Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X. Ein Liebesopfer

Die Frist war abgelaufen. Diese vier Wochen, welche der König seiner Schwester bewilligt hatte, um mit ihrem Herzen zu Rate zu gehen, sie waren jetzt zu Ende, und nichts war in dem Herzen der Prinzessin anders geworden; nur ihr Antlitz hatte sich verändert; sie konnte wohl ihre Blässe unter der Schminke und das schmerzliche Zucken ihrer Lippen unter einem Lächeln verbergen, aber sie konnte nicht verhindern, daß man sah, wie ihre Wangen täglich mehr einfielen, wie ihre Augen sich täglich mehr röteten. Selbst der König hatte das gesehen und ihr seinen Leibarzt Meckel geschickt, damit er ihre kranken Augen heile.

Prinzessin Amalie empfing diesen Abgesandten des Königs mit einem bittern eisigen Lächeln. Der König ist sehr gütig, sagte sie, aber ich bin nicht krank, ich leide gar nicht.

Aber, Königliche Hoheit, Ihre Augen leiden, sagte der Arzt. Sie sind entzündet und matt. Urlauben Sie, daß ich dieselben untersuche.

Untersuchen Sie, da der König es befohlen hat, aber ich sage Ihnen im voraus, Sie werden das Leiden nicht heilen können.

Der Geheimrat Meckel untersuchte die Augen mit sorgfältiger Genauigkeit und schüttelte bedenklich den Kopf.

Prinzessin sagte er endlich leise und ehrfurchtsvoll, wenn Sie Ihren Augen keine Ruhe gönnen, wenn Sie die Nächte, statt zu schlafen, ruhelos in Ihrem Zimmer umhergehen, und Ihre Augen immer wieder durch vieles Weinen erschöpfen, so kann das ein sehr schlimmes und trauriges Ende nehmen.

Sie meinen, daß ich erblinden könnte? fragte Amalie ruhig.

Der Arzt zuckte bedenklich die Achseln. Ich meine, daß Ihre Augen sehr krank sind, aber das ist kein akutes Leiden, sondern Ihr ganzes Nervensystem ist krank und erschöpft, und wir müssen auf dieses im ganzen wirken, wenn wir wollen, daß die Augen genesen sollen.

Verschreiben Sie also etwas, da Seine Majestät es befohlen hat, sagte Amalie kalt.

Ich werde Euerer Königlichen Hoheit ein Mittel verschreiben, aber dasselbe ist so starker und gefährlicher Art, daß man es nur mit der äußersten Vorsicht anwenden darf. Es ist eine aus scharfen Arzneimitteln zusammengesetzte Flüssigkeit, welche erwärmt werden muß, und deren Dämpfe Sie in Ihre Augen ziehen lassen. Aber Euere Hoheit müssen dabei sehr sorgsam und bedächtig zu Werke gehen. Die Substanzen dieser Mixtur sind so scharf und ätzend, daß ein zu nahes Einziehen der Dämpfe nicht bloß Ihre Augen, sondern Ihr ganzes Antlitz, ja Ihre Stimme gefährden kann. Sie müssen daher, während die Dämpfe aufsteigen, Ihren Mund fest geschlossen haben, und dürfen Ihre Augen dem Gefäß, in welchem die dampfende Masse sich befindet, niemals näher als acht bis zehn Zoll bringen. Werden Euere Königliche Hoheit die Gnade haben, das nicht zu vergessen und danach zu handeln?

Ich werde es nicht vergessen, sagte Amalie, nur den ersten Teil der Frage beantwortend.

Der Arzt achtete nicht darauf. Er verschrieb sein Rezept und entfernte sich, nachdem er noch einmal die sorgfältigste Vorsicht bei der Anwendung des Mittels empfohlen hatte.

Das war am Tage vor dem Ablaufen der vom König festgesetzten Frist. Prinzessin Amalie, welche ganz ruhig, ganz resigniert schien, und selbst zu ihrem vertrauten Hoffräulein nicht mehr klagte, ließ es ruhig geschehen, daß man ihr am andern Morgen die dampfende Mixtur brachte, und während sie sich in der von dem Arzt befohlenen Entfernung darüber neigte, sagte sie lächelnd zu Ernestinen: Ich muß wohl heute versuchen, meine Augen etwas glänzend zu machen, damit ich meinem Bruder gefalle, oder wenigstens nicht sofort seinen Unwillen errege.

Das Mittel schien in der Tat ein sehr wirksames zu sein, denn der Prinzessin Augen waren heute so strahlend und hell, wie seit lange nicht, und auf ihren Wangen brannte jenes dunkle glühende Inkarnat, wie es ein starker und kühner Entschluß, ein energisches Wollen zuweilen auch auf blassen Gesichtern hervorruft.

Jetzt, Ernestine, komm, sagte sie. Begleite mich in mein Toilettenzimmer, und wache darüber, daß ich eine möglichst sorgsame Toilette mache. Mir ist, als sei das heute mein Hochzeitstag, als ginge ich hin, mich einem geliebten Freunde auf ewig zu verloben.

Möchten Sie das tun, Prinzessin, flehte Fräulein von Haake. Möchten Sie Ihr schönes und edles Herz bezwingen und, den Wünschen des Königs folgend, dem König von Dänemark sich vermählen.

Amalie warf auf sie einen erstaunten und zürnenden Blick. Du weißt, sagte sie, daß Trenck meine Warnung erhalten und mir auf dieselbe geantwortet hat. Er wird keinerlei Einflüsterungen Gehör geben, er wird unter keinem Vorwand sich bewegen lassen, die Grenze der Staaten meines Bruders zu überschreiten, er wird selbst dann nicht kommen, wenn ihn dieser in Gnaden zurückrufen läßt. Ich kann also wegen seiner ganz außer Sorgen sein.

Und da Euere Hoheit das sein können, so sollten Sie auch jetzt ein wenig an Ihr eigenes Glück denken, Prinzessin. So sollten Sie versuchen, sich mit Ihrem Schicksal zu versöhnen und in das Unabänderliche sich zu ergeben. Der König, und mit ihm die ganze königliche Familie, ja, das ganze Land würde voll Freuden sein, wenn die beabsichtigte Vermählung mit dem König von Dänemark zustande käme. Oh, seien Sie also weise, Prinzessin, tun Sie jetzt freiwillig und freudig, was Sie sonst gewiß gezwungen und ohne Dank tun müssen. Geben Sie Ihre Einwilligung, werden Sie Königin von Dänemark!

Ach, du hast also niemals geliebt, und du weißt nicht, daß es eine Sünde ist, einen heiligen Eid, den man Gott geleistet hat, zu brechen! rief Amalie. Aber schweigen wir davon. Ich weiß, was ich zu tun habe, und ich werde es tun!

Und mit vollkommener Ruhe und Gelassenheit beendete die Prinzessin ihre Toilette, dann ging sie zu der großen Psyche, die in ihrem Boudoir stand, und betrachtete in derselben mit prüfendem Auge ihr eigenes Bild.

Ich denke, es ist nichts in meiner Erscheinung, welches den König verstimmen könnte, sagte sie. Ich habe hinlänglich Schminke auf meine Wangen gelegt, und Dank dem köstlichen Mittel des Arztes sind meine Augen heute so glänzend, als hätten sie niemals Tränen vergossen. Wenn ich mit einem solchen freundlichen vollen Lächeln zu meinem Bruder eintrete, wird er nicht sehen, daß meine Wangen eingefallen sind. Er wird also mit mir zufrieden sein, und dann vielleicht meinen Bitten Gehör geben.

Ernestine betrachtete sie mit traurigen, kummervollen Blicken. Sie sehen bleich aus, trotz Ihrer Schminke, sagte sie, und wenn Sie lächeln, so zerreißt einem dies Lächeln das Herz, denn es ist darin ein Tönen und Klingen, wie von einer gesprungenen Saite.

Still, sagte Amalie mit zuckender Lippe, still, Ernestine! Die Stunde ist gekommen! Ich gehe zum König. Siehst du, der Zeiger der Uhr deutet auf zwölf, und gerade für diese Stunde habe ich bei dem König um eine Audienz nachsuchen lassen. Lebe wohl, Ernestine, und hörst du, bete für mich.

Sie hüllte sich fest in ihren mit Zobel verbrämten Sammetüberwurf und durchschritt ruhig und stolz aufgerichtet ihre Gemächer und den langen Korridor, welcher von den Zimmern der Königin-Mutter in den von dem König bewohnten Seitenflügel des Schlosses führte.

Der König empfing sie in seinem Bibliothekzimmer. Er kam ihr bis zur Tür entgegen und reichte ihr mit einem freundlichen Lächeln seine beiden Hände dar.

Willkommen, Amalie, sagte er, tausendmal willkommen, denn Ihr Hiersein beweist mir, daß Ihr Herz die Stärke gefunden hat, welche ich von ihm erwartete, und daß meine Schwester sich selber und ihren mädchenhaften Stolz wiedergefunden hat. Die Tochter der Hohenzollern kommt, um ihrem König zu sagen: »Der König von Dänemark wirbt um meine Hand. Ich gebe sie ihm, denn die Tochter meiner Väter darf niemals in die Tiefe, sondern sie muß in die Höhe blicken, und wenn da für mich kein Myrtenkranz, sondern nur eine Krone glänzt, so will ich die Krone nehmen, denn Gott hat mein Haupt stark gemacht und gesegnet, damit es eine Krone tragen könne. Da ich keine beglückte Schäferin sein darf, so will ich eine beglückende Königin sein.« Das ist es, was Sie dem König sagen wollen. Aber Sie sind auch gekommen, um zu Ihrem Bruder zu sagen: »Mein Bruder, ich bin bereit, deinen Wunsch zu erfüllen, denn ich weiß, daß du keine egoistischen Absichten, keine ehrgeizigen Pläne damit verbindest. Ich weiß, daß du nur mein Glück und meine Wohlfahrt im Auge hattest, daß du mich erretten wolltest von Unglück, Erniedrigung und Schmach, daß du vor den Irrtümern und Schwächen meines eigenen Herzens mich bewahren wolltest. Ich erfülle also deinen Wunsch, mein Bruder, ich will Königin von Dänemark werden.« Nun, fuhr der König nach einer kleinen Pause mit tiefbewegter Stimme fort: Nun, Amalie, habe ich nicht richtig erraten? Ist es nicht deshalb, daß du gekommen bist?

Nein, mein Bruder, nein, rief Amalie mit wild hervorstürzenden Tränen, nein, ich bin gekommen, Ihr Mitleid, Ihr Erbarmen anzuflehen.

Und ganz außer sich, ganz voll Leidenschaft und Schmerz auf ihre Knie niederstürzend, hob sie flehend ihre Arme zu dem König empor. Gnade, mein Bruder, Gnade! Oh, schonen Sie meines gemarterten Herzens, lassen Sie mir wenigstens die Freiheit, zu klagen und unglücklich zu sein. Wollen Sie mich nicht an Dänemark verheiraten!

Der König trat einen Schritt zurück, und seine Stirn verfinsterte sich. Aber er bezwang seinen Unmut schnell und näherte sich seiner Schwester mit einem gütigen Lächeln, um sie sanft aufzurichten und zu dem Divan zu führen.

Kommen Sie, Amalie, sagte er. Es ziemt Ihnen nicht, vor einem Menschen auf den Knien zu liegen, nur vor Gott dürfen Sie knien. Setzen wir uns hierher, und nun lassen Sie uns miteinander sprechen, wie es zwei Geschwistern geziemt, welche sich lieben und sich verständigen wollen.

Ich bin zu allem bereit, ich werde mich in alles fügen, murmelte Amalie, nur sein Sie gnädig, nur zwingen Sie mich nicht, mich an Dänemark zu verheiraten.

Ah, sehen Sie nur, wie richtig Sie, obwohl Sie mir wiederstreben, Ihre Stellung begriffen haben, sagte der König milde. Sie sprechen von Ihrer Verheiratung an Dänemark. Ihre ganze erhabene und große Bestimmung ruht in diesem Wort. Eine Prinzessin, wenn sie sich vermählt, heiratet nicht einen Mann, sondern ein ganzes Volk, und nicht einen Mann, sondern ein ganzes Volk soll sie glücklich machen. Da sind die Weinenden, deren Tränen sie trocknen, die Armen, deren Hunger sie stillen, die Unglücklichen, denen sie Hilfe bringen, die Kranken, mit denen sie beten soll. Da ist ein ganzes Volk, welches ihr entgegenjauchzt, welches seine Hände zu ihr ausstreckt, und zu ihr um das fleht, mit welchem Gott auch das Herz einer Königin gesegnet hat, weil sie ein Weib ist, – um Liebe. Oh, meine Schwester, das ist wohl eine große und schöne Bestimmung, welche das Schicksal Ihnen vorbehalten hat: nicht einen einzelnen nur, sondern Tausende zu beglücken, als der hilfreiche, vermittelnde und lächelnde Engel an der Seite eines Königs zu stehen, das vermittelnde Band der Liebe zu sein zwischen einem König und seinem Volk. Wahrlich, eine solche Bestimmung ist es wohl wert, daß man ihr seine eigenen kleinlichen Wünsche, sein ganz persönliches, egoistisches Glück opfere.

Ich habe kein Glück mehr zu opfern, seufzte Amalie, denn ich habe kein Glück, und ich verlange es auch nicht. Aber ich will wenigstens das Recht haben, meinem Gram zu leben und mir selber treu zu sein.

Treu sich selber ist nur derjenige, welcher seine Pflicht tut, rief der König. Treu sich selber ist, wer sich selbst bezwingt, und wenn er nicht glücklich sein kann, wenigstens sich bemüht, glücklich zu machen. Und dieses »Glücklichmachen« das ist die edle Bestimmung der Frau, darin soll ihr Egoismus aufgehen und ihr Herz, darin soll sie ihren Trost, ihre Stärke und ihren Frieden finden. Und wer, meine Schwester, kann denn von sich sagen, daß er glücklich sei? Unser Leben besteht aus unerfüllten Wünschen, aus vergeblichen Hoffnungen, aus vernichteten Idealen, aus verlorenen Illusionen. Sieh mich an, Amalie. Bin ich denn jemals glücklich gewesen? Glaubst du, daß es jemals einen Tag gegeben hat, den ich noch einmal durchleben möchte? Habe ich nicht von frühester Jugend auf das Unglück, die Entsagung, den Schmerz kennen gelernt? Sind nicht alle Blüten meines Lebens gebrochen worden? Bin ich nicht ein Sklave meiner Größe gewesen, ein gefesselter Mensch, wo ich ein stolzer König zu sein schien? Oh, ich will dir nicht erzählen, was ich alles gelitten habe, wie man allgemach mein Herz zertreten und zerpflückt hat, ich will dir nur sagen, daß ich dennoch niemals gewünscht habe, etwas anderes zu sein, als was ich bin, daß ich stets meinem Schicksal gedankt habe, auf einem Thron, und nicht in einer Hütte geboren zu sein. Denn, meine Schwester, ein erhabenes Unglück ist immer besser und herrlicher, als ein kleines und gemeines Glück, und das Haupt voll Wunden zu haben, weil die Krone zu schwer auf unsern Scheitel preßt, ist immer noch ein glänzenderes Los, als unter den schmutzigen Füßen der Gemeinheit und Alltäglichkeit sein Leben auszuhauchen, um in ein dunkles und unbekanntes Grab zu sinken. Gott, welcher uns vielleicht die Liebe versagte, er gab uns dafür den Ruhm, und wenn wir das Glück nicht besitzen, so besitzen wir dafür die Macht.

Ach, mein Bruder, rief Amalie schmerzlich, das sind die Ansichten eines Königs und eines Mannes. Ich bin nur ein armes schwaches Weib, und für mich gibt es keinen Ruhm und keine Macht.

Auch Isabella von Spanien, auch Elisabeth von England waren nur Weiber, und doch leuchtet ihr Ruhm durch Jahrhunderte!

Aber sie waren selbständige Königinnen, während ich niemals etwas anderes sein kann, als die Gemahlin eines Königs. Oh, mein Bruder, lassen Sie mich niemals etwas anderes sein, als die Schwester eines Königs. Wollen Sie an meinem Schicksal nichts ändern und wechseln, möge alles bleiben wie es ist. Das ist alles, was ich heute noch erflehen will. Ich habe ja mein Herz getötet und jedem Wunsche entsagt, lassen Sie es damit genug sein, mein Bruder, fordern Sie nicht das Übermenschliche von mir.

Der König sprang empor, und seine Augen glühten jetzt im Feuer des Zorns. Es ist also alles vergeblich, sagte er mit gewaltiger Stimme. Sie wollen weder der Bitte, noch der Vernunft Gehör geben?

Oh, Sire, Erbarmen! Ich kann mich nicht an den König von Dänemark vermählen!

Sie können nicht? rief der König. Was bedeutet das?

Das bedeutet, daß ich geschworen habe, niemals eines andern Weib zu werden, als das Weib dessen, den ich liebe. Das bedeutet, daß ich geschworen habe, unvermählt zu sterben, wenn ich nicht mit meinem Geliebten vor den Altar treten kann.

Sie werden diesen törichten Wunsch nicht erfüllen können, rief der König drohend. Sie werden sich vermählen, ich, der König, befehle es Ihnen.

Tun Sie es nicht, mein Bruder, rief Amalie stolz, befehlen Sie nicht, denn Sie stehen hier an den äußersten Grenzen Ihrer Macht, und Sie könnten leicht erfahren, daß auch ein König ohnmächtig ist, dem festen Menschenwillen gegenüber.

Ah, Sie wollen mir drohen?

Nein, ich will nur zu Ihnen bitten, nur zu Ihrem Herzen flehen um Erbarmen! Oh, mein König und mein Bruder, haben Sie Mitleid. Ich umklammere Ihre Knie, und ich bete zu Ihnen, wie man zu Gott betet: Erbarme dich meiner Qual, lindere meine Schmerzen! Ich bin ein armes, schwaches Weib, erbarme dich! Mein Herz blutet aus tausend Wunden, tröste es. Ich bin einsam und allein, verlassen von allen Menschen, sei du mit mir und schütze mich. Oh, mein Bruder, mein Bruder, es ist mein Leben, meine Jugend, meine Zukunft, welche zu dir fleht: Erbarmen, Gnade! Treibe mich nicht auf das äußerste; sei gnädig, wie es Gott ist. Zwinge mich nicht zu einer Empörung gegen Gott, gegen die Natur und gegen meine eigene Menschenwürde. Lassen Sie mich nicht eine unnatürliche Tochter, eine undankbare Schwester, eine ungehorsame Untertanin werden. Mein Gott, mein Gott, lassen Sie Ihr Herz rühren. Ich kann den König von Dänemark nicht heiraten, sagen Sie nicht, daß ich es soll!

Und wenn ich es dennoch täte, wenn ich kraft meiner Autorität als Ihr Bruder und Ihr König Ihnen befähle, meinen Willen zu tun?

So werde ich vielleicht sterben, aber Ihren Befehlen keine Folge leisten, sagte sie, sich langsam emporrichtend und den zornigen Blicken des Königs mit stolzem ruhigem Anschauen begegnend. Sie haben meinem Flehen kein Gehör geben wollen, nun wohl, ich flehe nicht mehr. Aber ich schwöre Ihnen, und Gott hört meinen Schwur: »Ich werde mich niemals vermählen.« Jetzt, mein König, jetzt versuchen Sie, wie weit Ihre Macht reicht, und was Sie vermögen gegen ein Weib, welches sein Herz auflehnt gegen die Tyrannei Ihres Schicksals. Ah, Sie können ein Heer in die Schlacht führen, Sie können Provinzen erobern und Throne wanken machen, aber Sie können ein Weib nicht zwingen, zu tun, was sie nicht mag, Sie können meinen Willen niemals brechen, und ich wiederhole meinen Schwur: Ich werde mich niemals vermählen!

Ein Ausruf des Zornes drang von den Lippen des Königs, und mit einer heftigen Bewegung vorwärts schreitend, faßte er mit seinen beiden Händen die Arme der Prinzessin. Dann aber, gleichsam beschämt über seine eigene Heftigkeit, ließ er sie wieder los und trat zurück. – Sein Antlitz, welches vorher so glühend und erregt gewesen, nahm jetzt einen kalten und eisigen Ausdruck an, und auf seinen Lippen zeigte sich jetzt dieser strenge, ironische Zug, den er nur in den Momenten der höchsten Erbitterung, der zornigsten Spannung anzunehmen pflegte.

Madame, sagte er, Sie werden sich dem Könige von Dänemark vermählen. Das ist mein unabänderlicher Wille, mein unwiderruflicher Befehl. Die Trauerzeit um seine verstorbene Gemahlin ist abgelaufen, und der König von Dänemark hat durch einen besondern Gesandten die Bitte um Ihre Hand erneuern und wiederholen lassen. Ich werde den Herrn Gesandten morgen in feierlicher Audienz empfangen und ihm sagen, daß ich bereit bin, dem König von Dänemark die Hand meiner Schwester zu bewilligen. Sie werden also morgen die Braut, in vier Wochen die Gemahlin des Königs von Dänemark sein.

Und wenn ich Ihnen wiederhole, daß ich nicht will?

Madame, wenn der König gesprochen hat, gibt es niemand in seinem Reich, der da sagen kann: ich will nicht! – Leben Sie wohl! Auf morgen also!

Er nickte leicht mit dem Kopf und ging in das anstoßende Gemach, dessen Tür er hinter sich verschloß.

Amalie seufzte tief auf und wandte sich der Tür zu, um wieder in ihre Gemächer zurückzukehren. Langsam und ruhig wie sie gekommen, schritt sie wieder durch die Korridore und Zimmer dahin, mit einem sanften Lächeln ging sie an ihrem Hoffräulein vorüber, die mit hochklopfendem Herzen sie im Vorzimmer erwartet hatte. Als Ernestine ihr in ihr Boudoir folgen wollte, winkte sie ihr, zurückzubleiben, indem sie sie zugleich mit einem Blick unendlicher Liebe ansah.

Aber als sie jetzt die Tür ihres Boudoirs hinter sich geschlossen hatte, als sie allein war, da drang ein wilder, schriller Angstschrei von ihren Lippen, und mit einer verzweiflungsvollen Bewegung ihre Arme zum Himmel emporschleudernd, sank sie wie zerbrochen auf den Fußboden hin.

Wie lange sie so gelegen? Welche Martern und Qualen ihr Herz in diesen Stunden des Alleinseins mit Gott erduldet, wer kann das wissen und ermessen?

Der Abend dunkelte schon, als Prinzessin Amalie die Tür ihres Kabinetts öffnete und ihre Freundin, Fräulein von Haak, welche lange schon weinend und verzweifelnd um Einlaß gefleht hatte, mit sanfter Stimme bat, zu ihr einzutreten.

Oh, Prinzessin, teure, geliebte Prinzessin, sagte Fräulein von Haak weinend, die Hand Amaliens an ihre Lippen drückend. Gelobt sei Gott, daß Sie mir erlauben, Sie wieder zu sehen. Mein Herz ist fast vergangen vor Angst um Sie!

Armes Kind, sagte Amalie sanft, armes Kind, du glaubtest, ich würde mich töten, nicht wahr? Nein, Ernestine, ich werde leben, denn eine finstere und traurige Ahnung sagt mir, daß ein Tag kommen wird, wo Trenck meiner bedarf, wo ihm mein Leben, meine Hilfe und mein Beistand nötig ist. Ich werde also die Kraft haben zu leben und diesen Tag zu erwarten. Das ist alles, was ich dir zu sagen vermag. Laß uns nicht mehr davon sprechen.

Und mit ruhiger Gelassenheit begann sie jetzt von gleichgültigen Dingen zu sprechen, freundlich eingehend auf alles, was Ernestine ihr erzählte. Nur war eine gewisse Feierlichkeit in ihren Bewegungen, in ihrem Lächeln, in jedem Wort, welches sie sprach, nur blickten ihre Augen zuweilen mit einem unaussprechlichen Ausdruck zum Himmel, und ein banger, angstvoller Seufzer zitterte von ihren Lippen.

Endlich waren diese langen, trüben Abendstunden überwunden, endlich war die Nacht da. Prinzessin Amalie durfte ihre Damen entlassen und allein bleiben. Ihre Kammerfrau brachte die Spiritusflamme, auf welcher das Gefäß mit der dampfenden Mixtur für der Prinzessin Augen stand. – Amalie hieß sie dasselbe hinstellen und ruhig schlafen zu gehen. Sie wollte sich selbst entkleiden, und bevor sie die Arznei gebrauche, noch etwas lesen.

Dann umarmte sie Fräulein von Haak und hieß auch sie sich zur Ruhe begeben.

Sie haben mir Ihr Wort gegeben, flüsterte Ernestine leise, Sie werden leben?

Ich werde leben, denn Trenck wird meiner eines Tages bedürfen! Gute Nacht!

Sie küßte Ernestine auf die Stirn und blickte ihr lächelnd nach, bis die Tür sich hinter ihr schloß. Dann schob sie rasch den Riegel vor, und das Gemach durchschreitend, ging sie zu dem großen Spiegel hin, der ihr hell und deutlich ihr eigenes Bild wiedergab.

Mit einem seltsamen Ausdruck betrachtete sie ihre eigene schöne, jugendvolle, reizende Erscheinung, und leise flüsterten ihre Lippen:

Lebe wohl! Du, welche Trenck geliebt hat, lebe wohl!

Sie grüßte mit einem matten Lächeln ihr Spiegelbild, und dann ging sie mit festem Schritt zu dem Tisch hin, auf welchem diese Mixtur brodelte und zischte und ihre gefährlichen Dämpfe emporwirbelte.

Am andern Morgen vernahm man aus dem Schlafzimmer der Prinzessin lautes Schreien und Jammern. – Das waren die Kammerfrauen, welche gekommen waren, die Prinzessin anzukleiden, und welche sie mit entstelltem Gesicht, mit blutunterlaufenen Augen, die geschwollen und starr aus ihren Höhlen hervorzuquellen schienen, auf ihrem Lager fanden.

Man lief nach dem Arzt, nach der Königin, nach dem König selbst. Alles war Verwirrung, Aufregung und Angst.

Ernestine von Haak kniete weinend vor dem Bett der Prinzessin und flehte, ihr zu sagen, welch' ein furchtbarer Zufall das sei und wodurch ihr Antlitz so entstellt sei?

Aber Prinzessin Amalie vermochte nicht zu antworten. Ihre Lippen waren krampfhaft aufeinandergepreßt, sie konnte nur einzelne unartikulierte Laute stammeln.

Endlich kam der Geheimrat Meckel, und wie er dieses gerötete und verschwollene Gesicht, diese aus ihren Höhlen hervortretenden Augen gewahrte, und dann das auf dem Tisch stehende Gefäß mit der jetzt erkalteten Mixtur sah, drückten seine Mienen Entsetzen und Kummer aus.

Ah, die Unglückliche, murmelte er, sie hat meiner Warnungen nicht geachtet. Sie ist den Dämpfen zu nahe gekommen, und sie sind nicht bloß in ihre Augen, sondern auch in ihre Luftröhre eingedrungen. Sie wird viel zu leiden haben und niemals ganz genesen.

Amalie hatte diese an Fräulein von Haak gerichteten Worte verstanden, und ein schauerliches, wildes Lächeln verzerrte ihre blutigen, hautlosen Lippen.

Aber sie wird doch genesen? fragte das Hoffräulein angstvoll.

Sie wird genesen, aber ihre Augen werden immer entstellt bleiben und auch ihre Stimme wird für immer gelitten haben. Ich eile jetzt selbst in die Apotheke, um lindernde Umschläge, besänftigende Mixturen bereiten zu lassen, und werde dann zurückkommen, die Umschläge selbst anzulegen.

Der Arzt entfernte sich, aber jetzt öffnete sich eine andere Tür, und der König trat ein.

Mit heftig erregtem Gesicht, mit hastigen Schritten näherte er sich dem Bett der Prinzessin, dann, als er dieses verschwollene, entstellte Antlitz, diese fürchterlichen Augen sah, stieß er einen Ausruf des Entsetzens aus, und neigte sich über seine Schwester hin.

Ihre großen, blutunterlaufenen Augen blickten starr zu ihm empor. Sie versuchte die Lippen zu öffnen, sie wollte sprechen, aber nur ein dumpfer, hohler Laut preßte sich aus ihren Lippen hervor.

Nun richtete sie sich mit gewaltiger Kraftanstrengung ein wenig empor und fuhr mit der Hand über die weiße Wandfläche neben ihrem Bett hin.

Sie will schreiben, sagte der König, sie will vielleicht die Ursache ihres Leidens bezeichnen. Geben Sie etwas her, das nächstbeste! Eine Kohle dort aus dem Kamin!

Fräulein von Haak brachte ihr eine der schwarzen Kohlen, und nun schrieb Amalie mit zuckender Hand, langsam und dumpf ächzend, mit großen unregelmäßigen Buchstaben diese Worte an die Wand:

» Jetzt werde ich den König von Dänemark nicht heiraten! Jetzt werde ich mich nie vermählen

Dann sank sie mit einem dumpfen Lachen, das ihre gespannten und verschwollenen Züge auf eine grausige Weise entstellte, in ihre Kissen zurück.

Der König aber war auf einen Stuhl neben ihrem Bette niedergesunken, und seine beiden Hände vor sein Antlitz schlagend, überließ er sich ganz seinem tiefen Schmerz. Er hatte jetzt alles begriffen, alles verstanden. Er wußte, daß sie freiwillig ihr Antlitz so entstellt, daß sie ihrer Liebe ihre Schönheit geopfert hatte. Darum also hatte sie so flehentlich gebeten, darum hatte sie um Mitleid gejammert, Mitleid mit ihrer Jugend, ihrer Zukunft, ihrem Lebensglück. Der Liebe und Treue hatte sie sich geopfert, mutiger und größer in ihrer Liebe wie Julia selbst, hatte sie sich nicht den Tod gegeben, sondern sich nur entstellt, nur ihren Körper vernichtet, um ihr Herz in Treue und Liebe ihrem Geliebten zu bewahren.

Das alles wußte und verstand der König jetzt, und eine tiefe, unermeßliche Trauer um dieses in ihrer Liebe so starke und gewaltige junge Weib kam über ihn. Er neigte sein Haupt tiefer in seine Hände und weinte bitterlich Um nicht von meinen Lesern, was diese Entstellung der Prinzessin anbelangt, einer willkürlichen Romanerfindung beschuldigt zu werden, führe ich hier aus dem Werke Thiébaults, der zwanzig Jahre am Hofe des Königs lebte und daher oft Gelegenheit hatte, die Prinzessin zu sehen, die auf dieselbe bezügliche Stelle an:
La partie de l'histoire de la princesse Amélie qui a été la moins connue, et sur laquelle le public a flotté entre des opinions plus diverses et moins admissibles, c'est la cause de ses infirmités. Heureusement constituée sans être bien grande, elle n'aurait pas dû avoir à les craindre, même dans un âge très avancé, et elle en a été atteinte bien avant l'àge, qui peut les faire craindre: encore ne les a-t-elle pas eues partiellemont; elle en a êtê spontanément accablée. Il n'est pas douteux, qu'elle ne les ait cherchées: j'en donnerai pour preuve un fait qui est certain. A une époque, où elle avait les yeux enflammés, Mr. Meckel, qui était son médicin, lui ordonna une compositon liquide, qu'il fallait faire chauffer, pour en faire parvenir la vapeur jusqu'aux yeux, mais en tenant ce liquide aux moins à sept ou huit pouces de distance: il lui recommanda bien de ne pas l'approcher davantage; cependant, dès qu'elle eut cette composition, elle s'empressa de s'en frotter les yeux, ce qu produisít un si funeste effet, qu'elle courut le plus grand danger de devenir aveugle, et que depuis elle a toujours eu les yeux à moitié sortis de leurs orbites, et aussie hideux, qu'ils avaient été beaux jusque là. Frédéric à qui on n'osa pas dire combien la princesse avait de part à cette accident, n'a jamais eu depuis qu'une aversion très marquée et un vrai mépris pour Mr. Meckel, que la princesse fut obligée de quitter, et qui n'en était pas moins un des meilleurs médecins de Berlin, et un des plus célèbres anatomistes de l'Europe.
Une autre infirmité plus étonnante encore, c'est que cette princesse perdit presque totalement la voix, aussi de sa faute à ce que l'on a prètendu: il lui était difficile de parler, et très pénible aux autres de l'entendre: sa voix n'était plus qu'un son rauque, sourd et sépulcral, semblable à celui que forme une personne, qui fait effort pour dire, comme à voix basse, qu'elle étrangle.
Je ne parlerai pas de sa tête chancelante et se soutenant à peine, de ses jambes pour lesquelles son corps appauvri était un poids si lourd, de ses bras et de ses mains plus d'à moitié paralysés; mais quels puissants motifs ont pu amener cette belle et aimable princesse à se faire elle même un sort aussi triste? quelle philosophie a pu lui donner assez de force pour le supporter et ne pas s'en plaindre? Quelle énergie tous ces faits ne prouvent-ils pas? (Thiébault II, 287-89.)
.


 << zurück weiter >>