Johann Karl August Musäus
Volksmärchen der Deutschen
Johann Karl August Musäus

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Nach einer siebenjährigen Kustodie, in dem engen Gewahrsam des vergitterten Turms zu Großkairo, die dem Grafen ungleich länger däuchtete, als den heiligen Siebenschläfern ihr siebenzigjähriger Schlaf in den römischen Katakomben, vermeinte er von Himmel und Hölle verlassen zu sein, und verzieh sich gänzlich seines Leibes Erlösung aus diesem trübseligen Käfich, in welchem er des wohltätigen Anblicks der Sonne entbehren mußte, und wo das gebrochne Tageslicht nur kümmerlich, durch ein enges, mit eisernen Stäben verwahrtes Fenster einfiel. Sein Teufelsroman war lange zu Ende, und das Vertrauen auf die wundertätige Hülfe seines Schutzheiligen wog ein Senfkorn auf. Er vegetierte mehr als daß er lebte, und wenn er in diesem Zustande noch einen Wunsch gebären konnte, so war es der, vernichtet zu sein.

Aus diesem lethargischen Taumel, weckte ihn plötzlich das Rasseln von einem Schlüsselbund, vor der Tür seiner Klause. Seit dem Eintritt in dieselbe, hatte der Kerkermeister das Amt der Schlüssel hier nicht wieder verwaltet, denn alle Bedürfnisse des Gefangenen gingen durch eine Klappe in der Tür aus und ein, daher gehorchte das verrostete Schloß dem Kapital erst nach langem Widerstand, vermittelst der Lockspeise des Baumöls. Aber das Knarren der eisernen Bänder an der aufgehenden Tür, die sich schwerfällig um den Angel bewegten, war dem Grafen ein lieblicher Ohrenschmaus schmelzender Harmonieen gleichwie von Schöpfer Franklins Harmonika. Ein ahndungsvolles Herzklopfen setzte sein stockendes Blut in Umlauf, und er erwartete mit ungeduldigem Verlangen, die Botschaft von der Veränderung seines Schicksals, übrigens war es ihm gleichgültig, ob sie ihm Tod oder Leben verkünden würde. Zwei schwarze Sklaven traten mit dem Kerkermeister herein, die auf dessen Wink dem Gefangnen die Fesseln abnahmen, und ein anderer stummer Wink des ernsten Graubarts, gebot dem Entledigten ihm zu folgen. Er gehorchte mit wankenden Schritten, die Füße versagten ihm den Dienst, und er bedurfte der Unterstützung der beiden Sklaven, um die steinerne Windeltreppe hinabzutaumeln. Man führte ihn vor den Hauptmann der Gefangenen, der ihn mit sträflichem Gesicht also anredete: »Hartnäckiger Frank, warum hast du verheimlichet, welcher Kunst du erfahren seist, da du in den Gitterturm geleget wurdest? Einer deiner Mitgefangenen hat dich verraten, daß du ein Meister seist der Gärtnerei. Gehe, wohin dich der Wille des Soldans ruft, richte einen Garten an, nach der Weise der Franken, und pflege sein, wie deines Augapfels, daß die Blume der Welt darinnen lustig blühe, zum Schmuck des Orients.«

Wenn der Graf nach Paris zum Rektor der Sorbonne wär voziert worden, so hätte ihn dieser Beruf nicht mehr befremden können als der, die Funktion eines Lustgärtners beim Soldan von Ägypten zu verwalten. Er verstund von der Gärtnerei so wenig, als ein Laie von den Geheimnissen der Kirche. Zwar hatte er in Welschland und Nürnberg viel Gärten gesehen, denn daselbst brach die Morgenröte der Gartenkunst zuerst in Deutschland an, ob sich gleich der Gartenluxus der Nürnberger damals nicht viel höher, als auf eine Boselbahn und den Anbau des römischen Kopfsalats erstreckte. Aber um die Anlage der Gärten, um die Pflanzenkunde und um die Baumzucht hatte er, nach Standesgebühr, sich niemals bekümmert noch seine botanische Kenntnis so weit getrieben, daß er von der Blume der Welt Notiz genommen hätte. Er wußte auch nicht, nach welcher Methode sie wollte behandelt sein, ob sie wie die Aloe, durch die Kunst, oder wie eine gemeine Ringelblume, allein durch die wirksame Natur zur Flor müsse gebracht werden. Gleichwohl wagte er es nicht, seine Unwissenheit zu bekennen, oder das ihm zugedachte Ehrenamt auszuschlagen, aus gegründeter Besorgnis, durch eine Bastonade auf die Fußsohlen, von seiner Amtstüchtigkeit überzeugt zu werden.

Es wurde ihm ein angenehmer Park angewiesen, welchen er zu einem europäischen Lustgarten umschaffen sollte. Dieser Platz hatte entweder von der freigebigen Mutter Natur, oder von der Hand der ältern Kultur eine so glückliche Anlage und Ausschmückung empfangen, daß der neue Abdolonymus, mit aller Anstrengung seiner Sinnen, keinen Fehl oder Mangel daran wahrnehmen konnte, der einer Verbesserung bedurft hätte. Zudem erweckte der Anblick der lebendigen und wirksamen Natur, dessen er seit sieben Jahren, in dem düstern Kerker hatte entbehren müssen, seine stumpfe Sinnlichkeit auf einmal so mächtig, daß er aus jeder Grasblume Entzücken einsog, und alles um sich her mit Wonnegefühl betrachtete, wie der erste Menschenvater im Paradiese, dem auch der kritische Gedanke nicht einkam, etwas an dem Garten Gottes meistern zu wollen. Der Graf befand sich daher in keiner geringen Verlegenheit, wie er mit Ehren des ihm geschehenen Auftrags sich entledigen wollte; er besorgte, jede Veränderung würde den Garten einer Schönheit berauben, und wenn er als ein Stümper erfunden würde, dürfte er wohl wieder in den Gitterturm wandern müssen.

Da ihn nun der Scheik Kiamel, Oberintendant der Gärten und Favorit des Soldans, fleißig antrieb das Werk zu beginnen, forderte er fünfzig Sklaven, deren er zur Ausführung seines Entwurfs benötiget sei. Des folgenden Tages, bei frühem Morgen, waren sie alle zur Hand, und passierten die Musterung vor ihrem neuen Befehlshaber, der noch nicht wußte, wie er einen einzigen beschäftigen sollte. Aber wie groß war seine Freude, als er den flinken Kurt und den schwerfälligen Reisigen, seine beiden Unglücksgefährten, unter dem Haufen ansichtig wurde. Ein Zentnerstein fiel ihm dadurch vom Herzen, das Schwermutsfältchen verschwand von der Stirn, und seine Augen wurden wacker, als wenn er seinen Stab in Honigseim getaucht und davon gekostet hätte. Er nahm den getreuen Knappen beiseits, und offenbarte ihm unverhohlen, in welches heterogene Element er durch den Eigensinn des Schicksals sei verschlagen worden, worin er weder zu schwimmen noch zu baden wisse; auch sei's ihm unbegreiflich, welcher rätselhafte Mißverstand sein angebornes Ritterschwert mit dem Spaten verwechselt habe. Nachdem er ausgeredet hatte, fiel der flinke Kurt mit nassen Augen ihm zu Füßen, erhob seine Stimme und sprach: »Verzeihung lieber Herr! Ich bin Ursächer Eurer Bekümmernis und Eurer Befreiung aus dem schändlichen Gitterturm, der Euch so lange Zeit gefangen hielt. Zürnet nicht, daß Euch der unschuldige Betrug Eures Knechtes daraus errettet hat, freuet Euch vielmehr, daß Ihr Gottes Sonne wieder über Eurem Haupte leuchten sehet. Der Soldan begehrte einen Garten nach der Weise der Franken, und ließ kund tun allen gefangenen Christen, die im Bazam waren, wer ihm einen solchen Garten zuzurichten wisse, der solle hervortreten und großen Lohns gewärtig sein, so ihm das Beginnen gedeihen würde. Das unterwand sich nun keiner von allen; ich aber gedachte an Eure schwere Haft. Da gab mir ein guter Geist den Lug ein, Euch für einen Meister in der Gärtnerei zu verkundschaften, so mir auch trefflich gelungen ist. Nun grämt Euch nicht, wie Ihr's anstellen möget, mit Ehren zu bestehen: dem Soldan lüstet, nach der Weise der Großen in der Welt, nicht nach etwas Bessern als er schon hat, sondern nach etwas andern, das neu und seltsam sei. Darum wüstet und wühlet in dieser herrlichen Aue, nach Eurem Gefallen, und glaubet mir, alles was Ihr tut und vornehmet, wird in seinen Augen gut und recht sein.«

Diese Rede war das Rauschen einer murmelnden Quelle, in den Ohren eines ermatteten Wanderers in der Wüste. Der Graf schöpfte daraus Labsal für seine Seele, und Mut das mißliche Unternehmen standhaft zu beginnen. Er legte auf gut Glück, ohne Plan, die Arbeiter an, und verfuhr mit dem wohlgeordneten, schattenreichen Park, wie ein Kraftgenie mit einem veralteten Autor, der in seine schöpferischen Klauen fällt, und sich ohne Dank und Willen muß modernisieren, das heißt, wieder lesbar und genüßbar machen lassen; oder wie ein neuer Pädagog, mit der alten Lehrform der Schulen. Er warf bunt durcheinander, was er vorfand, machte alles anders und nichts besser. Die nutzbaren Fruchtbäume rodete er aus, und pflanzte Rosmarin und Baldrian, auch ausländische Hölzer, oder geruchlose Amaranten und Sammetblumen an ihre Stelle. Das gute Erdreich ließ er ausstechen, und den nackten Boden mit buntfarbigem Kies überführen, welchen er sorgfältig feststampfen und ebnen ließ, wie eine Dreschtenne, daß kein Gräslein darinne wurzeln konnte. Den ganzen Platz schied er in mancherlei Terrassen, die er mit einem Rasensaum umfaßte, und zwischendurch schlängelten sich wunderbar gewundene Blumenbette, in mancherlei grotesken Figuren, die in einen stinkenden Buchsbaumschnörkel ausliefen. Weil auch der Graf, vermöge seiner botanischen Unkunde, die Zeit zu säen und zu pflanzen nicht in Obacht nahm: so schwebte seine Gartenanstalt lange Zeit zwischen Tod und Leben, und hatte das Ansehen eines Kleiderbesatzes à feuille mourante.

Scheik Kiamel und selbst der Soldan ließen den abendländischen Gartenschöpfer gewähren, ohne durch ihre Dazwischenkunft, oder ihr diktatorisches Gutachten ihm das Konzept zu verrücken, und durch zu frühzeitige Kritteleien den Gang des Gartengeniewesens zu unterbrechen. Und daran taten sie weislicher als unser vorlautes Publikum, das von der bekannten philanthropischen Eckersaat, nach ein paar Sommern, gleich hohe Eichen erwartete, aus welchen sich Mastbäume zimmern ließen; da doch die Pflanzung noch so zart und schwach war, daß sie eine einzige kalte Nacht hätte zugrunde richten können. Aber nun beinahe in der Mitte der zweiten ablaufenden Dekade von Jahren, da die Erstlingsfrüchte wohl müßten überreif sein, war's wohl an der Zeit und Stunde, daß ein deutscher Kiamel mit der Frage hervortrat: »Pflanzer, was schaffst du? Laß sehen, was dein Rejolen, und das laute Getöse deiner Schuttkarren und Radeberren gefruchtet hat?« Und wenn dann die Pflanzung so dastund, wie die im Gleichischen Garten zu Großkairo, mit traurendem Blatt: so hätte er wohl Fug und Macht, nach billiger Würderung der Sache, wie der Scheik stillschweigend den Kopf zu schütteln, zwischen den Zähnen hindurch über den Bart zu spucken, und bei sich zu gedenken: sonach hätt's auch können beim alten gelassen werden. Denn eines Tages, da der Lustgärtner seine neue Schöpfung mit Wohlgefallen übersah, selbst über sich kunstrichterte und urteilte, das Werk lobe den Meister, und im ganzen genommen, sei alles besser ausgefallen, als er selbst anfangs geglaubt hätte; indem er sein ganzes Ideal vor Augen hatte, nicht nur sahe, was da war, sondern auch, was noch daraus werden konnte: trat der Oberintendant und Favorit des Soldans in den Garten und sprach: »Frank, was schaffst du? Und wie weit ist es mit deiner Arbeit gediehen?« Der Graf merkte wohl, daß sein Kunstprodukt jetzt werde eine strenge Zensur passieren müssen, indessen war er auf diesen Fall längst vorbereitet. Er nahm alle Gegenwart des Geistes zusammen, und sprach mit Zutrauen auf sein Händewerk: »Komm Herr und siehe! Diese vormalige Wildnis hat der Kunst gehorcht, und ist nach dem Ideal des Paradieses, zu einem Lustrevier umgeschaffen worden, welches die Houris nicht verschmähen würden, zum Aufenthalt zu wählen.« Der Scheik, der einen angeblichen Künstler mit solcher scheinbaren Wärme und Gnügsamkeit, von der Ausübung seiner Talente sprechen hörte, und dem Meister der Kunst in seiner Sphäre doch tiefere Einsichten zutrauen mußte, als sich selbst, hielt das Geständnis seines Mißbehagens an der ganzen Anstalt zurück, um seine Unwissenheit nicht bloßzugeben; war so bescheiden, solches seiner Unkunde des ausländischen Geschmacks zuzuschreiben, und die Sache selbst auf ihrem Wert und Unwert beruhen zu lassen. Gleichwohl konnte er sich nicht enthalten, einige Fragen zu seiner Belehrung an den Gartensatrapen gelangen zu lassen, worauf dieser ihm die Antwort nicht schuldig blieb.

»Wo sind die herrlichen Fruchtbäume geblieben«, fing der Scheik an, »die auf dieser Sandebene stunden, von roten Pfirsichen und süßen Limonien belastet, die das Auge ergötzten, und den Lustwandelnden zum erfrischenden Genuß einladeten?«

»Sie sind insgesamt bei der Erde weggehauen, daß ihre Stätte nicht mehr zu finden ist.«

»Und warum das?«

»Ziemt sich solcher Troß von Bäumen wohl in den Lustgarten des Soldans, die der gemeinste Bürger von Kairo in seinem Garten hegt, und von deren Früchten ganze Eselsladungen zum Verkauf ausgeboten werden?«

»Was bewog dich, den lustigen Dattel- und Tamarinden-Hain zu verwüsten, der des Wandrers Schutz war bei schwüler Mittagsglut, und ihm unter dem Gewölbe seiner belaubten Äste Schatten und Erquickung gab?«

»Was soll der Schatten einem Garten, der, solange die Sonne feurige Strahlen schießet, verödet und einsam ist, und nur vom kühlen Abendwinde gefächelt, balsamische Wohlgerüche duftet?«

»Aber bedeckte dieser Hain nicht mit einem undurchdringlichen Schleier, die Geheimnisse der Liebe, wenn der Soldan, von den Reizen einer zirkassischen Sklavin bezaubert, seine Zärtlichkeit den eifersüchtigen Augen ihrer Gespielinnen verbergen wollte?«

»Einen undurchsichtigen Schleier, die Geheimnisse der Liebe zu bedecken, gewähret jene Laube, von Geißblatt und Efeuranken umschlungen; oder diese kühle Grotte, in welcher ein kristallener Quell, aus künstlichem Felsen, in ein Marmorbecken rauscht; oder jener bedeckte Gang von Weinreben, am Traubengeländer; oder der, mit weichem Moos gepolsterte Sofa, in der ländlichen Schilfhütte am Fischteich, ohne daß diese Tempel verschwiegener Zärtlichkeit, schädlichem Gewürm und schwirrenden Insekten zum Aufenthalt dienen, die wehende Luft abhalten oder die freie Aussicht behindern, wie der dumpfe Tamarinden-Hain tat.«

»Warum hast du aber Salbei und Ysop, der auf der Mauer wächst, dahin gepflanzet, wo vorher das köstliche Balsamstäudlein aus Mekka blühete?«

»Weil der Soldan keinen arabischen, sondern einen europäischen Garten wollte. In Welschland aber und in den deutschen Gärten der Nürnberger, reifen keine Datteln, noch gedeihet daselbst das Balsamstäudlein aus Mekka.«

Gegen dieses Argument ließ sich keine Einwendung weiter machen. Da weder der Scheik, noch irgend einer der HeidenZu Zeiten des Grafen von Gleichen war es gewöhnlich, alle Nichtchristen, folglich auch die Mohammedaner, Heiden zu nennen. aus Kairo in Nürnberg gewesen war, so mußte er die Dolmetschung des Gartens aus dem Arabischen ins Deutsche, auf Treu und Glauben dahinnehmen. Nur konnte er sich nicht bereden, daß die Gartenreformation nach dem Ideal des, von dem Propheten den glaubigen Muselmännern verheißenen Paradieses, sollte ausgeführet sein, und angenommen, daß es mit dieser Angabe seine Richtigkeit hätte, versprach er sich von den Freuden des zukünftigen Lebens eben keinen sonderlichen Trost. Er konnte daher wohl nichts anders tun, als obenerwähntermaßen den Kopf schütteln, kontemplativisch zwischen den Zähnen hindurch über den Bart spucken, und gehen, woher er gekommen war.

Der Soldan, welcher damals über Ägypten herrschte, war der wackere Malek al Aziz Othmann, ein Sohn des berühmten Saladins. Den Beinamen des Wackern hatte er mehr den Talenten für seinen Harem, als den Eigenschaften des Gemüts zu verdanken: er hatte sich in der Propagation seines Geschlechtes so tätig und wacker bewiesen, daß, wenn jeder seiner Prinzen eine Krone hätte tragen sollen, die Königreiche aller damals bekannten drei Weltteile nicht wären hinreichend gewesen, sie damit zu versorgen. Seit siebzehn Jahren aber war, in einem heißen Sommer, diese fruchtbare Quelle versiegt. Fräulein Melechsala beschloß die lange Reihe der soldanischen Deszendenz, und nach dem einstimmigen Zeugnis des Hofs, war sie das Kleinod in diesem zahlreichen Blumengewinde, und genoß auch reichlich des Vorrechts der letztgebornen Kinder, der Prädilektion vor allen andern. Hierzu kam, daß sie die einzige lebende von allen Töchtern des Soldans war, und daß die Natur sie mit so vielen Reizen ausgesteuert hatte, daß diese selbst das väterliche Auge entzückten. Denn das muß man überhaupt den orientalischen Prinzen lassen, daß sie, in Regula, es ungleich weiter in der weiblichen Schönheitskunde gebracht haben, als unsere abendländischen, die ihr unzuverlässiges Kennerauge, was diesen Punkt betrifft, von Zeit zu Zeit verratenJournal der Moden Junius 1786.. Das Fräulein war der Stolz der soldanischen Familie, selbst ihre Brüder wetteiferten in der Aufmerksamkeit gegen die reizende Schwester, und in dem Bestreben, ihr Achtung und Zuneigung zu beweisen, es einander zuvorzutun. Der ernste Diwan erwog oft in politischen Konsultationen, welchen Prinzen man, vermöge des Bundes der Liebe, durch sie an das Interesse des ägyptischen Staates verknüpfen würde. Indessen ließ das der Vater Soldan seine geringste Sorge sein, und war nur unablässig darauf bedacht, der Lieblingstochter seines Herzens jeden Wunsch zu gewähren, und ihre Seele immer in einer heitern Stimmung zu erhalten, damit der reine Horizont ihrer Stirn durch kein Wölkchen getrübet würde.

Die ersten Jahre der Kindheit hatte das Fräulein unter der Aufsicht einer Amme zugebracht, die eine Christin und welscher Abkunft war. Diese Sklavin wurde, in früher Jugend, durch einen Seeräuber aus der Barbarei, vom Strande ihrer Vaterstadt weggeraubt, in Alexandrien verkauft, ging durch Handel und Wandel daselbst aus einer Hand in die andere, und so gelangte sie endlich in den Palast des Soldans von Ägypten, wo ihre nahrhafte Leibeskonstitution ihr zu dem Amte verhalf, dem sie mit aller Ehre vorstund. Ob sie gleich nicht so gesangreich war, wie die Amme des gallischen Thronerben, die für ganz Versailles die Losung zum Chorus gab, wenn sie mit melodischer Kehle, ihr Malbrough s'en va en guerre intonierte: so hatte sie die Natur, durch eine desto geläufigere Zunge, dafür sattsam entschädigt. Sie wußte so viel Geschichtchen und Märchen, wie die schöne Scheherazade in der Tausendundeinen Nacht, womit sich, wie es scheint, die soldanischen Sippschaften, in der Verschlossenheit der Serails gern unterhalten lassen. Die Prinzessin wenigstens, fand nicht tausend Nächte, sondern tausend Wochen lang daran Geschmack, und wenn ein Mädchen einmal zu dem Alter von tausend Wochen gelangt ist, so genüget ihr nicht mehr an fremden Erzählungen, sie findet nun in sich Stoff, ein eignes Geschichtchen anzuspinnen. In der Folge vertauschte die weise Amme ihre Kindermärchen, mit der Theorie europäischer Sitten und Gewohnheiten, und weil sie selbst noch viel Vaterlandsliebe hegte, und in der Zurückerinnerung an dasselbe Vergnügen empfand: so schilderte sie dem Fräulein die Vorzüge von Welschland so malerisch, daß davon die Phantasie ihrer zarten Pflegetochter erwärmt wurde, welchen angenehmen Eindruck sie nachher nie wieder aus dem Gedächtnis verlor. Je mehr Fräulein Melechsala heranwuchs, desto mehr wuchs mit ihr die Liebe zum ausländischen Putz, und den Gerätschaften des damals noch gar bescheidenen europäischen Luxus, und ihr ganzes Betragen artete mehr nach europäischer Sitte, als den Gebräuchen ihres Vaterlandes.

Sie war von Jugend auf eine große Blumenfreundin, ein Teil ihrer Beschäftigung bestund darinne, nach arabischer Gewohnheit bedeutsame Sträußchen und Kränze zu binden, durch welche sie, auf eine scharfsinnige Art, die Gesinnungen ihres Herzens offenbarte. Ja sie war so erfindungsreich, daß sie ganze Sentenzen, auch Sittensprüche des Korans, in einer Zusammenreihung von Blumen von verschiedenen Eigenschaften, oft sehr glücklich auszudrücken vermochte. Sie ließ hernach ihren Gespielinnen den Sinn davon erraten, welche diesen selten verfehlten. So formte sie eines Tages, aus chalcedonischer Lychnis, die Gestalt eines Herzens, umfaßte dieses mit weißen Rosen und Liljen, befestigte darunter zwei emporstrebende Königskerzen, die ein herrlich gezeichnetes Anemonenröslein einschlossen, und alle ihre Frauen sprachen, als sie ihnen das Blumengewinde vorzeigte, einstimmig: »Unschuld des Herzens, ist über Geburt und Schönheit erhaben.« Oft beschenkte sie ihre Sklavinnen mit frischen Sträußen, und diese Blumenspenden enthielten gemeiniglich Lob oder Tadel für die Empfängerin. Ein Kranz von Flatterrosen beschämte den Leichtsinn; die strotzende Mohnblume Dünkel und Eitelkeit; ein Strauß von Wohlgeruch duftenden Zochzinken, mit herabsinkenden Glöcklein, panegyrisierte die Bescheidenheit; die Goldlilje, welche ihren Blütenkelch bei Sonnenuntergang verschließt, kluge Vorsicht; die Meerwinde strafte die Liebedienerei, und die Blüten des Stechapfels nebst der Zeitlose, deren Wurzel vergiftet, bösen Leumund und heimlichen Neid.

Vater Othmann vergnügte sich innig an den scharfsinnigen Spielen der Phantasie seiner reizenden Tochter, ob er gleich wenig Talent besaß, diese witzigen Hieroglyphen selbst zu entziffern, und oft mit dem Kalbe seines ganzen Diwans pflügen mußte, ihre Deutung auszuklauben. Ihm war der exoterische Geschmack der Prinzessin nicht verborgen, als ein schlichter Muselmann konnte er hierinne nicht mit ihr sympathisieren; aber als ein nachsichtiger und zärtlicher Vater suchte er gleichwohl mehr, diese Lieblingsneigung der Prinzessin zu unterhalten, als sie zu unterdrücken. Er verfiel darauf, ihre Blumenliebhaberei mit der Vorliebe zum Ausländischen zu vereinbaren, und einen Garten im Geschmack der Abendländer ihr zurichten zu lassen. Dieser Einfall dünkte ihn so wohl ausgesonnen, daß er keinen Augenblick verabsäumte, solchen seinem Günstling, dem Scheik Kiamel mitzuteilen, um ihn aufs fördersamste zur Ausführung zu bringen. Der Scheik, der wohl wußte, daß die Wünsche seines Herrn für ihn Befehle waren, denen er ohne Widerrede gehorchen mußte, unterwand sich nicht, ihm die Schwürigkeiten entgegen zu stellen, die er bei der Sache empfand. Er selbst hatte so wenig eine Idee von der Einrichtung eines europäischen Gartens, als der Soldan selbst, und in ganz Kairo war ihm kein Mensch bekannt, den er hierüber hätte zu Rate ziehen können. Darum ließ er unter den Christensklaven nach einem Gartenverständigen forschen, und da kam er gerade an den unrechten Mann, der ihm aus der Verlegenheit helfen sollte. Also war's kein Wunder, daß der Scheik gar bedenklich den Kopf schüttelte, da er die Prozedur der Gartenverbesserung in Augenschein nahm: denn er fürchtete, wenn sie dem Soldan so wenig behagte als ihm selbst, so dürfte er wohl zu schwerer Verantwortung gezogen werden, und zum mindesten dürfte es um seine Günstlingschaft getan sein.

Vor den Augen des Hofs war diese Gartenkultur bisher als ein Geheimnis traktieret worden, allen Bedienten des Serails war der Eintritt untersagt. Der Soldan wollte das Fräulein, bei der Feier ihres Geburtstages, mit diesem Geschenke überraschen, sie in Pomp dahin führen, und ihr den Garten zum Eigentum übergeben. Dieser Tag rückte nun heran, und Se. Hoheit trug Verlangen, vorher alles selbst in Augenschein zu nehmen, sich von den neuen Anlagen unterrichten zu lassen, um sich das Vergnügen zu verschaffen, der schönen Melechsala die sonderbaren Schönheiten des Gartens vordemonstrieren zu können. Er tat dem Scheik davon Eröffnung, dem dabei nicht wohl zu Mute war, deswegen dachte er auf eine Schutzrede, wodurch er den Kopf aus der Schlinge zu ziehen vermeinte, wenn der Soldan sich mißfällig über die Gartenanstalt vernehmen lassen sollte. Beherrscher der Glaubigen, wollte er sagen, dein Wink ist die Richtschnur meines Ganges, meine Füße laufen, wohin du sie leitest, und meine Hand hält fest, was du ihr vertrauest. Du wolltest einen Garten nach der Weise der Franken: hier steht er vor deinen Augen. Diese ungeschlachten Barbaren wissen nichts, als dürftige Sandwüsten hervorzubringen, die sie in ihrem rauhen Vaterlande, wo keine Dattel noch Limonie reift, und wo es weder Kalaf noch BahobabKalaf, ein Strauch, aus dessen Blüten ein Wasser gezogen wird, das mit unserm Kirsch- oder Lindenblüten-Wasser übereinkommt, und in Hauskuren häufig gebraucht wird. Bahobab, eine Frucht, welche die Ägypter sehr lieben. gibt, mit Gras und Unkraut bepflanzen. Denn der Fluch des Propheten, stäupet mit ewiger Unfruchtbarkeit die Auen der Ungläubigen, und gibt ihnen nicht zu kosten den Vorschmack des Paradieses, durch den Wohlgeruch des Balsamstäudleins aus Mekka, noch durch den Genuß würzhafter Früchte.

Der Tag begann sich bereits zu neigen, da der Soldan, allein von dem Scheik begleitet, in den Garten trat, voller Erwartung, was er da für Wunderdinge erblicken würde. Eine weite freie Aussicht über einen Teil der Stadt, und über die Spiegelfläche des Nilstroms, mit den darauf hin und her fahrenden Muschernen, Schambecken und Scheomeonen, im Hintergrunde die himmelanstrebenden Pyramiden, und eine Kette von blauen, mit Duft umflossenen Gebürgen eröffnete sich auf der obern Terrasse seinem Auge, das nicht mehr durch den undurchsichtigen Palmenhain gehalten wurde. Zugleich wehete ihn ein erfrischendes Lüftchen an, das ihm wohltat. Eine Menge neuer Gegenstände drängten sich ihm auf, von allen Seiten her. Der Garten hatte freilich jetzt eine wildfremde Ansicht gewonnen, daß der alte Park, in welchem er von Kindheit auf gelustwandelt, und der durch sein ewiges Einerlei seine Sinnen längst ermüdet hatte, nicht mehr zu erkennen war. Der schlaue Kurt hatte wohl und weislich geurteilet, der Reiz der Neuheit werde seiner Wirkung nicht verfehlen. Der Soldan prüfte die Gartenmetamorphose nicht mit der Einsicht eines Kenners, sondern nach dem ersten Eindruck auf die Sinnen, und weil diesen das Ungewöhnliche so leicht zum Köder des Vergnügens dienet, so schien ihm alles gut und recht zu sein, wie er es fand. Selbst die krummen unsymmetrischen Gänge, mit festgestampftem Kies belegt, gaben seinen Füßen eine solche elastische Kraft, und einen leichten festen Gang, da er sonst gewohnt war, nur auf weichen persischen Teppichen, oder auf grünen Matten zu wandeln. Er wurde nicht müde, die labyrinthischen Gänge zu durchkreuzen, und bezeigte besonders seine Zufriedenheit, über die Flora der mannigfaltigen Grasblumen, die aufs sorgfältigste kultivieret und gewartet wurden, ob sie gleich jenseit der Mauer, freiwillig ebenso gut und in größerer Menge blüheten.

Nachdem er sich auf eine Ruhebank niedergelassen hatte, sprach er mit heiterer Miene: »Kiamel, du hast meine Erwartung nicht getäuschet, ich dacht es wohl, daß du mir etwas Sonderbares aus dem alten Park schaffen würdest, das von der Landessitte abweicht, darum soll dir mein Wohlgefallen unverhalten bleiben. Melechsala mag dein Werk, für einen Garten nach Art der Franken dahinnehmen.« Da der Scheik seinen Despoten aus dem Tone reden hörte, wunderte er sich baß, daß alles so gut ging, und freuete sich, daß er seine Zunge geschweiget, und seine Vorklage nicht hatte laut werden lassen. Er bemerkte bald, daß der Soldan alles für seine eigne Erfindung anzunehmen schien, daher drehete er das Ruder seiner Suada flugs nach dem günstigen Lüftlein, das in seine Segel blies, und redete also: »Großmächtiger Beherrscher aller Glaubigen, du sollst wissen, daß dein gehorsamer Sklav Tag und Nacht darauf gesonnen hat, etwas Unerhörtes, dergleichen in Ägypten noch nie ist gesehen worden, aus diesem alten Dattelhain, nach deinem Wink und Willen hervorzubringen. Es ist ohne Zweifel eine Eingebung des Propheten gewesen, daß ich darauf verfallen bin, nach dem Ideal des Paradieses der Glaubigen meinen Plan anzulegen, denn ich vertrauete darauf, daß ich solchergestalt die Meinung deiner Hoheit nicht verfehlen würde.« Der gute Soldan hatte von dem Paradiese, zu dessen Besitz er, nach dem Laufe der Natur, eben keine allzu entfernte Anwartschaft zu haben schien, von jeher so verworrene Begriffe gehabt, als unsere zukünftigen Himmelsbürger von dem Zustande und der Beschaffenheit des himmlischen Jerusalems; oder eigentlich hatte er, wie alle Glückskinder, die in der Unterwelt sich wohl sein lassen, um die Aussichten in eine beßre Welt sich nie bekümmert. Es schwebte daher jederzeit, wenn ja einmal ein Iman oder Derwisch, oder sonst eine religiöse Person des Paradieses erwähnte, das Bild des alten Parks seiner Phantasie vor, und dort war eben nicht sein Lieblingsaufenthalt. Jetzt wurde seine Einbildungskraft auf eine ganz andere Vorstellung gesteuert, das neue Bild seiner zukünftigen Hoffnung, erfüllte seine Seele mit freudigem Entzücken, wenigstens vermutete er nun, das Paradies möchte doch wohl anmutiger sein, als er sich's bisher vorgestellet hatte; und weil er ein Modell davon im kleinen zu besitzen glaubte: so bekam er von dem Garten eine hohe Meinung, die er dadurch augenscheinlich zu erkennen gab, daß er den Scheik stehenden Fußes zum Bey erhob, und ihn mit dem Ehrengewand des Kaftans bekleidete. Der abgefeimte Höfling verleugnet seinen Charakter in keinem Weltteile: Freund Kiamel trug kein Bedenken, die Prämie eines Verdienstes, die seinem Geschäftsträger gebührte, sich ganz unbefangen zuzueignen, ohne seiner mit einer Silbe gegen den Soldan zu erwähnen, und achtete ihn für überflüssig belohnt, daß er seinen täglichen Sold um einige Asper vermehrte.

Um die Zeit, wenn die Sonne in den Steinbock tritt, welches Himmelszeichen bei den Nordländern die Losung des Winters ist, in dem mildern Klima von Ägypten aber die schönste Jahreszeit verkündet, trat die Blume der Welt in den für sie zubereiteten Garten, und fand ihn völlig nach ihrem ausländischen Geschmack. Sie war freilich die größte Zierde desselben: jeder Ort, wo sie lustwandelte, wär's auch eine Wüste in dem steinigen Arabien, oder ein grönländisches Eisgefilde gewesen, würde in den Augen eines Mädchenspähers, sich bei ihrem Anblick in Elysium verwandelt haben. Die mannichfaltigen Blumen, welche der Zufall in unabsehlichen Reihen untereinander gemischt hatte, gaben ihrem Auge und Geiste gleiche Beschäftigung: sie wußte die Unordnung selbst, durch sinnreiche Anspielungen auf die verschiedenen Eigenschaften der Blumen, einer methodischen Ordnung zu verähnlichen. Nach Landesgewohnheit wurde jedesmal, wenn die Prinzessin den Garten besuchte, alles was männlich war, von Arbeitern, Pflanzern und Wasserträgern, durch die Wache der Verschnittenen daraus entfernt. Die Grazie, für welche der Kunstmeister gearbeitet hatte, blieb also seinen Augen verborgen, so sehr ihn auch gelüstete, die Blume der Welt, die seiner botanischen Unwissenheit so lange ein Rätsel gewesen war, in Augenschein zu nehmen. Wie sich aber das Fräulein über manche vaterländische Sitte hinaussetzte, so wurde ihr, da der Garten immer mehrere Reize für sie gewann, welchen sie des Tages mehrmals besuchte, die Begleitung der Verschnittenen in der Folge zu lästig, die in Prozession so feierlich vor ihr herzogen, als wenn der Soldan am Bairamfeste zur Moschee ritt. Sie erschien oftmals allein, oft an dem Arm einer Vertrauten, jedoch allezeit mit einem dünnen Schleier über dem Gesicht, und einem aus Binsen geflochtenen Körbchen in der Hand, wandelte die Gänge auf und ab, um Blumen zu pflücken, die sie nach Gewohnheit, durch allegorische Verbindung, zu Dolmetschrinnen ihrer Gedanken machte und an ihr Hofgesinde austeilte.

Eines Morgens, ehe der Tag heiß ward, und der Tau noch im Grase alle Regenbogenfarben spiegelte, begab sie sich in ihr Tempe, der balsamischen Frühlingsluft zu genießen, da ihr Gärtner eben geschäftig war, einige abgeblühete Gewächse aus der Erde zu nehmen und sie mit andern neuaufblühenden umzutauschen, die er in Blumentöpfen sorgfältig aufzog, welche er hernach kunstreich in die Erde vergrub, als wären sie, durch eine zauberhafte Vegetation, in einer einzigen Nacht aus dem Schoß der Erde hervorgewachsen. Das Fräulein wurde diesen artigen Betrug der Sinnen mit Vergnügen gewahr, und da sie das Geheimnis entdeckt hatte, wie die abgepflückten Blumen täglich durch andere ersetzt wurden, daß nie Mangel daran war, so gefiel es ihr, diese Entdeckung zu nutzen, und dem Gärtner Anweisung zu geben, wo und wenn bald diese bald jene Blume blühen sollte. Indem er die Augen aufhob, erschien ihm die weibliche Engelgestalt, welche er für die Eigentümerin des Gartens hielt, denn sie war mit himmlischen Reizen, wie mit einem Heiligenschein umflossen. Er wurde durch diese Erscheinung so überrascht, daß ihm ein Blumentopf, mit einer herrlichen Colocassia aus der Hand entfiel, die ihr zartes Pflanzenleben ebenso tragisch endigte, als Herr Pilastre de Rozier, ob sie gleich beide nur der mütterlichen Erde in den Schoß fielen.

Der Graf stund steif und starr wie eine Bildsäule, ohne Leben und Bewegung, daß man ihm wohl hätte die Nase mögen einschlagen, ohne daß er sich geregt hätte, wie die Türken mit den steinernen Bildsäulen in Tempeln und Gärten es zu machen pflegen; aber die süße Stimme des Fräuleins, die ihren Purpurmund eröffnete, brachte seinen Geist wieder zu sich. »Christ«, sprach sie, »fürchte nichts! Es ist meine Schuld, daß du dich zugleich mit mir an diesem Orte befindest, fördere dein Tagewerk, und ordne die Pflanzen, wie ich es von dir heische.« »Glanzvolle Blume der Welt!« gegenredete der Gärtner, »für deren Schimmer alle Farben dieser Blumenpflanzung erbleichen, du herrschst hier an deinem Firmamente, gleich der Sternenkönigin, an der Feste des Himmels. Dein Wink belebe die Hand des glücklichsten deiner Sklaven, der seine Fesseln küßt, wofern du ihn wert achtest deine Befehle auszurichten.« Die Prinzessin hatte nicht erwartet, daß ein Sklav den Mund gegen sie öffnen, noch viel weniger, daß er ihr was Verbindliches sagen würde, sie hatte ihre Augen mehr auf die Blumen, als auf den Pflanzer gerichtet. Jetzt würdigte sie auch diesen eines Anblicks, und erstaunte, einen Mann von der glücklichsten Bildung vor sich zu sehen, der alles übertraf, was sie jemals von männlicher Wohlgestalt erblickt oder geträumet hatte.

Graf Ernst von Gleichen war, in ganz Deutschland, seiner männlichen Anmut halber berühmt. Schon auf dem Turnier zu Würzburg, war er der Held der Damen. Wenn er das Visier aufschlug, um frische Luft zu schöpfen, war das Rennen der kühnsten Lanzenbrecher für jedes weibliche Auge verloren; alle sahen nur auf ihn; und wenn er den Helm schloß, ein Stechen zu beginnen, hob sich der keuscheste Busen höher, und das Herz klopfte ängstliche Teilnehmung dem herrlichen Ritter entgegen. Die parteiliche Hand der liebeschmachtenden Nichte des Herzogs in Bayern, krönte ihn mit einem Ritterdanke, welchen der junge Mann anzunehmen errötete. Die siebenjährige Haft im vergitterten Turme, hatte zwar die blühenden Wangen gebleicht, die prallen Muskeln erschlafft, und den Lichtblick der Augen ermattet; aber der Genuß der freien Atmosphäre, und die Gespielin der Gesundheit, Tätigkeit und Arbeit hatten mit reichem Ersatz den Verlust vergütet. Er grünte wie ein Lorbeerbaum, der den langen Winter hindurch im Gewächshaus getrauert hat, und bei der Wiederkehr des Frühlings junges Laub treibt und eine schöne Krone gewinnt.

Vermöge der Vorliebe der Prinzessin zu allem Ausländischen, konnte sie sich nicht enthalten, die einnehmende Gestalt des herrlichen Fremdlings mit Wohlgefallen zu betrachten, ohne zu wähnen, daß der Anblick eines Endymions, auf das Herz eines Mädchens ganz andere Eindrücke zu machen pflege, als die Schöpfung einer Modekrämerin, welche sie in ihrer Jahrmarktsbude zur Schau ausstellt. Mit holdem Munde erteilte sie dem schmucken Gärtner Befehle, wie er die Blumenpflanzung ordnen sollte, zog dabei sein Gutachten oft zu Rate, und unterhielt sich mit ihm, solange noch eine Gartenidee ihr zu Gebote stund. Sie verließ endlich den Freund Gärtner, der ihr so wohl behagt hatte; aber kaum war sie fünf Schritte gegangen, so kehrte sie wieder um, und gab ihm neue Aufträge, und da sie noch eine Promenade durch die Schlangenwege machte, berief sie ihn von neuem zu sich, bald eine Frage zu tun, bald eine Verbesserung in Vorschlag zu bringen. Wie der Tag sich anfing zu verkühlen, empfand sie das Bedürfnis schon wieder frische Luft zu schöpfen; und kaum spiegelte sich die Sonne in dem wachsenden Nil, so lockte sie das Verlangen in den Garten, die erwachenden Blumen sich aufschließen zu sehen, wobei sie niemals verfehlte, diejenige Gegend zuerst zu besuchen, wo ihr Gartenfreund arbeitete, um ihm neue Befehle zu erteilen, die er sich beeiferte pünktlich und hurtig auszurichten.

Einsmals suchte ihr Auge den Bostangi vergebens, gegen welchen ihre Gunst von Tag zu Tag sich mehrete. Sie wandelte die verschlungenen Gänge auf und nieder, ohne auf die Blumen zu achten, die ihr entgegen blüheten, und durch das hohe Kolorit der Farben, oder den balsamischen Duft ihrer Gerüche, gleichsam miteinander wetteiferten, von ihr bemerkt zu werden. Sie vermutete ihn hinter jedem Busche, untersuchte jedes hochstaudige Pflanzengewächs, erwartete seiner in der Grotte, und da er nicht zum Vorschein kam, tat sie eine Wallfahrt zu allen Lauben im Garten, hoffte ihn irgendwo schlummernd zu überraschen, und freute sich seiner Verlegenheit, wenn sie ihn aufwecken würde. Allein er war nirgends zu finden. Zufälligerweise begegnete ihr der stoische Veit, des Grafen Reisiger, den er, als ein ganz mechanisches Geschöpf, zu nichts anders als zum Wasserträger brauchen konnte. Sobald er die Prinzessin ansichtig wurde, machte er mit seiner Wasserladung linksum, ihr nicht in den Weg zu treten; sie aber berief ihn zu sich und frug, wo der Bostangi anzutreffen sei. »Wo anders«, antwortete er nach seiner handfesten Art, »als in den Klauen des jüdischen Quacksalbers, der ihm ohne Vorzug die Seele wird ausschwitzen lassen?« Darüber erschrak die reizvolle Tochter des Soldans also, daß ihr angst und wehe ums Herz ward; denn sie hatte nichts weniger vermutet, als daß ihr Gartengünstling durch Krankheit verhindert wäre, seiner Geschäfte zu warten. Sie begab sich alsbald in den Palast zurück, wo ihre Frauen mit Bestürzung wahrnahmen, daß die heitere Stirn ihrer Gebieterin sich getrübt hatte, wie wenn der feuchte Atem des Südwindes den spiegelreinen Horizont anhaucht, daß die schwebenden Dünste zu Wolken gerinnen. Bei der Zurückkehr ins Serail hatte sie eine Menge Blumen gepflückt; aber lauter traurige, welche sie mit Zypressen und Rosmarin zusammenband, und wodurch sich die Stimmung ihrer Seele deutlich zu Tage legte. Dieses trieb sie so verschiedene Tage an, dergestalt, daß ihr Frauenzimmer große Betrübnis darüber empfand, und unter sich konsultierte, was die Ursache des geheimen Kummers ihrer Gebieterin sein möchte; aber es kam damit, wie es bei weiblichen Konsultationen zu geschehen pfleget, zu keinem Konklusum, weil bei der Stimmensammlung eine solche Dissonanz der Meinungen sich ergab, daß kein harmonischer Akkord herauszufinden war. In der Tat hatte die Beeiferung des Grafen, jedem Winke der Prinzessin zuvorzukommen, und alles, wovon sie nur ein halblautes Wort fallen ließ, ins Werk zu richten, seinen, der Arbeit ungewohnten Körper, dergestalt angegriffen, daß die Gesundheit darunter litt und er von einem Fieber befallen wurde. Doch der jüdische Zögling des Galens, oder vielmehr des Grafen robuste Konstitution, überwältigte die Macht der Krankheit, daß er nach einigen Tagen schon wieder seiner Arbeit vorstehen konnte. Sobald ihn die Prinzessin bemerkte, war ihr wieder wohl ums Herz, und der Damensenat, dem die schwermütige Laune derselben ein unauflöslich Rätsel blieb, urteilte nun einmütig, es müsse irgend ein Blumenstock beklieben sein, an dessen Fortkommen sie vor einigen Tagen gezweifelt hätte, und im allegorischen Sinn hatten sie nicht unrecht.

Fräulein Melechsala war noch so unschuldigen Herzens, wie sie aus der Hand der Natur hervorgegangen war. Sie hatte weder Ahndungen noch Warnungen von Amors Schälkeleien empfangen, die er an unerfahrnen Schönen zu begehen pfleget. Überhaupt hat es von jeher an Winken für Mädchen und Prinzessinnen in bezug auf Liebe gefehlet, obgleich eine Theorie von der Art ungleich mehr nutzen und frommen möchte, als Winke für Fürsten und Prinzenerzieher, die sich wenig darum kümmern, ob man ihnen hustet, pfeift oder winket, auch zu Zeiten es wohl gar übel nehmen: die Mädchen aber verstehen jeden Wink, und achten auch darauf: denn ihr Gefühl ist feiner, und ein verstohlner Wink ist so recht ihre Sache. Das Fräulein stund im ersten Noviziat der Liebe, und hatte so wenig Kenntnis davon, als eine Klosternovize von den Ordensgeheimnissen. Sie überließ sich daher ganz unbefangen ihren Gefühlen, ohne den geheimen Diwan der drei Vertrauten ihres Herzens, der Vernunft, Klugheit und Überlegung, darüber zu Rate zu ziehen. Denn in diesem Falle, würde die lebhafte Teilnehmung an dem Zustande des kranken Bostangi, ihr Fingerzeig und Aufschluß gegeben haben, daß der Keim einer ihr unbekannten Leidenschaft, schon mächtig in dem Herzen vegetiere, und Vernunft und Überlegung würden ihr sodann zugeflüstert haben, daß diese Leidenschaft Liebe sei. Ob in dem Herzen des Grafen etwas Ähnliches im Hinterhalt lag, davon ist kein diplomatischer Beweis vorhanden: der überverdienstliche Eifer, die Befehle seiner Gebieterin zu vollziehen, könnte auf diese Vermutung führen, und da würde ein allegorischer Strauß von Liebstöckel, mit einem Stengel verwelkter Mannstreue zusammengebunden, für ihn wohl gepaßt haben. Es konnte aber auch nur eine unschuldige Rittersitte die Triebfeder dieses ausgezeichneten Diensteifers sein, ohne daß Liebe einigen Anteil daran hatte, denn es war das unverbrüchlichste Gesetz der Ritter damaliger Zeit, alle dem, was ihnen der Wille der Damen auferlegte, sträcklich nachzuleben. Es verging nun kein Tag mehr, wo nicht die Prinzessin mit ihrem Bostangi trauliche Unterredung pflog. Der sanfte Ton ihrer Stimme entzückte sein Ohr, und jeder Ausdruck schien ihm etwas Schmeichelhaftes zu sagen. Ein zuversichtlicherer Champion als er, würde nicht ermangelt haben, eine so günstige Situation zu nutzen, um weitere Progressen zu machen; allein Graf Ernst hielt sich immer innerhalb den Grenzen der Bescheidenheit. Weil nun das Fräulein in dem Kostüm der Koketterie ganz unerfahren war, und nicht wußte den blöden Schäfer aufzumuntern, den Diebstahl ihres Herzens zu begehen, so drehete sich die ganze Intrike um die Achse des wechselseitigen Wohlwollens, und hätte außer Zweifel noch lange keinen andern Schwung bekommen, wenn nicht der Zufall, welcher bekanntlich bei jedem Wechsel der Dinge das primum mobile zu sein pfleget, der Szene eine andere Gestalt gegeben hätte.


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