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Vetter Roland hatte, wie alle Welt weiß, seines Oheims Kaiser Karls Kriege mit Glück und Ruhm geführt und unsterbliche Taten getan, von Dichtern und Romanziern besungen, bis ihm Ganelon der Verräter, bei Ronceval am Fuß der Pyrenäen, den Sieg über die Sarazenen und zugleich das Leben entriß. Was half's dem Helden, daß er den Enakssohn, den Riesen Ferracutus, den hohnsprechenden Syrer aus Goliaths Nachkommenschaft erlegt hatte, da er den Säbelstreichen der Ungläubigen dennoch unterliegen mußte, wogegen ihn sein gutes Schwert Durande diesmal nicht schützen konnte; denn er hatte seine Heldenbahn durchlaufen und befand sich am Ende derselben. Von aller Welt verlassen lag er da unter den Scharen der Erschlagnen, schwer verwundet und von brennendem Durst gequält. In diesem traurigen Zustande nahm er alle Kräfte zusammen und stieß dreimal in sein wundersames Horn, um Karin das verabredete Zeichen zu geben, daß es mit ihm am letzten sei. Obgleich der Kaiser mit seinem Heer acht Meilen weit vom Schlachtfelde kampierte, vernahm er doch den Schall des wunderbaren Horns, hob alsbald die Tafel auf zu großem Verdruß seiner Schranzen, welche eine leckerhafte Pastete witterten, die eben zerlegt wurde, und ließ sein Heer flugs aufbrechen, seinem Neffen zu Hülfe zu eilen, wiewohl es damit zu spät war; denn Roland hatte so gewaltsam intoniert, daß das güldene Horn geborsten war, er hatte sich alle Adern am Halse zersprengt und seinen Heldengeist bereits ausgeatmet. Die Sarazenen aber freueten sich ihres Sieges, und legten ihrem Heerführer den Ehrennamen Malek al Nasser oder des siegreichen Königes bei.
In dem Getümmel der Schlacht waren die Schildknappen und Waffenträger des tapfern Rolands, indem er sich mitten in die feindlichen Geschwader warf, von ihrem Herrn getrennt worden und hatten ihn aus den Augen verloren. Da nun der Held fiel und das mutlose Heer der Franken sein Heil in der Flucht suchte, wurden die mehresten von ihnen in die Pfanne gehauen. Nur dreien gelang es aus dem Haufen durch die Leichtigkeit ihrer Füße dem Tode oder den Sklavenfesseln zu entrinnen. Die drei Unglückskameraden flüchteten tief ins Gebürge, in unbetretene wüste Gegenden, und schaueten nicht rückwärts auf ihrer Flucht; denn sie meinten, der Tod trabe mit raschen Schritten hinter ihnen her. Von Durst und Sonnenbrand ermattet, lagerten sie sich unter eine schattigte Eiche, um da zu rasten, und nachdem sie ein wenig verschnoben hatten, ratschlagten sie zusammen, was sie nun beginnen wollten. Andiol, der Schwertträger, brach zuerst das pythagorische Stillschweigen, welches ihnen die Eile der Flucht und die Furcht vor den Sarazenen auferlegt hatte. »Was Rats Brüder«, frug er, »wie gelangen wir zum Heere, ohne den Ungläubigen in die Hände zu fallen, und welche Straße sollen wir ziehen? Laßt uns einen Versuch machen, durch diese wilden Gebürge zu dringen; jenseits derselben, mein ich, hausen die Franken, die uns sicher ins Lager geleiten werden.« »Dein Anschlag wär gut, Kompan«, versetzte Amarin der Schildhalter, »wenn du uns Adlersfittige gäbest, uns damit über den Wall der schroffen Felsen zu schwingen; aber mit diesen gelähmten Knochen, aus welchen Mangel und Sonnenglut das Mark verzehret hat, werden wir traun nicht diese Zinnen erklimmen, die uns von den Franken scheiden. Laßt uns vorerst eine Quelle aufsuchen, unsern Durst zu löschen und die Kürbisflaschen zu füllen, und hernach ein Wild erlegen, daß wir was zu zehren haben: dann wollen wir wie leichtfüßige Gemsen über die Felsen hüpfen und bald einen Weg zu Karls Heerlager finden.« Sarron, der dritte Knappe, der dem Ritter Roland die Sporen anzulegen pflegte, schüttelte den Kopf und sprach: »Für den Magen, Kamerad, ist dein Rat nicht übel; aber Euer beider Anschlag ist gefahrvoll für den Hals. Meint Ihr, daß es uns Karl Dank wissen würde, wenn wir ohne unsern guten Herrn zurückkehrten, und auch seine köstliche Rüstung, die uns anvertraut war, nicht zurückbrächten? Wenn wir nun an den Teppich seines Throns knieeten und sprächen: ›Held Roland ist gefallen!‹ Und er spräch: ›Viel schlimm ist diese Botschaft; aber wo ist Durande sein gutes Schwert geblieben?‹ Was wolltest du antworten, Andiol? Oder er spräch: ›Knappen, wo habt ihr seinen spiegelblanken stählernen Schild?‹ Was wolltest du darauf sagen, Amarin? Oder er früg nach den goldenen Sporen, die er unserm Herrn anlegte, als er ihn weiland zum Ritter schlug, müßte ich nicht mit Scham verstummen?« »Du erinnerst wohl«, erwiderte Andiol, »dein Verstand ist hell wie Rolands Schild, durchdringend, fein und scharf wie Rolands Schwert. Wir wollen nicht ins Heerlager der Franken zurückkehren; Karl möchte schellig sein und uns lassen Profeß tun im Kloster zu den dürren Brüdern.«
Über diese Konsultationen war die grausenvolle Nacht hereingebrochen; kein Sternlein flimmerte am umnebelten Himmel; kein Lüftgen regte sich. In der weiten Einöde war tiefe Totenstille umher, die nur durch das Krächzen irgend eines Nachtvogels zuweilen unterbrochen wurde. Die drei Flüchtlinge streckten sich unter die Eiche auf den Rasen, und gedachten den bellenden Hunger, welchen das strenge Fasten des langen Tages erregt hatte, durch den Schlaf zu betäuben; aber der Magen ist ein ungestümer Gläubiger, der den Zahlungstermin seiner Intraden nicht gern vierundzwanzig Stunden lang kreditiert. Ihrer Ermüdung ungeachtet gestattete ihnen der Hunger keinen Schlaf, ob sie gleich ihr Wehrgehenke zum Schmachtriemen gebraucht, und sich damit so eng gegürtet hatten als möglich. Indem sie aus Unmut und Langerweile wieder anfingen miteinander zu kosen, erblickten sie durchs Gebüsche ein fernes Lichtlein, das sie anfangs für das Dunstkind salpetrischer schweflicher Dämpfe ansahen. Weil aber das vermeintliche Irrlicht nach einiger Zeit weder den Ort noch den Schein veränderte, faßten sie den Entschluß, die Sache genauer zu untersuchen. Sie verließen ihr Standquartier unter der Eiche, und nachdem sie manche Schwierigkeit überwunden, in der Finsternis über manchen Stein gefallen, und mit dem Kopf gegen manchen Ast angerennt waren, gelangten sie an einen freien Platz vor einer aufrechtsstehenden Felsenwand, wo sie zu ihrer großen Freude einen Kochtopf auf dem Dreifuß über dem Feuer fanden, und die auflodernde Flamme ließ ihnen zugleich den Eingang einer Höhle wahrnehmen, über die sich von oben Efeuranken herabschlangen, und welche durch eine feste Tür verschlossen war. Andiol ging hinzu und pochte an, vermutend, der Bewohner der Höhle möchte irgend ein frommer gastfreier Einsiedler sein. –
Aber er vernahm eine weibliche Stimme von innen, welche frug: »Wer klopft, wer klopft an meinem Hause?« »Gutes Weib«, sprach Andiol, »tut uns auf die Tür zu Eurer Grotte, drei irrende Wandrer harren hier an der Schwelle und verschmachten vor Durst und Hunger.« »Geduld!« antwortete die Stimme von innen, »daß ich vorerst das Haus beschicke und es zum Empfang der Gäste bereite.« Der Horcher an der Tür hörte darauf von innen groß Geräusch, als würde das ganze Haus aufgeräumt und ausgescheuert. Er verzog eine Zeitlang, solang es seine Ungeduld verstattete; als aber die Hausmutter kein Ende finden konnte, ihre Wohnung zu säubern, klopft' er nochmals etwas soldatisch an die Tür und verlangte mit seinen Gefährten eingelassen zu werden. Die vorige Stimme antwortete: »Gemach, ich höre! Laßt mir doch Zeit, meine Dormöse aufzustürzen, daß ich vor den Gästen mich kann sehen lassen. Schüret indessen draußen das Feuer an, daß der Topf wohl siede, und nascht mir nichts von der Brühe.«
Sarron, der in Ritter Rolands Küche immer der Topfgucker gewesen war, hatte aus natürlichem Instinkt sich dieser Funktion, das Feuer zu unterhalten, bereits unterzogen, auch den Topf vorläufig sondiert und eine Entdeckung gemacht, die ihm eben nicht behagte. Denn da er die Stürze aufhob und mit der Fleischgabel zu Boden fuhr, zog er einen stachlichten Igel hervor, dessen Anblick seine Eßlust dergestalt verminderte, daß der Magen von allen ungestümen Forderungen abstund. Er ließ sich aber nichts von dieser Küchenbeobachtung gegen seine Gefährten merken, damit, wenn das Igelragout unter dem Inkognito einer leckerhaften Brühe aufgetischt würde, er ihnen den Appetit nicht verderben möchte. Amarin war vor Müdigkeit eingeschlummert, und hatte beinahe ausgeschlafen, ehe die Bewohnerin der Grotte mit ihrer Toilette fertig war. Wie er erwachte, gesellt' er sich zu dem lärmenden Andiol, der unter heftigen Kontestationen mit der Eignerin der Höhle über den Einlaß kapitulierte. Nachdem endlich alles zur Richtigkeit gebracht war, hatte sie zum Unglück den Hausschlüssel verkramt, und weil sie noch dazu aus großer Eil ihre Lampe umgestoßen hatte, konnte sie solchen nicht wieder finden. Die schmachtenden Wanderer mußten also die ihnen gleich anfangs angepriesene Geduld üben, bis nach langer Pause der Schlüssel gefunden war und die Tür aufgetan wurde. Aber ein neuer Verzug, die Kontenanz der Fremdlinge zu prüfen! Kaum war die Tür halb geöffnet, so sprang eine große schwarze Katze heraus mit feuerfunkelnden Augen: sogleich schlug die Hausmutter die Tür wieder zu und verriegelte sie wohl, schalt und schmähte auf die ungestümen Gäste, die ihre Wohnung verunruhigten und sie um ihr liebes Hausvieh gebracht hätten. »Haschet meinen Kater ein, ihr Wichte«, rief sie von innen, »oder laßt euch nicht einfallen meine Schwelle zu betreten.«
Die drei Kameraden sahn einander ratschlagend an, was sie tun wollten. »Die Hexe!« murmelte Andiol zwischen den Zähnen, »hat sie uns nicht lang genug geäfft, und nun schilt und drohet sie! Soll ein Weib drei Männer narren? Bei Rolands Schatten, das soll sie nicht! Laßt uns die Tür erbrechen und auf gut soldatisch uns hier einquartieren.« Amarin stimmte bei, aber der weise Sarron sprach: »Bedenkt, Brüder, was ihr tut; der Versuch könnt übel ablaufen, ich ahnde hier sonderbare Dinge; lasset uns die Befehle unsrer Wirtin aufs pünktlichste befolgen; wenn unsre Geduld nicht ermüdet: so wird ihre Laune ermüden, uns zu foppen.« Dieser gute Rat wurde angenommen und auf den schwarzen Murner alsbald eine allgemeine Jagd gemacht: aber der war waldein geflohen und in der düstern Nacht nicht ausfindig zu machen. Denn obgleich seine Augen so hell funkelten als die Augen der Lieblingskatze des Petrarca, deren Schimmer dem Dichter zur Lampe diente, ein unsterblich Lied an seine Laura dabei niederzuschreiben: so schien der pyrenäische Murner doch eben die Nucken seiner Domina zu haben, die drei Wanderer zu äffen, und blinzte entweder geflissentlich die Augen zu, oder drehete sie so, daß sie ihn nicht verrieten. Gleichwohl wußt ihm der verschmitzte Sarron beizukommen. Er verstund sich darauf, die Minnesprache des Katzengeschlechts so natürlich zu miaulen, daß der Anachoret im Walde, der sich auf einen Eichbaum geflüchtet hatte, dadurch betrogen wurde, und weil er in der unterirdischen Klause keine andere Gesellschaft genoß, als die seiner Pflegerin und einiger Kellermäuse, mit welchen er sich zuweilen herumtummelte: so vermutete er eine angenehme Gespielin in der Nähe, welcher nachzuspüren er den Baum verließ und den disharmonischen Kanon der nächtlichen Serenade anstimmte, welcher die Schlafenden aus der Ruhe störet und sie antreibt, das Nachtgeschirr auf die lästigen Minnesinger unter dem Kammerfenster auszuleeren.
Sobald sich der queilende Kater durch seine Stimme verriet, war der lauersame Knappe zur Hand, beschlich ihn und brachte den eingehaschten Flüchtling im Triumph an den Eingang der Felsenhöhle, der nun nicht mehr versperret war. Hocherfreut traten die drei Knappen unter Geleitschaft des entflohnen Penaten hinein, begierig die Bekanntschaft der Wirtin zu machen; –
aber bänglich schauderten sie zurück, als sie ein lebendiges Skelett, ein dürres steinaltes Mütterchen erblickten, sie trug einen langen Talar, hielt in der Hand eine Mistelstaude, berührte damit auf eine feierliche Art die Ankömmlinge, indem sie dieselben bewillkommete, und nötigte sie, an einem gedeckten Tische Platz zu nehmen, auf welchem eine frugale Mahlzeit von Milchspeisen, gerösteten Kastanien und frischem Obst aufgetragen war. Es bedurfte keiner Zunötigung, und die hungrigen Gäste fielen wie gierige Wölfe über die Speisen her, und in kurzer Zeit waren die Schüsseln so rein abgeleert, daß keine genäschiche Maus von den Überbleibseln zu sättigen gewesen wär. Sarron tat es in der Eilfertigkeit den Magen zu befriedigen, seinen beiden Spießgesellen zuvor; denn er wähnte noch einen zweiten Gang, wo das Igelragout zum Vorschein kommen würde, welches er seinen Gefährten allein zu überlassen gedachte; doch da die Hausmutter nichts mehr auftrug, glaubt' er, daß sie diesen Leckerbissen für sich selbst aufgesparet habe.
Die Alte war indessen geschäftig, von Matratzen aus spanischer Wolle gewebt ein Nachtlager zu bereiten; aber es war so knapp und schmal, daß unmöglich drei Personen darauf Platz finden konnten. Der Schläfer Amarin machte diese Bemerkung, gab sie der geschäftigen Wirtin zum besten und bat sie, auch den dritten Mann nicht zu vergessen. Die Alte tat ihren zahnlosen Mund auf und sprach lächelnd: »Lieben Kinder, seid unbekümmert, der dritte Mann soll nicht auf der Erde schlafen, ich hab ein breites Bette, darin ist Platz für mich und ihn.« Die drei Gesellen nahmen diese Rede für einen guten Schwank auf, freueten sich, daß das graue Mütterlein noch so bei Laune sei, und belachten den Einfall aus vollem Halse. Der kluge Sarron aber bedachte, daß alte Matronen zuweilen seltsame Schrullen im Kopf haben, untersuchte nicht lang, ob hier gescherzt oder geernstet sei, stellte sich urplötzlich schlaftrunken, taumelte aufs Lager, um sich auf allem Fall in Posseß zu setzen, und ließ es seinen Kameraden über, die Neckerei mit der Wirtin um ihre Bettgenossenschaft fortzusetzen. Die beiden Champions wurden das Stratagem nicht sobald inne, als sie in gleicher Absicht einander das Prävenire zu spielen gedachten, und weil keiner dem andern den Platz einzuräumen willens war, mußte das Faustrecht entscheiden. Die Alte sahe eine Zeitlang ruhig zu, wie sich die Baxer herumzogen, und der schlaue Sarron schnarchte dazu aus allen Kräften. Wie aber der Streit hitzig wurde, und die goldgelben Haarlocken der Wettkämpfer, welche die Sarazenen verschont hatten, den Fußboden bedeckten, ergriff sie den Mistelstengel und berührte damit die beiden Athleten. Da stunden sie starr und steif wie zwei Bildsäulen, waren unvermögend einen Finger zu regen; die Alte aber streichelte mit ihrer kalten dürren Totenhand ihnen freundlich die glühenden Backen und sprach: »Friede, Kinder! blinder Eifer schadet nur, ihr habt alle gleiche Rechte und gleiche Ansprüche auf meine Bettgenossenschaft; nach den Rechten dieses Hauses trifft jeden die Reihe. Laßt mich in eurer Umarmung erwarmen, daß ich mich noch einmal verjünge vor meinem Hinscheiden.« Hierauf löste sie den Zauber der beiden rüstigen Ringer auf, und gebot ihnen, den Schläfer Sarron zu wecken, der aber durch kein Rütteln und Schütteln, auch durch keinen Rippenstoß zu ermuntern war. Die Alte wußte gleichwohl ein Mittel, ihn aus dem scheinbaren Totenschlaf zu erwecken: kaum hatte sie ihn mit der geheimnisvollen Mistel berührt, so fing der Knappe an seltsame Kontorsionen zu machen, krümmt' und wand sich wie ein Wurm auf dem Nachtlager, klagte über heftiges Bauchweh, als plagt' ihn die Kolik von Poitou, und bat die Hausmutter demütig um ein linderndes Klistier. Sie aber hatte flugs eine bewährte Salbe zur Hand, damit hieß sie ihn den Nabel bestreichen, worauf alle Schmerzen bald verschwanden.
Die drei Knappen hätten sich jetzt wohl unter den Eichbaum zurückgewünscht, sie sahen, daß sie einer mächtigen Zauberin in die Hände gefallen waren, die sie auf mancherlei Art trillte und foppte; doch half hier nichts als zum bösen Spiel gute Miene zu machen. »Kinder«, sprach sie, »es ist spat, die kühle Nacht streut Schlummerkörner, das Los mag entscheiden, welcher unter euch heut in meiner Bettkammer rasten soll.« Drauf brachte sie ein Büschel Werg herbei, nahm ein wenig davon, drehete ein Küglein daraus ganz leicht und luftig, stellt' es auf den Tisch und hieß die drei Gesellen gleiches tun, welche auch ohne Widerrede Folge leisteten; der schlaue Sarron aber drehete das seinige so derb und dicht als er konnte. Hierauf nahm die Drude einen fichtenen Span, zündete all die Häuflein an und sprach: »Wer mir zuerst nachfleugt, sei diese Nacht mein Bettgenoß.« –
Die glimmende Asche ihres Häufleins hob sich empor, darauf folgte Andiols und hernach Amarins Häuflein, nur Sarrons Aschenhaufen blieb auf der Tafel zurück, wegen Schwere und Dichtigkeit der Kugel. Darauf umfaßte die Alte ihren Schlafkompan herzhaft, zog ihn zur Kammer hinein, und er folgte ihr schaudernd mit berganstehndem Haar, wie der Dieb dem Schergen zur Leiter am Hochgericht. Es war traun ein harter Strauß für den armen Wicht, neben einem solchen Furchtgerippe zu pernoktieren. Wenn die Alte eine Ninon de l'Enclos gewesen war, die in ihrem höchsten Stufenjahre, nachdem sie neunmal neun Sommer durchlebt hatte, noch so viel Reize besaß, daß ihr Sohn unerkannterweise gegen sie in heißer Liebe entbrannte, so wär das Abenteuer allenfalls noch zu bestehen gewesen. Aber der Zahn der Zeit hatte also an ihrer Gestalt gezehrt, daß das Konterfei der hundertjährigen Jungfer aus den physiognomischen Fragmenten, oder der Hexe zu Endor, nach dem Holzschnitt der Wittenberger Bibelausgabe, gegen ihre Fratze noch immer für Schönheiten gelten konnten. Der Mutter Natur hat es beliebt, die äußersten Grenzlinien der Schönheit und Häßlichkeit in dem weiblichen Körper zu vereinbaren; das höchste Ideal der Schönheit ist ein Weib, und das höchste Ideal der Häßlichkeit ist auch ein Weib, und es ist eine etwas demütigende Bemerkung für stolze Schönen, daß diese beiden Endpunkte gewöhnlich in einer und der nämlichen Person, wiewohl in ganz verschiedenen Epoken, zusammentreffen. Andiols Sultanin stund auf der äußersten Abstufung der Menschengestalt, weit unter der berufenen Baschkirenphysiognomie, und schien das non plus ultra der Häßlichkeit zu sein; ob sie das auch ehemals in Absicht der Schönheit war, ist nicht leicht auszumachen.
Diese einsame Bewohnerin der Pyrenäen hauste hier schon seit verschiedenen Menschenaltern, ihr Leben maß beinahe die Hälfte der Jahre von den zwölf Matronen, welchen irgend eine andächtige Fürstin in der Karwoche die Füße zu waschen pflegt. Sie war die letzte Sprosse aus dem Stamm der Druiden, besaß die ganze Verlassenschaft aller Geheimnisse und Künste der aussterbenden Sippschaft, und stammte in gerader Linie von der berühmten Veleda abAber nach Tacitus' Bericht im 4. Buch seiner Historie, 61. Kap., war die Veleda eine Jungfrau? Antwort: Tut nichts zur Sache, sie war's freilich einmal; aber daß sie sich mit dem Gelübde ewiger Keuschheit belastet hätte, davon sagt Tacitus kein Wort.. die ihrer Großmutter Ältermutter gewesen war. Alle Kräfte der Natur waren ihr Untertan, sie kannte die Wirkung der Kräuter und Wurzeln so gut als die Influenzen der Gestirne, sie wußte köstliche Tinkturen zu bereiten, auch verfertigte sie eine bewährte Wunderessenz, die alles das leistete, was die Schwersche in Altona verspricht, nur mit dem verjüngenden Balsam wollt es ihr nie gelingen, welchen der Marquis d'Aymar, auch Belmar genannt, gegenwärtig in Venedig zu erfragen, endlich zu erkünsteln gewußt hat, und der so wirksam sein soll, daß eine alte Dame, die sich zu stark damit rieb, in den Stand eines Embryo zurück versetzt wurdeTagebuch eines Weltmannes, par Mr. le Comte Max Lamberg.. In der Magie war sie Meisterin, und die geheimnisvolle Mistel der Druiden verwandelte sich in ihrer Hand in den Zauberstab der Circe; nicht minder wußte sie durch angereihete Schlangenaugen Herrengunst und Frauenliebe zu erwecken, wenn die Person, welche dieses kräftige Amulett an sich trug, anders tauglich war, eine erotische Vegetation zu bewirken, denn was die gute Mutter selbst betraf, so blieben die neun Reihen Schlangenaugen, die sie wie Perlenschnuren um den Hals trug, bei ihr selbst unwirksam. Für das belmarsche Rezept hätte sie gern ihre Hausoffizin, nebst den neun Schnuren Schlangenaugen und dem magischen Apparatus vertauscht; aber der Prozeß zu dieser herrlichen Komposition war zu ihrer Zeit noch nicht erfunden, folglich blieb ihr von den zwei Lieblingswünschen der Menschen: lange leben und jung sein, nur der erste erreichbar. In Ermangelung des spezifischen Mittels hielt sie sich, was den zweiten betraf, an ein Surrogat, das eben nicht zu verachten war. Mit der Lauersamkeit einer Spinne saß sie in dem Mittelpunkt ihres magischen Gewebes, und haschte jeden peregrinierenden Weltbürger auf, der sich in ihr Zaubernetz verwickelte. Alle Wanderer, die ihr Territorium betraten, zwang sie zu ihrer Bettgenossenschaft, wenn sie sich zu diesem diätetischen Gebrauch qualifizierten, und eine solche gesellige Nacht verjüngte sie jederzeit um dreißig Jahr; denn nach dem Lehrsatz des Celsus sog ihr ausgetrockneter Körper alle gesunden jugendlichen Exhalationen des rüstigen Schlafgesellen gierig ein. Außerdem verabsäumte sie nie, abends vor Schlafgehen mit Igelfett den alten Pergamenband ihrer Haut wohl zu salben, sie lind und schmeidig zu erhalten, um nicht bei lebendigem Leibe zur Mumie zu werden.
Ohne das Gesetz der Keuschheit weder mit Gedanken, Worten oder Werken im mindesten zu verletzen, hatten die drei Knappen genotdrungen der Alten den verlangten Ehrendienst geleistet, sie hatte sich mit guter Manier neunzig lästige Jahre vom Halse geschafft, ging wieder ganz flink und keck einher, und der kluge Sarron, den seine Schlauheit diesmal nicht von dem Schicksal seiner Konsorten befreiet hatte, machte die Bemerkung, daß die größten Übel mehrenteils nur in der Einbildung bestünden, und daß eine schlecht zugebrachte Nacht nicht mehr Stunden und Minuten zähle als die glücklichste. Da am dritten Tage die neubelebte Alte die drei Bettkonsorten beurlaubte, und sie mit freundlichen Worten förderziehen hieß, trat der Redner Sarron auf und sprach: »Es ist nicht Sitte im Lande, einen Gast unbegabt von sich zu lassen; zudem haben wir einen Dank oder Zehrpfennig von Euch verdient: Ihr habt uns baß getrillt und wohl geplagt um einen Bissen Brot und einen Trunk Wasser. Haben wir nicht das Feuer beim Kochtopf angeschüret wie die Küchenmägde? Haben wir nicht Euren Hausfreund den schwarzen Kater wieder eingehascht, der entsprungen war? Und haben wir Euch nicht an unserm Herz erwarmen lassen, da der Frost des Alters Euer Knochengerippe schüttelte? Was wird uns dafür, daß wir Euch getaglöhnert und hofieret haben?«
Die Mutter Drude schien sich zu bedenken. Sie war nach Gewohnheit alter Matronen zäher Natur, und schenkte nicht leicht etwas weg: gleichwohl hatte sie die drei Wichte in Affektion genommen, und schien geneigt, ihrer Anforderung Gnüge zu leisten. »Laßt sehen«, sprach sie, »ob ich euch mit einer Gabe bedenken kann, dabei sich jeder meiner erinnere.« Sie trippelte darauf in ihre Rumpelkammer, kramte darinnen lange, schloß Kasten auf und Kasten zu, –
und rasselte mit den Schlüsseln, als wenn sie die hundert thebanischen Pforten im Beschluß hätte. Nach langem Verharren kam sie wieder zum Vorschein und trug im Zipfel ihres Kleides etwas verborgen, wendete sich gegen den weisen Sarron und frug: »Wem soll das, was ich in meiner Hand habe?« Er antwortete: »Dem Schwertträger Andiol.« Sie zog hervor einen verrosteten Kupferpfennig und sprach: »Nimm hin und sage mir, wem das soll, was ich mit meiner Hand fasse?« Der Knappe, welcher mit der Spende übel zufrieden war, antwortete trotzig: »Mag's nehmen, wer's will; was kümmert's mich!« Die Drude sprach: »Wer mag's?« Da meldete sich Amarin, der Schildhalter, und empfing ein Tellertüchlein von feinem Trell, sauber gewaschen und geplättet. Sarron stund auf der Lauer und gedachte das beste zu erhaschen: aber er empfing nichts als einen Däumling von einem ledernen Handschuh, und wurde von seinen Kameraden derb ausgelacht.
Die drei Gesellen zogen nun ihrer Straße, nahmen kaltsinnig Abschied, ohne sich für die milden Gaben zu bedanken, oder die Freigebigkeit der kargen Matrone zu rühmen, möchten ihr wohl gar Injurien gesagt haben, wenn sie nicht der Mistelstengel, dessen Kraft sie allerseits erprobt hatten, im Respekt gehalten hätte. Nachdem sie einen Feldweges fortgewandert waren, fing's dem Schwertträger Andiol erst an zu wurmen, daß sie sich in der Drudenhöhle nicht besser bedacht hätten. »Hörtet ihr nicht, Kameraden«, sprach er, »wie die Unholdin in ihrer Rumpelkammer Kasten auf- und zuschloß, um den Plunderkram zusammen zu suchen, womit sie uns gefoppt hat? In ihren Kasten war gewiß Reichtum und Überfluß. Wären wir klug gewesen, so hätten wir getrachtet der Zauberrute, ohne welche sie nichts vermochte, uns zu bemächtigen, wären in die Vorratskammer gedrungen, und hätten, wie's der Kriegsleute Sitte und Brauch ist, Beute gemacht, ohne uns von einem alten Weibe trillen zu lassen.« Der unwillige Knappe perorierte noch lange in diesem Ton, und beschloß damit, daß er den verrosteten Pfennig hervorzog und aus Verdruß von sich warf. Amarin folgte dem Beispiel seines Konsorten, schwenkte das Tellertuch um den Kopf und sprach: »Was soll mir der Lappen in einer Wüste, wo wir nichts zu beißen haben; wenn wir einen wohlbesetzten Tisch finden, wird uns auch kein Träufeltuch fehlen«, überließ es drauf den wehenden Winden, die es einem nahen Dornenstrauch zuweheten, welcher den Minnesold der alten Liebschaft an seinen spitzen Zacken festhielt. Der weitriechende Sarron witterte indes etwas von verborgenen Kräften der verschmäheten Gaben, tadelte die Unbesonnenheit seiner Spießgesellen, die nach dem gemeinen Weltlauf die Dinge nur von der Außenseite beurteilten, ohne den innern Gehalt zu prüfen: aber er predigte tauben Ohren. Dagegen war er auch nicht zu bereden, sich des unansehnlichen Däumlings zu entledigen: vielmehr nahm er durch diese Geschichten Anlaß, ein und den andern Versuch damit anzustellen. Er zog ihn über den Daumen der rechten Hand ohne Wirkung: hierauf wechselte er mit dem Daumen der Linken, und so schlenderten die drei Gefährten noch eine Weile fort. Urplötzlich blieb Amarin stehen und frug verwundernd: »Wo ist Freund Sarron geblieben?« Andiol antwortete: »Laß ihn, der Geizhals wird aufsammeln, was wir weggeworfen haben.« Still und staunend hörte Sarron diese Rede. Es überlief ihn ein kalter Schauer, und er wußte sich in seiner Freude kaum zu mäßigen; denn das Geheimnis des Däumlings war ihm nun enträtselt. Seine Kameraden machten halt, ihn zu erwarten: er aber ging seinen Schritt rüstig fürbaß, und als er einen guten Vorsprung gewonnen hatte, rief er mit lauter Stimme: »Ihr Trägen, was weilet ihr da hinten? wie lange soll ich eurer harren?« Hoch aufhorchend vernahmen die beiden Knappen die Stimme ihres Gefährten vorwärts, den sie weit zurück vermuteten, verdoppelten deshalb ihre Schritte und liefen hastig vor ihm vorüber, ohne ihn zu sehen. Darüber freut' er sich nur noch mehr, weil er nun gewiß war, daß ihm der Däumling die Gabe der Unsichtbarkeit mitgeteilt hatte; und so trillt' er sie wacker, ohne daß sie auf die Ursache dieser Täuschung rieten, ob sie sich gleich weidlich den Kopf darüber zerbrachen. Sie vermeinten, ihr Gefährte sei von einer Felsenwand ins tiefe Tal hinabgegleitet, habe sich den Hals abgestürzt und sein leichter Schatten umschwebe sie nun, ihnen das Valet zuzurufen. Darüber kam ihnen große Furcht an, daß sie Judasschweiß schwitzten.
Seines Spiels endlich müde, versichtbarte sich Sarron wieder, und belehrte die horchsamen Gefährten von der Beschaffenheit des wundersamen Däumlings, schalt ihren Unbedacht, und sie stunden da ganz verbläfft wie die stummen Ölgötzen. Nachdem sie sich von ihrem Hinstaunen erholet hatten, liefen sie spornstreichs zurück, die verschmäheten Gaben der Mutter Drude wieder in Besitz zu nehmen. Amarin jauchzte laut auf, als er schon in der Ferne das Tellertuch am Wipfel des Dornbusches wehen sahe, welcher das anvertraute Gut, obgleich die vier Winde des Himmels um dessen Besitz zu kämpfen schienen, getreuer verwahret hatte als mancher Depositionsschrank das Erbteil der Unmündigen, unter gerichtlichem Schloß und Riegel. Mehr Schwürigkeiten kostete es, den verrosteten Pfennig wieder im Grase aufzufinden; doch Eigennutz und Geldsucht gab dem spähenden Eigentümer Argusaugen; und diente ihm zur Wünschelrute, seine Schritte zu leiten, und den Ort zu treffen, wo der Schatz verborgen lag. Ein hoher Luftsprung und lautes Freudengeschrei verkündete den glücklichen Fund des verrosteten Pfennigs.
Von der langen Promenade war die Reisegesellschaft sehr ermüdet, und suchte den Schatten eines Feldbaums, sich für den drückenden Sonnenstrahlen zu bergen, denn es war hoch Mittag und der Hungerwurm dehnte sich achtzehn Ellen lang durch die leeren Gedärme, und erregte im Grimmdarm unangenehme Empfindungen. Demungeachtet waren die drei Abenteurer frohen Mutes, ihr Herz schwoll von freudiger Hoffnung, und die beiden Gesellen, welche die Kräfte ihrer Wundergaben noch nicht erprobt hatten, stellten damit allerlei Versuche an, solche zu erforschen. Andiol suchte seine wenige Barschaft zusammen, legte dazu den Kupferpfennig und fing an zu zählen, vorwärts, rückwärts, mit der Rechten, mit der Linken, von oben herunter, von unten hinauf, ohne die vermuteten Eigenschaften eines Heckpfennigs zu entdecken. Amarin hatte sich auf die Seite gemacht, knüpfte gar ehrbar sein Tellertuch ins Knopfloch, betete in aller Stille sein Benedicite, tat darauf die beiden Flügeltüren seiner geräumigen Brotpforte weit auf, und erwartete nichts Geringers, als daß ihm eine gebratene Taube in den Mund fliegen würde; –
aber die Prozedur war viel zu links, als daß das magische Tüchlein operieren konnte, darum begab er sich wieder zur Gesellschaft, erwartend, was der Zufall entziffern werde. Die Empfindung des Heißhungers begünstiget zwar eben nicht die frohe Laune; aber wenn die Federkraft der Seele einmal gespannt ist, so erschlafft sie auch nicht gleich von jeder kleinen Wetterveränderung. Bei Amarins Zurückkunft riß ihm Sarron auf eine lustige Art das Tüchlein aus der Hand, breitet' es auf den Rasen unter den Baum und rief: »Heran Gesellen! der Tisch ist gedeckt, bescher uns nun die Kraft des Tellertuchs einen wohlgekochten Schinken darauf und Weißbrot vollauf.« Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so regnete es Raspelsemmeln auf den Laken vom Baume herunter, und zugleich stund eine antike Majolik in Form einer bauchigen Schüssel da mit einem gesottenen Schinken. Hinstaunen und Eßlust malten auf den Gesichtern der hungrigen Tischgenossen einen seltsamen Kontrast, der Instinkt aus dem Magen besiegte jedoch bald die Bewunderung, mit froher Gierigkeit regten sie nun die Kinnbacken, daß man hätte glauben sollen, das taktmäßige Geräusch einer Stampfmühle zu hören, keinem entfiel während der Mahlzeit ein Wort, bis die letzte Fleischfaser von dem Knochen geschälet war.
Der Hunger war bald überflüssig gestillt, nun meldete sich der peinliche Zwillingsbruder desselben, der Durst an, besonders da der Schmecker Sarron die Bemerkung machte, daß der Schinken etwas zu viel Salz gehabt habe. Der ungestüme Andiol bezeigte zuerst seine Unzufriedenheit über die halbe Mahlzeit, wie er sie nennte: »Der mich speist ohne Trank«, sprach er, »dem weiß ich's wenig Dank«, und kannegießerte noch viel über die mangelhafte Wundergabe des Tellertuchs. Amarin, der sein Eigentum nicht wollte heruntersetzen lassen, fand sich durch diese Kritik beleidiget, faßte das Tuch bei den vier Enden, es samt der Schüssel wegzutragen; doch wie er's zusammen nahm, war Schüssel und Schinkenknochen daraus verschwunden. »Bruder«, sprach er zu dem übermütigen Krittler, »wenn du in Zukunft mein Gast sein willst, so nimm mit dem vorlieb, was dir mein Tisch darbeut, und suche für deine durstige Milz eine ergiebige Quelle; was den Trunk betrifft das kommt hier aufs andere Blatt; wo ein Backhaus steht, sagt das Sprichwort, da hat kein Brauhaus Platz.« »Wohlgesprochen!« versetzte der Schlaukopf Sarron, »laß doch sehn, was dein anderes Blatt besagt«, entriß ihm nochmals das Tellertuch und breitet' es links auf die Matten, mit dem Wunsche, daß der dienstbare Geist desselben möchte darauf erscheinen lassen Weinflaschen ohne Zahl, mit dem besten Malvasier gefüllt. Im Umsehen stund eine Majolik da, dem Ansehen nach zum vorigen Service gehörig, als ein Henkelkrug geformt, mit dem herrlichsten Malvasier gefüllt.
Jetzt hätten die glücklichen Knappen beim Genuß des süßen Nektars ihren Zustand nicht mit Kaiser Karls Throne vertauscht, der Wein flutete alle Sorgen des Lebens auf einmal fort, und perlete schäumend in den ehernen Pickelhauben, die sie statt der Pokale gebrauchten. Selbst Andiol der Splitterrichter ließ nun den Talenten des Tellertüchleins Gerechtigkeit widerfahren, und wenn's dem Eigentümer feil gewesen war, so hätt er's flugs um den verrosteten Pfennig und dessen noch unerkannte Meriten eingetauscht, dieser wurd ihm gleichwohl immer werter, und er fühlte jeden Augenblick darnach, um zu erfahren, ob er noch zur Stelle sei. Er zog ihn hervor, das Gepräge zu beschauen, davon die geringste Spur so gar verloschen war, drauf wendet' er ihn um, die Rückseite zu betrachten, das war die rechte Methode, dem Pfennig seine Spenden abzulocken. Wie er auch hier weder Bild noch Überschrift entdeckte und ihn wieder beistecken wollte, fand er unter dem Wunderpfennig ein Goldstück von gleicher Größe und ebenso dick als derselbe, er wiederholte den Versuch noch oftmal unbemerkt, um seiner Sache gewiß zu sein, und fand das Manöver zuverlässig. Mit der ausgelassenen Freude, welche der alte Syrakuser Philosoph empfand, als er im Bade die Wasserprobe des Goldes ausgespähet hatte und aus frohem Unsinn in unverschämter Nacktheit sein ευρεκα durch alle Gassen posaunte, erhob sich Andiol der Schwertträger von seinem Rasensitze, hüpfte mit krummen Bockssprüngen um den Baum und schrie aus voller Kehle: »Kameraden, ich hab's! ich hab's!« und verhehlt' ihnen nicht seinen alchymischen Prozeß. Im ersten Feuer seines freudigen Enthusiasmus bracht' er in Vorschlag, augenblicks die wohltätige Mutter Drude wieder aufzusuchen, die ihre kleinen Neckereien so edelmütig vergütet hatte, sich ihr zu Füßen zu werfen und ihr zu danken. Ein gleichmäßiger Trieb beseelte sie alle, geschwind rafften sie ihre Habseligkeiten zusammen und trabten frisch den Weg zurück, wo sie hergekommen waren. Aber entweder wurden ihre Augen gehalten; oder die Weindünste führten sie irre; oder die Mutter Drude verbarg sich geflissentlich vor ihnen: gnug es war nicht möglich, die Grotte wieder zu finden, ob sie gleich die Pyrenäen fleißig durchkreuzten, und die abenteuerlichen Gebürge schon im Rücken hatten, ehe sie merkten, daß sie irre gegangen wären, und sich auf der Heerstraße nach dem Königreich Leon befänden.
Nach einer gemeinschaftlichen Konsultation wurde beschlossen, diese Marschroute zu verfolgen, und allgemach der Nase weiter nachzugehen. Das glückliche Kleeblatt der Knappen sahe nun wohl, daß sie sich im Besitz der wünschenswertesten Dinge befanden, die, wenn sie nicht geradezu das größte Erdenglück gewährten, doch die Grundlage zu Erreichung jedes Wunsches enthielten. Der alte lederne Däumling, so unscheinbar er war, hatte alle Eigenschaften des berufenen Ringes, welchen Gyges ehemals besaß, der verrostete Pfennig war so gut und brauchbar als der Säckel des Fortunatus, und dem Tellertuch war außer der ursprünglichen Gabe, noch nebenher der Segen jener berühmten Wunderflasche des heiligen Remigius verliehen. Um sich des wechselseitigen Genusses dieser herrlichen Geschenke bedürfenden Falls zu versichern, machten die drei Gesellen einen Bund, sich nie von einander zu trennen, und ihre Güter gemeinschaftlich zu gebrauchen. Indessen rühmte jeder nach der gewöhnlichen Vorliebe für sein Eigentum seine Gabe als die vorzüglichste, bis der weise Sarron bewies, daß sein Däumling alle Vollkommenheiten der übrigen Wunderspenden in sich vereinige. »Mir«, sprach er, »steht in den Häusern der Prasser Küch und Keller offen, ich genieße des Vorrechts der Stubenfliegen, mit dem König aus einer Schüssel zu speisen, ohne daß er mir's wehren kann, auch den Geldkasten der Reichen zu leeren, und selbst die Schätze aus Indostan mir zuzueignen, steht in meiner Macht, wenn ich mich den Weg dahin nicht verdrießen lasse.«
Unter diesen Gesprächen langten sie zu Astorga an, wo König Garsias von Suprarbien Hof hielt, nachdem er mit der Prinzessin Urraca von Aragonien, die ihre Schönheit ebenso berühmt gemacht hat als ihre Koketterie, sich vermählt hatteAlle Prinzessinnen dieses Namens stehen in üblem Rufe. Eine jüngere Urraca, Alfons VI. von Leon Tochter und Erbin, lebte so üppich und unkeusch als eine Messaline, ließ sich von ihrem zweiten Gemahl Alfons von Aragonien unter dem Vorwand der zu nahen Verwandtschaft scheiden, um ihre Buhlerei desto ungestörter fortzusetzen, woraus Mißhelligkeit und Krieg entstund; sie starb in der Geburt eines Bastards. Noch eine jüngere Urraca, Alfons IX. Tochter, brachte ihr verhaßter Name um eine Krone; denn als die französischen Gesandten eine von den aragonischen Prinzessinnen für ihren König zur Gemahlin wählen sollten, zogen sie die häßliche der schönen vor, weil jene Bianca, diese Urraca hieß. . Der Hof war glänzend, und die Königin schien die lebendige Musterkarte ihrer Residenz zu sein, an der man alles, was die Eitelkeit zum Prunk der Damen erfand, übersehen konnte. In den pyrenäischen Wüsteneien waren die Begierden und Leidenschaften der drei Wandrer eng begrenzt und mäßig, sie begnügten sich an der Gabe des Tellertüchleins, wo sie einen schattenreichen Baum fanden breiteten sie es aus und hielten offne Tafel. Sechs Mahlzeiten des Tages waren das wenigste, und es gab keinen Leckerbissen mehr, den sie sich nicht auftischen ließen. Wie sie aber in die Königsstadt einzogen, erwachten in ihrer Brust tobende Leidenschaften, sie machten große Projekte, sich durch ihre Talente vorzustreben, und aus dem Knappenpöbel in den Herrenstand hinauf zu schwingen. Unglücklicherweise sahen sie die schöne Urraca, deren Reize sie so bezauberten, daß sie den Anschlag faßten, bei dieser Prinzessin ihr Heil zu versuchen, um sich für das Abenteuer in der Drudenhöhle zu entschädigen. Sie merkten nicht sobald einander ihre Sympathieen ab, so erwachte in ihren Herzen eine nagende Eifersucht, das Band der Eintracht wurde zerrissen, und wie überhaupt drei Glückliche schwerlich unter einem Dache zusammen hausen können, denn die Eintracht ist die Tochter wechselseitiger Bedürfnisse: so zerfiel die Konföderation mit einemmal, die Erbverbrüderten trennten sich, und gelobten einander nur das einzige, ihr Geheimnis nicht zu verraten.
Andiol setzte, um seinen Nebenbuhlern zuvorzukommen, seinen Taschenprägstock alsbald in Bewegung, verschloß sich in eine einsame Kammer und ermüdete nicht, den kupfernen Pfennig umzuwenden, um den Säckel mit Goldstücken anzufüllen. Sobald er bei Kasse war, staffiert' er sich als ein stattlicher Ritter heraus, erschien bei Hofe, nahm Bestallung, und zog bald durch seine Pracht die Augen von ganz Astorga auf sich. Die Neugierigen forschten nach seiner Herkunft, aber er beobachtete über diesen Punkt ein geheimnisvolles Stillschweigen und ließ die Klügler raten; doch widersprach er nicht dem Gerüchte, welches ihn für einen Sprossen aus Karl des Großen wilder Ehe ausgab, und nennte sich Childerich, den Sohn der Liebe. Die Königin entdeckte vermöge ihres Scharfblicks diesen Trabanten, der in dem Wirbel ihrer Zauberreize seine Bahn beschrieb, mit Vergnügen, und verabsäumte nicht, ihre anziehende Kraft auf ihn wirken zu lassen, und Freund Andiol, dem in den höhern Regionen der Liebe noch alles neu und fremd war, schwamm in dem Strom des Äthers, der ihn fortriß, wie eine leichte Seifenblase dahin. Die Koketterie der schönen Urraca war nicht ganz Temperament oder Stolz, auf den Faden ihrer Eitelkeit nur Herzen anzureihen, um mit dieser blendenden Garnitur, die in den Augen der Damen sonst wohl ihren Wert haben mag, zu paradieren. Der Eigennutz, ihre Paladins zu plündern, und das boshafte Vergnügen, sie hernach zu verhöhnen, hatte an ihren Intriken großen Anteil. Ob sie gleich einen Thron besaß, so strebte sie doch alles zu haben, worauf die Menschen einen Wert legen, wenn sie auch weiter keinen Gebrauch davon zu machen wußte. Ihre Gunst wurde nur um den höchsten Preis verliehen, welchen die betörten Champions darauf zu setzen vermochten; sobald ein verliebter Duns geplündert war, erhielt er mit höhnender Verachtung den Abschied. Von diesen Opfern einer unglücklichen Leidenschaft, die den Honigseim des Genusses mit bitterer Reue vergällte, wußte Frau Fama im ganzen Königreich Suprarbien viel zu erzählen, demungeachtet fehlte es nicht an dummdreisten Motten, die um das verderbliche Licht flogen, in dessen Flamme sie ihren Untergang fanden.