Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Teil

Libussa

(Nach Jo. Dubravii Historia Bohemica und
Aeneae Sylvii Cardinalis De Bohemorum
origine ac gestis Historia)

Tief im Böhmer Walde, wovon jetzt nur ein Schatten übrig ist, wohnte vorzeiten, da er sich noch weit und breit ins Land erstreckte, ein geistiges Völklein, lichtscheu und luftig, auch unkörperlich, feiner genaturt als die aus fettem Ton geformte Menschheit, und darum unempfindbar dem grobem Gefühlssinn; aber dem verfeinerten halbsichtbar bei Mondenlicht, und wohlbekannt den Dichtern unter dem Namen der Dryaden, und den alten Barden, unter dem Namen der Elfen. Seit undenklichen Zeiten hatten sie hier ihr Wesen ungestört, bis der Wald plötzlich von lautem Kriegsgetümmel ertönte; Herzog Czech von Ungerland brach mit seinen slavischen Horden über die Gebürge herein, sich in diesen unwirtbaren Gegenden einen neuen Wohnplatz zu suchen. Die schönen Bewohnerinnen der bejahrten Eichen, der Felsen, Klüfte und Grotten, auch des Schilfs in Teichen und Sümpfen, flohen für dem Geräusche der Waffen und dem Wiehern der Streitrosse; selbst dem gewaltsamen Erlenkönig war des Lärms zuviel, und er verlegte seine Hofstatt in entlegenere Wüsteneien. Nur eine der Elfen konnte sich nicht entschließen, von ihrer Lieblingseiche zu scheiden, und als der Wald da und dort umgehauen wurde, um das Land urbar zu machen, hatte sie allein den Mut, ihren Baum gegen die Gewalt der neuen Ankömmlinge zu verteidigen, und wählte den emporragenden Wipfel zu ihrem Aufenthalte.

Unter dem Hofgesinde des Herzogs befand sich ein junger Knappe, Krokus genannt, voll Mut und Jugendfeuer, rüstig und wohlgebaut, auch von edler Bildung, dem die Hut der Leibrosse seines Herrn anbefohlen war, die er zuweilen weit in den Wald auf die Weide trieb. Oft rastete er unter der Eiche, welche die Elfe bewohnte, sie bemerkte den Fremdling mit Wohlgefallen, und wenn er zur Nachtzeit unten an der Wurzel schlummerte, flüsterte sie ihm angenehme Träume ins Ohr, verkündete ihm in bedeutsamen Bildern die Begegnisse des künftigen Tages; oder wenn sich irgend ein Pferd in die Wildnis verlaufen hatte, und der Hüter die Spur verloren hatte es aufzusuchen, und mit Kummer einschlief, sah er im Traum die Merkzeichen des verborgenen Pfades, welcher zu dem Orte führte, wo der verirrte Gaul weidete.

Je weiter sich die neuen Anpflanzer ausbreiteten, desto näher rückten sie an die Wohnung der Elfe, und vermöge der Gabe ihrer Divination sahe sie ein, wie bald die Axt ihren Lebensbaum bedrohen würde; darum beschloß sie, ihrem Gastfreunde diesen Kummer zu entdecken. An einem mondhellen Sommerabend trieb Krokus seine Herde später als gewöhnlich in die Verzäunung, und eilte unter den hochgegipfelten Eichbaum zu seiner Lagerstatt. Sein Weg dahin krümmte sich um einen fischreichen Weiher, in dessen Silberwellen die güldne Mondensichel in Form eines leuchtenden Kegels sich spiegelte; und über diesem schimmernden Teil des Sees hinweg, am jenseitigen Gestade in der Gegend der Eiche, –

erblickte er eine weibliche Gestalt, die an dem kühlen Ufer zu lustwandeln schien. Diese Erscheinung befremdete den jungen Kriegsmann; woher dies Mädchen, dacht' er bei sich selbst, so allein in dieser Wüste, zur Zeit der nächtlichen Dämmrung? Aber das Abenteuer war doch von einer solchen Beschaffenheit, daß es für einen Jüngling mehr anlockend als abschreckend schien, die Sache genauer zu untersuchen. Er verdoppelte seine Schritte, ohne die Gestalt die seine Aufmerksamkeit beschäftigte aus den Augen zu verlieren, und gelangte bald an den Ort, wo er sie zuerst wahrgenommen hatte, unter der Eiche. Jetzt kam's ihm vor, als sei's mehr Schatten als Körper was er sähe, er stund verwundernd da, und es überlief ihn die Haut mit einem kalten Schauer; aber er vernahm eine sanfte Stimme, die ihm diese Worte entgegenlispelte: »Tritt herzu, lieber Fremdling und scheue dich nicht, ich bin keine Truggestalt, kein täuschender Schatten: ich bin die Elfe dieses Hains, die Bewohnerin der Eiche, unter deren dichtbelaubten Ästen du oft gerastet hast; ich wiegte dich in süße ergötzende Träume, und verkündete dir deine Begegnisse, und wenn ein Mutterpferd oder ein Füllen von der Herde sich verirret hatte, wies ich dir den Ort, wo es zu finden war. Vergilt diese Gunst durch einen Gegendienst, den ich von dir fodere: sei der Beschützer dieses Baums, der dich für Sonnenbrand und Regen so oft in Schutz genommen hat, und wehre der mörderischen Axt deiner Brüder welche die Wälder verheeren, daß sie diesen ehrwürdigen Stamm nicht verletze.«

Der junge Krieger, durch diese sanfte Rede wieder beherzt gemacht, antwortete also: »Göttin oder Sterbliche wer du auch sein magst, heische von mir was dir lüstet, so ich's vermag, will ich's enden. Aber ich bin ein geringer Mann aus meinem Volk, meines Herrn des Herzogs Knecht. So der zu mir spricht, heut oder morgen: ›Weide hie, weide da‹, wie soll ich deines Baums hüten in diesem fernen Walde? Doch so du gebeutst, will ich mich abtun des Fürstendienstes, im Schatten deines Eichbaums wohnen, und seiner hüten mein Leben lang.« »Tue also«, sprach die Elfe, »es soll dich nicht gereuen.« Hierauf verschwand sie, und es rauschte oben in dem Wipfel nicht anders, als ob sich ein laues Abendlüftchen darin verfangen hätte, und das Laub bewegte. Krokus stund noch eine Weile ganz entzückt, über die himmlische Gestalt, die ihm erschienen war. So ein zartes weibliches Geschöpf von schlankem Wuchs und herrlichem Anstand, war ihm unter den kurzstämmigen slavischen Dirnen nie vorgekommen. Endlich streckt' er sich aufs weiche Moos, ob ihm gleich kein Schlaf in die Augen kam; die Morgendämmerung überraschte ihn im Taumel süßer Empfindungen, die ihm so fremd und neu waren, als der erste Lichtstrahl den geöffneten Augen eines Blindgebornen. Er flog bei frühem Morgen zum Hoflager des Herzogs, begehrte seinen Abschied, packte sein Heergeräte zusammen, und wandelte mit einem Kopf voll glühender Schwärmerei und seiner Bürde auf dem Rücken, der wonniglichen Waldeinsiedelei wiederum mit raschen Schritten zu.

Indessen hatte in seiner Abwesenheit ein Kunstmeister im Volke, seinem Gewerbe nach ein Müller, den gesunden geraden Stamm der Eiche zu einem Wellbaum sich ausersehen, und ging mit seinen Mühlknappen hin sie zu fällen. Die zagende Elfe erseufzete, als die gefräßige Schrotsäge anhub mit stählernem Gebiß die Grundfeste ihrer Wohnung zu benagen. Sie schauete von der Höhe des Gipfels ängstlich nach ihrem getreuen Champion umher; doch ihr Scharfblick vermochte ihn nirgends zu entdecken, und die Bestürzung machte die ihrem Geschlecht verliehene Gabe der Vorherverkündigung diesmal so unwirksam, daß sie ihr bevorstehendes Schicksal so wenig zu entziffern sich zutrauete, als die Söhne des Aeskulaps mit ihrer gerühmten Prognosis sich selber zu beraten wissen, wenn der Tod an ihre eigne Tür anklopft.

Krokus war gleichwohl im Anzuge, und dem Schauplatze dieser traurigen Katastrophe so nahe, daß das Geräusch der keuchenden Säge ihm in die Ohren drang. Von diesem Getöse im Walde ahndete ihm nichts Gutes, er beflügelte seine Füße und sahe den Greuel der bevorstehenden Verwüstung des von ihm in Schutz genommenen Baumes vor Augen. Wie ein Rasender stürmte er flugs auf die Holzhauer ein mit seinem Spieß und blankem Schwert, und scheuchte sie von der Arbeit; –

denn sie glaubten einen Bergdämon zu sehen und entflohen in großer Bestürzung. Zum Glück war die Wunde des Baums noch heilbar und die Narbe verlief in wenigen Sommern.

In der Feierstunde des Abends, nachdem der neue Ankömmling sich den Platz zu seiner künftigen Wohnung ausersehen, auch den Raum, einen kleinen Garten einzuzäunen, abgeschritten hatte, und die ganze Anlage seiner Einsiedelei nochmals in Gedanken erwog, wo er in der Abgeschiedenheit von der menschlichen Gesellschaft seine Tage zu verleben gedachte, im Dienst einer Schattengesellschafterin, die nicht viel mehr Realität zu haben schien als eine Kalenderheilige, die ein frommer Ordensmann zur geistlichen Liebschaft sich erkieset, erschien ihm die Elfe am Gestade des Weihers und redete ihn mit holdseliger Gebärdung also an: »Dank dir lieber Fremdling, daß du dem gewaltsamen Arme deiner Brüder gewehret hast diesen Baum zu fällen, mit dem mein Leben verschwistert ist; denn du sollst wissen, daß die Mutter Natur, die meinem Geschlechte so mancherlei Kräfte und Wirksamkeit verliehen, dennoch das Schicksal unsers Lebens mit dem Wachstum und der Dauer der Eiche vereinbart hat. Durch uns erhebt die Königin der Wälder ihr ehrwürdiges Haupt über den Pöbel der übrigen Bäume und Gesträuche empor, wir fördern den Umtrieb ihrer Säfte durch Stamm und Äste, daß sie Kraft gewinnt mit den Sturmwinden zu kämpfen und lange Jahrhunderte der zerstörenden Zeit zu trotzen. Hinwiederum ist unser Leben an das ihrige gekettet: altert die Eiche, die das Los des Schicksals zur Mitgenossin des Lebens uns zugeteilt hat, so altern wir mit ihr; und stirbt sie ab so sterben wir dahin, und schlafen gleich den Sterblichen auch eine Art von Totenschlaf, bis durch den ewigen Kreislauf aller Dinge, der Zufall oder eine verborgene Anordnung der Natur unser Wesen mit einem neuen Keim zusammengattet, der durch unsere belebende Triebkraft aufgeschlossen, nach langer Zeiten Verlauf zum mächtigen Baum hinauf sproßt, und des Lebens Genuß uns von neuem gestattet. Daraus magst du abmerken, welchen Dienst du mir durch deinen Beistand geleistet hast und welcher Dank dir dafür gebühret. Fordre von mir den Lohn deiner edlen Tat, offenbare mir den Wunsch deines Herzens und er soll dir zur Stunde gewähret sein.«

Krokus schwieg. Der Anblick der reizenden Elfe hatte auf ihn mehr Eindruck gemacht als ihre Rede, von welcher er nur wenig begriff. Sie bemerkte seine Verlegenheit, und um ihn daraus zu ziehen, ergriff sie ein dürres Schilfrohr am Ufer des Weihers, zerbrach's in drei Stücke und sprach: »Wähle eine von diesen drei Hülsen, oder nimm eine ohne Wahl. In der ersten ist Ehre und Ruhm, in der andern Reichtum und dessen weiser Genuß, in der dritten Minneglück für dich eingeschlossen.« Der junge Mann schlug die Augen zur Erde nieder und antwortete: »Tochter des Himmels, wenn du den Wunsch meines Herzens zu gewähren gedenkest, so wisse, daß er nicht in den drei Hülsen eingeschlossen ist die du mir darbeutst; mein Herz trachtet nach einem größern Lohn. Was ist Ehre als der Zunder des Stolzes; was ist Reichtum als die Wurzel des Geizes; und was ist Liebe als die Falltür der Leidenschaft, die edle Freiheit des Herzens zu berücken? Gewähre mir den Wunsch im Schatten deines Eichbaums von der Ermattung des Heereszugs zu rasten, und aus deinem süßen Munde Lehren der Weisheit zu hören, um die Geheimnisse der Zukunft dadurch zu enträtseln.« »Dein Begehr«, gegenredete die Elfe, »ist groß, aber dein Verdienst um mich ist es nicht minder, es geschehe also wie du gebeten hast. Die Binde vor deinen körperlichen Augen soll schwinden, die Geheimnisse verborgener Weisheit zu schauen. Nimm nun mit dem Genuß der Frucht zugleich die Schale dahin: denn der Weise ist auch ein geehrter Mann; er allein ist reich, denn er braucht nicht mehr als er bedarf, und kostet den Nektar der Liebe, ohne ihn mit unreinen Lippen zu vergiften.« Als sie das gesagt hatte, reichte sie ihm nochmals die drei Schilfhülsen dar und schied von ihm.

Der junge Eremit bereitete sich sein Bette von Moos unter der Eiche, höchst zufrieden über die Aufnahme welche ihm die Elfe hatte widerfahren lassen. Der Schlaf überfiel ihn wie ein gewappneter Mann, heitere Morgenträume umtanzten seine Scheitel und nährten seine Phantasie mit dem Dunste glücklicher Ahndungen. Beim Erwachen begann er fröhlich sein Tagewerk, erbauete sich eine bequeme Einsiedlerhütte, grub seinen Garten, und pflanzte Rosen und Lilien, auch andere Wohlgeruch duftende Blumen und Kräuter, nicht minder Kohl und Küchengewächse nebst fruchtbringenden Obstbäumen hinein. Die Elfe unterließ nie jeden Abend im Zwielichten ihm einen Besuch zu machen, erfreute sich über den Gewinn seines Fleißes, lustwandelte mit ihm Hand in Hand am schilfreichen Gestade des Weihers auf und ab, und der bewegliche Schilf flötete dem traulichen Paare einen melodischen Abendgruß zu, wenn es die Luft durchsäuselte. Sie unterwies ihren horchsamen Lehrjünger in den Geheimnissen der Natur, unterrichtete ihn von dem Ursprung und dem Wesen der Dinge, lehrte ihn die natürlichen und magischen Eigenschaften und Wirkungen derselben, und bildete den rohen Kriegsmann zu einem Denker und Weltweisen um.

In dem Maße, wie durch den Umgang mit der schönen Schattengestalt die Empfindungen und der Gefühlssinn des jungen Mannes sich verfeinerten, schien sich die zarte Form der Elfe zu verdichten und mehrere Konsistenz zu gewinnen. Ihr Busen empfing Wärme und Leben, ihre bräunlichen Augen sprüheten Feuer, und sie schien mit der Gestalt einer jungen Dirne auch die Gefühle eines blühenden Mädchens angenommen zu haben. Die empfindsame Schäferstunde, die dazu recht wie gemacht ist, schlafende Gefühle aufzuwecken, tat die gewöhnliche Wirkung: nach wenig Mondenwechseln von der ersten Bekanntschaft an, war der seufzende Krokus im Besitz des Minneglücks welches die dritte Schilfhülse ihm verheißen hatte, und bereuete es nicht, durch die Falltür der Liebe die Freiheit des Herzens eingebüßet zu haben. Obgleich die Vermählung des zärtlichen Paares nur unter vier Augen geschahe, so wurde sie doch mit eben dem Vergnügen als das geräuschvolleste Beilager vollzogen, und es fehlte in der Folge nicht an sprechenden Beweisen der belohnten Liebe. Die Elfe beschenkte ihren Gemahl mit drei Töchtern die zu gleicher Zeit geboren wurden, und der über die Fruchtbarkeit seiner andern Hälfte entzückte Vater, nannte bei der ersten Umarmung die, welche früher als die beiden Zwillingsschwestern seine vier Wände beschriee, Bela, die nachgeborne Therba, und die jüngstgeborne Libussa.

Alle glichen den Genien an Schönheit der Gestalt, und ob sie gleich nicht aus so zartem Stoff gebauet waren als die Mutter, so war doch ihre körperliche Beschaffenheit feiner als die vergröberte irdene Form des Vaters; dabei waren sie von allen Infirmitäten der Kindheit befreiet, lagen sich nicht wund, zahnten ohne epileptische Krämpfe, schrieen nicht über Stuhlzwang, bekamen keine rachitischen Zufälle, hatten keine Pocken und mithin auch keine Narben, kein Fell übers Auge, oder ein zusammengeflossenes Gesicht zu fürchten; auch bedurften sie keines Gängelbandes: denn nach den ersten neun Tagen liefen sie schon wie die Rebhühner, und wie sie heranwuchsen veroffenbarten sich an ihnen alle Talente der Mutter, verborgene Dinge zu erraten und zukünftige zu weissagen.

Krokus erlangte mit Hülfe der Zeit in diesen Geheimnissen gleichfalls gute Kundschaft. Wenn der Wolf die Viehherden im Walde zerstreuet hatte, und die Hirten ihre verlorne Schafe und Rinder aufsuchten; wenn die Holzhauer eine Axt oder ein Beil vermißten, erholten sie sich Rats bei dem weisen Krokus, der ihnen anzeigte, wo sie das Verlorne suchen sollten. Wenn ein böser Nachbar etwas von gemeinem Gut entwendet, zur Nachtzeit in die Horde oder die Wohnung seines Mitnachbars eingebrochen, ihn beraubt oder den Wirt erschlagen hatte, und niemand auf den Verbrecher raten konnte, befragte man den weisen Krokus. Der beschied die Gemeine auf einen Anger, hieß sie männiglich einen Kreis beschließen, dann trat er mitten unter sie und ließ das unbetrügliche Sieb laufen, welches nie verfehlte den Missetäter zu veroffenbaren. Dadurch breitete sich sein Ruf aus über das ganze Böhmer Land, und wer ein Anliegen oder ein wichtiges Gewerbe hatte, ratfragte den weisen Mann über den Ausgang des Geschäftes. Auch Krüppel und Kranke begehrten von ihm Genesung und Hülfe, selbst das gebrechliche Vieh wurde zu ihm gebracht, und er verstund sich so gut darauf, die kranken Kühe durch seinen Schatten gesund zu machen, als der renommierte Sankt Martin von Schierbach. Dadurch vermehrte sich der Zulauf des Volks bei ihm von Tag zu Tage, nicht anders als wenn der Dreifuß des delphischen Apoll in den Böhmer Wald wär versetzt worden, und obgleich Krokus ohne Lohn und Gewinn den Ratfragenden Bescheid gab, und die Kranken und Preßhaften heilte, so zinste ihm doch der Schatz seiner geheimnisvollen Weisheit reichlich, und brachte ihm großen Gewinn; das Volk drängte sich zu ihm mit Gaben und Geschenken und erdrückte ihn schier mit den Beweisen seines guten Willens. Er offenbarte zuerst das Kunstgeheimnis aus dem Elbsande Gold zu waschen und empfing den Zehenden von allen Goldfischern. Dadurch mehrte sich sein Gut und Vermögen, er bauete feste Schlösser und Paläste, hatte große Viehherden, besaß fruchtbare Ländereien, Felder und Wälder, und befand sich unvermerkt im Besitz alles des Reichtums, den die freigebige Elfe vorbedeutend in die zwote Schilfhülse für ihn eingeschlossen hatte.

An einem schönen Sommerabend, als Krokus mit seinen Reisigen von einem Flurzuge heimkehrte, wo er auf Erfordern die Grenzstreitigkeiten zwoer Gemeinden geschlichtet hatte, erblickt' er seine Gemahlin am Ufer des Schilfteiches, da wo sie ihm zuerst erschienen war. Sie winkte ihm mit der Hand, darum ließ er seine Diener von sich und eilte sie zu umarmen. Sie empfing ihn nach Gewohnheit mit zarter Liebe, aber ihr Herz war traurig und beklommen; aus ihren Augen träufelten ätherische Tränen, so fein und flüchtig, daß sie im Fallen von den Lüften gierig eingesogen wurden, ohne die Erde zu erreichen. Krokus bestürzte über diesen Anblick, er hatte die Augen seiner Gemahlin nie anders als heiter und im Glanze jugendlicher Fröhlichkeit gesehen. »Was ist dir, Geliebte meines Herzens?« sprach er, »bange Ahndungen zerreißen meine Seele. Sag an, welche Deutung haben diese Zähren?« Die Elfe erseufzete, lehnte ihr Haupt wehmütig an seine Schulter und sprach: »Teurer Gemahl, in Eurer Abwesenheit hab ich im Buche des Schicksals gelesen, daß meinem Lebensbaume ein unglückliches Verhängnis droht; ich muß mich ewig von Euch scheiden. Folgt mir in das Schloß, daß ich meine Kindlein gesegne, denn von heute an werdet Ihr mich nimmer sehen.« »O Geliebte«, gegenredete Krokus, »laßt diesen traurigen Gedanken schwinden! Was kann Eurem Baume für ein Unglück drohen? Steht er nicht stamm- und wurzelfeste? Seht seine gesunden Äste, wie sie mit Laub und Früchten belastet sich ausbreiten, und wie er seine Wipfel zu den Wolken erhebt. So lange dieser Arm sich regt, soll er ihn gegen jeden Frevler schützen, der seinen Stamm zu verletzen wagt.« »Ohnmächtiger Schutz«, versetzte sie, »den ein sterblicher Arm gewähren kann! Ameisen können nur den Ameisen, Mücken nur den Mücken und alles Erdengewürm kann nur dem Erdengewürme abwehren. Aber was vermag der Mächtigste unter euch gegen die Wirkungen der Natur, oder die unwandelbaren Ratschlüsse des Schicksals? Erdenkönige können nur kleine Erdhügel umwälzen, die ihr Festen und Schlösser nennt; aber das kleinste Lüftchen spottet ihrer Macht, säuselt wo es will und achtet nicht auf ihr Gebot. Du hast vormals diesen Eichbaum gegen die Gewalt der Menschen geschützt, kannst du auch dem Sturmwind wehren, wenn er sich aufmacht seine Äste zu entblättern; oder wenn ein verborgner Wurm in seinem Marke nagt, kannst du ihn hervorziehn und zertreten?«

Unter diesen Gesprächen gelangte das traute Paar ins Schloß. Die schlanken Fräuleins hüpften, wie sie bei dem abendlichen Besuch ihrer Mutter zu tun pflegten, derselben freudig entgegen, gaben Rechenschaft von ihrem Tagewerke, brachten ihre Stickerei und Nähwerk zum Beweis ihres kunstreichen Fleißes herbei; doch diesmal war die Stunde des häuslichen Glückes freudenlos. Sie bemerkten bald, daß dem Angesichte des Vaters die Spuren tiefer Schmerzen eingedruckt waren, und sahen mit teilnehmendem Kummer die mütterlichen Zähren, ohne daß sie es wagten nach deren Ursach zu fragen. Die Mutter gab ihnen viel weise Lehren und gute Vermahnungen; ihre Rede aber glich einem Schwanengesange, als ob sie die Welt gesegnen wollte. Sie weilte noch bei ihren Geliebten bis der Morgenstern am Himmel heraufzog, drauf umarmte sie Gemahl und Kinder mit wehmütiger Zärtlichkeit, begab sich bei Anbruch des Morgens durch das verborgene Pförtchen nach Gewohnheit wieder zu ihrem Baume, und überließ ihre Lieben den Gefühlen banger Ahndung.

Die Natur stund in horchsamer Stille bei Aufgang der Sonne; aber schwere düstere Wolken verbargen bald wieder ihr strahlendes Haupt. Es wurde ein schwüler Tag, die ganze Atmosphäre war elektrisch. Ferne Donner rollten über den Wald daher und das hundertstimmige Echo wiederholte in den gekrümmten Tälern das grausenvolle Getöse derselben. In der Mittagsstunde schlängelte sich ein gezackter Blitz herab auf die Eiche, zersplitterte in einem Augenblick mit unwiderstehlicher Kraft Stamm und Äste, und die Trümmer lagen weit im Walde umher zerstreuet. –

Da das dem Vater Krokus angesagt ward, zerriß er sein Kleid, ging hinaus den Lebensbaum seiner Gemahlin nebst seinen drei Töchtern zu beweinen, und die Splitter davon als köstliche Reliquien zu sammeln und aufzubewahren. Die Elfe aber wurde von dem Tage an nicht mehr gesehen.

Nach einigen Jahren wuchsen die zarten Fräuleins heran, ihre jungfräuliche Wohlgestalt blühete auf wie die aus der Knospe hervorschlüpfende Rose, und der Ruf ihrer Schönheit breitete sich aus über das ganze Land. Die edelsten Jünglinge aus dem Volk drängten sich herzu und hatten mancherlei Anliegen dem Vater Krokus vorzutragen, um sich bei ihm Rats zu erholen; doch im Grunde war's mit diesem scheinbaren Vorwand auf die schönen Töchter gemeint, die sie zu beäugeln trachteten, wie junge Gesellen pflegen, die sich bei den Vätern so gern ein Gewerbe machen, wenn sie die Töchter beschleichen wollen. Die drei Schwestern lebten in großer Eintracht und Unbefangenheit beieinander, mit ihren Talenten noch wenig bekannt. Die Gabe der Weissagung war ihnen in gleichem Maße verliehen, und ihre Reden waren Orakel ohne daß sie es wußten. Doch bald wurde ihre Eitelkeit durch die Stimme der Schmeichelei rege gemacht, die Wortklauber haschten jeden Laut aus ihrem Munde auf, die Seladons deuteten jede Miene, späheten das kleinste Lächeln, kundschafteten den Blick ihrer Augen, zogen mehr oder minder günstige Vorbedeutungen daraus, vermeinten ihre Schicksale dadurch zu erraten, und von dieser Zeit an ist es bei den Liebenden Sitte, dem Horoskop der Augen ihren Glücks- oder Unstern in der Liebe abzufragen. Kaum hatte sich die Eitelkeit in das jungfräuliche Herz eingeschlichen, so stund der Hoffart ihr lieber Getreuer außen an der Tür, nebst dem losen Gesindel seines Gefolges, Eigenliebe, Eigenlob, Eigennutz, Eigensinn, und sie stahlen sich allesamt hinein. Die ältern Schwestern beeiferten sich in ihren Künsten der Jüngern es zuvorzutun, und beneideten sie insgeheim wegen des Übergewichtes ihrer körperlichen Reize. Denn ob sie gleich alle sehr schön waren, so war doch Libussa die schönste unter ihnen. Fräulein Bela legte sich vornehmlich auf die Kräuterkunde, wie in der Vorwelt Fräulein Medea, sie kannte die verborgenen Kräfte derselben und wußte wirksamen Gift und Gegengift daraus zu ziehen; auch verstund sie die Kunst den unsichtbaren Mächten Wohlgeruch und Eckelgeruch daraus zu bereiten. Wenn ihre Rauchpfanne dampfte, lockte sie damit die Geister aus dem unermeßlichen Raume des Äthers jenseit des Mondes herab, und sie wurden ihr Untertan, um mit ihren feinen Organen diese süßen Dämpfe einzuatmen; aber wenn sie Eckelgeruch auf das Rauchfaß streuete, hätte sie die Zihim und Ohim damit aus der Wüste wegräuchern können.

Fräulein Therba war sinnreich wie Circe allerlei Zaubersprüche zu erdenken, die kräftig waren den Elementen zu gebieten, Sturm und Wirbelwinde auch Schloßen und Ungewitter zu erregen, das Eingeweide der Erde zu erschüttern, oder sie selbst aus ihren Angeln zu heben. Sie bediente sich dieser Künste, das Volk zu erschrecken, um wie eine Göttin geehrt und gefürchtet zu werden, und wußte die Witterung in der Tat mehr nach dem Wunsch und Eigensinn der Menschen zu bequemen als die weise Natur. Zwei Brüder haderten miteinander, weil sie nie in ihren Wünschen übereinkamen. Der eine war ein Ackermann und wünschte immer Regen zum Wachstum und Gedeihen seiner Saaten. Der andre war ein Töpfer und wollte stets Sonnenschein, um seine irdenen Gefäße zu trocknen, welche der Regen zerstörte. Weil's ihnen nun der Himmel nie zu Danke machen konnte, begaben sie sich eines Tages mit reichen Geschenken zu der Wohnung des weisen Krokus und brachten ihr Anliegen der Therba vor. Die Tochter der Elfe lächelte über das ungestüme Murren der Brüder gegen die wohltätige Haushaltung der Natur und befriedigte beider Verlangen: sie ließ Regen fallen auf die Saaten des Landmanns, und auf den Töpferacker daneben ließ sie die Sonne scheinen. Durch diese Zaubereien erwarben sich die beiden Schwestern großen Ruf und vielen Reichtum; denn sie verliehen ihre Gaben nie ohne Lohn und Gewinn, baueten von ihren Schätzen Schlösser und Landhäuser, legten herrliche Lustgärten an, wurden des Bankettierens und der Erlustigungen nie müde, täuschten und foppten die Freier die sich um ihre Liebe bewarben.

Libussa hatte nicht den stolzen eiteln Sinn ihrer Schwestern. Ob sie gleich die nämlichen Fähigkeiten besaß, in die Geheimnisse der Natur einzudringen und sich ihrer verborgenen Kräfte zu bedienen: so genügte ihr dennoch an dem Anteil der wundersamen Gaben aus der mütterlichen Erbschaft, ohne solche höher zu treiben um damit zu wuchern. Ihre Eitelkeit erstreckte sich nicht weiter als auf das Bewußtsein ihrer Wohlgestalt, sie geizte nicht nach Reichtümern, wollte weder geehrt noch gefürchtet sein wie ihre Schwestern. Wenn diese auf ihren Landhäusern herumtoseten, von einer rauschenden Freude zur andern eilten und den Kern der böhmischen Ritterschaft an ihren Triumphwagen fesselten, blieb sie daheim in der väterlichen Wohnung, führte das Hausregiment, erteilte den Ratfragenden Bescheid, leistete den Gedrückten und Preßhaften freundlichen Beistand, und das alles aus gutem Willen ohne EntgeldNulla Crocco virilis sexus proles fuit, sed moriturus tres a morte sua filias superstites reliquit, omnes ut ipse erat fatidicas, vel Magas potius, qualis Medea et Circe fuerant. Nam Bela natu filiarum maxima, herbis incantandis Medeam imitabatur, Tetcha (Therba) natu minor, carminibus magicis Circem reddebat. Ad utramque frequens multitudinis concursus; dum alii amores sibi conciliare, alii cum bona valetudine in gratiam redire, alii res amissas recuperare cupiunt. – illa arcem Belinam, haec altera arcem Thetin ex mercenaria pecunia, nihil enim gratuito faciebant, aedificandam curavit. Liberalior in hac re Lybussa natu minima apparuit, ut quae a nemine quidquam extorquebat, et potius fata publica omnibus, quam privata singulis, praecinebat: qua liberalitate, et quia non gratuita solum sed etiam minus fallaci praedictione utebatur, assecuta est ut – in locum patris Crocci subrogaretur.

Dubravius.

. Ihre Gemütsart war sanft und bescheiden und ihr Wandel tugendsam und züchtig, wie es einer edlen Jungfrau ziemt. –

Sie freuete sich zwar insgeheim der Siege die ihre Schönheit über der Männer Herzen gewann, und nahm das Seufzen und Girren der schmachtenden Anbeter als einen billigen Tribut ihrer Reize an; aber keiner durfte ihr ein Wort von Liebe sagen, oder sich herausnehmen um ihr Herz zu werben. Doch Amor der Schalk übt an den Spröden seine Gerechtsame am liebsten, und schleudert oft seine brennende Fackel auf ein niedriges Strohdach, wenn er einen hohen Palast in Flammen zu setzen gedenket.

Tief im Walde hatte ein alter Ritter, der mit dem Heere der Czechiten ins Land gekommen war, sich angesetzt, die Wüste urbar gemacht und ein Landgut angelegt, wo er den Überrest seiner Tage der Ruhe zu pflegen und vom Ertrag des Feldbaues sich zu nähren vermeinte. Ein gewaltsamer Grenznachbar bemächtigte sich seines Eigentums und vertrieb den Ritter daraus, den ein gastfreier Landmann aufnahm und ihm in seiner Wohnung Schirm und Obdach gab. Der dürftige Greis hatte einen Sohn, welcher noch der einzige Trost und die Stütze seines Alters war, ein wackerer Jüngling, der aber nichts mehr als einen Jagdspieß und eine geübte Faust besaß, den grauen Vater damit zu nähren. Der Raub des ungerechten Nachbars reizte seine Rache, er rüstete sich Gewalt mit Gewalt zu vertreiben; doch der Befehl des sorgsamen Greises, der das Leben des Sohnes keiner Gefahr bloßstellen wollte, entwaffnete den edlen Jüngling. Gleichwohl wollte er in der Folge von seinem ersten Vorhaben sich nicht abbringen lassen. Da berief ihn der Vater zu sich und sprach: »Ziehe hin, mein Sohn, zum weisen Krokus, oder zu den klugen Jungfrauen seinen Töchtern und befrage dich Rats, ob die Götter dein Unternehmen billigen und dir einen glücklichen Ausgang desselben verleihen werden. Ist dem also, so magst du dich mit dem Schwert gürten, den Speer in deine Hand nehmen und um dein Erbgut kämpfen. Wo nicht, so bleibe hie, bis du mir die Augen zugedrückt hast, dann tue was dir gut dünket.«

Der Jüngling machte sich auf und gelangte zuerst an den Palast der Bela, welcher das Ansehn eines Tempels hatte, den eine Göttin bewohnt. Er klopfte an und begehrte eingelassen zu werden; aber da der Türhüter sahe, daß der Fremdling mit leerer Hand erschien, wies er ihn als einen Bettler ab und schlug die Tür vor ihm zu. Er ging traurig förder und kam zu der Wohnung der Schwester Therba, klopfte an und begehrte Gehör, da kam der Türhüter ans Fensterlein und sprach: »Trägst du auch Gold in deinem Säckel, das du darwägen kannst meiner Gebieterin, so wird sie dich eins von ihren guten Sprüchlein lehren, das dir dein Schicksal verkündet. Wo nicht, so gehe hin und sammle dessen am Ufer der Elbe, soviel Körnlein als der Baum Blätter, die Garbe Ähren und der Vogel Federn hat, dann will ich dir auftun diese Pforte.« Der getäuschte Jüngling schlich sich ganz mutlos seitab, besonders da er vernahm, daß Seher Krokus nach Polen gezogen sei, um den Zwist einiger mißhelligen Magnaten als Schiedsrichter zu vergleichen. Er versprach sich von der dritten Schwester keine günstigere Aufnahme, und wie er ihre väterliche Waldburg von einem Hügel in der Ferne erblickte, wagt' er's nicht hinzu zu nahen, sondern verbarg sich in ein dichtes Gebüsch seinem trüben Gram nachzuhängen. Bald aber weckte ihn ein Getümmel aus diesen spleenetischen Betrachtungen, er vernahm ein Trappeln wie von Rosses Hufen. Ein fliehendes Reh brach durchs Gesträuche, verfolgt von einer lieblichen Jägerin und ihren Dirnen auf stattlichen Rossen. Sie schwang einen Wurfpfeil und er flog schwirrend aus ihrer Hand durch die Luft, jedoch ohne das Wild zu erreichen. Rasch ergriff der lauschende Jüngling seine Armbrust und schnellte einen befiederten Bolzen von der rauschenden Senne, welcher augenblicks das Herz des Gewildes durchbohrte, daß es zusammenstürzte. Das Fräulein über diese unversehene Erscheinung verwundert, schauete nach dem unbekannten Jagdgenossen umher; als der Schütze das inne ward, trat er hervor und neigte sich demütig gegen sie zur Erde. –

Fräulein Libussa glaubte nie einen schönern Mann gesehen zu haben. Sie empfand gleich beim ersten Anblick einen so mächtigen Eindruck von seiner Gestalt, daß sie ihm unwillkürliches Wohlwollen, das Prärogativ einer glücklichen Bildung, nicht weigern konnte. »Sag mir lieber Fremdling«, redete sie ihn an, »wer bist du und welcher Zufall führt dich in dieses Gehege?« Der Jüngling urteilte gar recht, daß ihm sein gutes Glück habe finden lassen was er suchte, er offenbarte ihr bescheidentlich sein Anliegen, verschwieg auch nicht wie schimpflich er vor der Tür ihrer Schwestern sei abgewiesen worden, und wie ihn das bekümmert habe. Sie heiterte sein Gemüt auf mit freundlichen Worten. »Folge mir in meine Wohnung«, sprach sie, »ich will das Buch des Schicksals für dich ratfragen und dir morgen Bescheid geben beim Aufgang der Sonne.«

Der Jüngling tat wie ihm geboten war. Kein bengelhafter Türhüter versperrte ihm hier den Eingang des Palastes, die schöne Bewohnerin übte die Gesetze des Gastrechtes an ihm sehr edelmütig. Er war von dieser günstigen Aufnahme entzückt, aber noch mehr von den Reizen seiner holden Wirtin. Ihre bezaubernde Gestalt schwebte ihm die ganze Nacht vor Augen, er erwehrte sich sorgfältig der Überraschung des Schlummers, damit er keinen Augenblick die Begebenheiten des vergangenen Tages, die er mit Entzücken überdachte, aus den Gedanken verlieren möchte. Fräulein Libussa ihrerseits genoß zwar des sanften Schlummers; denn die Abgeschiedenheit von den Einwirkungen der äußern Sinne, welche die feinern Vorgefühle der Zukunft stören, ist der Gabe der Weissagung unentbehrlich. Die glühende Phantasie der schlummernden Elfentochter kettete das Bild des jungen Fremdlings an alle bedeutsame Traumgestalten, die ihr dieselbe Nacht vorschwebten. Sie fand ihn da wo sie ihn nicht suchte, in Verhältnissen davon sie nicht begreifen konnte, wie sie auf diesen Unbekannten Beziehung haben könnten. Beim frühen Erwachen, wo die schöne Seherin die nächtlichen Gesichter zu sondern und zu enträtseln pflegte, war sie geneigt dieselben insgesamt als Irrtümer einer Nacht, die aus Störungen des richtigen Ganges der Phantasie entsprungen wären zu verwerfen und nicht weiter darauf zu achten. Aber ein dunkeles Gefühl sagte ihr, daß die Schöpfung ihrer Phantasie nicht ganz leerer Traum sei, sondern auf gewisse Ereignisse deute, welche die Zukunft enthüllen werde, und daß diese prophetische Phantasie in vergangener Nacht mehr als jemals dem Verhängnis seine verborgenen Ratschlüsse abgelauscht und ihr ausgeplaudert habe. Durch eben diesen Weg erfuhr sie, daß der Gast unter ihrem Dache gegen sie in heißer Liebe entzündet sei, und ebenso unverhohlen tat ihr Herz das nämliche Geständnis in Ansehung seiner; aber sie drückte alsbald das Siegel der Verschwiegenheit auf die Novelle, so wie der bescheidene Jüngling seines Orts sich gleichfalls hoch gelobt hatte, seiner Zunge und seinen Augen Schweigen zu gebieten, um sich keiner verächtlichen Zurückweisung auszusetzen; denn die Scheidewand, welche das Glück zwischen ihn und die Tochter des Krokus gezogen hatte, schien ihm unüberwindbar.

Ob nun wohl der schönen Libussa vollkommen bewußt war, was sie dem jungen Manne auf seine Frage zu antworten hatte, so fiel es ihr doch schwer, ihn so eilig von sich zu lassen. Bei Aufgang der Sonne beschied sie ihm zu sich in den Lustgarten und sprach: »Noch hängt die Decke der Dunkelheit vor meinen Augen, dein Verhängnis zu durchschauen, harre bis zu Sonnenuntergang«, und am Abend sprach sie: »Bleib bis zu Sonnenaufgang«, und den folgenden Tag: »Verzeuch noch heute«, und den dritten: »Gedulde dich bis morgen.« Am vierten Tage entließ sie ihn endlich, weil sie keinen Vorwand fand ihn länger zurückzuhalten, ohne ihr Geheimnis zu verraten, und erteilte ihn mit freundlichen Worten diesen Bescheid: »Die Götter wollen nicht, daß du rechten sollt mit einem Gewaltigen im Lande, tragen und dulden ist der Schwächern Los. Ziehe hin zu deinem Vater, sei der Trost seines Alters und nähre ihn durch die Arbeit deiner fleißigen Hand. Nimm zwei weiße Stiere aus meiner Herde zum Geschenke, und diesen Stab sie zu regieren, und wenn er blühet und Früchte trägt, wird der Geist der Weissagung auf dir ruhen.« Der Jüngling schätzte sich der Geschenke der holden Jungfrau unwert, und wurde schamrot, daß er eine Gabe dahin nehmen sollte ohne sie erwidern zu können. Er nahm mit unberedtem Munde, aber desto beredtsamern Gebärdung wehmütigen Abschied und fand unten an der Pforte zwei weiße Stiere angebunden, so schmucker und glänzend als ehemals der göttliche Stier, auf dessen glatten Rücken die Jungfrau Europa durch blaue Meeresfluten schwamm. Freudig lösete er sie ab und trieb sie gemachsam vor sich her.


 << zurück weiter >>