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VI. Ein Frauenherz

Die ganze folgende Nacht hindurch lag Prinzessin Amalie mit geöffneten Augen, mit hochklopfendem Herzen bleich und ruhelos auf ihrem Lager. Kein Schlaf senkte sich erquickend nieder auf ihre fieberhaft glühende Stirn, kein Traum kühlte ihre von angstvollen Schreckbildern gequälte Phantasie.

Was ist es, fragte sich Amalie wieder und immer wieder, was ist es, das der König von mir erbitten will? Welches geheime Schrecknis erhebt sich da drohend wieder vor mir, und wirft einen Schatten auf meine Zukunft?

Und jetzt prüfte sie im Geiste jedes Wort, jede Anspielung, die sie heute vernommen, jetzt erinnerte sie sich plötzlich der traurigen und mitleidsvollen Blicke ihres Hoffräuleins, der leise hingeworfenen Andeutungen, der halben Worte, welche eine versteckte Warnung enthielten.

Ernestine weiß etwas, und sie will es mir nicht sagen, rief Amalie, und bei diesem Gedanken fühlte sie ihre Stirn von kaltem Schweiß bedeckt und ein Frösteln ihre Glieder durchbeben.

Sie streckte die Hand aus, um zu klingeln und durch ihre Kammerfrau das Fräulein von Haak rufen zu lassen. Aber dann zog sie sie, traurig und beschämt über ihre eigene Ungeduld, wieder zurück.

Was kann es mir nützen, zu erfahren, was ich doch nicht ändern kann, sagte sie. Ich weiß, daß ein Unglück mich bedroht, aber ich will ihm wenigstens mit offener Stirn und mutigem Herzen entgegengehen.

Und jetzt lag sie ruhig und still, bis der Morgen kam, bis diese furchtbaren Stunden der Erwartung allmählich sich verringerten. Als sie sich von ihrem Lager erhob, trugen ihre Züge den Ausdruck unerschütterlicher Entschlossenheit, und ihr Auge flammte so kühn und mächtig, wie das ihres königlichen Bruders, wenn er im Begriff war in die Schlacht zu gehen.

Sie ließ sich sorgfältig und geschmackvoll kleiden, sie nickte der eintretenden Hofdame einen lächelnden Gruß entgegen, und plauderte heiter und ruhig von gleichgültigen Dingen. Als aber die Dienerschaft hinausgegangen, und sie mit Fräulein von Haak allein war, trat sie hastig zu ihr heran, und sah ihr lange und prüfend in die Augen.

Ernestine, sagte sie dann, Sie wissen etwas, das Sie mir nicht sagen wollen, und das für mich ein Unglück ist. Ich habe das in Ihrem Antlitz gelesen, und dennoch bitte ich Sie nicht, es mir zu offenbaren, wenn Sie nicht meinen, daß ich dadurch, daß ich es weiß, auch die Gefahr vermindern kann.

Ernestine schüttelte traurig das Haupt. Nein, sagte sie, ich fürchte, daß Euere Hoheit an dem Mißgeschick, was Sie bedroht, nichts ändern können. Es ist das Mißgeschick einer Prinzessin, welche sich gehorsam dem Willen ihres Königs fügen muß.

Es ist gut, sagte Amalie mit einem eigentümlichen Lächeln, wir werden ja sehen, ob mein Bruder Macht genug hat, meinen Willen zu beugen. Jetzt, Ernestine, verlassen Sie mich, denn es ist die Stunde, in welcher der König kommen wollte.

Das Hoffräulein hatte sich kaum zurückgezogen, als die nach dem großen Vorsaal führende Tür geöffnet wurde, und der eintretende Kammerherr den König meldete.

Prinzessin Amalie ging ihm mit lächelndem Gruß entgegen, aber als der König sie umarmte und einen Kuß auf ihre Stirn drückte, zuckte sie zusammen und blickte fragend zu ihrem Bruder empor.

Sie las in seinem Antlitz nichts als die herzlichste Liebe, die rückhaltloseste Freundlichkeit. Wenn er mich unglücklich macht, so ist es wenigstens nicht seine Absicht, dies zu tun, dachte sie, und mit beruhigterem Herzen gab sie ihrem Kammerherrn ein Zeichen, die Türen nach dem Salon, in welchem sich das Gefolge des Königs und ihre eigenen Damen befanden, zu schließen.

Jetzt, mein Bruder, sind wir allein, sagte die Prinzessin, indem sie neben dem König Platz nahm auf dem Divan, zu dem er sie hingeführt hatte. Jetzt erlauben Sie mir, Ihnen sogleich meine Bitte vorzutragen, deren Gewährung Sie mir versprochen haben.

Der König betrachtete mit traurig forschenden Blicken ihr vor Aufregung und Ungeduld zuckendes Antlitz. Amalie, sagte er, Sie haben mir kein Wort der Begrüßung, der schwesterlichen Liebe zu sagen? Sie wissen also nicht, daß fünf Jahre vergangen sind, seit wir uns nicht allein und mit jener Vertraulichkeit, wie sie Geschwistern geziemt, gesehen haben?

Ich weiß es, erwiderte Amalie traurig. Diese fünf Jahre sind auf meinem Antlitz verzeichnet, und wenn sie nicht auf meiner Stirn Runzeln zurückließen, so haben sie deren doch durch mein Herz gezogen. Sehen Sie mich an, mein Bruder, finden Sie, daß ich heute noch das Antlitz von vor fünf Jahren habe?

Nein, sagte der König, nein, Sie sind heute blaß und Ihre Wangen sind eingefallen. Indessen bemerke ich das heute zum erstenmal. Sonst sind Sie immer noch das Bild der Jugend, der Schönheit und Anmut. Die Vorstellung von gestern abend hat Sie angegriffen, das ist alles.

Nein, mein Bruder, Sie finden mich heute blaß und eingefallen, weil Sie mich heute zum ersten Male ohne Schminke und ohne Schönpflästerchen sehen. Zum ersten Male habe ich heute vor Ihnen diese Maske der rosigen Jugend, der lächelnden Harmlosigkeit abgenommen, welche der Welt mein Antlitz verbirgt. Sie sollen mein Antlitz sehen, wie es wirklich ist, Sie sollen sehen, was ich gelitten habe; vielleicht werden Sie dann um so bereitwilliger sein, mir das zu erfüllen, um was ich Sie bitten will. Hören Sie also, mein Bruder! Ich –

Der König legte sanft seine Hand auf ihre Schulter. Sprechen Sie noch nicht, sagte er, denn seit ich Sie jetzt hier sehe, fürchte ich, daß Sie irgend etwas bitten wollen, das ich Ihnen nicht gewähren kann.

Doch haben Sie mir Ihr Wort gegeben, Sire, mir eine Gnade zu bewilligen.

Ich nehme mein Wort nicht zurück. Aber weil ich das nicht will, bitte ich, daß, bevor Sie sprechen, Sie zuerst meine Bitte anhören, denn vielleicht kann das Einfluß haben auf das, was Sie mir zu sagen haben, und Sie werden danach Ihre eigenen Wünsche modifizieren können. Ich erlaube mir also in Ihrem eigenen Interesse unhöflich zu sein, und statt Ihnen als Dame zuerst das Wort zu gestatten, bitte ich, daß Sie es mir lassen.

Sie sind überall der König und haben zu befehlen, sagte Amalie kalt. Sprechen Sie also, Sire.

Der König ließ einen Moment seine hellen, durchbohrenden Blicke auf dem Antlitz seiner Schwester ruhen, dann stand er auf und nahm eine ernste, sinnende Miene an.

Ich stehe jetzt vor Ihnen, Prinzessin, nicht als König, sagte er, sondern als der Abgesandte eines Königs. Prinzessin Amalie, der König von Dänemark bittet durch mich um Ihre Hand. Er wünscht sich mit Ihnen zu vermählen, und ich habe ihm meine Zustimmung gegeben. Es fehlt also nur noch die Ihrige, und ich denke, Sie werden ihm dieselbe nicht versagen.

Die Prinzessin hatte ihm mit schweigender, unerschütterlicher Ruhe zugehört. Nicht eine Muskel ihres Gesichtes hatte gezuckt, nicht einen Moment hatten ihre Züge den Ausdruck der Entschlossenheit und Ruhe verloren.

Sind Sie zu Ende, Sire? fragte sie gelassen.

Ich bin zu Ende, und ich erwarte Ihre Antwort.

Bevor ich Ihnen dieselbe erteile, erlauben Sie mir, Ihnen auch meine Bitte vorzutragen, Sire. Denn um mich Ihrer eigenen Worte zu bedienen, Sie werden danach Ihre eigenen Wünsche modifizieren können. Sie werden dann wissen, ob ich imstande bin, die Hand des Königs von Dänemark anzunehmen. Erlauben Sie jetzt mir, zu sprechen?

Sprechen Sie, sagte der König, indem er sich wieder neben Amalie niedersetzte.

Eine Pause trat ein. Dann sagte Amalie mit feierlicher, ernster Stimme: Sire, ich bitte um Gnade für den Freiherrn Friedrich von Trenck.

Einer unwillkürlichen Regung nachgebend, glitt sie vom Divan auf ihre Knie nieder, und die gefaltenen Hände flehend zu ihrem Bruder emporhebend, wiederholte sie: Sire, ich bitte um Gnade für den Freiherrn Friedrich von Trenck.

Der König fuhr empor, wehrte ungestüm die Hände seiner Schwester zurück und ging hastig einige Male im Zimmer auf und ab. Amalie, fast beschämt über ihre eigene mädchenhafte Demut, erhob sich wieder von ihren Knieen, und gleichsam um sich selber ihre Energie und Entschlossenheit zu beweisen, ging sie gerade auf den König zu, und mit lauter, fester Stimme sagte sie zum drittenmal: Sire, ich bitte um Gnade für den Freiherrn Friedrich von Trenck. Er ist unglücklich, weil er verbannt ist aus seiner Heimat. Er ist in Verzweiflung, weil man, wohl wissend, daß er niemand hat, der ihn beschützt und seine Rechte wahrt, beim Reichshofgericht keine Gerechtigkeit finden kann. Er ist arm und ohne Aussichten, weil das Reichshofgericht ihm die Erbschaft seines Vetters versagt, seines Vetters, des Pandurenhäuptlings, den seine Feinde angeklagt haben, weil es sie gelüstete nach seinen Millionen, die man konfisziert hat unter dem Vorgeben, daß er sie unrechtmäßigerweise erworben habe. Aber man hat ihm das nicht beweisen können, und dennoch, da er jetzt tot ist, versagt man seinem Erben, Friedrich von Trenck, seine Erbschaft. Sire, ich bitte Sie also, nehmen Sie sich Ihres Untertanen an. Lassen Sie ihm die Gnade Ihrer Fürsprache zu teil werden, verhelfen Sie ihm durch Ihr mächtiges Wort zu dem Besitz dieser Millionen. Ach, Sie sehen wohl, Sire, wie kleinmütig und bescheiden ich geworden bin. Ich bitte nicht mehr um Glück, sondern nur noch um Geld. Und ich meine, Sire, wir sind Trenck wohl diesen Ersatz für ein zertretenes Lebensglück schuldig.

Dem König war es gelungen, seinen Unwillen zu sänftigen und seinen aufflammenden Zorn zu besiegen. Er war jetzt ebenso ruhig und gelassen wie seine Schwester, aber bei beiden verbarg sich hinter dieser Ruhe die feste Energie eines unabänderlichen Entschlusses, und sie waren nur so gelassen, weil sie unbeugsam waren.

Das ist die Gnade, welche Sie von mir fordern wollten? fragte der König.

Die Gnade, deren Bewilligung Sie mir versprochen haben, erwiderte Amalie.

Und wenn ich das tue, so werden Sie auch meine Bitte bewilligen? So werden Sie die Gemahlin des Königs von Dänemark werden? Ah, Sie schweigen? Nun wohl, so hören Sie. Willigen Sie ein, Königin von Dänemark zu werden, und an dem Tage, an welchem Sie die Grenzen meines Landes überschreiten und als Königin Ihr neues Vaterland betreten, an dem Tage werde ich Trenck wieder nach Berlin zurückrufen, und alles soll vergessen sein. Trenck kann wieder in meine Garde eintreten, und mein Gesandter in Wien soll sich beim Reichshofrat für ihn verwenden. Entscheiden Sie sich jetzt, wollen Sie Königin von Dänemark werden?

Ah, Sire, Sie stellen mir da eine grausame Alternative. Sie wollen, daß ich eine Gnade erkaufe, deren freie Bewilligung Sie mir zugesagt haben!

Aber Sie vergessen, meine Schwester, daß ich selber bitte, wo ich befehlen könnte, und daß ich es Ihnen leicht machen will, mir zu gehorchen, indem Sie durch Ihren Gehorsam einen andern beglücken. Also noch einmal, nehmen Sie meinen Vorschlag an?

Amalie antwortete nicht sogleich. Sie wandte ihre Augen mit einem forschenden Ausdruck auf des Königs Angesicht. Ihre Blicke begegneten sich und ruhten fest aufeinander. Beide lasen sie in ihren Augen die gleiche, unerschütterliche Entschlossenheit.

Sire, sagte Amalie endlich, ich kann Ihren Vorschlag nicht annehmen. Ich kann nicht die Gemahlin des Königs von Dänemark werden.

Der König zuckte zusammen, und seine Stirn zog sich in finstere Falten. Aber er blieb ruhig, nur preßte er seine Hand krampfhaft um die Lehne des Fauteuils, neben welchem er stand.

Und weshalb können Sie nicht die Gemahlin des Königs von Dänemark werden? fragte er.

Weil ich geschworen habe, feierlich unter Anrufung Gottes geschworen habe, niemals eines andern Mannes Weib zu werden, als das Weib dessen, den ich liebe, weil ich mich vor Gott und meinem Gewissen verpflichtet halte, diesen Schwur zu erfüllen und unvermählt zu bleiben, da ich nicht die Gemahlin Trencks werden kann.

Jetzt errötete der König vor Zorn und seine Augen schossen Blitze. Die Gemahlin Trencks, rief er hastig, die Gemahlin eines Verräters. Ah, Sie denken also noch immer an ihn und trotz Ihres damaligen Gelübdes, trotz Ihres mir geleisteten Schwurs, haben Sie diese strafwürdige Verbindung unterhalten?

Sire, entsinnen Sie sich wohl, an welche Bedingungen damals mein Gelöbdnis gebunden war. Sie versprachen mir, Trenck freizugeben, und ich gelobte dafür ihn aufzugeben und niemals an ihn zu schreiben. Das Schicksal aber nahm mein Gelöbdnis nicht an. Trenck entfloh, bevor Euere Majestät Zeit hatten, Ihr Wort zu erfüllen, und somit war ich meines Schwurs entbunden. Dennoch habe ich niemals an ihn geschrieben, niemals etwas von ihm erfahren, denn Sie wissen wohl, Sire, daß ich niemals von ihm Briefe empfangen habe.

Er hat also fünf Jahre vergehen lassen, ohne an Sie zu schreiben, und dennoch haben Sie heute noch den Mut, vor mir seinen Namen zu nennen?

Ich habe den Mut, Sire, weil ich sehr wohl weiß, daß Trenck niemals aufgehört hat, mich zu lieben, daß, wenn ich keine Briefe von ihm bekam, dies nicht daher kommt, daß er sie nicht geschrieben, sondern weil ich von sehr aufmerksamen Spähern umgeben war, welche die Briefe niemals in meine Hände gelangen ließen.

Ah, sagte der König mit verächtlichem Achselzucken, Sie sind der Meinung, ich hätte diese Briefe auffangen lassen?

Ja, mein Bruder, ich bin der Meinung.

Nun denn, Amalie, Sie irren sich. Ich habe Sie nicht mit Spionen umstellt, ich habe keinen Brief unterschlagen lassen. Sie sehen mich ungläubig an? Mein Wort darauf, daß ich Ihnen die Wahrheit sage. Werden Sie jetzt begreifen, meine Schwester, daß Ihr Herz Sie getäuscht hat, daß Sie Ihre Liebe an einen Elenden verschwendet haben, welcher Sie vergessen hat?

Sire, rief Amalie mit flammenden Augen, Sire, keine Beleidigung gegen den Mann, welchen ich liebe!

Ah, Sie lieben ihn noch immer, sagte der König bleich vor Zorn und nicht mehr imstande, seine Aufregung zurückzuhalten. Sie lieben ihn noch immer. Sie haben um ihn geweint und geklagt, während er Sie schmachvoll verraten und verhöhnt hat. Oh, sehen Sie mich immerhin mit diesen zornigen, empörten Blicken an. Es ist so wie ich sage. Sie sollen und müssen jetzt alles wissen. Ich habe Sie bis jetzt geschont, von Ihrem eigenen edlen Herzen hatte ich gehofft, daß es nur dem Strom gleiche, welcher vom Sturm der Leidenschaft gepeitscht, wohl einen Augenblick seine Ufer überschreiten kann, dann aber ruhig zurückkehrt in die Grenzen, welche ihm die Natur und sein Schicksal angewiesen. Ich sehe jetzt, daß ich mich in Ihnen geirrt habe, wie Sie sich in Trenck geirrt haben. Er hat Sie verraten, sage ich Ihnen. An dem schwelgerischen und üppigen Hof von Petersburg hat der ehemalige preußische Offizier nicht bloß Sie, sondern auch seinen König verraten. An der Tafel seiner Geliebten, der Kanzlerin Bestuschef, hat er Ihr Bild gezeigt, hat er sich gerühmt, daß Sie selber ihm dasselbe gegeben. Der Graf von der Goltz, mein Gesandter am russischen Hofe, schrieb mir das, und ich habe ihn nicht töten lassen, ich habe nicht bei der Kaiserin Anna auf Auslieferung des preußischen Deserteurs angetragen. Ich habe mich erinnert, daß Sie ihn einst geliebt und daß ich Ihnen versprochen hatte, seiner zu schonen. Aber ich habe ihn beobachten lassen, und ich kenne alle seine Handlungen, alle seine Ränke und Intrigen. Ich weiß, daß er mit der jungen Gräfin Narischkin ein Liebesverhältnis angeknüpft, das sie schamlos und verbrecherisch genug auch fortsetzten, als die Gräfin dem General Bondurow sich vermählt hatte. Nun glauben Sie, meine Schwester, daß er in den Armen dieses schönen üppigen jungen Weibes der keuschen und unschuldigen Liebesschwüre gedachte, welche er einst mit Ihnen gewechselt hat? Glauben Sie, daß er derselben sich erinnerte, als er mit seiner Geliebten den Plan zu einer Flucht verabredete, um außerhalb Rußlands für ihre ehebrecherische Liebe ein Asyl zu suchen? Glauben Sie, daß er Ihrer gedachte, als er von diesem jungen, irregeleiteten Weibe sich ihre Brillanten und alles, was sie an Geld besaß, geben ließ, um dafür den Weg zur Flucht zu ebnen?

Gnade, Gnade! stammelte Amalie bleich und zitternd, auf einen Sessel niedersinkend. Hören Sie auf, mein Bruder, denn Sie sehen wohl, daß Ihre Worte mich töten. Haben Sie Erbarmen mit mir.

Nein, kein Erbarmen, sagte der König. Sie sollen und müssen jetzt alles wissen, damit Sie genesen von dieser unseligen Krankheit einer schmachvollen Liebe. Sie sollen wissen, daß Trenck ein Mann ist, welcher nicht bloß seine Geheimnisse der Politik, sondern auch seine Geheimnisse der Liebe sich abkaufen läßt, daß ihm alles käuflich ist, selbst sein Herz. Er liebte nicht bloß die schöne Generalin Bondurow, sondern er liebte auch ihre Brillanten, und als das junge Weib einige Tage vor ihrer verabredeten Flucht an den Blattern darniedersank und starb, behielt er wenigstens die Erbschaft und gab ihren Schmuck und die achttausend Rubel, welche sie ihm in Verwahrsam gegeben, nicht zurück Trencks Memoiren. I, 200..

Oh, mein Gott, mein Gott, gib, daß ich sterbe! murmelte die Prinzessin Amalie.

Aber der Tod dieser Geliebten, fuhr der König fort, ohne der Prinzessin Klagen zu beachten, dieser Tod war doch sehr zu seinem Vorteil, und er tröstete sich bald über denselben in den Armen der Kanzlerin Bestuschef, dieses ränkesüchtigen und stolzen Weibes, das jetzt durch ihren schwachen Gemahl über Rußland herrscht und die Geschicke Europas durch ihre Ränke und Intrigen zu verwirren droht. Die Kanzlerin ist nicht jung und schön, wie die Generalin Bondurow es war, sie ist vierzig Jahre, und Sie werden nicht glauben, daß der vierundzwanzigjährige Herr von Trenck in Liebe zu ihr entbrannte. Aber sie tat's für ihn. Sie liebte ihn mit jener wilden, bacchantischen Glut, wie die römische Kaiserin Julia die Gladiatoren zu lieben pflegte, deren schöne Gestalt sie im Zirkus bewundert hatte. Sie liebte ihn und gestand es ihm, und sein Herz, welches von ihren alternden Reizen nicht besiegt worden, unterlag dem Zauber der Dukaten und des Geldes, das sie ihm zu bieten wagte. Der Herr von Trenck ward also der homme entretenu der Frau Kanzlerin Bestuschef, das heißt natürlich, der Hausfreund ihres Gemahls. Er arbeitete in dem Kabinett desselben, in diesem Kabinett, das von dem Boudoir seiner Frau her an unsichtbaren Fäden geleitet ward. Er schien jetzt ein guter patriotischer Russe geworden, der bereit war, die Knute mit eben solcher Devotion zu küssen, wie den Pantoffel seiner alten Kanzlerin. Ich wollte indessen seinen Patriotismus prüfen und gab meinem Gesandten den Auftrag, zu erforschen, ob dieser Patriotismus nicht für Geld zu erschüttern wäre. Nun, meine Schwester, für zweitausend Dukaten kopierte Herr von Trenck ihm den Riß der Festung Kronstadt, den der Kanzler Bestuschef soeben von einem Ingenieur hatte aufnehmen lassen.

Das ist unmöglich, sagte Amalie, deren Tränen jetzt versiegt waren und die ihrem Bruder mit großen, ruhigen Blicken zuhörte.

Unmöglich! rief der König, ah, meine Schwester, das Geld ist eine Zaubermacht, für welche es keine Unmöglichkeiten gibt. Das wollte ich auch dem törichten Bestuschef beweisen, indem ich ihm den Verräter Trenck entlarvte. Goltz mußte ihm also den Beweis seines Verrates, diesen mit Trencks Namensunterschrift gezeichneten Plan von Kronstadt überreichen und ihm sagen, wie er in den Besitz desselben gekommen. Der Kanzler war außer sich vor Zorn und schwur, eine echt russische Rache zu üben an dem Verräter. Das heißt, ihn unter der Knute sterben zu lassen.

Amalie stieß einen Schrei aus und schlug ihre Hände vor ihr von krampfhaftem Schmerz entstelltes Angesicht.

Der König lächelte bitter. Beruhigen Sie sich. Wir hatten zu früh triumphiert. Wir hatten die Frau vergessen! Der Kanzler hatte in seinem Zorn ihr alles offenbart und heftige Verwünschungen gegen Trenck und gegen sie selber ausgestoßen. Sie fand Mittel, Trenck zu warnen, und als in der Nacht die Polizei kam, ihn zu verhaften, war Trenck nicht in seinem Hause, sondern hatte eine Zuflucht gesucht im Hause seines Freundes, des englischen Gesandten Lord Hyndforth Trencks Memoiren. I, 212-16..

Ah, er war also gerettet? flüsterte Prinzessin Amalie mit einem köstlichen Lächeln.

Der König sah sie erstaunt an. Ja, sagte er, Trenck war gerettet, denn am andern Tage wußte die Kanzlerin ihren leichtgläubigen Gemahl zu überzeugen, daß Trenck nur das Opfer einer Intrige gewesen, und ganz unschuldig sei an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen. Er blieb also der Freund des Hauses, und die Frau Kanzlerin hatte die Unverschämtheit, meinen Gesandten öffentlich zu beleidigen. Trenck aber bekannte sich jetzt laut für einen wütenden Gegner Preußens, er entflammte mit seinem Haß das Herz der verliebten Kanzlerin, und beide schwuren das Verderben Preußens, beide waren eifrig bemüht, den Kanzler, meinen geheimen Freund, zu meinen Gegnern herüberzuziehen, und Trenck, der eifrige russische Patriot, trat jetzt in die Dienste des Hauses Österreich, um gegen Preußen zu intrigieren Trenck selber schreibt darüber: »Ich hätte damals mein Vaterland in eine Wüstenei verwandelt, falls die Gelegenheit sich zum Willen gefügt hätte. Ich leugne auch gar nicht, daß ich von diesem Augenblicke an in Rußland alles Mögliche tat, um die Absichten des kaiserlichen Gesandten Grafen Bernis zu befördern, welcher mein einmal angefachtes Feuer zu nähren und mich zu brauchen wußte.« Memoiren I, 217.. Aber Bestuschef widerstand ihren Intrigen, und sein Mißtrauen bedrohte und überwachte noch immer seine treulose Gemahlin und seinen treulosen Freund. Trenck wäre ohne Zweifel verloren gewesen, wenn nicht ein glücklicher Zufall ihn diesmal noch errettet hätte. Sein Vetter in Wien ist, wie Sie sagten, gestorben, und da Trenck glaubte, daß er ihm einige Millionen als Erbschaft hinterlassen, riß er sich los aus den Armen seiner zärtlichen Frau Kanzlerin und ist nach Wien geeilt, um dort eine Erbschaft in Empfang zu nehmen, die indes zu seinem Erstaunen nicht in Millionen, sondern nur in Prozessen bestand. – Das, Madame, ist die Geschichte Trencks während dieser fünf Jahre, in denen Sie keine Nachrichten von ihm erhielten. Wollen Sie nun noch sagen, daß er Sie niemals vergessen hat, und daß Sie selber zur Treue gegen ihn verpflichtet sind? Ah, Sie sehen wohl, daß ich zu Ihnen nicht als König, sondern nur als Freund spreche, und daß ich mit Ihnen von Ihrem Standpunkt aus diese unglückselige Angelegenheit betrachten will. Behandeln Sie mich also auch als Ihren Freund und antworten Sie mir nun auch aufrichtig: Halten Sie nach allen diesen Vorgängen sich dennoch verpflichtet, Ihren Schwur der Treue zu halten? Glauben Sie nicht, daß er ein treuloser Verräter ist, daß er Sie vergessen hat?

Die Prinzessin hatte dem König mit gesenktem Haupte, mit niedergeschlagenen Augen zugehört. Als sie jetzt aber den Blick zu ihm erhob, strahlte ihr Auge in dem Feuer der Begeisterung und ein wundervolles, wehmütiges Lächeln umspielte ihre Lippen.

Sire, sagte sie, ich habe ihm meinen Schwur geleistet ohne Bedingungen, und ich werde ihn halten bis zu meinem Tode. Möge immerhin ein Teil von dem, was Sie erzählten, wahr sein. Trenck ist jung, und Sie können von seinem leidenschaftlichen Herzen nicht erwarten, daß es sich ganz und gar begrabe unter der Asche dieses Tränenkruges, in welchem unser Liebesglück in Staub zerfallen ist. Aber sein Herz, so flatterhaft es immer scheinen möge, kehrt immer doch treu zurück, um an diesem Tränenkruge zu beten, und seine wilde und stürmische Gegenwart durch die Erinnerung an die schöne und unschuldsvolle Vergangenheit zu reinigen und zu heiligen. Sie sagen, daß Trenck mich in seinem Glück vergessen hat. Nun wohl denn, Sire, in seinem Unglück hat er sich meiner erinnert. In seinem Unglück hat er diesen treulosen, kalten und verräterischen Brief vergessen, den ich ihm damals geschrieben, und den er noch in seinem Gefängnis in Glatz bekommen hatte. In seinem Unglück hat er an mich geschrieben und meine Hilfe angerufen, und es soll nicht gesagt werden, daß ich seine Stimme nicht gehört und nicht freudig bereit gewesen wäre, ihm zu dienen.

Er hat es gewagt, an Sie zu schreiben! rief der König mit zornsprühenden Augen und zitternden Lippen. Und wer hat die Frechheit gehabt, Ihnen diesen Brief einzuhändigen?

Oh, Sire, Sie wollen doch nicht verlangen, daß ich meine Freunde verraten soll? Überdies, was hülfe es, wenn ich Ihnen den Boten dieses Briefes nenne? Sie würden diesen verhaften lassen und ihn strafen, und morgen würde ein anderer kommen und sich unserem Dienste weihen. Denn die unglückliche Liebe findet überall Mitleid und Schutz, und Freunde, welche ihr dienen. Sire, ich wiederhole also meine Bitte: Gnade für Friedrich von Trenck!

Und ich, rief der König mit gewaltiger Stimme, ich frage Sie, ob Sie meinen Antrag annehmen, ob Sie die Gemahlin des Königs von Dänemark werden wollen? Und merken Sie wohl, Prinzessin, daß ich das als Antwort auf Ihre Bitte frage!

Sire, möge Gott Erbarmen haben mit mir. Mögen Sie mich mit Ihrem ganzen Zorn strafen! Aber ich kann meinen Schwur nicht brechen. Sie können mich zwingen, meinen Eid unerfüllt zu lassen, und nicht meines Geliebten Weib zu werden, aber Sie können mich nicht zwingen, einen Meineid zu begehen. Ein Meineid aber wäre es, wenn ich mit einem andern Manne vor Gottes Altar träte und ihm eine Liebe und Treue gelobte, von der mein Herz nichts weiß und niemals etwas wissen wird!

Der König stieß einen dumpfen Schrei der Wut aus, und seine Augen schossen Blitze. Ein Wort der Verwünschung schwebte schon auf seinen Lippen, aber er hielt es zurück, und sich gewaltsam zu äußerer Ruhe zwingend, faltete er die Arme über der Brust zusammen und ging mit hastigen Schritten einige Male im Zimmer auf und ab.

Prinzessin Amalie blickte in atemlosem Schweigen, mit hochklopfendem Herzen zu ihm hin, und flehte leise zu Gott um Erbarmen und Hilfe, denn sie war sich bewußt, daß in dieser Stunde das Schicksal ihres ganzen Lebens sich entscheide.

Plötzlich blieb der König vor ihr stehen. Seine Züge waren jetzt wieder vollkommen ruhig und harmonisch.

Prinzessin Amalie, sagte er, ich gebe Ihnen vier Wochen Frist. Überlegen Sie sich reiflich alles, was ich Ihnen gesagt habe. Gehen Sie zu Rate mit Ihrem Gewissen, mit Ihrem Verstande und mit Ihrer Ehre. In vier Wochen werde ich kommen und Sie abermals fragen, ob Sie entschlossen sind, meine Bitte zu erfüllen und die Gemahlin des Königs von Dänemark zu werden. Bis dahin werde ich den dänischen Gesandten hinzuhalten wissen. In vier Wochen verlange ich eine bestimmte Antwort von Ihnen. Wagen Sie alsdann noch meinem Willen zu widerstehen, nun, so werde ich immerhin doch mein Wort erfüllen und Ihnen die Gnade bewilligen, die Sie von mir forderten. Ich werde Trenck Anträge machen, nach Preußen zurückzukehren, und meine Anträge sollen so glänzender Art sein, daß er ihnen folgen wird. Wenn wir ihn einmal hier haben, dann ist es unsere Sache, ihn festzuhalten! In vier Wochen also!

Er verneigte sich leicht vor der Prinzessin und verließ das Gemach.

Amalie blickte ihm schweigend in atemloser Spannung nach, bis er verschwunden war. Dann entwand sich ein tiefer Seufzer ihrer Brust, und mit einem lauten Aufschrei rief sie nach ihrer Hofdame.

Ernestine, Ernestine, sagte sie mit bebenden Lippen, als Fräulein von Haak auf ihren Ruf hereinstürzte. Schaffe mir einen treuen Boten, den ich sogleich nach Wien entsenden kann. Ich muß Trenck warnen, denn ihm droht Gefahr. Was auch immer der Gesandte meines Bruders ihm anbieten, mit welchen glänzenden Versprechungen er ihn locken mag, er darf es nicht annehmen! Er darf niemals wieder hierher kommen, denn er wäre verloren, wenn er es täte!

Der König kehrte inzwischen schweigend in seine Gemächer zurück, und während er im Geist noch einmal die eben erlebte Szene überdachte, murmelte er leise:

O Frauenherz! Du gleichst dem Meer! Es ruhen Perlen und Ungeheuer auf deinem Grunde!


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