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›So wunderbar es Euch auch vorkommen mag, edler Ritter, so gewiß ist es, daß die Geschlechtstafel der schönen Zoe bis zu den Eiern der Leda hinaufgehet. Der sicherste Beweis davon ist, daß sie alle Jahr einmal zum Schwane wird, oder, wie sie zu reden pflegt, ihr Schwanenkleid anlegt; denn Ledens Töchter machen nicht wie die übrigen Menschenkinder nackend ihren Eintritt in die Welt, sondern bedecken ihren zarten Leib mit einem luftigen Gewande, aus verdichteten Lichtstrahlen des Äthers gewebt, welches sich nach dem Maße ihres Wachstums ausdehnet, und nicht nur alle Eigenschaften der reinsten Feuerluft besitzt, die irdische Körperschwere zu überwinden und mit leichtem Flug bis an die Wolken zu erheben, sondern auch noch überdies der Besitzerin die Schwanengestalt mitteilt, solange sie damit bekleidet ist. Die jährliche Reise ins Schönheitsbad erfordert eine Zeit von neun Tagen, und wenn diese Wallfahrt nicht verhindert oder unterlassen wird, so gewähret sie der weiblichen Eitelkeit den sonst unerreichbaren Lieblingswunsch des immerwährenden Genusses der Schönheit und Jugend.
Verdreußt es Euch nun nicht den fernen Weg zu ziehen, und Euch an einem dieser wunderbaren Brunnen zu lagern, um der schönen Zoe das Geständnis der Liebe zu tun, das sie auf Naxos schwerlich von Euch anhören würde, so will ich Euch anzeigen wo Ihr dieselben zu suchen habt. Die erste dieser Brunnquellen ist gelegen im Reich Habissinia tief in Afrika, und besteht aus den berühmten Quellen des Nilflusses; die zwote ist ein grundloser Wasserpfuhl am Fuß des Gebürges Ararat in Asia, welcher die Wasserflut des Weinerfinders in sich verschlungen hat; und die dritte quillt in Europa im Reich Germania, da wo die Wurzel der Sudeten gegen Westen ins ebenere Land ausläuft; sie sammlet ihr Gewässer in einen Weiher welcher in einem anmutigen Tale liegt, von des Landes Eingebornen das Schwanenfeld genannt. Diesen Weiher pflegt Zoe am öftersten zu besuchen, denn er ist ihr am nächsten gelegen; es wird Euch auch nicht schwer fallen die magischen Schwäne von den natürlichen durch eine Federkrone auf dem Haupte zu unterscheiden. Wenn Ihr nun auf der Lauer stehet in der frühen Morgenstunde, ehe die Strahlen der aufgehenden Sonne das Wasser berühren, oder des Abends, so sie eben zu Rüste gegangen ist, und ihr erbleichendes Licht den westlichen Himmel noch rötet, so habt wohl acht ob Schwäne ziehen. Wenn Ihr wahrnehmet daß sie sich aufs Wasser oder in den Schilf herablassen, so werdet Ihr bald darauf im Weiher anstatt der Schwäne badende Nymphen erblicken, und Euer Scharfblick wird Euch leicht entdecken ob Eure Geliebte dabei sei, oder ob sie sich nicht in der Gesellschaft ihrer Basen befindet. Ist Euch das Glück günstig sie Euch entgegenzuführen, so zaudert nicht, ihres Schleiers und der Krone die Ihr am Ufer finden werdet Euch zu bemächtigen, dadurch kommt sie in Eure Gewalt und kann ohne dieses Flügelkleid nicht mehr entfliehen. Was Ihr dann ferner zu tun habt wird Euch die Liebe eingeben.‹
Freund Theophrast schwieg und ich verwunderte mich höchlich über seine Rede, wußte nicht ob ich seinen Worten Glauben geben, oder ihn Lügen strafen sollte, daß er mich durch ein Märchen äffen wollte. Er beteuerte mir aber mit einem hohen Eidschwur und mit einer zuversichtlichen truglosen Miene, die mir glaubwürdiger schien als ein körperlicher Eid, daß sich die Sache in der Tat also verhalte. Nachdem ich eine Zeitlang geschwiegen hatte, sprach ich mit vollem Vertrauen auf seine Worte: ›Wohlan Freund, geleitet mich alsbald auf das Schiff, ich will das Abenteuer bestehen, davon Ihr mir saget, will die Welt durchkreuzen wie der ewig laufende Jud, bis ich gelange zu einem der Brünnlein, an welchem ich das Ziel meiner Wünsche zu finden vermeine.‹ Drauf schiffte ich durch den Hellespont gen Konstantinopel, nahm daselbst ein Pilgerkleid, und zog, in Gesellschaft einiger wallfahrtenden Brüder, die aus dem Heiligen Lande zurückkamen, so schier ich immer konnte den Sudeten zu, in welchen ich lange Zeit herumirrete, bis mir der sehnlich gesuchte Schwanenteich verkundschaftet wurde. In dessen Angesicht erbauete ich unter der heuchlerischen Hülle der Andacht diese Einsiedelei, die bald von frommen Seelen besucht wurde, weil jedermann mich für einen Heiligen hielt, und himmlischen Trost von mir begehrte, der ich inwendig doch nur fleischliche Gefühle hegte: denn meine Gedanken und Begierden trachteten mit Ungestüm nach dem Anblick der geliebten Schwanengestalt.
Bald nachher als ich mich hier wohnhaft niedergelassen hatte, errichtete ich dort jene Schilfhütte, daraus im verborgenen zu bestimmter Zeit nach den Badegästen zu glosen, und wurde inne, daß mich der Arzt Theophrast nicht mit Lügen berichtet hatte. Um die Zeit der sommerlichen Sonnenwende, sah ich bald mehr bald weniger Schwäne auf dem Weiher anlangen, die zum Teil ihre natürliche Gestalt behielten, teils wenn sie das Wasser berührten in liebliche Dirnen sich umgestalteten; doch meine Geliebte konnt ich darunter nicht ansichtig werden. Drei Sommer harrete ich vergebens unter ungeduldiger Hoffnung aus, die mich täuschte. Der vierte kam, ich spekulierte fleißig aus meinem Hinterhalt hervor, hörte eines Tages in der Morgendämmerung Fittige über mir rauschen, und erblickte bald darauf badende Nymphen im Weiher, welche mit großer Unbefangenheit im Wasser scherzten, ohne zu wähnen, daß sie von den Augen eines Spähers belauscht würden. Indem der Tag begann sah ich mit Entzücken die Gestalt der schönen Zoe mir vorschweben; das Herz schlug laut in meiner Brust, aber der Taumel der Leidenschaft bemächtigte sich meiner ganzen Seele also, daß ich Freund Theophrasts guter Lehren ganz darüber vergaß. Anstatt des Besitzes der reizenden Buhlschaft durch das sichere Unterpfand ihres Flugschleiers mich zu versichern, trieb mich die ungestüme Freude aus der Rohrwarte hervor, ich erhob meine Stimme laut und rief: ›Zoe von Naxos, Leben meiner Seele, erkennet den welschen Ritter in mir, weiland Euren getreuen Paladin, an welchen die Liebe Euer Geheimnis verraten, und ihn angetrieben hat Eurer hier zu harren am Schönheitsquell!‹ Die verschämte Badegesellschaft befiel groß Schrecken bei dieser Überraschung, sie erhoben lautes Geschrei, schöpften mit der hohlen Hand des Wassers aus dem Weiher und gossen mir einen Platzregen entgegen, gleichsam meine verwegenen Augen damit zu blenden. Ich aber befahrte mich eines Ärgern von diesem Benehmen, dachte an Aktäons Schicksal und wich etwas scheu zurück, indes schlüpften sie in das Schilfrohr und verbargen sich. Kurz drauf sah ich sieben Schwäne auffliegen die sich hoch in die Luft empor schwangen und entschwanden. Nun bedacht ich mein törichtes Beginnen, gebärdete mich als ein Unsinniger, zerriß mein Kleid, raufte mir die Haare aus, zerzauste den Bart und jammerte sehr bis sich mein wütiger Sinn verkühlt hatte und in ermattender Schwermut sich verlor. Ich schlich tiefsinnig zurück nach meiner Klause und nahm den Weg über den Platz wo der Schilfhütte gegenüber die Schwäne sich aufgeschwungen hatten. Da fand ich den Morgentau vom Grase abgestreift und einen Fußtapfen im feuchten Sande, der mir Zoens niedlichen Fuß abzubilden schien, dabei lag ein Päcktlein zusammen gewickelt, welches ich behend ergriff. Als ich's voneinander schlug, war's ein weiblicher Handschuh von feiner weißer Seide, der sich an keine andre als an Zoens zarte Hand passen konnte, daraus fiel ein Fingerreif hervor, mit einem hellfunkelndem Rubin geschmückt, der als ein Herz gestaltet war. Von diesem, allem Anschein nach absichtlichen Hinterlaß, machte ich mir die günstigste Erklärung; ich vermutete Zoe habe mit diesem Geschenke sagen wollen, sie hinterlasse mir ihr Herz, sie sei nicht unempfindlich gegen mich, und ob sie gleich itzt Wohlstands halber von ihrer Gesellschaft sich nicht habe trennen dürfen, so werde sie doch baldmöglichst ohne Geleitschaft zum Schwanenteich zurückkehren um meine Wünsche zu erhören.
Mit diesem Gedanken tröstete ich mich, ein, zwei und mehrere Jahre, harrete, ohne daß meine Geduld ermüdete, des so sehnlich gewünschten Schwanenbesuchs; aber sie waren durch meine Unbedachtsamkeit gleichsam vom Weiher weggebannt. In der Folge fanden sich doch einige wieder ein, dadurch lebte meine Hoffnung von neuem auf, ich belauschte sie fleißig und genoß zuweilen des Anblicks himmlischer Gestalten, ohne daß sie auf meine Sinnlichkeit einigen Eindruck machten: denn ich hatte keine Augen als für die reizende Zoe allein, die ich doch nie wieder erblickte. Indessen bewahre ich den Ring in meinem Schatzkästlein als eine Reliquie, und das Andenken der zarten Buhlschaft in meinem Herzen als ein Heiligtum. An dem Platz wo ich den Fund tat, pflanzt ich einen Rosenstrauch und viel Liebstöckel, auch Mannstreu und Vergißmeinnicht, ringsumher. Unter der täuschenden Hoffnung der Wiederkehr meiner Herzgeliebten, hat die Zeit meinen Rücken gekrümmt und tiefe Furchen über die Stirn gezogen. Gleichwohl vergnügt mich die Ankunft der Schwäne noch immer auf diesem Weiher, indem sie mich des Abenteuers meiner Jugend und an den angenehmsten Traum meines Lebens erinnert. Wenn ich nun am Rande meiner irdischen Wallfahrt einen ernsten Blick auf die Vergangenheit werfe, merk ich zwar mit einem gewissen Mißbehagen, daß ich mein Leben verschleudert habe, wie ein reicher Prasser sein Erbgut, ohne Frucht und Genuß; es ist dahin geschwunden wie ein Traumgesicht in einer langen Winternacht, davon sich die Phantasie nicht loswinden kann, und das beim Erwachen mehr körperliche Ermattung als Erquickung hinterläßt: doch tröst ich mich mit der Erfahrung, daß es das gewöhnliche Los der Sterblichen ist, ihr Leben zu verträumen, einer Phantasie, einer leeren Grille, den besten Teil desselben aufzuopfern und ihre ganze Tätigkeit darauf zu steuren. Alle Schwärmerei und Herzenspoeterei, sie sei aufs Irdische oder Himmlische gestellt, ist eitel Tand und Torheit, und eine fromme Grille ist keinen Deut mehr wert als eine verliebte. Alle in sich gekehrte Menschen, sie seien in Klausen oder Zellen eingesperrt, wenn sie auch für Heilige gelten; oder sie mögen in Wäldern und Feldern herumirren, in den Mond schauen, ausgezupfte Blumen und Grashalmen trübsinnig in einen vorbeirauschenden Fluß werfen, und als Märtyrer einer Leidenschaft unter dem Namen der Dulder und Dulderinnen den Felsen und Wasserbächen oder dem traulichen Monde ihre Elegien vorseufzen, sind unsinnige Träumer. Denn der Kontemplationsgeist, er sei von welcher Art und Natur er wolle, wenn er nicht hinter dem Ackerpfluge herwandelt, oder mit der Hippe und dem Spaten sich vereinbart, ist das elendeste Possenspiel des menschlichen Lebens. Daß ich junge Fruchtbäume geimpft, Traubengeländer angepflanzt und Zuckermelonen gebaut habe, manchen ermatteten Wandrer damit zu erquicken, ist traun ein verdienstlicher Werk gewesen, als alles Fasten und Beten und die Bußübungen die meine Andacht in Ruf brachten; ist auch mehr wert als der Roman meines Lebens. Darum«, fuhr Vater Benno gegen seinen lieben Getreuen den horchsamen Friedbert fort, »darum will ich nicht, daß du als ein rüstiger Jüngling dein Leben in dieser Einöde verträumen sollst. Die kurze Zeit die mir übrig ist, magst du noch bei mir ausharren; aber wenn du mir den letzten Dienst erwiesen und meine Gebeine in das Grab gelegt hast, das ich mir vor langen Jahren aus Gleisnerei unter jenem Sandfelsen aushöhlte, sollst du in die Welt zurückkehren und als ein tätiger Mann im Schweiß deines Angesichtes dein Brot gewinnen, für eine liebevolle Gattin und das aufblühende Geschlecht deiner Söhne und Töchter um deinen Tisch her. Der Raub der Sabinerinnen ist ehemals den Römern zu gutem Glück gediehen, willst du, so magst du den Versuch machen, ob dir das Glück wohl will, ein Liebchen aus dem Feiengeschlecht hier an diesem Weiher zu erhaschen, die, wenn sie die Liebe bezähmet, gern bei dir wohnen wird. Wofern aber eine frühere Flamme ihr Herz ergriffen hätte, daß sie dich nicht liebgewinnen möchte, so laß den Schmetterling davonfliegen, daß dich nicht ein Satansengel in freudenloser Ehe quäle.«
Der Morgen dämmerte bereits am stillen Horizont herauf, da der gesprächsame Greis seine wunderbare Geschichte mit dieser Nutzanwendung beschloß und sich auf sein Lager streckte von dürrem Laube zubereitet, der so lang entbehrten Ruhe zu pflegen. Doch in Friedberts Hirn schwammen eine Menge Ideen so bunt und kraus durcheinander, daß ihm kein Schlaf in die Augen kam. Er setzte sich außen vor den Eingang der Einsiedelei, blickte der aufgehenden Sonne entgegen, und sahe jede über seinem Haupte schwirrende Schwalbe für einen Schwan an, auf den er Jagd zu machen entschlossen war. Nach einigen Mondenwechseln schlummerte Vater Benno ins ruhige Grab hinüber und wurde von seinem Pflegling zur Erde bestattet, unter großer Wehklage aller frommen Seelen im Erzgebürge, die den Verlust ihres himmlischen Anwalds herzlich betrauerten und nach seinem Grabe wallfahrteten, welches dem Erben des Abgeschiedenen guten Erwerb brachte. Die fromme Einfalt der Leidtragenden begehrte aus dem Nachlaß des heiligen Mannes Reliquien, der Erbnehmer unterließ auch nicht gegen klingende Münze sie damit zu versorgen: er zerstückte einen alten Eremitenrock und spendete davon allen die den heiligen Trödelmarkt besuchten kleine Fragmente aus. Wie er sahe daß der Handel gut vonstatten ging, erwachte in ihm der Kaufmannsgeist, er spekulierte noch auf einen andern Artikel der nicht minder ergiebig war, zersplitterte den weißdornen Stab seines Meisters in dünne Späne, die fürs Zahnweh helfen sollten, wenn sie als Zahnstocher gebraucht würden, und weil's ihm nicht an Materialien dazu gebrach, würde er die ganze Christenheit mit wundertätigen Zahnstochern verlegt haben, wenn er Abnehmer gefunden hätte. Mit der Zeit verminderte sich der Zulauf, und die Einsiedlerwohnung wurde nun eine wahre Einsiedelei. Desto besser für den Besitzer derselben, der nun seinen romantischen Ideen ganz ungestört nachhangen konnte. Er sähe mit Vergnügen wie die wachsenden Tage die Nächte zusammendrängten, und die Sonne sich seinem Scheitel nahete. Er ging um die Zeit der Sonnenwende fleißig auf die Teichschau, versteckte sich in der Morgen- und Abendstunde in die lauersame Schilfhütte, und machte am Vorabend St. Albani die so sehnlich gewünschte Entdeckung. Drei Schwäne kamen gezogen von Süden her mit majestätischem Schwünge, umkreiseten dreimal den Weiher hoch in der Luft, gleichsam um zu schauen ob alles sicher sei; sie senkten sich allmählich in den Schilf herab, und bald darauf gingen drei liebliche Dirnen daraus hervor, die sich wie die Huldgöttinnen mit den Armen sanft umschlungen hatten, und die herrlichste Gruppe bildeten, die je einem sterblichen Auge vorgeschwebt hat. Sie scherzten und wogeten sich auf den kristallenen Fluten, koseten miteinander in guter Ruhe und ließen aus ihrem melodischen Munde ein frohes Lied ertönen. Der Laurer stund da in süßes Entzücken verschwebt, ohne Bewegung wie eine Marmorsäule, und es fehlte wenig so hätte er den günstigen Augenblick eine Beute zu erhaschen ungenutzt verloren. Zum Glück ermannete sich noch seine Besinnungskraft und riß ihn gerade zur rechten Zeit aus der zaubervollen Ekstase. Er sputete sich, seinen Standort zu verlassen, schlich sich unbemerkt durch das Gesträuche an den Platz, wo die Schwanengesellschaft ihre ätherische Garderobe am Strande verwahret hatte. Er fand drei jungfräuliche Schleier ins Gras gebreitet, von einem unbekannten Gewebe, feiner als Spinnwebe und weißer als frischgefallener Schnee. Der obere Zipfel derselben war durch eine kleine goldene Krone gezogen, und oberhalb in Buffen zusammengefaltet, daß sie gleichsam einen Federbusch bildeten. Daneben lagen noch Unterkleider aus stärkerm Stoff, meergrün und leibfarben, dem Anschein nach von persischer Seide. Mit gieriger Hand ergriff der kecke Räuber den ersten besten Schleier, und eilte freudenvoll mit dieser Beute seiner Wohnung zu, voll ungeduldiger Erwartung, was ihm sein Glück für ein Los würde beschert haben.
Sobald er seinen Schatz einer eisernen Truhe anvertrauet hatte, setzte er sich außen vor den Eingang der Felsengrotte auf eine Rasenbank, wie ein römischer Augur den Vogelflug zu beobachten und daraus sein Schicksal sich zu prophezeien. Der Abendstern fing eben an zu funkeln, und gleich nachher erhoben sich zwei Schwäne mit scheuem Flug empor, und eilten davon wie von einem Raubtier aufgescheucht. Da fing's an in seinem Herzen zu arbeiten, die Freude hüpfte in jeder Ader, zuckte und ruckte an jeder Senne. Die Neubegier trieb ihn nach dem Weiher, die Besonnenheit führte ihn in die Grotte zurück. Nach langem Kampfe, behielt die Überlegung, welches bei der Liebe ein seltener Fall ist, endlich die Oberhand. Der schlaue Wicht meinte, es sei ratsam und der Sache förderlich den Schalk zu verbergen, und wenigstens immer klüger, den Heuchler, als den Räuber zu spielen. Er zündete flugs seine Lampe an, deren Schimmer, wie er mit Wahrscheinlichkeit vermutete, den schönen Nachtvogel herbeilocken würde, nahm seinen Rosenkranz zur Hand, setzte sich in die Positur eines Andächtlers und ließ ein Korn vom Paternoster nach dem andern durch die Finger fallen, dabei horchte er scharf auf, ob sich von außen was regen würde.
Der Fund glückte, er hörte ein leises Geräusch gleich einem schüchternen Fußtritt im Sande, der sich zu verraten scheut. Der schalkhafte Klausner verdoppelte seine scheinbare Andacht, da er bemerkte, daß er beobachtet wurde, endigte doch solche bald hernach, erhob sich von dem Betschemel und blickte seitwärts um. Da stund sie da die schöne Gefangene im reinsten weiblichen Harm, mit dem Ausdruck der höchsten Schmerzensgefühle und sanftverschämter stiller Schöne. Bei diesem Anblick schmolz dem empfindsamen Friedbert das Herz in süßer Zärtlichkeit dahin, wie ein Tropfen Wachs von der Flamme der Kerze. Der Ausdruck ihres Kummers war so unnachahmlich schön, daß ihn keine unsrer romantischen Dulderinnen würde nachzukünsteln wissen. Sie eröffnete ihren holdseligen Mund mit ängstlich bittender Gebärde, der jugendliche Eremit vernahm eine melodische Stimme, die seinem Ohr schmeichelte, ohne ein Wort von ihrer Rede zu verstehen; denn die Sprache der Jungfrau war ihm fremd. Indessen erriet er leicht den Inhalt der Worte, die wahrscheinlich eine ängstliche Bitte um die Zurückgabe des geraubten Schleiers enthielten. Allein der Schalk mißverstand mit Vorbedacht ihre Gebärde und bemühte sich nur ihr begreiflich zu machen, sie hab für ihre Tugend in diesem frommen Zufluchtsorte nichts zu fürchten. Er zeigte ihr in einer abgesonderten Felsenkammer ein reinlich zubereitetes Nachtlager, trug ihr die niedlichsten Früchte und Zuckerwerk auf und tat alles was ihm seine Eremitenpolitik eingab, ihr Vertrauen zu erwerben. Doch die berückte Schöne schien darauf nicht zu achten, sie setzte sich in einen Winkel, überließ sich ganz ihrer tiefen Betrübnis, rang und wand die Lilienhände, weinte und schluchzete ohne Aufhören, welches der fromme Friedbert sich also zu Herzen gehen ließ, daß er sich der Tränen gleichfalls nicht erwehren konnte und in diesem weinerlichen Schauspiele seine Rolle so zu seinem Vorteil spielte, daß die schöne Ausländerin aus dieser gutmütigen Mitempfindung ihrer Leiden einigen Trost empfand, den teilnehmenden Menschenfreund von dem Verdachte des Schleierraubes freisprach und in ihrem Herzen ihn diesfalls um Verzeihung bat. Sie wünschte nur ein Mittel zu erfinden, den frommen Gastfreund der Ursache ihres Kummers zu verständigen, da dieser gar nicht zu erraten schien, was sie eigentlich quäle.
Die erste Nacht verging in der Einsiedlergrotte sehr traurig, aber der Morgenröte ist von jeher die Gabe verliehen gewesen, mit ihrem Rosenfinger die nächtlichen Tränen der Leidenden abzuwischen. Friedbert verrichtete bei Aufgang der Sonne seine gewöhnliche Andacht, welches der schönen Fremden wohlgefiel. Sie ließ sich bereden etwas von dem aufgetragenem Frühstück zu kosten, nachher ging sie hinaus, nochmals am Ufer des Weihers den verlornen Schleier aufzusuchen, denn itzt wähnte sie, ein mutwilliger Zephyr habe mit dem leichten Gewebe Schäkerei getrieben und es irgend ins Gesträuche verwehet. Der dienstfertige Friedbert begleitete sie und half ihr treulich suchen, ob er wohl wußte daß das vergebne Mühe war. Der mißlungene Versuch trübte zwar wieder die Stirn der zarten Jungfrau, aber in ihren Adern floß leichtes ätherisches Blut, der Gram schlug in ihrem Herzen so wenig tiefe Wurzel, als der Nachtschatten im Flugsande. Sie fand sich nach und nach in ihr Schicksal, ihr trübes Auge heiterte sich auf wie im Abendglanze die Wolken spielen, sie gewöhnte sich an den Gesellschafter ihrer Einsamkeit, und der Blick ihrer Augen ruhete zuweilen mit Wohlbehagen auf seinen blühenden Wangen. Alles das bemerkte der lauersame Klausner mit innigem Vergnügen, beeiferte sich nur desto mehr diese günstigen Adspekten zu nutzen und durch tausend kleine Aufmerksamkeiten seinen Vorteil zu befördern. Die Liebe hatte sein Gefühl also verfeinert, und ihm einen Tiefblick in das weibliche Herz verliehen, daß sein schlichter flacher Schwabensinn ganz schien umgeschaffen zu sein. Eben diese erfinderische Liebe gab dem Klausnerpaar eine lakonische doch expressive Sprache ein, daß sie sich so verständlich wie Inkle und Yariko miteinander besprechen konnten.
Friedbert hatte lange den Wunsch gehegt zu erfahren aus welcher Zunge, aus welchem Volk und Geschlecht die schöne Unbekannte abstamme, ingleichen in welchem Stand sie geboren sei, um zu prüfen ob die Liebe gleich und gleich gepaaret habe. Als ein unwissender Laie wußte er freilich nicht, daß der kleine Mund der lieblichen Dirne griechische Worte rundete, für ihn war jede Mundart außer der schwäbischen so gut als malabarisch. Durch Hülfe des neuerfundenen Sprachidioms wurde er belehrt, daß das Glück eine griechische Schönheit in sein Netz hatte fallen lassen. Zu Friedberts Zeiten erhitzte zwar noch kein griechisch Ideal die Phantasie deutscher Jünglinge, keinem fiel es ein die Reize seiner Buhlschaft ins Griechische zu übersetzen, ihren griechischen Wuchs zu rühmen, das schönste Verhältnis des weiblichen Körpers zwischen acht und neun Kopfslängen zu setzen, oder das ein griechisches Profil zu nennen, wo die Nasenwurzel mit der Stirn in gerader Linie fortläuft. Das Auge und nicht der Maßstab, der Gefühlssinn und nicht Schulwitz, waren die einzigen Richter der Schönheit, deren Ausspruch für gültig erkannt wurde, und niemand kümmerte sich darum was Griechen oder Ungriechen davon urteilten. Und so empfand Friedbert auch, daß Kalliste schön sei, eh er erfuhr daß sie von griechischer Abkunft war. Aber hoch horchte er auf, da sie ihm kund tat, sie stamme aus fürstlichem Geblüt und sei des Fürsten Zeno und der schönen Zoe von Naxos jüngste Tochter.
»Sage mir Freund Eremit«, fuhr sie fort, »was hat es mit diesem Weiher für eine Bewandtnis, so du darum Wissenschaft hast, und warum mahnte meine Mutter ihre Töchter ab, das mitternächtliche Bad zu besuchen? Hat sie hier irgend ein ähnliches Abenteuer gehabt ihres Schleiers verlustig zu gehen? Sie pflegte uns jährlich nach den Nilquellen zu schicken, ohne uns jemals selbst zu geleiten; denn mein Vater hielt sie aus Eifersucht in strenger Gefangenschaft bis an seinen Tod. Weil sie nun nicht mehr zum Feienbade gelangen konnte, Schönheit und Jugend zu erfrischen, so blühete sie ab, welkte dahin und alterte. Noch lebt sie in ihrem Wittum verschlossen in trübsinniger Einsamkeit, denn wenn Jugend und Schönheit verrauchen, sind für unser Geschlecht die Freuden des Lebens entflohn. Wir lebten unter mütterlicher Aufsicht, vom Hofe unsers Oheims entfernt, der meinem Vater in der Regierung der Zykladen gefolgt war, und sie pflegte sich nie von uns zu trennen, außer die kurze Zeit wenn wir den Feienbrunnen jährlich besuchten. Meine ältern Schwestern lüstete einsmals, einen Flug gegen Mitternacht zu wagen, Jugend und Leichtsinn machte sie der mütterlichen Vermahnung vergessen, sie glaubten daß schwüle Luft und Sonnenbrand in diesen Gegenden ihnen weniger lästig fallen würde, als in den ägyptischen Sandwüsten. Auf diesem Zuge den wir der Mutter sorgfältig verhehlten, begegnete uns nichts Widriges, darum wiederholten wir die Badereise hierher mehrmals, bis ich Unglückliche das Opfer des Vorwitzes meiner Schwestern worden bin. Ach, wo verbirgt sich der feindliche Zauberer, der den badenden Nymphen auflauret, ihnen aus boshafter Schadenfreude den Schleier zu rauben! Banne mir den Ruchlosen, du Heiliger, daß er aus den Lüften heruntertaumele zu meinen Füßen, wenn er in den obern Regionen hauset, oder aus der Erdenkluft heraufsteige in der schauerlichen Mitternachtstunde, wenn er das Licht scheuet, und mir mein Eigentum und Erbe zurückbringe, welches ihm nichts nutzen noch frommen kann.«
Friedbert freuete sich nicht wenig über den Irrtum der reizenden Kalliste, daß sie einem Zauberer den Diebstahl beimaß, und bemühete sich, sie darinne zu erhalten. Er dichtete ein Märchen von einem verwünschten Prinzen, welcher der Sage nach im Schwanenfelde herumtose, und sein boshaftes Vergnügen darin finde, die geflügelten Badegäste zuweilen zu äffen. Zugleich gab er ihr zu verstehen, daß ihm die Gabe Geister zu bannen nicht verliehen sei, daß er aber wohl davon gehört hätte, daß eine gewisse Schwanhilde vor langen Jahren hier auch ihren Schleier verloren, dafür aber einen getreuen Liebhaber gefunden, und unter den Fittigen der Liebe die Werkzeuge zum Flug leicht entbehrt hätte, zumal da ihr die Wunderquelle Jugend und Schönheit zu erhalten, so nahe zur Hand gewesen sei. Die reizende Kalliste fand in dieser Vorstellung viel Beruhigung, nur der Aufenthalt in der Einöde, so viel Annehmlichkeiten die Natur dieser wilden Gegend auch verliehen hatte, schien ihr nicht zu behagen, zum Beweis daß die Empfindsamkeit, die Zwillingsschwester der Liebe, ihr Herz noch nicht befangen hatte: denn ein einsames Tal, eine wüste unbewohnte Insel, ist das eigentliche Elysium empfindsamer Seelen. Der gefällige Klausner vernahm nicht sobald den Wunsch seiner Gastfreundin, so war er bereit die Einsiedelei mit ihr zu verlassen ; doch ließ er sich merken, daß ihn für die Aufopferung, in das Geräusch der Welt zurückzukehren, nichts entschädigen könne, als der Genuß der häuslichen Glückseligkeit in den Armen eines tugendsamen Weibes. Dabei blinzten seine Augen sie so freundlich an, daß sie leicht abmerken konnte wohin das gemeinet sei. Sie schlug die ihrigen errötend nieder, und das tat ihm so wohl und befeuerte seine Hoffnung also, daß er von Stund an zusammenpackte, sich wieder als ein Kriegsmann herausputzte, und mit seiner schönen Gefährtin den Weg nach seiner Heimat nahm.