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Gegen Sonnenuntergang eines sehr schönen Tages, besuchte die Prinzessin den Garten, und ihre Seele war so heiter wie der Horizont, sie kosete mit ihrem Bostangi gar lieblich von mancherlei gleichgültigen Dingen, um nur mit ihm zu reden, und nachdem er ihr Blumenkörbchen gefüllet hatte, setzte sie sich in eine Laube und band einen Strauß, womit sie ihn beschenkte. Der Graf befestigte denselben, als ein Merkmal der Huld seiner schönen Gebieterin, mit dem Ausdruck eines überraschenden Entzückens an der Brust seines Wamses, ohne sich einfallen zu lassen, daß diese Blumen einen geheimen Sinn haben könnten, denn diese Hieroglyphen waren seinen Augen verborgen, wie den Augen des klügelnden Publikums das geheime Triebwerk des berühmten hölzernen Schachspielers. Und weil auch nachher das Fräulein diesen verborgenen Sinn nicht enträtselt hat, so ist er mit den Blumen dahingewelkt, ohne zur Wissenschaft der Nachwelt zu gelangen. Sie hegte indessen die Meinung, die Blumensprache sei allen Menschen so verständlich wie ihre Muttersprache, daher zweifelte sie nicht, ihr Günstling habe alles recht wohl begriffen, und weil er beim Empfang so ehrerbietig sie anblickte, nahm sie diese Miene als eine bescheidene Danksagung für das Lob seiner Tätigkeit und seines Diensteifers an, welches wahrscheinlich der Strauß ihm beilegte. Sie trug nun auch Verlangen, seine Erfindsamkeit zu prüfen, ob er auf ebenso verblümte Art ihr zu danken, was Artiges zu sagen, oder mit einem Wort, den gegenwärtigen Ausdruck seines Gesichts, das die Empfindungen des Herzens verriet, in Blumenschrift zu übersetzen wisse, und begehrte ein Sträußchen von seiner Komposition. Der Graf war gerührt von einer so herablassenden Güte, er flog an das Ende des Gartens in einen abgesonderten Zwinger, wo er sein Blumendepot hinverleget hatte, und woraus er die aufblühenden Gewächse mit den Scherben in den Garten versetzte. Es war gerade damals eine gewürzhafte Pflanze zur Blüte gelangt, welche von den Arabern Muschirumi genennet wird, und die vorher noch nicht im Garten anzutreffen war. Mit dieser Neuigkeit dachte der Graf der schönen Blumenfreundin, die sein harrete, ein unschuldiges Vergnügen zu machen, er servierte ihr die Blume, worunter er, anstatt des Präsentiertellers, ein breites Feigenblatt geschoben hatte, auf den Knieen, mit einer demütigen doch einiges Verdienst sich zueignenden Miene, und hoffte ein kleines Lob dafür einzuernten. –
Aber mit äußerster Bestürzung wurde er gewahr, daß die Prinzessin das Gesicht abwendete, die Augen, soviel der dünne Schleier ihm zu beobachten gestattete, beschämt niederschlug, und vor sich hinsahe, ohne ein Wort zu sprechen. Sie zögerte und schien verlegen die Blume in Empfang zu nehmen, die sie keines Anblicks würdigte, und neben sich auf die Rasenbank legte. Ihre muntere Laune war verschwunden, sie nahm eine majestätische Stellung an, die stolzen Ernst verkündete, und nach wenig Augenblicken verließ sie die Laube, ohne von ihrem Günstling weitere Notiz zu nehmen; doch vergaß sie beim Weggehen die Muschirumi nicht, welche sie aber sorgfältig unter den Schleier verbarg.
Der Graf war von dieser rätselhaften Katastrophe wie betäubt, vermochte nicht zu ergründen, was die Ursache dieses sonderbaren Betragens sei, und blieb in der Stellung eines Büßenden noch lange Zeit auf den Knieen liegen, nachdem ihn die Prinzessin verlassen hatte. Es betrübte ihn in der Seele, diese Huldgöttin, die er wegen ihrer herablassenden Güte wie eine Heilige des Himmels verehrte, beleidiget und ihren Unwillen verwirkt zu haben. Nachdem er sich von der ersten Bestürzung erholet hatte, schlich er scheu und trübselig, als wenn er einer schwer verpönten Übeltat sich bewußt wäre, in seine Wohnung. Der flinke Kurt hatte die Abendmahlzeit schon aufgetischt; aber sein Herr wollte nicht anbeißen, und gabelte lange in der Schüssel herum, ohne einen Bissen zum Munde zu führen. Daran merkte der getreue Dapifer des Grafen Unmut, schlich flugs abseits zur Tür hinaus, entpfropfte eine Flasche Chierwein, und der griechische Sorgenbrecher tat Wirkung. Der Graf wurde gesprächig und eröffnete seinem lieben Getreuen das Abenteuer im Garten. Es wurde spät in die Nacht darüber spekulieret, ohne auf einen Vermutungsgrund zu stoßen, was den Unwillen der Prinzessin veranlaßt habe, und da mit allem Grübeln nichts ausgemacht wurde, begab sich Herr und Diener zur Ruhe. Der letzte fand sie ohne Mühe, der erste suchte sie vergebens, und durchwachte die harmvolle Nacht, bis ihn die Morgenröte wieder an seine Geschäfte rief.
In der Stunde, wo Melechsala den Garten zu besuchen pflegte, sahe sich der Graf fleißig nach dem Eingang um, allein die Tür vom Serail wurde nicht aufgetan. Er harrete den andern Tag, nachher den dritten: die Serailtür war wie von innen vermauret. Wär Graf Ernst nicht ein völliger Idiot in der Blumensprache gewesen, so würde er leicht den Schlüssel zu dem auffallenden Benehmen des Fräuleins gefunden haben. Er hatte durch Überreichung der Blume seiner schönen Gebieterin, ohne eine Silbe davon zu wissen, ein förmliches Liebesgeständnis getan, und noch dazu auf eine ganz unplatonische Art. Wenn ein arabischer Liebhaber seiner Geliebten verstohlnerweise, durch die treue Hand einer Vertrauten, eine Muschirumi überreichen läßt, so traut er ihr den Scharfsinn zu, den einzigen Reim, den die arabische Sprache darauf hat, zu suchen. Dieses Wort ist Ydskerumi, welches, fein gegeben, so viel als Minnesold andeutetHasselquists Reise nach Palästina. . Man muß es dieser Erfindung lassen, daß es keine kompendiösre Liebeserklärung gibt als diese, die wohl wert wär von den Abendländern nachgeahmet zu werden. All des faden Geschreibsels der Billets doux, die ihren Verfassern oft so viel Mühe und Kopfbrechen kosten, oft, wenn sie in unrechte Hand geraten, von den Spöttern erbärmlich durchgenommen; oft von den Empfängerinnen selbst gemißhandelt oder falsch interpretiert werden, könnte man dadurch überhoben sein. Weil aber die Muschirumi, oder Muskatenhyazinthe, nur sparsam und kurze Zeit in unsern Gärten blühet, so könnte eine Nachbildung derselben von unsern Pariser oder vaterländischen Blumenschöpferinnen, dem Bedürfnis der Liebhaber zu allen Jahreszeiten zustatten kommen, und ein inländischer Handel mit dieser Fabrikware, dürfte leicht bessern Gewinn geben, als die mißlichen Handlungsspekulationen nach Nordamerika. Ein Liebesritter in Europa, hat ja ohnehin nicht zu befahren, daß das Geschenk einer solchen redenden Blume ihm zu einem Kapitalverbrechen dürfte angerechnet werden, und daß er mit Leib und Leben dafür büßen müßte, wie das im Orient gar leicht der Fall ist. Wenn Fräulein Melechsala nicht so eine gute sanfte Seele gewesen wäre; oder wenn die allmächtige Liebe nicht den Stolz der Tochter des Soldans gebändiget hätte: so würde der Graf seine Blumengalanterie, so unschuldig sie auch seinerseits war, ohne Gnade mit dem Kopf haben bezahlen müssen. Allein die Prinzessin war im Grunde so wenig unwillig über den Empfang der bedeutsamen Blume, daß vielmehr der vermeinte Liebesantrag die Saite ihres Herzens berührte, welche lange schon vibrierte einen harmonischen Anklang zu geben. Ihre jungfräuliche Sittsamkeit aber wurde auf eine harte Probe gestellt, da ihr Günstling, so wie sie interpretierte, sie um Liebesgenuß anzuflehen sich erkühnte. Das war die Ursache, warum sie ihr Angesicht bei dem dargebrachten Minneopfer abwendete. Eine Purpurröte, die der Schleier den Grafen nicht bemerken ließ, überzog ihre zarten Wangen, die Liljenbrust hob sich höher, und das Herz klopfte stärker in der Brust. Scham und Zärtlichkeit kämpften darinnen einen schweren Kampf, und die Verwirrung des Fräuleins war so groß, daß es ihr unmöglich war den Mund zu öffnen. Eine Zeitlang war sie zweifelhaft, was sie mit der verfänglichen Muschirumi machen sollte; sie verschmähen, hieß den Liebenden aller Hoffnung berauben, und sie annehmen, galt das Geständnis ihn seines Wunsches zu gewähren. Das Zünglein in der Waage der Entschlossenheit wankte daher bald auf diese bald auf jene Seite, bis das Übergewicht der Liebe entschied: sie nahm die Blume mit sich, und das assekurierte wenigstens vorläufig des Grafen Kopf. Aber im einsamen Gemach kam's, ohne Zweifel, zu mancherlei wichtigen Konsultationen über die Folgen, die dieser Entschluß nach sich ziehen konnte, und die Lage des Fräuleins war um deswillen desto bedenklicher, weil sie, bei ihrer Unerfahrenheit in Herzensangelegenheiten, sich selbst nicht zu raten wußte, und es nicht wagen durfte, einer Vertrauten sich zu entdecken, wenn sie nicht das Leben ihres Geliebten und ihr eignes Schicksal, der Willkür einer dritten Person überlassen wollte.
Eine Göttin im Bade ist leichter von einem Sterblichen zu belauschen, als eine orientalische Prinzessin in der Bettkammer des Serails von ihrem Geschichtschreiber, daher läßt sich schwerlich bestimmen, ob Fräulein Melechsala, die in Empfang genommene Muschirumi, auf der Spiegelkonsole dahinwelken lassen; oder sie ins frische Wasser gestellt habe, um sie zur angenehmen Augenweide, solang als möglich, zu konservieren. Desgleichen ist auch nicht leicht auszumachen, ob sie von lieblichen Träumen umtanzt; oder von den bösen Sorgen der Liebe gequält, die Nacht schlummernd oder schlaflos zugebracht habe. Doch ist das letztere um deswillen glaubhaft, weil am frühen Morgen, groß Jammern und Wehklagen innerhalb der vier Wände des Palastes entstund, als die Prinzessin, mit abgebleichten Wangen und mattem Blick in den Augen, zum Vorschein kam, also, daß ihr Frauenzimmer wähnte, ihr wandele eine schwere Krankheit an. Der Hofarzt wurde herbeigerufen, eben der bärtige Jud, welcher dem Grafen das Fieber durchs Schweißbad abgeschwemmet hatte, um den Puls der erlauchten Kranken zu prüfen. Sie lag, nach Landessitte, auf einem Sofa, vor welchen ein großer Blendschirm gesetzt wurde, mit einer kleinen Öffnung versehen, durch welche die Prinzessin den niedlich gerundeten Arm hervorstreckte, der aber, um ihn nicht dem profanen Anblick eines männlichen Auges preiszugeben, mit zartem Musselin doppelt und dreifach umwunden war. –
»Soll mir Gott!« flüsterte der Arzt der Oberkämmerin ins Ohr, »mit Ihr Hoheit steht's schlecht: der Puls zappelt wie ein Mäuseschwanz«, und schüttelte, aus praktischer Politik, wie schlaue Ärzte pflegen, dabei gar bedenklich den Kopf, verordnete reichlich Kalaf und andere Herzstärkungen, und weissagte mit Achselzucken ein abzehrendes Fieber.
Gleichwohl schienen alle diese Symptomen, welche der sorgsame Arzt für Herolde ansahe, die eine bösartige Seuche verkündeten, nichts mehr als die Folgen einer gestörten Nachtruhe zu sein: denn da die Kranke in der Mittagsstunde ihre Sieste gehalten hatte, befand sie sich zur Verwunderung des Israeliten, gegen Abend schon außer Gefahr, hatte keine Arzenei mehr nötig, und mußte, nach der Vorschrift dieses Äskulaps, nur noch einige Tage der Ruhe pflegen. Diese Zeit wendete sie dazu an, ihre Intrike reiflich zu überlegen, und Projekte auszuklügeln, die Gerechtsame der akzeptierten Muschirumi zu realisieren. Sie war geschäftig zu erfinden, zu prüfen, zu wählen, und zu verwerfen. In einer Stunde ebnete die Phantasie die unübersteiglichsten Berge, in der andern sahe sie nichts als Klüfte und Abgründe, vor welchen sie zurückschauderte, und über die die kühnste Einbildungskraft keinen Steg zu bauen wagte. Dennoch gründete sie auf alle diese Steine des Anstoßes den festen Entschluß, es koste auch was es wolle, den Gefühlen ihres Herzens zu gehorchen. Ein Heroismus, der Mutter Evens Töchtern nicht ungewöhnlich ist; den sie inzwischen oft mit dem Glück und der Zufriedenheit des Lebens bezahlen.
Die verriegelte Pforte des Serails tat sich endlich auf, und die schöne Melechsala ging, wie die lichte Sonne durchs Morgentor, durch sie wieder in den Garten. Der Graf bemerkte ihre Ankunft hinter einer Efeulaube; da fing's an in seinem Herzen zu arbeiten wie in einer Mühle, es pochte und hämmerte, als wär er bergan bergab gelaufen. War's Freude, war's Zagheit, oder bange Erwartung, was dieser Gartenbesuch ihm ankündigen würde – Verzeihung oder Ungnade: wer vermag das menschliche Herz so genau zu entfalten, daß er von jedem Ruck und Zuck dieser reizbaren Muskel Grund und Ursache sollte anzugeben wissen? Gnug, Graf Ernst fühlte Herzklopfen, sobald er die Gartengrazie von weitem erblickte, ohne daß er sich selbst über das woher? und warum? Rechenschaft zu geben vermochte. Sie beurlaubte ihr Gefolge gar bald, und aus allen Umständen war deutlich abzumerken, daß die poetische Blumenlese diesmal nicht ihr Geschäfte sei. Sie machte die Wallfahrt nach den Lauben, und weil er eben nicht geflissentlich Versteckens spielen wollte, mußte sie ihn wohl finden. Da sie noch einige Schritte entfernt war, fiel er mit stummer Beredsamkeit vor ihr auf die Kniee, unterstund sich nicht die Augen gegen sie aufzuheben, und sahe so trübselig aus wie ein Delinquent, dem der Richter sein Urteil zu publizieren eben im Begriff ist. Das Fräulein aber redete ihn mit sanfter Stimme und freundlicher Gebärde an: »Bostangi, stehe auf, und folge mir in diese Laube.« Bostangi gehorchte schweigend, und nachdem sie Platz genommen hatte, redete sie also: »Der Wille des Propheten geschehe! Ich habe ihn drei Tage und drei Nächte lang angerufen, mir durch ein Anzeichen kund zu machen, wenn mein Wandel zwischen Torheit und Irrtum schwankt. Er schweigt und billiget den Entschluß der Ringeltaube, den sklavischen Hänfling der Kette, woran er kümmerlich Wasser zieht, zu entledigen und mit ihm zu nisten. Die Tochter des Soldans hat die Muschirumi aus deiner Sklavenhand nicht verschmähet: mein Los ist entschieden! Säume nicht den Iman aufzusuchen, daß er dich in die Moschee einführe, und dir das Siegel der Glaubigen erteile. Dann wird mein Vater, auf meine Vorbitte, dich wachsen lassen wie den Nilstrom, wenn er sein enges Ufer übersteigt und sich in das Tal ergießet. Wenn du nun als Bey eine Provinz regierest, magst du deine Augen kühnlich zum Throne aufheben: der Soldan wird den Eidam nicht verwerfen, welchen der große Prophet seiner Tochter versehen hat.«
Wie von dem Zauberspruch einer mächtigen Fei, wurde der Graf durch diese Rede einer steinernen Bildsäule abermals verähnlichet, er staunte die Prinzessin an, ohne Leben und Bewegung. Seine Wangen entfärbten sich, und seine Zunge war gebunden. Im ganzen begriff er zwar den Sinn der Rede; aber wie er zu der unerwarteten Ehre gelangen sollte, der Eidam des Soldans von Ägypten zu werden, das war ihm unbegreiflich. In dieser Situation machte er, für einen erhörten Liebhaber, nun eben nicht die imposanteste Figur; jedoch die aufwachende Liebe vergüldet alles, wie die aufgehende Sonne. Das Fräulein nahm dieses hinbrütende Staunen für Übermaß seines Entzückens an, und maß die sichtbare Verwirrung seines Geistes, dem überraschenden Gefühl seines Minneglückes bei. Indessen regte sich in ihrem Herzen eine gewisse Empfindung jungfräulicher Bedenklichkeit, daß sie mit dem Ultimatum ihrer Gegenerklärung zu rasch möchte zu Werke gegangen sein, und die Erwartung ihres Geliebten übereilet haben, darum nahm sie das Wort wieder und sprach: »Du schweigst Bostangi? Laß dich nicht befremden, daß der Wohlgeruch deiner Muschirumi, den Geruch meiner Gesinnung auf dich zurückdüftet: die Decke der Verstellung hat nie mein Herz verhüllt. Sollt ich durch schwankende Hoffnung dir den steilen Pfad erschweren, den dein Fuß vorher ersteigen muß, ehe sich die Brautkammer dir öffnet?«
Der Graf hatte während dieser Rede Zeit gehabt, wieder zur Besonnenheit zu gelangen, er ermannete sich wie ein Kriegsmann aus dem Schlafe, wenn im Lager Lärm geblasen wird. »Glanzvolle Blume des Orients«, sprach er, »wie darf ein Stäudlein, das unter den Dornen wächst, sich ermächtigen, unter deinem Schatten zu blühen? Würde es nicht die wachsame Hand des Gärtners, als ein mißständiges Unkraut, ausjäten und es hinwerfen, daß es im Wege zertreten würde, oder von der Sonnenglut verschmachtete? Wenn ein wehendes Lüftlein den Staub erhebt, daß er dein königliches Diadem befleckt, sind nicht alsbald hundert Hände bereit, es davon zu säubern? Wie sollte ein Sklav auf die Bisangfrucht lüstern sein, die in den Gärten des Soldans für den Gaumen eines Fürsten reift? Auf dein Geheiß, sucht ich eine angenehme Blume für dich, und fand die Muschirumi, deren Name mir so unbekannt war, als es ihre geheimnisvolle Bedeutung noch ist. Wähne nicht, daß ich damit etwas anders beabsichtet habe, als dir zu gehorchen.«
Diese Querantwort verrückte den schönen Plan des Fräuleins merklich. Es war ihr unerwartet zu vernehmen, daß es einem Europäer möglich sei, mit der Muschirumi nicht gerade den Gedanken zu verbinden, insofern sie einem Frauenzimmer dargeboten wird, welchen die zwei übrigen Teile der alten Welt damit zu vereinbaren pflegen. Das Mißverständnis lag klar am Tage; jedoch die Liebe, die einmal im Herzen Wurzel gefaßt hatte, wendete und drehete es so geschickt, wie eine Nähterin ein Stück Arbeit, wobei sie es im Zuschnitte versehen hat, daß endlich doch noch alles so ziemlich zusammentreffen muß. Die Prinzessin verbarg ihre Verlegenheit, durch das Spiel ihrer schönen Hände mit dem Saume des Schleiers, und nachdem sie einige Augenblicke geschwiegen hatte, sprach sie mit zärtlicher Anmut: »Deine Bescheidenheit gleichet der Nachtviole, die nicht nach dem Schimmer des Sonnenlichts geizet, um hohe Farben zu spiegeln, und dennoch ihres aromatischen Geruchs wegen geliebt wird. Ein günstiges Ungefähr ist also der Dolmetscher deines Herzens worden, und hat die Empfindungen des meinigen hervorgelockt: sie sind dir unverborgen. Folge der Lehre des Propheten, und du bist auf dem Wege deinen Wunsch zu erreichen.«
Der Graf fing an den Zusammenhang der Sache immer deutlicher einzusehen, die Dunkelheiten verschwanden allgemach aus seiner Seele, wie die nächtlichen Dämmerungen beim Anbruch der Morgenröte. Jetzt trat der Versucher, den er im Verlies des Gitterturms, unter der Maske eines gehörnten Satyrs, oder eines schwarzen Erdgnomens erwartet hatte, in der Gestalt des geflügelten Amors zu ihm, und brauchte alle verführerischen Künste ihn zu überreden, den Glauben zu verleugnen, seiner zarten Gemahlin treubrüchig zu werden, und die Pfänder keuscher Liebe zu vergessen. Es steht in deiner Gewalt, sprach er, die ehernen Sklavenfesseln mit den holden Banden der Liebe zu vertauschen. Die erste Schönheit eines Weltteils lächelt dir entgegen, und mit ihr der Genuß jedes Erdenglücks! Eine Flamme, rein wie das Feuer der Vesta, lodert für dich in ihrem Busen, das sie verzehren würde, wofern Torheit und Eigensinn deine Seele umnebelten, ihre Gunst zu verschmähen. Verbirg deinen Glauben eine kleine Zeit unter den Turban, Vater Gregor hat Wassers gnug in seiner Ablaßzisterne, dich von dieser Sünde rein zu waschen. Vielleicht erwirbst du das Verdienst, des Fräuleins reine Engelseele zu gewinnen, und sie dem Himmel zuzuführen, für den sie bestimmt ist. Dieser trüglichen Oration hätte der Graf noch lange mit Wohlgefallen zugehöret, wenn ihn sein guter Engel nicht beim Ohr gezupft und gewarnet hätte, der Stimme der Verführung nicht weiter Gehör zu geben. Darum glaubte er, mit Fleisch und Blut nicht länger sich besprechen zu dürfen, sondern über sich rasch den Sieg gewinnen zu müssen. Das Wort erstarb ihm einigemal im Munde, doch faßte er endlich Mut und gegenredete also: »Der Wunsch des verirrten Wanderers in der lybischen Wüste, aus den Quellen des Nils seine trockne Zunge zu laben, mehrt nur die Qualen der durstigen Leber, wenn er dennoch verschmachten muß. Darum, o du Holdseligste deines Geschlechts, wähne nicht, daß ein solcher Wunsch in meiner Seele erwacht sei, der als ein nagender Wurm an meinem Herzen zehren würde, ohne daß ich ihn mit Hoffnung füttern kann. Vernimm, daß ich in meiner Heimat, durch das unauflösliche Band der Ehe, mit einem tugendsamen Weibe bereits verbunden bin, und drei zarte Kindlein den süßen Vaternamen lallen. Wie könnte ein Herz, von Kummer und Sehnsucht zerrissen, der Perl der Schönheit nachstreben, um ihr geteilte Liebe anzubieten?« Diese Erklärung war deutlich, der Graf vermeinte auch, recht rittermäßig und gleichsam mit einem Streiche, den Minnekampf entschieden zu haben. Er vermutete, die Prinzessin würde nun ihre Übereilung einsehen, und ihren Plan aufgeben; allein hierinne irrete er sich gar sehr. Das Fräulein konnte sich nicht bereden, daß der Graf, als ein junger blühender Mann, keine Augen für sie haben sollte, sie wußte, daß sie liebenswürdig war; und das freimütige Bekenntnis, von der Lage seines Herzens, machte gerade auf sie gar keinen Eindruck. Sie dachte, nach der Sitte ihres Vaterlandes, nicht daran, den alleinigen Besitz sich davon zuzueignen, und betrachtete die Zärtlichkeit der Männer, als ein teilbares Gut: denn in den sinnreichen Spielen des Serails, hatte sie oft gehört, daß die männliche Zärtlichkeit mit einem Faden Seide war verglichen worden, der sich trennen und teilen läßt, so daß jeder Teil dennoch, für sich, ein Ganzes bleibt. In der Tat, ein sinnreicher Vergleich, worauf der abendländische Witz unsrer Damen noch nie verfallen ist! Der Harem ihres Vaters hatte ihr, von Jugend auf, auch zahlreiche Beispiele von der Geselligkeit der Liebe dargestellt: die Favoritinnen des Soldans lebten daselbst in traulicher Eintracht beisammen.
»Du nennst mich die Blume der Welt«, erwiderte das Fräulein; »aber siehe, in diesem Garten blühen neben mir noch viele Blumen, die Aug und Herz, durch Mannigfaltigkeit ihrer Schönheit und Anmut ergötzen, und ich wehre dir nicht diesen Blumengenuß mit mir zu teilen. Sollt ich von dir fordern, in deinen eignen Garten, nur eine einzige Blume zu pflanzen, an deren beständigem Anblick dein Auge ermüden würde? Dein Weib soll Teilhaberin sein des Glückes, das ich dir bereite, du sollst sie in deinem Harem einführen. Sie wird mir willkommen, sie wird mir die liebste Gespielin sein, um deinetwillen, und um deinetwillen wird sie mich wieder lieben. Auch ihre Kindlein sollen die meinigen sein, ich will ihnen Schatten geben, daß sie lustig blühen und in fremdem Erdreich wurzeln sollen.« Mit der Toleranz der Liebe ist es, in unserm aufgeklärten Jahrhundert, noch lange nicht so weit gediehen, als mit der Toleranz der Kirche, sonst könnte diese Erklärung der Prinzessin, unsern Leserinnen unmöglich so befremdend auffallen, als sie aller Wahrscheinlichkeit nach tun wird; allein Fräulein Melechsala war eine Morgenländerin, und unter diesem mildern Himmel, hat Megäre Eifersucht über die schöne Hälfte der Menschheit weit weniger Gewalt, als über die stärkere, welche sie dagegen auch mit eisernem Zepter regieret.
Graf Ernst war von der gutmütigen Denkungsart der Prinzessin gerührt, und wer weiß, wozu er sich möchte entschlossen haben, wenn er seiner trauten Ottilia daheim, gleiche Gesinnung hätte zutrauen können, und überdies der Stein des Anstoßes ihm nicht im Wege gelegen hätte, seines Glaubens sich abzutun. Er verschwieg der Huldgöttin, die so unbefangen um sein Herz warb, diesen Gewissensskrupel keinesweges, und so leicht es ihr gewesen war, alle übrigen Schwürigkeiten auf die Seite zu räumen, so wenig konnte sie dieser beikommen. Die trauliche Session wurde aufgehoben, ohne daß in Ansehung dieses strittigen Punktes etwas entschieden wurde. Da die Parteien sich trennten, stunden die Traktaten so, wie bei einer Grenzkonferenz zweier benachbarten Staaten, wo kein Teil seinen Gerechtsamen etwas vergeben will, und der Austrag der Sache auf einen anderweiten Termin verschoben wird, wo die Kommissarien wieder miteinander in Freuden leben und sich's wohl sein lassen.
Im geheimen Konklave des Grafen, hatte der flinke Kurt bekanntlich Sitz und Stimme, sein Herr eröffnete ihm zur Abendzeit den ganzen Vorgang seiner Herzensangelegenheit, –
denn er war sehr beunruhiget, und es ist leicht möglich, daß ein Liebesfunke aus dem Herzen des Fräuleins in das seinige herübergesprühet war, der sich von der Asche seiner gesetzmäßigen Liebesglut nicht wollte ausdämpfen lassen. Eine siebenjährige Abwesenheit, die aufgegebene Hoffnung der Wiedervereinigung mit der Erstgeliebten, und die dargebotene Gelegenheit das Herz nach Wunsch zu beschäftigen, sind drei kritische Umstände, wodurch eine so geistige Masse, als die Liebe ist, leicht in eine Gärung kommt, die ihre Substanz verändert. Der weise Knappe spitzte das Ohr, bei Anhörung dieser interessanten Ereignis, und gleichsam als ob die enge Pforte des Gehörnervens, die Erzählung des Grafen nicht rasch gnug in seine Hirnkammer einpassieren ließ, öffnete er zugleich die weite Torfahrt des Mundes, hörte und schmeckte zugleich die unerwartete Novelle mit großer Inbrunst. Nachdem er alles reiflich erwogen hatte, ging sein unvorgreifliches Gutachten dahin, die anscheinende Hoffnung der Erledigung in beide Hände zu fassen, und den Plan der Prinzessin zu realisieren, nichts dazu und nichts davon zu tun, und übrigens den Himmel walten zu lassen. »Ihr seid«, sprach er, »aus dem Buche der Lebendigen in Eurem Vaterlande ausgetan; aus dem Abgrunde der Sklaverei ist keine Erlösung, wofern Ihr Euch nicht an den Seilen der Liebe heraushaspelt. Eure Gemahlin, die holde Frau, kehret nie zu Euren Umarmungen zurück. Wenn sie in sieben Jahren der Gram, über Euren Verlust, nicht überwältiget und aufgerieben hat: so hat die Zeit ihren Gram überwältiget; sie hat Eurer vergessen, und erwärmet in dem Bette eines andern. Aber den Glauben zu verleugnen, das ist traun eine harte Nuß! die Ihr wohl nicht aufknacken möget. Doch auch dafür ist wohl Rat. Unter keinem Volk auf Erden ist's Brauch, daß das Weib den Mann belehre, welchen Weg zum Himmel er nehmen soll, sondern sie folgt seinem Gange, und läßt sich von ihm leiten und führen, wie die Wolke vom Winde, sieht weder zur Rechten noch zur Linken, auch nicht hinter sich, wie Lots Weib, die zur Salzsäule ward: denn wo der Mann hinkommt, da ist ihres Bleibens. Ich hab auch daheim ein Weib; aber wahrlich, Herr! läg ich in der Vorhölle, so würde sie sich nicht entbrechen mir nachzufahren, um mit ihrem Sonnenwedel meiner armen Seele frische Luft zuzufächeln. Darum beharret fest darauf, daß das Fräulein ihrem Lügenpropheten entsage. Wofern sie Euch mit reiner Liebe beigetan ist, wird sie sicherlich ihr Paradies gegen den Christenhimmel gern vertauschen.«
Der flinke Kurt perorierte noch lange, um seinen Herrn zu überreden, die königliche Liebschaft nicht auszuschlagen, und aller andern Verbindungen zu vergessen, um seine Fesseln zu zerbrechen. Aber er bedachte nicht, daß er durch das Zutrauen in die Treue seines eignen Weibes, den Grafen an die Treue seiner liebevollen Gemahlin erinnert hatte, deren er sich gänzlich zu entschlagen versucht wurde. Sein Herz war eingepreßt, als in einer Kelter, er wälzte sich auf seinem Nachtlager rastlos hin und her, und seine Gedanken und Entschlüsse durchkreuzten sich gar sonderbar; dadurch wurde er so abgemattet, daß er gegen den Morgen in einen dumpfen Schlummer fiel. Da träumte ihn, der schönste Schneidzahn aus seinem elfenbeinern Gebiß sei ihm ausgefallen, worüber er groß Herzleid und schweren Kummer empfand; doch als er die Zahnlücke im Spiegel besahe, um zu urteilen, ob sie ihn auch sehr verstelle, war ein neuer Zahn hervorgewachsen, schön und blank wie die übrigen, so daß der Verlust nicht zu merken war. Sobald er erwachte, trug er Verlangen, die Deutung des Traumes zu erfahren. Der flinke Kurt ermangelte daher nicht, eine wahrsagende Zigeunerin aufzutreiben, die gegen die Gebühr gut Glück aus der Hand und Stirn prophezeite, auch die Gabe besaß Träume auszulegen. Der Graf referierte ihr den seinigen der Länge nach, und nachdem die gerunzelte, schwarzbraune Pythia lange darüber simuliert hatte, tat sie ihren wulstigen Mund auf und sprach: »Was dir das Liebste war, hat dir der Tod geraubt; doch den Verlust ersetzt bald das Geschick dir wieder.«
Nun lag's klar am Tage, daß die Vermutungen des weisen Knappen keine Hirngespinste waren, sondern daß die gute Gräfin Ottilia, vor Gram und Harm über den Verlust ihres geliebten Gemahls, zu Grabe gegangen sei. Der gebeugte Witwer, der so wenig an diesem Trauerfall zweifelte, als wenn er, durch eine schwarzgeränderte Notifikation, Brief und Siegel darüber empfangen hätte, fühlte alles, was ein Mann, der sein gesundes Gebiß zu schätzen weiß, empfindet, wenn er einen Zahn verliert, welchen die wohltätige Natur durch einen andern zu ersetzen in Begriff ist, und tröstete sich über den erlittenen Verlust mit dem bekannten trostreichen Witwerspruch: Es ist Gottes Schickung, ich muß mich drein ergeben. Da er sich nun für frei und ungebunden hielt, spannte er alle Segel auf, ließ Wimpel und Flagge lustig wehen, um auf den Hafen seines Minneglücks loszusteuern. Bei der nächsten Entrevue fand er die Prinzessin reizender als jemals, seine Blicke schmachteten ihr entgegen; ihr schlanker Wuchs entzückte sein Auge, und ihr leichter sanfter Gang glich dem Gange einer Göttin, ob sie gleich nach menschlicher Weise einen Fuß vor den andern förder setzte, und nicht nach dem Kostüm der Göttinnen, mit unbewegten Schenkeln über den buntfarbigen Sandweg daherschwebte. »Bostangi«, sprach sie mit melodischer Stimme, »hast du den Iman gesprochen?« Der Graf schwieg einen Augenblick, schlug die lichtvollen Augen nieder, legte bescheiden die Hand auf die Brust und ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder. In dieser demutsvollen Stellung antwortete er entschlossen: »Erhabne Tochter des Soldans, mein Leben hängt an deinem Wink; aber nicht mein Glaube. Mit Freuden bin ich bereit, jenes für dich aufzuopfern, nur laß mir diesen, der mit meiner Seele so verwebt ist, daß sie sich leichter vom Leibe scheiden, als vom Glauben trennen läßt.« Hieraus merkte die Prinzessin, daß sie mit ihren schönen Entwürfen auf dem Wege war zu scheitern, um deswillen nahm sie zu einem heroischen Mittel ihre Zuflucht, das unstreitig von unfehlbarerer Wirkung ist, als der berufene tierische Magnetismus, und versuchte damit ihren Plan aufrecht zu erhalten: sie entschleierte ihr Angesicht. Im vollen Glanz der Schönheit stund sie da, wie die Sonne am Firmamente, als sie aus dem Chaos hervorging, die dunkle Erde zu bestrahlen. Sanfte Röte überzog ihre Wangen, und hoher Purpur glühete auf den Lippen ihres Mundes; zwei schön gewölbte Bogen, auf welchen Amor scherzte, wie die buntfarbige Iris auf dem Regenbogen, beschatteten die seelevollen Augen, und zwei goldne Locken küßten sich auf ihrer Liljenbrust. Der Graf staunte und schwieg; sie aber nahm das Wort und sprach:
»Siehe, Bostangi, ob diese Gestalt deinen Augen gefällt, und ob sie des Opfers wert sei, das ich von dir fordere.« »Sie ist die Gestalt eines Engels«, antwortete der Graf, mit dem Ausdruck des höchsten Entzückens, »wert, von einem Heilgenschein umflossen, in den Vorhöfen des Christenhimmels zu glänzen, gegen welchen die Annehmlichkeiten des Paradieses des Propheten nur leere Schatten sind.«
Diese Worte, mit Wärme und anschaulicher Überzeugung ausgesprochen, fanden in dem offenen Herzen des Fräuleins freien Eingang, besonders dünkte ihr der Heiligenschein ein Apparatus zu sein, der ihr nicht übel zu Gesichte stehen müßte. Ihre rege Phantasie blieb auf diese Idee geheftet, über welche sie Erläuterung begehrte, und der Graf ergriff die dargebotene Gelegenheit mit beiden Händen, ihr den Christenhimmel so reizend zu schildern, als in seinem Vermögen war; er wählte die anmutigsten Bilder dazu, die ihm die Einbildungskraft darbot, und sprach mit solcher Zuversicht, als wenn er gerade aus dem Schoß der Seligkeit herabgekommen wäre, eine Mission an sie auszurichten. Weil es nun dem Propheten beliebt hat, das schöne Geschlecht, in jener Welt, mit überaus kärglicher Erwartung auszusteuern: so verfehlte der apostolische Redner seiner Absicht desto weniger, ob sich gleich nicht behaupten läßt, daß er zum Apostelamt eben vorzüglich qualifiziert gewesen wäre. Es sei nun, daß der Himmel selbst dieses Bekehrungsgeschäfte begünstigte; oder daß der exoterische Geschmack der Prinzessin sich bis auf die religiösen Begriffe der Ausländer ausdehnte; oder daß das Personale des Heidenbekehrers mit in Anschlag kam: gnug sie war ganz Ohr, und würde, wenn der herandämmernde Abend die Lektion nicht unterbrochen hätte, ihrem Dozenten noch stundenlang mit Vergnügen zugehöret haben. Vor diesmal ließ sie rasch den Schleier fallen und begab sich ins Serail.
Es ist ein bekannte Sache, daß Fürstenkinder überaus gelehrig sind, und in allen wissenswerten Dingen riesenmäßige Fortschritte machen, wie unsere Tagebücher das oft laut urkunden, wenn die übrige Weltbürgerschaft sich nur mit Zwergschritten begnügen muß. Es war daher kein Wunder, daß die Tochter des Soldans von Ägypten, nach kurzem Zeitverlauf, den damaligen Lehrbegriff der abendländischen Kirche so gut inne hatte, als der Lehrer ihr solchen mitteilen konnte, einige kleine Ketzereien auf und ab ungerechnet, die ohne Vorsatz seine Unkunde in Glaubenssachen mit einlaufen ließ. Diese Erkenntnis blieb nicht toter Buchstabe bei ihr, sondern erweckte das eifrige Verlangen zu proselytieren. Also wurde der Plan der Prinzessin nun insoweit abgeändert, daß sie nicht mehr darauf bestund den Grafen zu bekehren, sondern sich von ihm bekehren zu lassen; doch alles das nicht sowohl in Hinsicht einer Glaubenseinigung, als in Beziehung des beabsichteten Liebesvereins. Es kam jetzt alles auf die Frage an, wie dieses Vorhaben ins Werk zu richten sei. Sie zog den Grafen, und dieser den flinken Kurt, in den nächtlichen Konsultationen, über diese wichtige Angelegenheit zu Rate, und der letztere votierte dahin, das Eisen zu schmieden dieweil es heiß sei; der schönen Proselytin des Grafen Stand und Herkunft zu eröffnen, ihr den Vorschlag zu tun, mit ihm zu entfliehen; behend über Meer ans europäische Gestade zu schwimmen, und im Thüringerland miteinander als christliche Eheleute zu leben.
Der Graf klopfte diesem wohlausgedachten Plane seines weisen Knappen lauten Beifall zu, es war als hätt er ihn seinem Herrn aus den Augen gelesen. Ob die Ausführung mit Schwürigkeiten würde verknüpft sein oder nicht, das wurde beim ersten Feuer des romantischen Entwurfs nicht in Erwägung gezogen: die Liebe trägt alle Berge eben, springt über Mauern und Graben, hüpft über Abgrund und Schlüfter, und setzt über einen Schlagbaum mit eben der Leichtigkeit, als über einen Strohhalm. In der nächsten Lehrstunde, eröffnete der Graf der geliebten Katechumena den gefaßten Anschlag: »Du Abglanz der Heiligen Jungfrau«, redete er sie an, »vom Himmel erkoren aus einem verworfenen Volk, über Irrwahn und Vorurteil zu siegen, und Teil und Erbe zu empfahen im Wohnplatz der Wonne, hast du den Mut deinem Vaterlande zu entsagen: so bereite dich zur schnellen Flucht. Ich will dich gen Rom geleiten, wo der Himmelspförtner, Sankt Peters Statthalter hauset, dem die Schlüssel zur Himmelstür anvertrauet sind, daß er dich aufnehme in den Schoß der Kirche, und das Bündnis unsrer Liebe segne. Fürchte nicht, daß deines Vaters mächtiger Arm uns erreichen werde: jede Wolke über unserm Haupte wird ein Schiff sein, mit einer Besatzung von Engelheerscharen, mit diamantnen Schildern und feurigen Schwertern bewaffnet, die, sterblichen Augen zwar unsichtbar, aber mit Kraft und Stärke gerüstet, zu deiner Hut und Wacht verordnet sind. Auch will ich dir nicht verhalten, daß ich durch Glück und Geburt das bin, wozu mich die höchste Gunst des Soldans erheben könnte: ich bin ein Graf, das ist ein geborner Bey, der über Land und Leute regieret. Die Grenzen meiner Herrschaft umschließen Städte und Flecken, auch Paläste und feste Bergschlösser. Mir gehorchen Ritter und Knappen, auch Roß und Wagen sind zu meinem Dienst bereit. Du sollst in meinem Vaterlande von keinen Mauern eines Serails umschlossen, frei herrschen und regieren als eine Königin.«
Diese Rede des Grafen dünkte der Prinzessin eine Botschaft vom Himmel zu sein, sie setzte kein Mißtrauen in die Zuverlässigkeit seiner Worte, und es schien ihr zu schmeicheln, daß die schöne Ringeltaube, nicht in einem Hänflingsnest, sondern bei einem Gefieder von der Sippschaft der Adler nisten würde. Ihre warme Phantasie war mit so süßen Erwartungen angefüllt, daß sie sich mit der Bereitwilligkeit der Kinder Israel zum Ausgang aus Ägypten bequemte, gleichsam als ob ein neues Kanaan, in einem andern Weltteile, jenseits des Meeres ihrer wartete. Sie würde, im Vertrauen auf den Schutz der ihr verheißenen unsichtbaren Leibwache, alsbald ihrem Geleitsmanne außerhalb den Ringmauern des Palastes gefolget sein, wenn dieser sie nicht belehret hätte, daß noch mancherlei Zubereitungen erforderlich wären, ehe das große Vorhaben, mit Hoffnung eines glücklichen Erfolgs könnte ausgeführet werden.