette Schöne. Kaum haben Sie mich durch einen Liebesblick zu dem glückseligsten der Menschen erhoben, so wenden Sie sich mit kalter Verachtung von mir und lächeln meinen Nebenbuhlern. Noch sitzen zwei Dolchstöße in meinem Herzen und verursachen mir Todesqual. Wenn Euere Majestät mich ganz glücklich machen wollen, müssen Sie mit eigenen hohen Händen mein Herz wieder heilen!

Ich will es, wenn ich es kann, sagte der König ernst. Lassen Sie hören, worüber Sie sich zu beschweren haben.

Sire, Euere Majestät haben Fréron in Paris zu Ihrem Korrespondenten ernannt. Fréron, meinen erbittertsten Feind, meinen wütendsten, gemeinsten Gegner. Aber es ist nicht deshalb, daß ich Euere Majestät anflehe, ihn zu verabschieden. Sie werden mich nicht für so kleinlich und erbärmlich halten, Sire, zu glauben, daß ich deshalb Euere Majestät beschwören will, dieses Subjekt aus Ihren Diensten zu entlassen, oder daß die persönliche Feindschaft mich gegen die Verdienste des Schriftstellers Fréron blind machen könnte. Nein, Sire, es geschieht, weil Fréron Ihrer Gnade nicht wert ist, weil Fréron ein öffentlich entehrter, gemeiner Fripon ist, der mehr als eine gemeine Betrügerei begangen hat. Sie können also denken, Sire, welch einen Skandal es in Paris erregte, als man vernahm, daß Euere Majestät diesen Menschen mit einer Stelle beehrten, welche nur einem Manne von Weisheit und Redlichkeit gebührt. Fréron ist nur deshalb mein Feind, weil ich ihm trotz aller Bitten mein Haus verschlossen habe, und ich tat das aus Gründen, welche ihm die Aufnahme in jedem anständigen Hause unmöglich machen Voltaires eigene Worte. Oeuvres LVIII, 312.. Sire, ich beschwöre Sie also, lassen Sie keinen Tag länger die Welt glauben, daß Fréron Ihr Korrespondent sei, ich beschwöre Euere Majestät, entlassen Sie ihn aus Ihren Diensten!

Der König antwortete nicht sogleich. Er ging gedankenvoll einige Male auf und ab, dann blieb er vor Voltaire stehen, und sein Auge hatte jetzt einen fast strengen, zürnenden Ausdruck.

Ich opfere Ihnen Fréron, sagte er, weil ich nicht den ersten Tag Ihres Hierseins Ihnen etwas abschlagen will. Aber ich wiederhole Ihnen, was ich Ihnen vorher gesagt: seien Sie nicht bloß ein großer Dichter, sondern auch ein guter Mensch!

Voltaire schüttelte traurig das Haupt. Sire, sagte er, in Ihren Augen bin ich kein großer Dichter, sondern nur noch un soleil couchant. Denken Sie an d'Arnaud, meinen Schüler, den ich Ihnen gesandt!

Ah, rief der König lachend, Sie haben also mein kleines Gedicht an d'Arnaud schon gelesen?

Sire, ich habe es gelesen, und das ist der zweite Dolchstoß gewesen, den ich von Ihrer Hand auf dieser Reise empfing, zu welcher mein Herz meinen elenden, siechen Körper zwang, weil ich Sie sehen wollte, bevor ich sterbe. Ja, ich habe dieses fürchterliche Gedicht gelesen, ich habe diese Worte in mein Herz eingebrannt, diese grausamen Worte:

Déja, sans être téméraire,
Prenant votre vol jusqu'aux cieux
Vous pouvez égaler Voltaire,
Et près de Virgile et d'Homère
Jouir de vos succès heureux.
Déjà l'Apollon de la France
S'achemine à sa décadence;
Venez briller à votre tour.
Elevez vous, s'il brille encore;
Ainsi le couchant d'un beau jour
Promet une plus belle aurore. Supplémens aux Oeuvres posthumes. VI, 378.

Ah, sagte der König, als Voltaire jetzt schwieg und in einer tragischen Stellung vor dem König stehen blieb, ah, ich gestehe zu, daß ein empfindliches Gemüt wie das Ihre in diesem unschuldigen Reimgeklingel einen Dorn finden kann, der Voltaire trifft, während ich nur beabsichtigte, dem kleinen d'Arnaud einige Rosen zum Kranz zusammenzuflechten. Ich habe meine Sache also schlecht gemacht, und es war die höchste Zeit, daß Voltaire kam, um mich zu lehren, bessere Gedichte zu machen. Sie sehen, ich gestehe mein Unrecht ein, und ich erlaube Ihnen, den Dichter dieser Verse für sein Unrecht zu strafen, indem Sie ein Gedicht gegen ihn machen, das wir ebensogut veröffentlichen wollen, als meine Verse an d'Arnaud.

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<bu>Voltaire in Potsdam.</bu>

Versprechen mir Euere Majestät alles Ernstes diese kleine Genugtuung?

Ich verspreche sie Ihnen. Geben Sie mir Ihr Gedicht, sobald es fertig ist, und wir wollen es in Formeys Journal drucken lassen.

Sire, mein Gedicht ist fertig! Hören Sie nur:

Quel diable de Marc Antonin!
Et quelle malice est la vôtre!
Vous égratignez d'une main,
Lorsque vous caressez de l'autre. Oeuvres complètes de Voltaire. LVIII, 379.

Der König lachte. Ah, sagte er, welch ein allerliebstes Quatrain der Sieur Arouet da gemacht hat!

Arouet? fragte Voltaire erstaunt.

Nun, Sie wollen mich doch wohl nicht glauben machen, daß dieses kleine stachlichte, widerhaarige Reimgeklingel von dem großen Dichter Voltaire sei? Nein, nein, es ist nicht vom großen Voltaire, sondern nur vom kleinen Arouet, und mit Arouets Unterschrift wollen wir es drucken lassen!

Voltaire heftete einen Moment seine großen Augen mit einem stechenden Ausdruck auf das schöne, lächelnde Antlitz des Königs. Dann senkte er das Haupt und blickte gedankenvoll zur Erde nieder. Eine Pause trat ein. Als Voltaire dann sich wieder emporrichtete, hatte sein Angesicht wieder den edlen, schönen Ausdruck, war er wieder der Dichter Voltaire.

Sire, sagte er mit weichem, fast zärtlichem Ton, Sire, ich werde dieses Gedicht nicht drucken lassen, denn Sie haben recht, es ist nicht von Voltaire, sondern von dem alten Arouet oder Adam, der dem Dichter Voltaire immer noch zuweilen in den Nacken schlägt. Aber Sie, Sirs, Sie, welcher schon fünf Schlachten gewonnen haben, und dem einige Morgenstunden jedes Tages genügen, um ein großes Königreich mit Weisheit, Umsicht und Liebe zu regieren, Sie werden immer mit einem gütigen Blick Ihres Auges den alten Arouet bannen und himmlische Liebes- und Loblieder von Voltaires Lippen rufen!

Mag es genug sein an den Liebesliedern, die Loblieder spare ich Ihnen, rief Friedrich, indem er Voltaire mit einem köstlichen Lächeln die Hand darreichte.

Am Abend dieses ersten Tages, den Voltaire auf Sanssouci beim König zubrachte, kehrte der neue Kammerherr mit dem Orden pour le mérite geschmückt, und die vom König geschriebene Zusicherung einer Pension von fünftausend Talern in der Tasche nach Potsdam zurück.

Zwei reichgalonierte Bediente empfingen ihn an dem Schloßportal, und während der eine mit dem silbernen Armleuchter, auf welchem fünf Wachskerzen brannten, ihm vorleuchtete, lehnte sich Voltaire erschöpft und ächzend auf den Arm des andern Bedienten, um sich von ihm in die für ihn bereiteten Zimmer fast tragen zu lassen.

Dann befahl er dem Diener, den Armleuchter auf den Tisch zu stellen, und im Vorzimmer seiner weitern Befehle zu harren. Kaum aber waren die Diener hinausgegangen, als Voltaire, welcher bis dahin erschöpft im Divan gelegen, sich erhob und eilig zu dem Tisch hintrat, auf welchem der Armleuchter stand. Mit gespitzten Lippen erhob er sich ein wenig auf den Zehen und blies drei der Lichter aus, welche auf dem Armleuchter brannten.

Es ist genug an zwei Kerzen, sagte er mit seinem grinsenden Lachen. Ich bekomme monatlich zwölf Pfund Wachskerzen, und ich denke, wenn ich recht sparsam damit umgehe, wird dieses Licht, welches das barbarische Deutschland mir liefert, wohl so viel Prozente abwerfen, um meiner guten Nichte Denis ein kleines Nadelgeld zu verschaffen.

Dann ging er mit dem Armleuchter, auf welchem nur noch zwei Kerzen brannten, durch dieses mit königlicher Pracht ausgestattete Empfangszimmer, um sich in das daneben befindliche Studierzimmer zu begeben. Es war ein seltsames, fast schauerliches Bild, den einsamen, gebückten Mann inmitten dieses glänzenden, Halbdunkeln Gemaches zu sehen, wie die Lichter mit grellem Schein sein boshaft lächelndes Antlitz beleuchteten, und hier und da, indem er weiterschritt, irgendeine Vergoldung aufblitzen machten, in irgendeinem Bild reflektierten, irgendein Möbel in die Helle hervortreten ließen, während hinter ihm Dämmerung und Nacht alles in ihre undurchsichtigen Schleier hüllte.

In seinem Studierzimmer angelangt, setzte sich Voltaire an seinen Schreibtisch und schrieb an seine Nichte, Madame Denis:

»Ich habe mich also jetzt in aller Form an den König von Preußen gefesselt. Meine Ehe mit ihm ist abgeschlossen. Wird sie glücklich sein? Ich weiß es nicht! Ich habe es nicht verhindern können, endlich das entscheidende Ja zu sprechen. Es mußte endlich, nach dem Kokettieren so vieler Jahre, doch zur Heirat kommen. Das Herz hat mir vor dem Altar geklopft. Ach, hätte ich ahnen können, als wir vor sieben Monaten zusammen mein Haus in Paris einrichteten, daß ich mich heute, dreihundert Lieus von der Heimat, im Hause eines andern befinden würde? Und dieser andere ist zugleich ein Gebieter!« Oeuvres complètes. LVIII, 361.

Um dieselbe Zeit schrieb der König an Algarotti nach Berlin:

»Voltaire ist hier! Er hat, wie Sie wissen, kürzlich wieder einen Streich begangen, welcher seiner unwürdig ist. Er verdiente, auf dem Parnassus gebrandmarkt zu werden; es ist sehr schade, daß eine so böse Seele mit einem so erhabenen Genie vereint ist. Indes werde ich mir nichts merken lassen, denn ich habe seiner zum Studium der französischen Sprache nötig, man kann ja auch schöne Dinge von einem Übeltäter lernen. Ich will sein Französisch wissen, was kümmert mich seine Moral? Dieser Mann hat das Mittel gefunden, die Gegensätze in sich zu vereinigen. Man bewundert seinen Geist, während man in derselben Zeit seinen Charakter verachtet!« Oeuvres de Frédéric le Grand. III, 66.


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