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IV. Die Konfidenztafel (Fortsetzung.)

Euere Majestät verlangen eine pikante Anekdote aus meinem Leben, sagte La Mettrie. Was gibt es Pikanteres als eine Trüffelpastete, und was verlohnte mehr des Gespräches und der süßen Erinnerung, als diese schöne Offenbarung des Menschengeistes. Ja, Sire, eine wohlgelungene Trüffelpastete, das ist die wahre und wirkliche geoffenbarte Religion und ich bin ihr anbetungsvollster Priester. Eines Tages habe ich ihr zu Liebe ein bedeutendes Vermögen, ein schönes Haus und eine ziemlich hübsche Braut aufgegeben, und ich muß sagen, daß mir noch heute eine Trüffelpastete ein begehrenswerteres Gut erscheint, als jene Braut und ihr Reichtum.

Und gab es einen Vater, der so wahnsinnig war, seine Tochter an den homme machine verheiraten zu wollen? fragte der König.

Sire, ich hatte damals meine Penelope geschrieben. Herr van der Swiet in Leyden, ein armer kranker Mann, den eine Erkältung seit Wochen schon ans Bett gefesselt hielt, hatte sie gelesen, und über diese Verspottung der Herren Ärzte so herzlich gelacht, daß ihm dadurch geschehen war, was weder die Kunst der Ärzte, noch das Gebet der Priester hatte bewirken können, er war in Schweiß verfallen, und der heilte die Steifheit seiner Glieder und machte ihn gesund. Sein erster Ausgang war zu mir, und er bat mich, ihm ein Mittel anzugeben, durch welches er sich mir dankbar bezeigen könnte. Senden Sie mir alle Tage eine Trüffelpastete und eine Flasche Ungarwein, sagte ich ihm. Herr van der Swiet lachte. »Ich habe etwas Besseres als eine Trüffelpastete,« sagte er, »ich habe eine Tochter, welche die Universalerbin meines Vermögens ist. Sie sind nicht reich an Dukaten, aber reich an Witz, und ich wünschte, daß meine Enkel, welche ich hinlänglich mit Geld ausstatten kann, einen Vater haben, welcher sie hinlänglich mit Geist ausstattet. Heiraten Sie also meine Tochter und schenken Sie mir einige Enkel, welche Ihnen gleichen.« Ich nahm den Vorschlag an, versprach dem guten van der Swiet, in acht Tagen sein Schwiegersohn zu werden und dann bei ihm in seinem Hause zu wohnen, um ihn täglich nach dem Mittagessen eine Stunde durch fröhliche Gespräche zu erheitern, damit ihm die Verdauung leichter werde, und er nicht, wie bisher, an Indigestionen zu leiden habe.

Seht einmal diesen zärtlichen Holländer an, rief der König, diesen ganz unegoistischen Vater, welcher seiner Tochter einen Gemahl sucht, damit er nicht an Indigestionen zu leiden habe! Sahen Sie denn Ihre Braut noch vor der Hochzeit, und konnten Sie sich überzeugen, daß sie nicht etwa ein Wechselbalg sei, den ihr Vater auf eine gute Manier töten wollte und also Ihnen gab?

Ich sah meine Braut, Sire, und in der Tat, Esther war ein sehr schönes Mädchen, das nur den einzigen Fehler besaß, daß sie mich nicht liebte. Sie besaß sogar die Naivität, es mir zu sagen und mir zu gestehen, daß sie einen andern liebe, einen armen Kommis ihres Vaters, den derselbe, als er von ihrer Liebe gehört, aus seinem Hause verwiesen hatte, welchen sie nichtsdestoweniger noch immer glühend liebte. Ich zuckte lächelnd die Achseln und berief mich auf den Wunsch ihres Vaters und auf mein gegebenes Wort. Aber als die kleine Esther von mir verlangte, daß ich ihr entsagen und bei ihrem Vater für ihren Geliebten mich verwenden sollte, da lachte ich nicht mehr, sondern fing an, die Sache ernsthaft zu nehmen. Ich ging also wirklich zu ihrem Vater und berichtete ihm meine ganze Unterredung mit seiner Tochter. Er hörte mich ruhig an und fragte dann mit einem grimmigen Blick: »Was ist Ihnen lieber, Gefängniskost oder täglich eine Trüffelpastete an Ihrem eigenen Tisch?« Sie können denken, daß ich nicht schwankend war mit meiner Antwort. »Nun denn,« fuhr Herr van der Swiet fort, »wenn Sie meine Tochter nicht heiraten, ziehe ich meine Hand von Ihnen, und Ihre Feinde werden schon ein Mittel finden, Sie ins Gefängnis zu bringen. Denn es ist da eben ein neues Buch, l'homme machine, angekommen, und jedermann schwört, daß es von Ihnen sei, obwohl Ihr Name nicht auf dem Titelblatt steht. Die ganze Stadt, nicht bloß die Geistlichen, sondern jedermann ist wütend über dieses Buch, das man als ein Ungeheuer von Materialismus und Unglauben bezeichnet, und wenn ich Sie dennoch zu meinem Schwiegersohn haben will, so geschieht es, weil ich der ganzen Welt beweisen will, daß ich sie verachte und von ihren Vorurteilen und Meinungen mich nicht bestimmen lasse, sondern ein freier und selbstdenkender Mann bin. Sagen Sie also, wollen Sie meine Tochter heiraten und alle Tage Trüffelpasteten essen, oder wollen Sie ins Gefängnis wandern?« – »Ich will Ihre Tochter heiraten,« rief ich, »ich schwöre, daß sie in acht Tagen meine Frau sein soll!« – Der Herr van der Swiet umarmte mich und traf nun seine Vorkehrungen zur Vermählung. Esther aber, meine Braut, sprach nie mit mir, sie schien mich gar nicht zu sehen, vielleicht weil ihre Augen geschwollen und halbblind vom vielen Weinen waren. Einmal nur begegneten wir uns allein in dem Salon, sie beeilte sich, ihn zu verlassen, aber indem sie an mir vorüberging, hob sie ihre beiden Arme beschwörend zum Himmel empor und streckte sie dann drohend gegen mich aus: »Sie sind ein grausamer und schlechter Mensch,« sagte sie. »Sie wollen ein Menschenherz Ihrer eklen Gier und Ihrer widerlichen Genußsucht opfern. Wenn Gott gerecht ist, wird er Sie einst an einer Trüffelpastete sterben lassen, ich sage nicht, Sie Ihren Geist aufgeben lassen, denn Sie haben keinen Geist. Sie werden und müssen sterben wie ein Tier, nicht an geistigem Schmerz, sondern an Ihrer eigenen tierischen Völlerei.«

Das Mädchen besaß in der Tat sibyllinische Weisheit, sagte der König, und ich fürchte, sie hat Ihnen Ihre Zukunft richtig prophezeit! Der Haß hat zuweilen eine Prophetengabe und sieht die Zukunft mit klarem Auge, während die Liebe blind ist. An Liebe, scheint mir, litt Ihre Esther nicht.

Nein, Sire, sie haßte mich. Aber ihr eigener Geliebter, der junge Mieritz, teilte ihre Abneigung nicht, sondern schloß sich mir mit wahrer Zuneigung an. Er ward mein unzertrennlicher Gefährte, er umarmte mich unter Tränen und verzieh mir, daß ich ihm seine Geliebte raubte, denn, sagte er, ich sei ihrer würdiger als er selbst. Er ging in seiner Freundschaft so weit, daß er mich an meinem Hochzeitsmorgen zu einem Frühstück einlud, zu dem er, wie er sagte, mir einige seltene Kostbarkeiten aus Amsterdam verschrieben habe. Ich nahm die Einladung an, und da die Trauung Punkt zwölf in der Kathedrale stattfinden sollte, mußte das Frühstück um elf Uhr vor sich gehen. Ich dachte mir, daß ich den Trauungsakt leichter überstehen würde, wenn ich mich dabei der herrlichen Speisen erinnerte, die ich eben erst genossen. Punkt elf Uhr begann also unser Diner, und ich versichere Euere Majestät, daß es ein köstliches, ganz ausgesuchtes Diner war. Dennoch behauptete mein junger Freund Mieritz, daß der köstlichste Genuß noch meiner harre. Endlich ging er selbst hinaus, mir diese Speise, die er den Juwel seines Frühstücks nannte, aus der Küche zu holen. Mit einem geheimnisvollen Lächeln kehrte er zurück, auf silberner Schüssel eine dampfende Pastete tragend. Ein süßer Duft verbreitete sich sofort durch das ganze Gemach, ein Duft, der mich an die schönste, die genußreichste Stunde meines ganzen Lebens erinnerte. Außer mir, voll ahnungsvoller Erwartung, stürze ich zu ihm hin und lüfte den Deckel der Pastete, – ja, sie war es, es war die Pastete, welche ich nur einmal gegessen, nur damals, als ich des Herzogs von Grammont täglicher Tischgenosse war. Ich hatte den guten Herzog beim Treffen von Fontenois verloren, und er hatte das Geheimnis dieser Pastete mit in sein Heldengrab genommen. Jetzt war es enthüllt, jetzt duftete es mir entgegen mit köstlichem Aroma, jetzt lächelte es mich an mit süßglitzernden Fettaugen. Ich entriß die Pastete den Händen meines Freundes und setzte sie vor mir auf den Tisch. In diesem Augenblick schlug es zwölf Uhr. »Unglücklicher,« schrie ich, »du bringst mir diese Pastete, und es ist die Stunde meiner Trauung!« – »Nun denn,« sagte er mit dem echten Phlegma eines Holländers, »so gehen wir erst zur Trauung und lassen die Pastete aufwärmen!« – »Aufwärmen!« schrie ich, brüllte ich, dem die emporwirbelnden Düfte eben die Nase bezauberten. »Sie glauben also, daß ich einen solchen Vandalismus überleben, daß ich ein solches Sakrilegium begehen könnte! Eine Pastete aufwärmen, heißt der Blume ihren Duft, dem Schmetterling seinen Ätherstaub, der Schönheit ihre Unschuld, dem Tage seinen Glanz nehmen. Nein, ich werde mich eines solchen Verbrechens nicht schuldig machen. Die Pastete verlangt gegessen zu werden. Ich werde sie also essen!« – Und ich aß, Sire, und es kam über mich wie eine himmlische Entzückung, ein erhabener Opiumstraum. Alle Wunder der Schöpfung waren zusammengedrängt in diesen Bissen, den ich andächtig und zitternd vor Wonne in meinen Mund schob. Mieritz hätte gar nicht nötig gehabt, mir zu sagen, daß die Pastete aus indianischen Vogelnestern und Trüffeln aus Perigord gemacht sei, ich fühlte das, ich wußte das. Die Wunder Indiens hatten sich meinen seligen Blicken enthüllt, eine neue Welt hatte sich mir geoffenbart. Ich aß und war im Genusse selig. Was kümmerte es mich, daß Boten über Boten kamen, welche mich riefen, indem sie berichteten, daß der Priester vor dem Altar stehe, daß die Braut mit ihrem Vater und dem ganzen Schwarm ihrer Verwandten meiner harre. Ich schrie ihnen entgegen: »Sagt ihnen, daß sie warten mögen bis zum Jüngsten Tage, denn ich werde nicht eher aufstehen, als bis ich diese Pastete geleert habe.« – Dann aß ich weiter, und im Essen dachte ich so klar, so scharf, so gründlich, wie ich nie zuvor gedacht, und ich freute mich dieser Wahrnehmung, denn war das nicht ein Beweis, daß ich recht gehabt, daß die Maschine des Menschen nur durch sich selber und nicht durch dieses fabelhafte, wesenlose Etwas, welches die Metaphysiker Seele nennen, ihr geistiges Fluidum und ihre Denkkraft erhalte? War das nicht ein Beweis, daß man nur nötig hat, seinem Körper edle Nahrungsstoffe zuzuführen, um auch eine edle Seele zu haben? Und wo also liegt diese Seele? Wo anders als im Magen. Der Magen ist die Seele. Freilich ist es das Gehirn, welches denkt, aber das Gehirn wagt nicht mehr zu denken, als die erhabene Majestät, als der Magen es ihm erlaubt, und wenn diese Majestät sich unwohl fühlt, adieu dann mit den Gedanken! La Mettrie's eigene Worte. Nicolai. Heft I, 199.

Die ganze Gesellschaft brach in ein fröhliches Lachen aus.

Habe ich nicht recht, Euch einen fou fieffé zu nennen? fragte der König. Es gibt ein gutes altes Sprichwort, welches von einem Feigling sagt, daß ihm das Herz in die Waden sänke, niemals aber habe ich noch gehört, daß einem die Seele in den Magen gesunken sei. Aber über Ihrer Hymne auf den Magen und die Pastete haben Sie ganz vergessen, uns das Ende Ihrer Geschichte zu erzählen, lassen Sie also hören. Schob man die Trauung auf?

Sire, ich hatte meine Pastete noch nicht zu Ende gegessen, als die Tür mit Heftigkeit aufgerissen ward und ein Diener hereinstürzte, um mir zu melden, daß der gute van der Swiet eben in der Kirche von einem Schlaganfall betroffen sei. Die törichten Menschen behaupteten, er habe denselben aus Zorn und Wut über mich bekommen, ich aber bin überzeugt, daß das nur die Folge davon war, weil er nach einem sehr guten Frühstück, und nachdem er eine Flasche Madeira ausgetrunken, die Zirkulation des Blutes dadurch gestört, daß er sich die Füße auf dem kalten steinernen Fußboden der Kirche erkältet hatte. Wie dem auch sei! Man trug den armen van der Swiet besinnungslos aus der Kirche in seine Wohnung, und nach einigen Tagen war er tot. Esther, seine Tochter und Universalerbin aber war unkindlich genug, die Wünsche ihres Vaters unberücksichtigt zu lassen, und wollte durchaus nicht meine Verlobung mit ihr als gültig anerkennen. Sie erklärte sich für die Braut des kleinen Mieritz und heiratete ihn nach einigen Monaten. Ich hätte freilich gerichtlich meine Ansprüche verfolgen können, aber van der Swiet hatte ganz recht gehabt, nun er mich nicht mehr beschützen konnte, fiel die ganze Meute fanatischer Priester und schwachdenkender Gelehrten über mich her und würde mich zerfleischt haben, wenn ich mich ihren Verfolgungen nicht durch die Flucht entzogen hätte. So folgte ich dem erhabenen Ruf Euerer Majestät und nahm wieder meinen Wanderstab, um meinen Ahasveruslauf weiter fortzusetzen.

Ohne vorher Rache genommen zu haben an dem verschmitzten Herrn Mieritz, der offenbar mit seiner Pastete eine wohlüberlegte Kriegslist ausgeführt hatte? fragte der König. Denn Sie werden doch eingesehen haben, daß es ein wohlberechneter Plan war, und daß er Sie mit seiner Pastete gefangen hatte, wie man die Mäuse mit Speck fängt?

Sire, und wäre dem so gewesen, wie Euere Majestät sagen, so hätte ich ihm deshalb doch nicht zürnen mögen; ich hätte zu meiner Pastete nur sagen können, wie Holofernes zur Judith: »Deine Sünde war ein Hochgenuß; ich verzeihe ihr, daß sie mich tötet!« Ich würde für eine solche Pastete noch einmal eine Braut und ein Vermögen hingeben.

Und ist gar keine Möglichkeit vorhanden, Ihnen diese Pastete vorzusetzen? fragte der König. Können Sie uns nicht das Rezept dieser Wunderpastete verschaffen, welche die Zauberkraft besitzt, junge Mädchen von unausstehlichen Männern zu befreien und einen Geizhals in einen Verschwender zu verwandeln, der sein ganzes Vermögen durch seine Gurgel jagt?

Es ist Aussicht dazu vorhanden, das Rezept zu bekommen, aber Sie, Sire, werden es nicht zuerst haben. Lord Tirconnel, der meine Geschichte kennt, hat schon seit einigen Wochen diplomatische Verhandlungen mit Holland wegen dieses Rezepts angeknüpft und den Abschluß einer bedeutenden Geldanleihe, welche Frankreich bei dem Hause van der Swiet und Mieritz durch die Vermittelung des Lords aufnehmen will, an die Übersendung des Rezeptes geknüpft. Wenn Mieritz das Rezept verweigert, wird Frankreich seine Anleihe nicht machen, und aus dem wahrscheinlichen Krieg mit England kann dann nichts werden.

Und man sage noch, daß große Dinge auch aus großen Ursachen entstehen müssen, rief der König. Der Friede der Welt kann davon abhängen, ob La Mettrie das Rezept zu seiner Pastete erhält.

Was ist der Friede der Welt aber im Vergleich zu dem Frieden unserer Seelen? sagte Voltaire. Denn was La Mettrie auch immer sagen und der hochwürdige Abbé Bastiani auch immer schweigen möge, ich glaube noch an eine andere Seele, als die, welche im Magen sitzt, und diese meine Seele würde niemals wieder Ruhe finden, wenn Euere Majestät uns nun nicht auch Wort hielten, und uns eine jener geistreichen und pikanten, von Poesie und Weisheit duftenden Geschichten erzählten, wie sie so oft von den Lippen unseres Salomons fließen.

Es ist wahr, es ist jetzt an mir die Reihe, sagte der König lächelnd. Ich werde indes kurz sein müssen, denn nicht nur die Lichter, sondern auch die Augen Algarottis brennen schon trübe, und sehen Sie nur, wie der gute Marquis in Gedanken mit seinen zwei Nachtmützen liebäugelt, die ihm auf seinem Bett entgegenwinken. Aber nur getrost, Messieurs, meine Geschichte ist nur kurz und wird bald zu Ende sein. – Ich will Ihnen auch, wie La Mettrie, von einem Wunder erzählen, nur daß mein Wunder nicht mit dem Gaumen, sondern nur mit den Augen genossen ward, und daß man dazu eine echt gläubige Seele haben mußte. Das Wunder begab sich in Breslau, im Jahre des Herrn 1747.

Der Kardinal Zinzendorf war gestorben, und der Graf Schafgotsch, den ich schon einige Jahre zuvor zum Koadjutor des Bischofs und Kardinals ernannt hatte, sollte sein Nachfolger werden. Aber die guten Schlesier waren nicht zufrieden damit. Sie behaupteten, Graf Schafgotsch hinge den Freuden und Genüssen der Welt zu sehr an, um ein guter Priester sein zu können, er verstehe sich zu sehr auf die Liebe der schönen Weiber dieser Welt, um zu der heiligen Madonna, der Mutter Gottes, die rechte, heilige, inbrünstige und keusche Liebesglut eines wirklichen Sohnes der Kirche empfinden zu können. Genug, die frommen Schlesier wollten durchaus nicht glauben, daß der Graf Schafgotsch genug Heiligkeit in sich trüge, ihr Bischof sein zu können. Nur ein Wunder würde imstande sein, ihm die Liebe und Achtung der Schlesier zu erwerben, sagten mir die weisen Väter der Stadt Breslau, denn ich war selbst nach Schlesien gereist, um mich persönlich zu überzeugen, ob die Angaben der Behörden begründet und die Bevölkerung wirklich so wenig zufrieden mit der Ernennung des neuen Fürstbischofs sei. Ich fand in der Tat ihre Angaben bestätigt und mußte ihnen recht geben. Nur ein Wunder konnte dem Fürstbischof die Herzen der Schlesier geneigt machen. Aber bemerken Sie nur, Messieurs, wie sehr der Himmel immer mit den Frommen und Gerechten ist – dieses ersehnte Wunder ereignete sich. An einem schönen Morgen verbreitete sich in der Stadt Breslau das Gerücht, in der Kapelle der heiligen Mutter Gottes auf dem Dom sei ein Wunder anzuschauen. Ganz Breslau, die schönsten Damen der haute voleé, wie die geringsten Bettler der Straße strömten dem Dome zu, das Wunder mit eigenen Augen zu schauen. Ja, es war unleugbar, die Haare der Madonna, die da in reizender Holznachbildung auf dem Altar stand, und die von dem ersten Modisten ihre Kleider, von dem ersten Perruquier ihr Haar empfangen hatte, – diese Haare waren gewachsen! Es war natürlich, daß sie eine wundertätige Kraft ausübten, daß sie jeden Blinden, Lahmen, Verkrüppelten, so wie er sie nur berührte, gesund machten. Ich selber, – denn Sie können denken, daß ich auch hineilte, das Mirakel zu sehen, ich selber sah einen Lahmen seine Krücken fortwerfen, und auf seinen gesunden Beinen zu Ehren der Madonna einen Zweitritt tanzen. Da war auch ein Blinder, welcher mit einer breiten Binde über beide Augen sich zu dem wundertätigen Haar hinführen ließ; kaum hatte er die Spitzen dieses Haares über sein Gesicht gestrichen, so riß er die Binde von seinen Augen und jauchzte laut vor Entzücken, denn er war wieder sehend geworden. Und die Tausende, die da betend und in seliger Entzückung auf den Knien lagen, jauchzten ihm nach, und hier und da riefen einige begeisterte Stimmen: »Die heilige Madonna ist zufrieden mit ihrem neuen Diener, dem Fürstbischof, denn wenn sie's nicht wäre, würde sie keine Wunder tun.« – Diese Stimmen fielen wie eine Lunte in das Pulverfaß dieser Begeisterung. Man umarmte sich, man weinte, man dankte Gott für den neuen Fürstbischof, den man gestern noch verabscheut hatte. Indessen gab es noch immer einige argwöhnische, mißtrauische Seelen, welche durchaus nicht zugeben wollten, daß das Wachsen des Haares eine Zustimmung der Madonna zur Bischofswahl sei. Aber auch diese Ungläubigen, diese herzlosen Skeptiker wurden endlich überzeugt, denn abermals nach zwei Tagen war das Haar der Madonna wieder länger gewachsen, und wiederum nach zwei Tagen hing es in üppiger Fülle über ihre Schultern nieder. Niemand konnte jetzt mehr bezweifeln, daß die heilige Jungfrau zufrieden sei mit ihrem Priester; denn man hat wohl gehört, daß man im Zorn oder Schmerz sich die Haare ausrauft, oder daß sie ergrauen, niemand aber kann behaupten, daß einem die Haare wachsen, wenn man nicht in heiterer und zufriedener Stimmung ist. Die Madonna also war zufrieden, da ihr Haar zum Entzücken der Gläubigen so schnell wuchs und der ganzen Menschheit bewies, daß dieses aus einem Birnbaum geschnitzte Holzbild die wirkliche Jungfrau Maria sei, die mit offenen Augen über Breslau wachte, und deren Haar wuchs zu Ehren des hochwürdigen Bischofs Grafen Schafgotsch. Man liebte ihn jetzt so sehr, als man ihm anfangs abhold gewesen, Tausende frommer Gläubigen umlagerten seinen Palast und flehten um seinen Segen. Es war wieder ein Hirte und eine Heerde geworden, und die Madonna hatte nicht mehr nötig, ihre Haare wachsen zu lassen, denn ihr Wunder hatte genug gewirkt, und mit ihrem Haar war das Ansehen des Fürstbischofs mächtig emporgewachsen. Das, Messieurs, war das Wunder von Breslau.

Aber Euere Majestät haben uns noch nicht den Heiligen genannt, der beim lieben Gott Fürbitte getan, damit dieses Wunder sich ereigne, rief Marquis d'Argens. Ah, geruhen Sie, meinem kahlen Scheitel seinen Namen zu sagen, damit ich zu ihm beten und ihn um Erbarmen mit meinem Mondschein anflehen kann.

Dieser Heilige war mein Friseur, sagte der König lachend. Ich ließ ihn schwören, daß er das Geheimnis niemandem verraten wollte, und dann mußte er jeden dritten Tag in der Abenddämmerung sich heimlich nach dem Dom verfügen, um der Madonna eine andere Perücke aufzusetzen, und die gebrauchte Perücke zu entfernen Zuverlässige Beiträge zu der Regierungs-Geschichte Königs Friedrich II. Herausgegeben von dem Königl. Preuß. Ober-Konsistorialrat Büsching. Historischer Anhang Seite 2-5.. Sie sehen also, Messieurs, daß nicht bloß das Glück, sondern die Frömmigkeit an einem Haar hängen kann, und diese Heiligen, zu welchen die gläubige Menschheit jetzt betet, waren ohne Zweifel alle geschickte Perruquiers, welche es verstanden, der Menschheit einen Zopf zu drehen.

Und denselben als Geißel auf dem Rücken der frommen Büßer herumtanzen zu lassen, rief Voltaire. Ah, Majestät, Ihre Geschichte ist ebenso weise als pikant, und zeigt aufs neue Ihren großen Feldherrnblick. Sie haben da mit Ihrer Wunderperücke eine geistige Schlacht von Hohenfriedberg gewonnen, eine Schlacht gegen die hohe Kirche.

Bei der zum Glück keine Menschen, sondern nur einige Perücken auf der Wahlstatt zurückgeblieben sind! Aber sehen Sie nur, wie ernst und verstimmt unser hochwürdiger Abbé dreinschaut. Ich glaube wahrhaftig, er ist neidisch über das von mir vollführte Wunder. Jetzt ist an Ihnen die Reihe, Bastiani, erzählen Sie uns eins Ihrer Wunder, die Geschichte irgendeiner schönen Magdalena, die Sie bekehrt haben.

Ah Sire, wollen mich Euere Majestät entschuldigen, sagte der Abbé, sich tief verneigend. Mein Leben ist das stille, prunklose, einsame und verschwiegene Leben eines Priesters gewesen, und nur der hochselige König Friedrich Wilhelm brachte etwas Sturm und Bewegung in dasselbe. Aber auch das muß ohne Zweifel nach dem Willen Gottes gewesen sein, denn würde er mir sonst diese robuste Riesengestalt gegeben haben, welche die Emissäre des Königs so sehr entzückte, daß sie mich mitten aus dem Gottesdienste von dem Altar, vor welchem ich gerade Messe las, fortrissen, und nicht achtend auf das Bitten und Schreien meiner gläubigen Gemeinde, mich mit sich fortschleppten, um mich als Soldat einzurollieren Thiébault III, 41. .

Eine wundervolle Idee! rief Voltaire. Einen Priester in seinem Chorrock zu entführen, um aus ihm einen Soldaten zu machen. Ach, sagen Sie doch, Abbé, konnten Sie nicht wenigstens Ihre Haushälterin als Marketenderin mit sich nehmen? Das wäre doch ein Trost gewesen, denn ich bin von Ihrer priesterlichen Frömmigkeit überzeugt, daß Sie eine junge und schöne Haushälterin hatten.

Ich weiß das nicht, sagte Bastiani achselzuckend. Ich bin, wie Sie wissen, sehr kurzsichtig, und habe daher das Gesicht meiner Haushälterin niemals deutlich gesehen. War ich ja doch auch so kurzsichtig, daß ich es für ein Unglück hielt, aus meinen Tyroler Bergen fortgeschleppt und aus einem Priester in einen Soldaten verwandelt zu werden. Und doch ist dies mein höchstes Glück gewesen, denn dadurch wurden die Augen meines erhabenen Königs auf mich gelenkt, und er erbarmte sich mein, und begnadigte mich mit seiner Huld und seiner herablassenden Freundschaft.

Ah, Sie vergessen, daß es hier keinen König gibt, und daß man hier niemandem schmeicheln darf, sagte Friedrich mit leichtem Stirnrunzeln.

Sire, ich weiß, daß es hier keinen König gibt, und Sie sehen daraus, daß ich kein Schmeichler bin, denn ich spreche meinem König nicht ins Angesicht von meiner Liebe und Begeisterung, ich lobe und preise ihn hinter seinem Rücken, und das beweist allemal, daß man wahrhaft liebt, nicht um Gunst oder Ehre, sondern aus reinem Herzen.

Welch ein Glück also für Ihr reines, uneigennütziges Herz, rief Voltaire, daß Ihnen Ihre Stelle als Kanonikus von Breslau dreitausend Taler Rente bringt. Sie würden sonst verhungern müssen bei Ihrer Liebe, welche keine Schmeichelei versteht.

Wer das Brot des Herrn ißt, verhungert niemals, sagte Bastiani mit seiner feierlichen, gedämpften Stimme. Nur wer zweien Herren dienen will, und daher keinem treu ist, nur der darf fürchten zu verhungern.

Ach, ach, sehen Sie da unsern frommen Abbé, welcher seinen Schafpelz abwirft und seine rauhe Seite herauskehrt! rief Voltaire. Es steht geschrieben: »Die Schafe sollen sich in Wölfe verwandeln«, und Sie, Abbé, scheinen in Ihrer Frömmigkeit den Bibelspruch wahr machen zu wollen. Ihre Anspielung galt mir, nicht wahr, weil ich der Historiograph des Königs von Frankreich und der Kammerherr des Königs von Preußen bin? Beruhigen Sie sich. Als Geschichtschreiber des Königs von Frankreich bin ich ohne Gehalt pensioniert, und Seine Majestät wird Ihnen sagen, daß ich der schlechteste und unbrauchbarste Kammerherr bin, den jemals die Sonne der königlichen Gunst bestrahlt hat. Ja, wahrlich, ich bin ein ganz unbrauchbares, bescheidenes und nichtsnutziges Geschöpf, und wenn mir Seine Majestät nicht erlaubte, zuweilen seine Verse durchzulesen, mich an deren Schönheit zu freuen, und hier und da ein Komma hinzuzufügen, so wäre ich ein ebenso nutzloses Wesen wie jener katholische Priester, der sich am Dresdener Hofe des Königs August befindet, und der gar nichts zu tun, und niemandes Beichte anzuhören hat, da man dort, wie hier, lutherisch ist. Algarotti erzählte mir, daß er ihn einst gefragt, womit er sich eigentlich beschäftigte. Der würdige Abbate antwortete: Io sono il cattolico di sua maestà. – So nenne ich mich il pedagogo di sua maestà. Oeuvres complètes de Voltaire. LVIII, 376. , und diene also auch nur einem Herrn, gleich Ihnen, mein würdiger cattolico di sua maestà!

Ach, ich fürchte, mein cattolico wird nicht lange mehr bei uns ausharren, sagte der König. Ein Mann seines Verdienstes, seiner Talente kann sich nicht damit begnügen, Domherr in Breslau zu sein. Nein, Bastiani, Sie werden sich ohne Zweifel bald höher emporschwingen, Sie werden aufsteigen bis zur Prälatur, zur Eminenz, ja, bis zur Tiara selbst. Aber was wird aus mir werden, wenn Sie diesen glänzenden Gipfel erstiegen haben, wenn Sie Papst geworden? Ich wette, daß Sie mir Ihren apostolischen Segen versagen, ja mir nicht einmal gestatten würden, kniend Ihren Pantoffel zu küssen. Wenn dann jemand es wagte, Ihnen von mir zu sprechen, würden Sie dieser uneigennützigen Liebe nicht mehr eingedenk sein, die Sie heute ohne Zweifel für mich empfinden. Ah, mir scheint, als sähe ich Sie, wie Sie mit apostolischer Erhabenheit sich von St. Peters Stuhl erheben, und mit ehrenhafter Indignation rufen: Wie? Dieser Ketzer, dieser Unreine, dieses Wildpret der Hölle ist da? Ich verfluche ihn! Ich verdamme ihn! Daß niemand es wage, mir wieder von ihm zu sprechen.

Gnade, Gnade, Sire, rief der Abbé mit demütigem Händefalten zu dem König hinblickend, während die übrigen Herren fröhlich lachten.

Der König war unerbittlich. Die Scheinheiligkeit und Heuchelei, welche der Abbé heute zur Schau getragen, hatte ihn erzürnt, und er wollte ihn strafen.

Wenn Sie nun Papst sind, fuhr er fort, und ich bin überzeugt, daß Sie Papst werden, so werde ich ohne Zweifel nach Rom wallfahrten. Es ist daher wichtig, daß ich jetzt, wo ich Sie noch habe, von Ihnen erfahre, welche Aufnahme ich bei Ihnen finden werde. Also lassen Sie hören! Wenn ich vor Ihrer Heiligkeit erscheine, was werden Sie mir sagen?

Der Abbé, welcher bis jetzt mit niedergeschlagenen Augen dagesessen und ein flehendes: Ach, Sire, Sire! gemurmelt hatte, schaute jetzt empor, und ein feuriger Blitz seiner Augen traf das schöne, von Heiterkeit strahlende Antlitz des Königs.

Nun? wiederholte der König. Was würde Ihre Heiligkeit zu mir sagen?

Sire, sagte Bastiani, sich tief verneigend, ich würde sagen: Oh, allmächtiger Adler, bedecke mich mit deinen Flügeln und beschütze mich vor deinem eigenen Schnabel! Bastianis eigene Worte. Siehe Thiébault. V, 43.

Ah, das ist eine Antwort, welche Ihres Geistes würdig ist, rief der König lachend, und um derentwillen ich Ihnen vergeben will, daß Sie uns keine Geschichte aus Ihrem Leben erzählen wollen. Jetzt also, Graf Algarotti, ist an Ihnen die Reihe. Sie sind der letzte, welcher zu erzählen hat, und ich denke, das wird ein würdiger Schlußpunkt dieses Abends werden.

Sire, mir geht es wie Bastiani, sagte Algarotti lächelnd. Es gibt kein Geheimnis in meinem Leben. Nur daß, was bei einem Priester ein Wunder, bei mir ganz einfach und natürlich ist. Ich bin viel umhergereist, habe die Welt gesehen, die Menschen kennen gelernt, und endlich alle meine Erfahrungen und mein eigenes Herz zu den Füßen Euerer Majestät niedergelegt, wie die Gläubigen, wenn Sie durch ein Wunderbild geheilt sind, ein Abbild ihres kranken Gliedes an dem wundertätigen Heiligenbilde aufhängen, das ihnen Genesung gebracht. Mein Herz war krank von der Welt und den Menschen, Euere Majestät haben es geheilt, und ich habe es dankbar und demütig zu Ihren Füßen niedergelegt. Das ist meine ganze Geschichte, und freilich ist es eine Wundergeschichte, denn ich habe einen König gefunden, welcher nicht nur ein menschlicher König, sondern ein königlicher Mensch ist Algarottis eigene Worte..

Und wahrlich, ein solcher König ist das achte Wunder der Welt, rief Voltaire. Ein König, welcher als König Mensch, und als Mensch noch König ist. Ich glaube, daß die Weltgeschichte wenig solcher Beispiele hat. Wenn wir die Geschichte aller Völker durchforschen, werden wir von jedem ihrer Könige sehr viel Torheiten, aber nur von wenigen einige Großtaten zu erzählen wissen. Nein, nein, rechnen wir niemals darauf, die Könige zivilisieren zu können, vergeblich hofft man sie durch die Hilfe der Künste zu sänftigen, vergeblich lehrt man sie, dieselben zu lieben, ja sie selbst mit Erfolg zu kultivieren; sie bleiben immer Löwen, die gezähmt zu haben man sich vergeblich schmeichelt; sie bleiben in Wahrheit wild, blutdürstig und phantastisch. In dem Augenblick, wo man es am wenigsten erwartet, erwacht ihr Instinkt, und wir fallen als ein Opfer ihrer Tatzen oder ihrer Zähne, ohne daß wir es vorher ahnen konnten Thiébault. V, 365..

Der König, welcher bis jetzt dieser heftigen und exaltierten Rede Voltaires mit lächelndem Antlitz zugehört, während die übrigen Herren mit Entsetzen und Verwunderung ihn anstarrten, der König erhob sich jetzt von seinem Sitz, und mit heiterm Lächeln den Finger drohend erhebend, sagte er: Still, still, Messieurs. Nehmen Sie sich in acht, ich glaube, der König kommt. Dämpfen Sie Ihre Stimme, Voltaire, damit er Sie nicht hört, denn sonst würde der König sich am Ende verpflichtet halten, noch schlechter zu sein als Sie Des Königs eigene Worte. Thiébault. V, 326.. Überdies ist es spät! Lassen Sie uns also die Ankunft des Königs gar nicht abwarten, sondern still auseinandergehen. Gute Nacht, Messieurs.

Und indem er mit einem anmutigen und zugleich stolzen Neigen des Kopfes die ganze Gesellschaft begrüßte, zog sich der König in seine Gemächer zurück.


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