Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Drittes Buch

Wer sagt mir an den geraden Weg, und wer leitet meinen Fuß auf die rechte Bahn, die zu dem wunderbarsten der Abenteuer führet in diesem grenzenlosen Walde. O ihr translunarischen Mächte, blickt freundlich auf mich herab, und wenn ein Erdensohn diesen mächtigen Zauber lösen soll, so laßt mich diesen glücklichen Sterblichen sein. So sprach Reinald ganz in sich gekehrt und ging fürbaß seine unwegsame Straße waldeinwärts. Er durchstrich sieben Tage lang sonder Furcht noch Grausen die endlose Wildnis, und schlief sieben Nächte lang unter freiem Himmel, daß seine Waffen vom nächtlichen Tau rosteten. Am achten Tage erstieg er eine Felsenzinne, von der er wie vom Sankt Gotthards Berge in unwirtbare Tiefen hinabblickte. Von der Seite öffnete sich ein Tal mit grüner Vinca überzogen, von hohen Granitfelsen umschlossen, welche Schierlingstannen und traurige Zypressen überragten. In der Ferne kam's ihm vor, als säh er da ein Monument aufgerichtet. Zwo giganteske Marmorsäulen mit ehernen Knäufen und Füßen trugen ein dorisches Gebälke, welches an eine Felsenwand gelehnt war, und ein stählernes Tor überschattete, mit starken Bändern und Riegeln versehen; auch lag noch zum Überfluß ein Anwurf davor, von der Größe eines Scheffels. Unfern des Portals weidete ein schwarzer Stier im Grase, mit funkelnden umherschauenden Augen, als wenn er den Eingang zu bewachen schien.

Reinald zweifelte nicht, daß er das Abenteuer gefunden habe, von dem ihm Schwäher Ufo der Delphin Erwähnung getan hatte, alsbald beschloß er, solches zu bestehen und schlüpfte von der Felsenzinne gemachsam hinab ins Tal. Er nahete dem Stier auf einen Bogenschuß, eh ihn dieser zu bemerken schien; aber nun sprang er rasch auf, lief wütig hin und her, als rüst er sich zum Kampfe gegen den Ritter wie ein andalusischer, schnaubte gegen den Erdboden daß sich Staubwolken emporhoben, stampfte mit den Füßen daß der Grund erbebte, und schlug mit den Hörnern gegen die Felsen daß sie in Stücken sprangen. Der Ritter setzte sich in eine angreifende Stellung, und wie der Stier auf ihn anlief, vermied er das gewaltsame Horn durch eine geschickte Wendung, und führte einen so kräftigen Schwertstrich nach dem Halse des Ungetüms, daß er vermeinte, das Haupt vom Rumpfe zu sondern, wie der tapfre Skanderbeg. –

O Jammer! der Hals des Stiers war für Stahl und Eisen unverwundbar: das Schwert zerbrach in Stücken, und der Ritter behielt nur das Heft in der Hand. Er hatte nichts zu seiner Verteidigung übrig als eine Lanze von Ahornholz mit einer zweischneidigen Spitze von Stahl; aber auch die zerknickte beim zweiten Angriff wie ein schwacher Strohhalm. Der stößige Ochs erfaßte den wehrlosen Jüngling mit den Hörnern, und schleuderte ihn wie einen leichten Federball hoch in die Luft, auflaurend, ihn aufzufangen, oder mit den Füßen zu zertreten. Glücklicherweise geriet er im Fallen zwischen die ausgebreiteten Äste eines wilden Birnbaums, die ihn wohltätig umfaßten. Ob ihm gleich alle Rippen im Leibe knackten, so blieb ihm doch so viel Besinnungskraft, daß er sich fest an den Baum anklammerte, denn der wütige Ochs stieß mit seiner ehernen Stirne so gewaltsam gegen den Stamm, daß dieser sich aus der Wurzel hob und zum Fall neigte.

In der Zwischenzeit, als der mörderische Stier sich wendete, einen Anlauf zu nehmen, den gewaltsamen Stoß zu wiederholen, dachte Reinald an die Geschenke seiner Schwäher. Der Zufall führte ihm das Papier mit den drei Bärenhaaren zuerst in die Hand, er rieb sie aus allen Kräften und in dem Augenblicke kam ein grimmiger Bär dahergetrabet, der einen harten Kampf mit dem Stier begann; der Bär ward seiner bald mächtig, würgt' ihn nieder und zerriß ihn in Stücken. Wie sich der hohle Bauch öffnete, flog heraus ein scheuer Entvogel, der mit großem Geschrei davonflog. Reinald ahndete, daß dieser Zauber des Sieges, welchen der Bär erkämpft hatte spottete, und den Gewinn desselben davontrage; er griff deshalb flugs nach den drei Federn und rieb sie zwischen den Händen. Darauf erschien ein mächtiger Adler hoch in der Luft, für welchen der furchtsame Entvogel sich nieder ins Gebüsche drückte; der Adler schwebte in unermeßner Höhe über ihm. Wie der Ritter das bemerkte, scheucht' er den Entrich auf und verfolgt' ihn, bis der Wald lichter wurde, und weil er sich nicht mehr bergen konnte, flog er auf und nahm seinen Flug gerade nach dem Weiher zu. Der Adler aber schoß aus den Wolken herab, ergriff und zerfleischte ihn mit seinen mächtigen Fängen. Indem er starb, ließ er ein goldnes Ei in den Weiher fallen. Der aufmerksame Reinald wußte auch dieser neuen Täuschung zu begegnen, er rieb flugs die Fischschuppen zwischen den Händen, da hob sich ein Walfisch aus dem Wasser, der das Ei in seinem weiten Rachen auffing und es ans Land spie. Des war der Ritter froh in seinem Herzen, schlug das goldne Ei mit einem Stein voneinander, da fiel ein kleiner Schlüssel heraus, den er triumphierend für den Schlüssel der Bezauberungen erkannte.

Schnellfüßig eilt' er nun zu dem stählernen Portal zurück. Der Zwergschlüssel schien für das riesenmäßige Vorlegeschloß nicht gemacht zu sein, inzwischen wollt er doch einen Versuch damit machen; aber kaum berührte der Schlüssel das Schloß, so sprang es auf, die schweren eisernen Riegel schoben sich von selbst zurück und die stählerne Pforte tat sich auf. Frohen Mutes stieg er in die düstere Grotte hinab, in welcher sieben Türen in sieben verschiedene unterirdische Zimmer führten, allesamt prächtig aufgeputzt und herrlich mit Walratlichtern erleuchtet. Reinald durchwandelte alle nach der Reihe und trat aus dem letztern in ein Kloset, wo er eine junge Dame ansichtig wurde, die auf einem Sofa in einem unerwecklichen magischen Schlummer ruhete. Bei diesem herzanfassenden Anblick erwachte in seiner Brust das Gefühl der Liebe; still und staunend stand er da und verwandt kein Auge von ihr, ein Beweis seiner großen Unerfahrenheit! Unser erleuchtetes Jahrhundert weiß dergleichen glückliche Situationen ganz anders zu nutzen. Nachdem Ritter Reinald sich von seinem Erstaunen erholet hatte, blickte er ein wenig im Zimmer umher und sah der schlafenden Dame gegenüber eine alabasterne Tafel voll wunderbarer Charaktere. Er vermutete, daß darauf der Talisman eingegraben sei, der alle Zaubereien des Waldes in ihrer Kraft erhielt. Aus gerechten Unwillen ballte er seine Faust mit dem eisernen Handschuh bewaffnet, und schlug mit Mannskraft dagegen. Sogleich fuhr die schöne Schläferin schreckhaft zusammen, erwachte, tat einen scheuen Blick nach der Tafel, und sank in ihren betäubenden Schlummer zurück. Reinald wiederholte den Schlag und es erfolgte alles so wie vorher. Nun war er darauf bedacht, den Talisman zu zerstören; aber er hatte weder Schwert noch Speer, nichts als zwei rüstige Armen, mit diesen erfaßt' er die magische Tafel und stürzte sie vom hohen Postament auf das Marmorpflaster herab, daß sie in Stücken zerfiel. Augenblicks erwachte die junge Dame wieder aus ihrem Totenschlummer, und bemerkte nun erst beim dritten Erwachen die Gegenwart eines Ritters, der sich gar tugendlich und ehrlich auf ein Knie vor ihr niederließ. –

Doch eh er zu reden anhub, verhüllte sie ihr holdseliges Angesicht mit ihrem Schleier und sprach gar zornmütig: »Hinweg von mir, schändlicher Unhold! Auch in der Gestalt des schönsten Jünglings sollst du weder meine Augen täuschen, noch mein Herz betrügen. Du kennst meine Gesinnung, laß mir meinen Totenschlaf, worein mich deine Zauberei versetzt hat.« Reinald begriff den Irrtum der Dame, darum ließ er sich diese Sprache nicht befremden und gegenredete also: »Holdes Fräulein, zürnet nicht! Ich bin nicht der gefürchtete Unhold, der Euch hier gefangen hält, ich bin Graf Reinald das Wunderkind genannt, sehet hier den Zauber zerstöret, der Eure Sinnen umnebelt hatte.« Das Fräulein glostete ein wenig unter dem Schleier hervor, und als sie die alabasterne Tafel zertrümmert sahe, wunderte sie sich baß über die kühne Tat des jungen Abenteurers, blickte ihn holdselig an und er gefiel ihren Augen. Sie hob ihn freundlich auf, indem sie ihm die Hand reichte und sprach: »Ist's so, wie Ihr saget, edler Ritter, so vollendet Euer Werk und führet mich aus dieser grausenvollen Höhle, daß ich Gottes Sonne glänzen sehe, wenn's draußen taget, oder die güldnen Sternlein am nächtlichen Himmel.«

Reinald bot ihr den Arm, sie durch die sieben Prunkzimmer zu führen, durch welche er eingetreten war. Er eröffnete die Tür; aber draußen war's ägyptische Finsternis, daß man das Dunkel greifen konnte, wie im Anfang der Schöpfung, eh der elektrische Strahl des Lichtes angezündet war. Alle Kerzen waren erloschen, und die kristallenen Kronleuchter gossen nicht mehr ihren sanften Schimmer aus den hohen Kuppeln der Basaltgewölbe herab. Das edle Paar tappte lang im Dunkel, eh sie sich aus diesen labyrinthischen Gängen herausfanden, und des Tages Schimmer durch den fernen Eingang einer unförmlichen Felsenhöhle hereindämmern sahen. Die Entzauberte empfand die herzerquickende balsamische Kraft der allbelebenden Natur, und atmete mit Entzücken den Blumenduft, den ihr der laue Zephir über die blühenden Auen entgegenwehete. Sie setzte sich mit dem schlanken Ritter ins Gras, und er entbrannte gegen sie in heißer Liebe, denn sie war schön wie das Meisterstück der Schöpfung, das erste Weib aus Adams Rippe geformt. Doch quält' ihn eine andre Leidenschaft schier noch mehr, das war die Begierde zu erfahren, wer die schöne Unbekannte sei, und wie sie in diesen Wald war verzaubert worden. Er bat sie züchtiglich, ihm davon Bescheid zu geben, und das Fräulein tat ihren Rosenmund auf und sprach:

»Ich bin Hildegard, die Tochter Radbods, des Fürsten von Pommerland. Zornebock, der Sorbenfürst, begehrte mich von meinen Vater zur Gemahlin, weil er aber ein scheußlicher Riese und ein Heide war; auch in dem Ruf stund, daß er ein großer Schwarzkünstler sei, ward er unter dem Vorwand meiner zarten Jugend abgewiesen; worüber der Heide so sehr ergrimmte, daß er meinen guten Vater befehdete, ihn in einem Treffen erlegte, und sich seiner Länder bemächtigte. Ich war zu meiner Tante, der Gräfin von Vohburg, geflohen, und meine drei Brüder, allesamt stattliche Ritter, waren der Zeit außer Landes auf ihren Ritterzügen. Dem Zauberer konnte mein Aufenthalt nicht verborgen bleiben, sobald er meines Vaters Land in Besitz genommen hatte, kam ihm ein, mich zu entführen, und vermöge seiner magischen Künste war ihm das ein leichtes. Mein Oheim, der Graf, war ein Liebhaber von der Jagd, ich pflegt' ihn oft dahin zu begleiten und alle Ritter seines Hofes wetteiferten bei dieser Gelegenheit, mir immer das bestgerüstete Pferd anzubieten. Eines Tages drängte sich ein unbekannter Stallmeister mit einem herrlichen Apfelschimmel zu mir heran, bat mich im Namen seines Herrn, dieses Pferd zu besteigen, und es zu würdigen als mein Eigentum aufzunehmen. Ich frug nach dem Namen seines Herrn, er entschuldigte sich diese Frage [nicht] eher zu beantworten, bis ich den Gaul erprobt und nach der Rückkehr von der Jagd mich würde erklärt haben, daß ich das Geschenk nicht verschmähe. Ich konnte dieses Anerbieten nicht wohl ausschlagen, überdas war das Pferd so prächtig gerüstet, daß es die Augen des ganzen Hofes auf sich zog. Gold und Edelsteine und prächtige Stickerei war an der purpurfarbnen Satteldecke verschwendet. Ein roter seidner Zaum lief vom Gebiß am Halse hinauf, Stangen und Bügel waren von gediegnem Golde dicht mit Rubinen besetzt. Ich schwang mich in den Sattel und hatte die Eitelkeit, bei dieser Kavalkade mir selbst zu gefallen. Der Gang des edlen Rosses war so leicht und so gemachsam, daß es mit dem Huf die Erde kaum berühren zu schien. Leichtfüßig setzt' es über Graben und Hecken, und die kühnsten Reuter vermochten nicht, ihm zu folgen. Ein weißer Hirsch, der mir bei der Jagd aufstieß, und dem ich nacheilte, zog mich tief in den Wald und trennte mich von dem Gefolge der Jäger. Um mich nicht zu verirren, verließ ich den Hirsch, zum Sammelplatz der Jagd zurückzukehren; aber das Pferd sträubte sich, mir zu gehorchen, bäumte sich auf, schüttelte die Mähne und wurde wild. Ich versucht es zu begütigen; aber in dem Augenblick nahm ich mit Entsetzen wahr, daß sich der Apfelschimmel unter mir in ein gefiedertes Ungetüm verwandelte: die Vorderfüße breiteten sich in ein Paar Flügel aus, der Hals verlängte sich, an dem Kopf streckte sich ein breiter Schnabel hervor, ich sah einen hochbeinigen Hippogryphen unter mir, der einen Anlauf nahm, sich mit mir in die Luft schwang und in weniger als einer Stunde in diesen Wald versetzte, wo er sich vor der stählernen Pforte eines antiken Schlosses niederließ.

Mein erstes Schrecken, von dem ich mich noch nicht erholt hatte, vermehrte sich, als ich den Stallmeister erblickte, der mir den Morgen den Apfelschimmel vorgeführet hatte, und sich jetzt ehrerbietig nahete, mir aus dem Sattel zu helfen. Betäubt von Schrecken und Unmut ließ ich mich schweigend durch eine Menge Prachtgemächer zu einer Gesellschaft in Gala gekleideter Damen begleiten, die mich als ihre Gebieterin empfingen und meine Befehle erwarteten. Alle beeiferten sich, mich aufs beste zu bedienen, aber niemand wollte mir sagen wo und in wessen Gewalt ich mich befand. Ich überließ mich einer stummen Traurigkeit, welche Zornebock der Zauberer auf einige Augenblicke unterbrach, der in der Gestalt eines gelben Zigeuners zu meinen Füßen lag und um meine Liebe bat. Ich begegnete ihm so, wie mir mein Herz eingab, dem Mörder meines Vaters zu begegnen. Des Wütrichs Sitten waren wild, seine Leidenschaften stürmten in seiner Brust, er wurde leicht aufgebracht; ich rang mit der Verzweiflung, trotzte seiner Wut und foderte ihn auf, seine Drohungen zu erfüllen, den Palast zu zertrümmern und mich unter den Ruinen zu begraben; aber schnell verließ mich der Unhold und gab mir Frist, mich zu bedenken.

Nach sieben Tagen erneuerte er seinen verhaßten Antrag, ich wies ihn mit Verachtung von mir, und er stürzte wütend aus dem Zimmer. Kurz nachher erbebte die Erde unter meinen Füßen, das Schloß schien in den Abgrund hinabzurollen. Ich sank auf meinen Sofa und meine Sinnen schwanden dahin. Aus diesem Todesschlummer erweckte mich des Zauberers furchtbare Stimme: ›Erwache‹, sprach er, ›liebe Schläferin, aus deinem siebenjährigen Schlummer, und sage mir an, ob die wohltätige Zeit den Haß gegen deinen getreuen Paladin gemildert hat. Erfreue mein Herz mit dem kleinsten Strahl von Hoffnung, und diese traurige Grotte soll sich in den Tempel der Freude verwandeln.‹ Ich würdigte den schändlichen Zauberer keiner Gegenrede noch eines Anblicks, verhüllte mit meinem Schleier mein Angesicht und weinte. Mein Trübsinn schien ihn zu rühren, er bat, er flehete, er jammerte laut und wand sich wie ein Wurm zu meinen Füßen. Endlich ermüdete seine Geduld, er sprang rasch auf und sprach: ,Wohlan, es sei drum, in sieben Jahren sprechen wir uns wieder!' –

Drauf hob er die alabasterne Tafel aufs Postament, sogleich fiel ein unwiderstehlicher Schlaf auf meine Augenlider, bis der Grausame meine Ruhe von neuem unterbrach. ›Unempfindliche‹, redete er mich an, ›wenn du noch gegen mich grausam bist, so sei es wenigstens nicht gegen deine drei Brüder. Mein untreuer Stallmeister hat ihnen dein Schicksal entdeckt, aber er ist bestraft, der Verräter. Sie sind gekommen diese Unglücklichen mit Heereskraft, dich aus meiner Hand zu reißen: aber diese Hand war ihnen zu schwer, und sie beseufzen ihre Unbesonnenheit unter mancherlei Gestalten in diesem Walde.‹ Eine so armselige Lüge, zu welcher der Unhold seine Zuflucht nahm, meine Standhaftigkeit zu überwinden, erbitterte mein Herz nur noch mehr gegen ihn. Hohn saß auf meinen Lippen und die bitterste Verachtung. ›Unglückliche‹, fuhr der tobende Heide auf, ›dein Schicksal ist entschieden! Schlaf so lang als die unsichtbaren Mächte diesem Talisman gehorchen!‹ Flugs schob er die alabasterne Tafel zurechte und der magische Taumel raubte mir Leben und Empfindung. Ihr habt mich, edler Ritter, durch Zerstörung des Zaubers derselben aus diesem Totenschlafe erweckt. Aber ich begreif's nicht, durch welche Macht Ihr diese Tat habt ausrichten mögen, und was den Zauberer abhalten mag, Euch zu widerstehen. Zornebock muß nicht mehr am Leben sein, Ihr würdet sonst an seinem Talisman ungestraft Euch nicht haben vergreifen dürfen.«

Die reizvolle Hildegard urteilte ganz recht: der Unhold war mit seinen Sorben ins Böhmerland eingefallen, wo damals die Fürstin Libussa aus dem Feiengeschlecht regierte, und hatte an ihr, wie der mächtige Cyrus an der Skythen Königin Tomyris, seine Meisterin gefunden. Zornebock war gegen die berühmte Böhmer Königin in der Zauberkunst nur ein Lehrling, sie hatte ihn mit ihren Künsten überholt, daß er das Schlachtfeld räumen und den Streichen eines handfesten Ritters unterliegen mußte, dem sie magische Waffen gab, welchen die Passauer Kunst nicht widerstund.

Als die schöne Hildegard schwieg, nahm Reinald das Wort und erzählte ihr seine Abenteuer. Wie er ihr Meldung tat von den drei verwünschten Prinzen im Walde, die seine Schwäher waren, nahm sie das groß Wunder, denn sie vermerkte nun, daß Zornebocks Novelle keine Lüge, sondern Wahrheit gewesen sei. Der Ritter war eben im Begriff, seine Geschichte zu enden, da erhob sich im Gebürge groß Triumphieren und Freudengeschrei, bald darauf brachen drei Geschwader Reuter aus dem Wald hervor, an deren Spitze Hildegard ihre Brüder und Reinald seine Schwestern erkannte. Der Zauber des Waldes war gelöset. Nach wechselseitigen Umarmungen und Freudensbezeugungen verließ die Karawane der Entzauberten die schauervolle Einöde und begab sich in das alte Waldschloß. Reutende Boten flogen nach der Residenz des Grafen, die frohe Botschaft von der Ankunft seiner Kinder zu verkünden. Der Hof befand sich eben in tiefer Trauer über den Verlust des jungen Grafen, den man als einen Toten beweinte; die Eltern glaubten, daß ihn der Zauberwald auf ewig verschlungen habe. Die traurende Mutter hatte auf Erden keinen Trost mehr und fühlte kein Vergnügen als das, für ihre Kinder Totengepränge anzustellen. Eben war man im Begriff, Reinalds Exequien zu feiern; aber schneller konnte weiland der täuschende Nicolini seinen pantomimischen Schauplatz nicht wandeln, als in der Residenz des Grafen bei dieser frohen Botschaft alle Dinge eine andere Gestalt annahmen: alles atmete nun wieder Leben und Freude. In wenig Tagen empfand das ehrwürdige Elternpaar die Wonne, ihre Kinder und Enkel zu umarmen. Adelheid hatte seit dem Besuch ihres Bruders aus dem Ei ein liebevolles Fräulein gebrütet, das von der mütterlichen Brust seine kleinen Arme dem Großpapa lächelnd entgegenstreckte, und ihm beim Empfang die silberfarbenen Locken zauste. Unter allen Feierlichkeiten dieser glücklichen Wiederkehr, zeichnete sich Reinalds Beilager mit der schönen Hildegard besonders aus. Ein ganzes Jahr verging unter mancherlei Abwechselungen von Freude und Ergötzlichkeiten.

Endlich bedachten die Prinzen, daß ein allzulanger Genuß des Vergnügens den männlichen Mut und die Tatkraft ihrer Ritter und Knappen erschlaffen möchte; auch war die Residenz des Grafen zu eng, so viel Hofhaltungen bequem zu fassen, die drei Eidame rüsteten sich also mit ihren Damen zum Abzug. Reinald der Stammerbe verließ seine grauen Eltern nimmer und drückte ihnen als ein frommer Sohn die Augen zu. Albert der Bär kaufte die Herrschaft Askanien und gründete die Stadt Bernburg, Edgar der Aar zog in der Helvetier Land unter den Schatten der hohen Alpen und bauete Aarburg an einem Fluß ohne Namen, der aber von der Stadt, an welcher er hingleitet, nachher ist benennet worden; Ufo der Delphin tat einen Heereszug nach Burgund, bemächtigte sich eines Teils dieses Reichs und nennte die eroberte Provinz das Delphinat. Und wie die drei Prinzen bei den Namen ihrer Städte und Dynastien auf das Andenken ihrer Bezauberungen anspielten, so nahmen sie auch ihre Tiergestalten aus der Zauberepoche zum Symbol ihrer Wappen an, daher kommt es, daß Bernburg einen goldgekrönten Bär, Aarburg einen Adler, und das Delphinat einen Meerfisch im Wappen führet bis auf diesen Tag. Die köstlichen Zahlperlen aber, welche an Galatagen den Olympus der sämtlichen Erdengöttinnen unsers Weltteils verherrlichen und schmücken, und für orientalische geachtet werden, sind die Ausbeute des Weihers im Zauberwald und befanden sich ehemals in den drei leinwandnen Säcken.


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