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Zweites Kapitel

Nach Norden

Am 14. März endlich verließen wir um Mittag unter donnerndem Salut die »Fram«. Zum dritten mal hatten wir Lebewohl gesagt und die herzlichsten Glückwünsche ausgetauscht. Einige der an Bord Bleibenden gingen noch eine kleine Strecke mit, doch kehrte Sverdrup bald wieder um, weil er zum Mittagessen um 1 Uhr an Bord sein wollte. Auf dem Gipfel eines Eishügels sagten wir uns Lebewohl; die »Fram« lag hinter uns, und ich erinnere mich noch, daß ich eine Zeit lang stehen blieb und Sverdrup nachblickte, der auf seinen Schneeschuhen gemächlich heimwärts zog. Beinahe hätte ich gewünscht, mit ihm umzukehren, um wieder im gemüthlichen, warmen Salon ausruhen zu können. Ich wußte nur zu gut, daß ein Leben der Plage vor mir liege und daß eine lange Zeit vergehen würde, bis wir wieder unter einem behaglichen Dache schlafen und speisen würden. Daß aber die Zeit so lange dauern sollte, wie sie in Wirklichkeit dauerte, hat damals keiner von uns auch nur geahnt. Wir alle glaubten, daß die Expedition entweder glücken werde und wir dann noch in demselben Jahre heimkehren würden, oder daß sie – nicht glücken werde.

siehe bildunterschrift

Sverdrup. Nansen. Hendriksen. Pettersen. Mogstad. Amundsen. Jacobsen. Scott-Hansen. Juell. Johansen.
Nansen und Johansen verlassen die »Fram« (14. März 1895).

Eine kleine Weile, nachdem Sverdrup uns verlassen hatte, mußte auch Mogstad umkehren. Er hatte bis zum nächsten Tage bei uns zu bleiben beabsichtigt, aber seine schweren Beinkleider aus Wolfsfell waren, wie er sagte, beinahe voll von Schweiß, sodaß er an Bord zurückkehren müsse, um sie am Feuer zu trocknen. Scott-Hansen, Hendriksen und Pettersen waren allein noch bei uns und arbeiteten sich schwitzend, jeder mit seiner Last auf dem Rücken, weiter. Es wurde ihnen sauer genug, auf dem flachen Eise Schritt mit uns zu halten, so schnell kamen wir vorwärts; als wir aber an die Eishügel gelangten, gab es Aufenthalt, da den Schlitten darüber hinweggeholfen werden mußte. An einer Stelle waren die Eisgrate so schlimm, daß wir die Schlitten eine weite Strecke tragen mußten. Nachdem es uns endlich mit vieler Mühe gelungen war, die Hindernisse zu überwinden, schüttelte Peder nachdenklich den Kopf und bemerkte zu Johansen, wir würden noch viel mehr von derselben Art antreffen und genug schwere Arbeit haben, ehe wir so viel von den Lasten aufgegessen hätten, daß die Schlitten leicht laufen würden. In diesem Augenblicke gelangten wir gerade an eine weite Strecke schlechten Eises, und Peder wurde um unsere Zukunft immer besorgter; gegen Abend besserten sich die Verhältnisse aber, sodaß wir rascher vorwärts kamen. Als wir um 6 Uhr halt machten, zeigte der Wegmesser 11 Kilometer, was für das erste Tagewerk nicht gerade schlecht war. Wir verbrachten einen fröhlichen Abend in unserm Zelte, das gerade groß genug war, um uns alle Fünf aufzunehmen. Pettersen, der müde geworden und dem es unterwegs sehr warm geworden war, zitterte und jammerte vor Kälte, während die Hunde angekoppelt und gefüttert wurden und wir das Zelt aufschlugen; er fand den Aufenthalt aber erheblich erträglicher, als er erst in seinen warmen Wolfskleidern im Innern des Zeltes saß und einen Topf dampfender Chocolade vor sich hatte; in der einen Hand ein Stück Butter, in der andern ein Stück Hartbrot haltend, rief er aus: »Nun geht es mir wie einem Prinzen!« Später verarbeitete er längere Zeit den erhebenden Gedanken, daß er hier mitten im Polarmeere in einem Zelte sitze. Armer Bursche! Er hatte so sehr gebeten, daß wir ihn auf diese Expedition mitnehmen möchten; er wolle für uns kochen und sich allgemein nützlich machen, als Klempner wie als Schmied, und dann auch wäre es so gemüthlich, wenn wir zu Dritt beisammen wären. Ich hatte ihm mein Bedauern ausgesprochen, daß ich nicht mehr als einen Gefährten mitnehmen könnte. Er war darob mehrere Tage mit melancholischer Miene umhergegangen; jetzt fand er Trost darin, daß er uns wenigstens einen Theil des Weges begleitet habe und sich jetzt als Wilder auf diesem großen öden Meer befinde, was, wie er sagte, nicht viele Leute von sich behaupten könnten.

Die Kameraden hatten keinen Schlafsack mitgenommen, weshalb sie sich aus Schnee eine behagliche kleine Hütte bauten, in die sie mit ihren Wolfsfellkleidern hineinkrochen und in der sie eine ziemlich gute Nacht verbrachten. Ich war am nächsten Morgen schon früh wach, fand aber, als ich aus dem Zelte kroch, daß vor mir schon jemand auf den Beinen gewesen war, und zwar Peder, der infolge der Kälte erwacht war und nun auf- und abspazierte, um die steif gewordenen Glieder wieder zu erwärmen. Er habe es jetzt versucht, meinte er; nie würde er es für möglich gehalten haben, im Schnee zu schlafen, doch sei es gar nicht so schlimm gewesen. Er wollte nicht recht zugeben, daß ihn gefroren hatte und daß das der Grund war, weshalb er so früh aufgestanden war. Wir nahmen zum letzten mal gemeinsam ein gemüthliches Frühstück ein, dann wurden die Schlitten bereit gehalten und die Hunde angeschirrt; noch ein Händedruck den Kameraden und, ohne daß viel Worte gesprochen worden wären, ging es hinaus in die Einsamkeit.

Peder schüttelte traurig den Kopf, als wir uns in Bewegung setzten; in geringer Entfernung drehte ich mich um und sah ihn oben auf einem Eishügel stehen. Er blickte uns noch immer nach; seine Gedanken waren gewiß trüb; vermuthlich dachte er, er habe zum letzten mal mit uns gesprochen.

Wir fanden große Strecken flachen Eises und kamen daher rasch vorwärts, immer weiter fort von unsern Gefährten, ins Unbekannte hinein, wo wir beide und die Hunde monatelang verlassen umherwandern sollten. Die Takelung der »Fram« war längst hinter dem Rande des Eises verschwunden. Oft kamen wir an aufgethürmte Ketten und unebenes Eis, wo wir den Schlitten weiter helfen und sie zuweilen sogar tragen mußten. Manchmal geschah es auch, daß sie vollständig umstürzten, sodaß wir sie nur durch angestrengtes Heben wieder aufrichten konnten. Etwas erschöpft von dieser schweren Arbeit machten wir um 6 Uhr abends halt, nachdem wir im Laufe des Tages ungefähr 9 Kilometer zurückgelegt hatten.

Das waren nicht gerade die Märsche, auf die ich gerechnet hatte; allein wir hofften, daß die Schlitten allmählich leichter werden und wir besseres Eis zum Fahren finden würden. Letzteres schien anfänglich auch wirklich der Fall zu sein.

Am Sonntag, 17. März, bemerkte ich in meinem Tagebuche:

»Das Eis scheint immer ebener zu werden, je weiter wir nach Norden gelangen; wir kamen gestern jedoch an eine Rinne, die uns zu einem weiten Umweg Aus mehrern Gründen war es nicht rathsam, die Rinnen mit den Kajaks zu kreuzen, solange die Temperatur so niedrig war. Abgesehen davon, daß das Wasser in den Oeffnungen fast immer mit einer mehr oder weniger dicken Eisschicht bedeckt war, würden die Kajaks viel schwerer geworden sein, weil dieselben sich als nicht absolut wasserdicht erwiesen und das eingedrungene Wasser sofort gefroren wäre. Damals hatten wir auch kein Mittel, dieses Eis zu entfernen. zwang. Um 5½ Uhr nachmittags hatten wir ungefähr 9 Kilometer gemacht. Da wir gerade einen guten Lagerplatz erreicht hatten und die Hunde müde waren, so machten wir halt. Niedrigste Temperatur in der Nacht -42,8° C.«

Das Eis wurde während der folgenden Tage fortwährend ebener, sodaß wir an einem Tage oft bis zu 15 Kilometer und mehr zurücklegen konnten. Hin und wieder pflegte ein Unfall vorzukommen, der uns aufhielt; so riß uns z. B. eines Tages eine emporragende scharfe Eisspitze ein Loch in einen Sack mit Fischmehl, sodaß der ganze kostbare Inhalt auslief und wir länger als eine Stunde brauchten, um alles wieder zu sammeln und den Schaden auszubessern. Dann zerbrach der Wegmesser, der sich zwischen unebenem Eise eingeklemmt hatte, und wir hatten mehrere Stunden nöthig, um ihn durch Festbinden wieder zu repariren. Dann aber ging es nach Norden weiter, oft über große, weite Eisflächen, die aussahen, als ob sie sich direct bis zum Pol ausdehnen müßten. Manchmal passirten wir auch Stellen, wo das Eis »ungewöhnlich schwierig war infolge hoher Hügel, sodaß es wie hügeliges schneebedecktes Land aussah«. Es war dies unzweifelhaft sehr altes Eis, welches, auf dem Wege vom Sibirischen Eismeer nach der Ostküste von Grönland begriffen, schon lange Zeit im Polarmeere umhergetrieben war und, Jahr für Jahr schweren Pressungen ausgesetzt, hohe Haufen und Hügel gebildet hatte. Diese waren, wie sie sich bildeten, Sommer für Sommer durch die Sonnenstrahlen abgeschmolzen und im Winter wieder mit tiefen Schneemassen bedeckt worden, sodaß sie jetzt Formen angenommen hatten, welche mehr Eisbergen ähnelten als aufgestautem Meereis.

Mittwoch, 20. März, sagt mein Tagebuch:

»Wieder schönes Wetter zum Reisen mit prächtigen Sonnenuntergängen, aber etwas kalt, namentlich nachts in den Schlafsäcken. (Wir hatten -41° und -42° C.) Das Eis scheint immer ebener zu werden, je weiter wir vordringen; an manchen Stellen ist es, als ob wir auf Inlandeis wären. Wenn das so anhält, wird das Ganze wie ein Tanz gehen.«

An diesem Tage verloren wir unsern Wegmesser, und da wir dies erst einige Zeit nachher entdeckten und ich nicht wußte, wie weit wir vielleicht zurückgehen müßten, hielt ich es nicht der Mühe werth, wieder umzukehren und ihn zu suchen. Dieser Verlust hatte jedoch zur Folge, daß wir fortan die im Laufe des Tages zurückgelegte Entfernung nur schätzen konnten. Am selben Tage hatten wir noch einen Unfall, der darin bestand, daß einer der Hunde – es war »Livjägeren« – so krank geworden war, daß er nicht mehr ziehen konnte und wir ihn frei laufen lassen mußten. Erst spät am Tage entdeckten wir, daß er nicht bei uns war; er war, als wir morgens aufbrachen, auf dem Lagerplatz zurückgeblieben, und ich mußte auf Schneeschuhen zu ihm zurück, wodurch wir einen langen Aufenthalt hatten.

Donnerstag, 21. März. Morgens 9 Uhr -42° C. (Minimum in der Nacht -44° C.). Klar, wie es bisher alle Tage war; wunderschönes, glänzendes Wetter, herrlich zum Marsche, aber nachts etwas kalt; das Quecksilber wie gewöhnlich gefroren. Bei solcher Temperatur im Innern des Zeltes die Finnenschuhe zu flicken, während einem die Nase langsam erfriert, ist durchaus kein Genuß. Aber alles hat einen Uebergang, sagte der Fuchs, da zog man ihm das Fell über die Ohren, und die Tage des Lichts und der Wärme stehen uns ja noch bevor; es geht einem Feste entgegen.

Freitag, 22. März. Herrliches Wetter, um weiter zu kommen; es geht immer besser. Weite Flächen, hin und wieder mit einem durch Pressungen aufgeworfenen Eishügel dabei, aber überall passirbar. Blieben gestern von 11½ Uhr vormittags bis 8½ Uhr abends im Gang und machten hoffentlich unsere 22 Kilometer. Wir müssen auf 85° Breite sein.

Das einzige Unangenehme dabei ist jetzt die Kälte. Unsere Kleidung wird am Tage mehr und mehr zu einem Eispanzer und nachts zu nassen Bandagen, ebenso die wollenen Decken. Der Schlafsack wird von der Feuchtigkeit, welche am Haar im Innern gefriert, immer schwerer. Jeden Tag dasselbe klare, beständige Wetter. Wir sehnen uns jetzt nach einer Veränderung; einige Wolken und etwas mildere Temperatur würden uns höchst willkommen sein. Die Temperatur in der Nacht war -42,7° C. Nach einer Beobachtung, die ich gegen Mittag anstellte, ergab sich unsere Breite für diesen Tag als 85° 9' Nord.

Sonnabend, 23. März. Infolge der Beobachtung, des Festbindens der Lasten auf den Schlitten, des Flickens der Säcke und ähnlicher Beschäftigungen, die bei solch niedriger Temperatur nicht gerade Spaß machen, konnten wir erst 3 Uhr nachmittags den Marsch fortsetzen. Wir hielten aus bis 9 Uhr abends, worauf wir in dem schlimmsten Eis, welches wir in letzter Zeit gehabt haben, halt machten. Unser Tagemarsch hatte uns aber über mehrere große Eisflächen geführt, sodaß ich glaube, daß wir trotzdem ungefähr 15 Kilometer gemacht haben. Wir haben gleichbleibenden, hellen Sonnenschein, jedoch nahm der Nordostwind, den wir in den letzten Tagen gehabt haben, gestern Nachmittag noch zu und machte es uns ziemlich sauer.

Gestern Abend kamen wir über einen zugefrorenen ausgedehnten Tümpel, der fast wie ein großer See aussah. Es konnte noch nicht lange her sein, seitdem derselbe sich gebildet hatte, da das Eis noch ganz dünn war. Es ist wunderbar, daß zu dieser Jahreszeit solche Tümpel entstehen können.

Von hier ab war es mit dem flachen Eise, auf dem das marschiren Freude gemacht hatte, zu Ende, und wir hatten oft mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Am Sonntag, 24. März, schrieb ich:

»Eis nicht so gut. Gestern hatten wir einen schweren Tag, doch kamen wir wol etwas vorwärts; ich fürchte aber, nicht mehr als 11 Kilometer. Das fortwährende Heben der schwerbeladenen Schlitten ist gerade geeignet, dem armen Rücken seine gute Laune zu nehmen; vielleicht kommen aber wieder bessere Zeiten. Die Kälte ist auch fühlbar, immer dieselbe, doch wurde sie gestern noch erhöht durch die Mitwirkung des Windes aus Nordost. Wir machten abends um 8½ Uhr halt. Man merkt deutlich, wie die Tage länger werden und wie viel später die Sonne untergeht; in ein paar Tagen werden wir die Mitternachtssonne haben.

»Gestern Abend tödteten wir Livjägeren; es war ein schweres Stück Arbeit, ihn abzuhäuten.«

»Er war der erste Hund, der getödtet werden mußte; später kamen noch mehrere an die Reihe. Es war die unangenehmste Aufgabe, die wir auf der Reise gehabt haben, besonders zu Anfang, während es so kalt war. Als der erste Hund in Stücke zerschnitten und an die übrigen vertheilt worden war, zogen viele von ihnen vor, die ganze Nacht zu hungern, anstatt das Fleisch anzurühren. Im Laufe der Zeit aber, als sie erschöpfter waren, lernten sie Hundefleisch zu würdigen, obwol wir später nicht einmal mehr so rücksichtsvoll waren, das geschlachtete Thier abzuhäuten, sondern es ihnen mit Haut und Haar vorsetzten.

In den nächsten Tagen war das Eis gelegentlich etwas besser, in der Regel war es aber schlecht, und wir ermüdeten immer mehr von der nie endenden Anstrengung, wenn wir den Hunden helfen und die Schlitten jedesmal, wenn sie umgefallen waren, wieder aufrichten und sie über Hügel und sonstige Unebenheiten des Terrains ziehen oder geradezu hinwegheben mußten. Manchmal waren wir abends so schläfrig, daß uns die Augen zufielen und wir im Gehen einschliefen. Der Kopf sank mir herab, ich schlief, doch plötzlich wachte ich auf, wenn ich auf den Schneeschuhen vornüber stolperte. Sobald wir uns einen Lagerplatz hinter einem Hügel oder einer Eiskette ausgesucht hatten, wo wir etwas Schutz vor dem Winde fanden, pflegten wir halt zu machen. Während Johansen für die Hunde sorgte, sie fütterte u. s. w., fiel es mir gewöhnlich zu, das Zelt aufzurichten, den Kochapparat mit Eis zu füllen, den Brenner anzuzünden und so rasch wie möglich das Abendessen fertig zu machen. Dasselbe bestand in der Regel den einen Tag aus Labskaus von Pemmikan und getrockneten Kartoffeln, den andern aus »Fiskegratin«, das aus Fischmehl, Weizenmehl und Butter bereitet wurde. Am dritten Tage gab es Erbsen-, Bohnen- oder Linsensuppe mit Brot und Pemmikan. Diese Speisen schmeckten alle köstlich. Johansen zog Labskaus vor, während ich im Zweifel war, ob nicht Fiskegratin besser ist; im Laufe der Zeit trat er aber meiner Auffassung bei, sodaß dann das Fiskegratin den Vorzug vor allem andern erhielt.

Sobald Johansen die Hunde versorgt hatte, wurden die verschiedenen Säcke mit den Eßwaaren für Abendessen und Frühstück sowie auch die beiden Säcke In diesen Säcken hatten wir Kleidungsstücke zum Wechseln, wollene Unterkleider, Woll- und andere Handschuhe, Filzkappen, Fußbekleidung, Schneebrillen, Schleier, Tagebücher und verschiedenes anderes. Wir benutzten diese Säcke nachts als Kopfkissen. mit unsern Privatgegenständen hereingebracht; dann wurde der Schlafsack ausgebreitet und die Zeltöffnung sorgfältig verschlossen, worauf wir in den Sack krochen, um unsere Kleider aufzuthauen. Es war das keine sehr angenehme Arbeit. Im Laufe des Tages hatten sich die Ausdünstungen des Körpers nach und nach in der äußern Kleidung verdichtet, die nun eine Eismasse bildete und zu einem richtigen Eispanzer gefror. Er war so hart und steif, daß er, wenn wir ihn nur hätten ausziehen können, allein gestanden hätte; jedesmal, wenn wir uns bewegten, krachte er sehr vernehmlich. Die Kleider waren so steif, daß die Rockärmel während des Marsches in meine Handgelenke eine tiefe Wunde scheuerten; zu einer solchen Wunde am rechten Arme trat der Frost, worauf sie immer tiefer wurde. Ich versuchte, sie mit Binden zu schützen, doch heilte sie erst im Spätsommer; die Narbe werde ich wahrscheinlich mein ganzes Leben behalten. Wenn wir abends in den Schlafsack gekrochen waren, begann die Kleidung langsam aufzuthauen, ein Proceß, bei dem ein beträchtliches Quantum Körperwärme verbraucht wurde. Wir drückten uns im Sack dicht aneinander und lagen dann eine oder anderthalb Stunden mit klappernden Zähnen, ehe wir im Körper etwas Wärme verspürten, nach der wir uns so sehr sehnten. Endlich wurden unsere Kleider naß und schmiegsam, aber nur um morgens, wenige Minuten nachdem wir uns aus dem Sack erhoben hatten, wieder steif zu frieren. Davon, daß wir die Kleider auf der Reise trocken bekommen konnten, solange die Kälte anhielt, war keine Rede, da sich immer mehr Körperfeuchtigkeit darin sammelte. Es war, als lägen wir beständig in einem nassen Umschlag, und nicht gerade spaßhaft war es, diese unsere kalten Sachen auf den armen Leib zu nehmen; aber es war nothwendig, und in diesem Falle kann man viel thun. Dafür hatten wir am Morgen einigermaßen trockene Kleider, und auf diese Weise ging es ganz gut.

Wie waren wir schläfrig, wenn wir vom Frost geschüttelt im Sacke lagen und darauf warteten, daß das Abendessen fertig werden sollte! Ich, der ich der Koch war, mußte mich einigermaßen wach halten, um auf das Kochen aufzupassen; es gelang mir auch zuweilen. Aber oft erwachte ich und fand, daß ich die Speisen viel zu lange hatte kochen lassen. Endlich war das Abendessen fertig und ausgetheilt; es schmeckte immer köstlich. Diese Augenblicke waren die Glanzpunkte, auf die wir uns schon den ganzen Tag freuten. Allein manchmal waren wir so müde, daß uns die Augen zufielen und wir mit dem Löffel auf dem Wege zum Munde einschliefen. Die Hand fiel leblos zurück, und die im Löffel befindliche Speise flog auf den Sack. Nach dem Essen gestatteten wir uns in der Regel den Luxus eines Extra-Trunkes Wasser, so heiß, wie wir es schlucken konnten, in welchem Molkenpulver aufgelöst war. Es schmeckte ähnlich wie gekochte Milch, und wir fanden es wunderbar belebend; es schien uns bis hinab in die Zehenspitzen zu wärmen. Dann pflegten wir wieder tief in den Sack hineinzukriechen, die Klappe über den Köpfen sorgfältig festzuschnallen, uns dicht aneinander zu drängen und bald den Schlaf des Gerechten zu schlafen. Aber selbst in den Träumen marschirten wir unaufhörlich weiter nach Norden, quälten uns mit den Schlitten ab und trieben die Hunde an; oft hörte ich Johansen im Schlafe »Pan«, »Barrabas« oder »Klapperslangen« zurufen: »Willst du vorwärts, du Teufel, du! Prr, prr, ihr Höllenhunde! – Saß, saß! – Hol' euch der Teufel mitsammt den Schlitten!« – bis ich wieder einschlief.

Es schien uns beiden im Schlafsack recht angenehm, sobald wir erst die nöthige Wärme im Leibe hatten; indeß kann es nicht schnell warm geworden sein, denn als ich eines Nachts aufwachte, hatte ich alle Fingerspitzen an beiden Händen erfroren. Die Hunde schlafen draußen im Schnee.

Morgens war ich als Koch gezwungen, zuerst aufzustehen, um das Frühstück zu bereiten, wozu ich eine Stunde Zeit brauchte. In der Regel bestand es den einen Morgen aus Chocolade, Butterbrot und Pemmikan, den andern aus Hafermehlsuppe oder einer Mischung von Mehl, Wasser und Butter, ähnlich unserer heimischen Buttersuppe. Dazu gab es Milch, die aus Molkenpulver und Wasser bereitet war. Sobald das Frühstück fertig war, weckte ich Johansen; dann setzten wir uns aufrecht im Schlafsack hin, breiteten eine der wollenen Decken als Tischtuch aus und machten uns ans Werk. Nachdem wir das Frühstück behaglich verzehrt hatten, schrieben wir ein wenig an unsern Tagebüchern; dann mußten wir an den Aufbruch denken. Aber wie müde waren wir manchmal noch! Wie oft würde ich nicht alles darum gegeben haben, wenn ich wieder in den Sack hätte hineinkriechen und volle 24 Stunden hätte durchschlafen können. Es schien mir, als ob dies der größte Genuß der Welt sein müsse; aber es galt, nach Norden zu kommen, immer nach Norden.

Nachdem wir Toilette gemacht hatten, ging es in die Kälte hinaus, um die Schlitten bereit zu machen, die Zugleinen der Hunde zu entwirren, die Thiere anzuschirren Zu Beginn der Fahrt koppelten wir die Hunde an zwei Drahtseile an; ich befürchtete, sie könnten ausreißen und zur »Fram« zurückkehren. Später ließen wir sie im Geschirr vor den Schlitten liegen, und nur jene, die über Nacht die Zugtaue durchbissen, ließen wir gern los. und uns so rasch wie möglich auf den Weg zu machen. Ach, wie sehnten wir uns in diesen sauern Tagen nach unsern warmen Wolfspelzen, die wir auf der »Fram« gelassen hatten! Wir zogen weiter. Ich ging voraus, um einen Weg durch das unebene Eis zu suchen, dann kam der Schlitten mit meinem Kajak. Die Hunde lernten bald folgen, hielten aber bei jeder Unebenheit des Terrains an; wenn man sie dann nicht durch Zuruf veranlaßte, alle zu gleicher Zeit anzuziehen und so den Schlitten über die Schwierigkeit hinwegzubringen, dann mußte man wieder umkehren, und sie, je nachdem die Umstände es erforderten, peitschen oder ihnen helfen. Johansen folgte mit den beiden andern Schlitten, indem er bald den Hunden zurief, sie müßten ordentlich ziehen, bald sie peitschte, bald selbst mit zog, um die Schlitten über die bösen Eisrücken hinwegzubringen. Es war unleugbar eine Grausamkeit gegen die armen Thiere, an die man sich noch oft mit Abscheu erinnert. Noch jetzt macht es mich schaudern, wenn ich daran denke, wie wir sie mit dicken Eschenstöcken unbarmherzig geschlagen haben, wenn sie, kaum noch im Stande, sich zu bewegen, vor lauter Erschöpfung anhielten. Das Herz blutete einem, wenn man es mit ansehen mußte, aber wir wandten den Blick ab und verhärteten uns. Es war nothwendig. Wir mußten ja vorwärts, und diesem Zwecke gegenüber mußte alles andere zurücktreten. Das ist die traurige Seite von Expeditionen dieser Art, daß man jedes bessere Gefühl systematisch ertödtet, bis nur der hartherzige Egoismus übrig ist. Wenn ich an alle die prächtigen Thiere denke, die, ohne zu murren, für uns gearbeitet haben, solange sie einen Muskel rühren konnten, die niemals Dank, selten ein freundliches Wort dafür bekommen haben, die sich täglich unter der Peitsche krümmten, bis die Zeit kam, daß sie nicht mehr konnten und der Tod sie von ihren Leiden befreite, wenn ich daran denke, wie sie, einer nach dem andern, da oben in den öden Eisfeldern, die Zeugen ihrer Treue und Aufopferung gewesen sind, zurückgelassen worden sind, dann kommen mir Augenblicke bitterer Selbstvorwürfe.

Wir zwei allein brauchten lange Zeit, um abends unser Zelt aufzuschlagen, die Hunde zu füttern, zu schlachten, zu kochen u. s. w. und morgens alles wieder zum Aufbruch zu rüsten und uns selbst marschfertig zu machen, sodaß die Tage uns niemals lang genug erschienen, wenn wir gehörige Tagemärsche machen und außerdem den Schlaf genießen wollten, dessen wir nachts bedurften. Da aber die Nächte heller wurden, brauchten wir uns nicht länger an die Tagesstunden zu halten, sondern konnten aufbrechen, wann es uns gefiel, mochte es Nacht oder Tag sein. Ebenso hielten wir auch an und genossen den Schlaf, der uns und den Hunden nothwendig war, wenn es uns paßte. Ich versuchte Märsche von neun bis zehn Stunden zur Regel zu machen. Um die Mitte des Tages hielten wir gewöhnlich Rast und nahmen etwas Nahrung zu uns, meist Brot und Butter, sowie etwas Pemmikan oder Leberpastete; doch waren diese Mittagessen eine schwere Prüfung. Wir pflegten uns eine gut geschützte Stelle zu suchen und wickelten uns zuweilen sogar in unsere wollenen Decken ein, allein trotzdem schnitt uns der Wind bis auf die Haut, wenn wir auf den Schlitten saßen und unser Mahl einnahmen. Zuweilen breiteten wir unsern Schlafsack auf dem Eise aus, nahmen unser Essen und krochen hinein; aber selbst dann gelang es uns nicht, das Essen oder unsere Kleider aufzuthauen. Wenn die Kälte gar zu stark war, wanderten wir, um uns warm zu halten, auf und ab und aßen im Gehen. Dann kam die nicht weniger unangenehme Aufgabe, die Zugtaue der Hunde zu entwirren, sodaß wir uns freuten, wenn wir uns wieder in Bewegung setzen konnten. Nachmittags pflegte jeder ein Stück Fleischchocolade zu sich zu nehmen.

Die meisten arktischen Reisenden, die Schlittenexpeditionen unternahmen, haben über den sogenannten arktischen Durst geklagt, der stets als ein fast unvermeidliches Uebel bei langen Reisen über Schneefelder betrachtet worden ist und nach dem Essen von Schnee oft noch zugenommen hat. Ich hatte mich daher auf diesen Durst, an dem wir beim Durchqueren von Grönland ebenfalls schwer gelitten hatten, vorbereitet und ein paar Gummifeldflaschen mitgenommen, die wir jeden Morgen aus dem Kochapparat füllten und tagsüber dadurch vor Kälte schützten, daß wir sie auf der Brust trugen. Allein zu meinem großen Erstaunen entdeckte ich bald, daß der ganze Tag hinzugehen pflegte, ohne daß ich das Wasser in meiner Flasche nur einmal versuchte. Je mehr die Zeit verfloß, um so weniger hatte ich das Bedürfniß, am Tage zu trinken, und schließlich gab ich es vollständig auf, Wasser mitzunehmen. Wenn sich vorübergehend das Gefühl des Durstes bemerkbar machte, genügte ein Stückchen Süßwassereis, das jederzeit zu finden war, um den Durst zu vertreiben. Während das Essen von Schnee das erwähnte Durstgefühl steigern und auch in andern Beziehungen unangenehme Folgen haben kann, darf man gern und mit voller Sicherheit Zuflucht zu einem Eisstück nehmen, das bald den Durst stillen wird, namentlich wenn man es eine kleine Weile in der Hand hält, ehe man es in den Mund steckt. Ohne Zweifel haben viele Reisende dieselbe Erfahrung gemacht. Der Grund, weshalb dieses Leiden, das zu den größten Strapazen vieler Schlittenexpeditionen gehört hat, uns erspart geblieben ist, muß in hohem Grade unserm vortrefflichen Kochapparat zugeschrieben werden. Mit dessen Hülfe waren wir bei Verbrauch eines Minimums von Heizmaterial im Stande, uns jeden Morgen so viel Wasser zu schmelzen und zu kochen, daß wir trinken konnten, soviel wir mochten. In der Regel war sogar noch etwas Wasser übrig, das wir wegschütten mußten. Dasselbe war gewöhnlich abends der Fall.

Freitag, 29. März. Wir quälen uns weiter, aber es geht sehr langsam. Das Eis ist nur mittelmäßig, nicht so, wie ich es im Anfange erwartet hatte. Oft kommen schauderhaft aussehende, große aufgethürmte Eisrücken, die uns sehr viel Zeit kosten. Man muß vorausgehen und einen Weg suchen, und muß in der Regel einen größern oder kleinern Umweg machen, um darüber hinwegzukommen. Dazu kommt, daß die Hunde ziemlich langsam und matt werden, sodaß es fast unmöglich ist, mit ihnen weiter zu kommen. Und dabei das endlose Entwirren der steifgefrorenen Zugleinen mit den infernalischen Verdrehungen und Knoten, die zu lösen immer schwieriger wird. Die Hunde springen unaufhörlich über- und durcheinander; kaum hat man die Zugleinen sorgfältig in Ordnung gebracht, so sind sie auch wieder zu einem richtigen Strang zusammengedreht. Dann wird einer der Schlitten durch einen Eisblock zum Stillstand gebracht. Die Hunde heulen vor Ungeduld, weil sie ihren voran befindlichen Gefährten nicht folgen können. Dann beißt einer den Strang durch und rennt nach eigenem Belieben davon, vielleicht gefolgt von einem oder zwei anderen. Sie werden wieder eingefangen, und die Stränge müssen zusammengeknotet werden, da man keine Zeit hat, sie in gehöriger Weise zu splissen, was bei dieser Kälte auch nicht gerade eine angenehme Arbeit ist. So geht es unaufhörlich über das unebene Eis; mindestens alle anderthalb Stunden müssen wir anhalten und die Stränge entwirren.

Gestern brachen wir morgens um 8 Uhr auf und machten nachmittags gegen 5 Uhr halt. Nach dem Mittagessen wurde der Nordostwind, den wir während der ganzen Zeit gehabt haben, plötzlich stärker, und der Himmel überzog sich. Wir heißen dies mit Freuden willkommen, weil wir darin ein Anzeichen einer wahrscheinlichen Aenderung des Windes und der beständigen Kälte und Klarheit erblicken. Ich glaube auch nicht, daß wir uns getäuscht haben. Gestern Abend ist die Temperatur auf -34° C. gestiegen; wir haben im Sack die beste Nacht zugebracht, die wir seit langer Zeit gehabt haben. In diesem Augenblicke, während ich das Frühstück bereite, sehe ich, daß es wieder klar ist und die Sonne durch die Zeltwand scheint.

Das Eis, auf welchem wir uns jetzt befinden, scheint zum größten Theile alt zu sein, jedoch kommen wir auch über Strecken von zuweilen beträchtlicher Breite, die aus unebenem jüngerm Eise bestehen, das schon vor längerer Zeit zusammengeschoben worden sein muß. Ich kann mir das nicht anders erklären als damit, daß es Eis aus großen Teichen sein muß, die sich hier früher einmal gebildet haben. Wir haben mehreremal solche Teiche mit ebener Eisoberfläche überschritten.

An diesem Tage nahm ich eine Mittagshöhe, welche uns jedoch nicht höher als ungefähr 85° 30' nördlicher Breite zeigte. Es war mir dies unbegreiflich; ich hatte gedacht, daß wir ungefähr auf 86° Breite sein müßten, und nahm daher an, daß an der Beobachtung etwas nicht in Ordnung sein müsse.

Sonnabend, 30. März. Gestern war »Tyge Brahe's Dag« (ein Unglückstag). Anfänglich trafen wir viel unebenes Eis und mußten einen großen Umweg machen, um durchzukommen, sodaß unser Tagemarsch kein großes Resultat brachte, obwol wir lange unterwegs waren. Am Ende desselben befanden wir uns aber nach beträchtlicher Mühe auf schönen Flächen mit altem schwerem Eise, ebener als es seit langer Zeit gewesen war. Endlich hatten wir also wieder Eis von der guten alten Sorte getroffen, wenn auch da und dort einige Höcker und Schneewehen waren. Dann wurden wir aber durch einige Rücken der schlimmsten Art, die aus riesigen Eisblöcken aufgethürmt waren, aufgehalten. Der letzte Rücken war der schlimmste von allen, zumal sich vor ihm eine Spalte in dem dicken Eise öffnete. Als der erste Schlitten hinüberzugehen versuchte, fielen sämmtliche Hunde hinein und mußten wieder heraufgezogen werden; die Spalte war wol einige Mannslängen tief. Einer der Hunde, »Klapperslangen«, schlüpfte aus dem Geschirr und rannte davon. Als der nächste Schlitten die Spalte passiren wollte, fiel er vollständig hinein, wurde aber glücklicherweise nicht in Atome zerschmettert. Wir mußten den Schlitten völlig abladen, um ihn wieder heraufzuholen, und dann die Last wieder aufladen, was alles lange Zeit in Anspruch nahm. Dann mußten die Hunde hinuntergeworfen und auf der andern Seite wieder hinaufgezogen werden. Mit dem dritten Schlitten ging es uns besser, und als wir eine kleine Strecke weiter waren, stellte sich auch der flüchtig gegangene Hund wieder ein. Endlich erreichten wir einen Lagerplatz, richteten unser Zelt auf und fanden, daß das Thermometer -43° C. zeigte. Das Entwirren der Hundestränge mit den bloßen Händen, die vor Frost schmerzten und an denen fast keine Haut mehr war, ist bei solcher Kälte eine verzweifelte Arbeit. Endlich befanden wir uns aber in unserm treuen Schlafsack, neben uns Freund »Primus«, als ich fand, daß dieser, um unser Mißgeschick zu krönen, nicht brennen wollte. Ich untersuchte ihn überall, vermochte aber keinen Fehler zu finden, und so mußte denn Johansen wieder aufstehen und Werkzeug und einen Reservebrenner holen, während ich den Kochapparat nachsah. Endlich fand ich, daß etwas Eis unter den Deckel gerathen war. Der von uns benutzte »Primus« besteht aus einem luftdichten Petroleumbehälter, in den Luft mit Hülfe einer kleinen Pumpe gepreßt wird. Dadurch wird Petroleum durch das Rohr zum Brennen in die Höhe getrieben, erhitzt sich an dessen Flamme und wird so in Gas verwandelt, das ausgezeichnet brennt und eine sehr große Hitze entwickelt. Wird der Behälter undicht, so entweicht Luft aus ihm und der zum Aufsteigen des Petroleums nöthige Druck hält nicht an. Solche Fälle waren leicht zu verbessern. Schließlich hatten wir den Apparat in Brand, und um 5 Uhr morgens war die Erbsensuppe fertig, die uns sehr gut mundete. Um 3 Uhr nachmittags stand ich auf, um wieder zu kochen. Gott sei Dank, daß es warm und gemüthlich ist, sonst würde dieses Leben unerträglich sein.

siehe bildunterschrift

Nachtlager auf unserm Wege nach Norden.

Sonntag, 31. März. Gestern endlich trat die lange schon ersehnte Aenderung des Wetters mit südlichem Winde und steigender Temperatur ein. Heute früh zeigte das Thermometer -30° C., was wir als richtigen Sommer begrüßen. Wir machten uns daher erleichterten Herzens auf gutem Eise und mit dem Winde im Rücken auf den Weg, kamen auch in ziemlich scharfem Schritt vorwärts, und alles ließ sich sehr gut an, bis sich plötzlich gerade vor dem ersten Schlitten eine Rinne öffnete. Mit Mühe und Noth gelang es uns, den Schlitten hinüberzubringen, aber als wir die Rinne nochmals kreuzten, um auch die übrigen Schlitten zu holen, brach ein großes Stück Eis Johansen unter den Füßen, sodaß er mit beiden Beinen ins Wasser kam – ein unglücklicher Zwischenfall. Während die Rinne sich immer weiter öffnete, lief ich an derselben auf und nieder, um eine Stelle zum Uebergang zu finden, jedoch vergeblich. Da standen wir nun, ein Mann und ein Schlitten auf der einen, zwei Schlitten und ein durchnäßter Mann auf der andern Seite, und dazwischen eine sich stetig erweiternde Oeffnung. Die Kajaks konnten wir nicht zu Wasser lassen, weil sie infolge des häufigen Umstürzens der Schlitten Löcher bekommen hatten und für den Augenblick nicht zu brauchen waren. Das waren tröstliche Aussichten für die Nacht, ich auf der einen Seite mit dem Zelt, Johansen, vermuthlich steifgefroren, auf der andern! Endlich, nach einem langen Umwege, fand ich einen Uebergang, wo wir die Schlitten hinüberbrachten, doch war es ganz ausgeschlossen, weiter zu gehen, da Johansen's untere Extremitäten eine einzige Eismasse bildeten und seine Windhosen so zerrissen waren, daß sie eine Reparatur nothwendig machten.

Dienstag, 2. April. Auf dieser Reise sind viele Schwierigkeiten verschiedener Art zu überwinden. Die schlimmsten von allen sind aber vielleicht die vielen Kleinigkeiten, die vor dem Aufbruche zu besorgen sind. Obwol ich am Montag Abend schon um 7 Uhr aufgestanden war, um zu kochen, war es doch fast 2 Uhr morgens, ehe wir den Lagerplatz verlassen konnten. Die Last auf Johansen's Schlitten mußte neu befestigt werden, da wir den Inhalt des einen Sackes unter dem Kajak verzehrt hatten und durch einen Sack mit Brot ersetzen mußten; ein anderes von den Bootspolstern mußte zugenäht werden, weil der Pemmikan herausfiel. Dann mußte der Schlitten, dem der Brotsack entnommen war, aufs neue durch Taue befestigt werden, und da wir dieselben doch einmal gelöst hatten, konnten wir gleich auch einen Vorrath Kartoffeln herausnehmen. Wir hatten stets einen Vorrath unserer verschiedenen Lebensmittel in kleinen Beuteln im Innern des Kajak, sodaß wir das, was wir für den täglichen Bedarf brauchten, leicht erreichen konnten, ohne die großen Säcke öffnen zu müssen, die zugenäht oder in anderer Weise sicher geschlossen waren. Bei dieser Beschäftigung entdeckten wir, daß der Sack mit Fischmehl ein Loch bekommen hatte. Kaum hatten wir dieses geflickt, da fanden wir, daß ein weiterer großer Sack genäht werden mußte. Als wir dann den Kartoffelsack verstauten, hatte auch dieser ein Loch, das verstopft werden mußte, und so ging es weiter. Darauf mußten die Hundestränge geordnet werden, die sich wieder zu einem unlöslichen Wirrwarr verschlungen hatten; die Knoten und Verdrehungen des mit Eis bedeckten gefrorenen Tauwerks waren immer schlechter zu lösen. Johansen beeilte sich und wurde mit dem Flicken seiner Beinkleider vor dem Frühstück fertig. Der Südwind war mittlerweile zu dem geworden, was wir an Bord einen »Mühlenwind« genannt haben würden, d. h. er wehte mit einer Geschwindigkeit von 6 bis 7 Meter in der Secunde; mit seiner Hülfe machten wir uns wieder im Schneetreiben auf den Weg. Anfänglich ging alles prächtig; dann aber kam eine Eiskette nach der andern und die nächste immer schlimmer als die vorhergehende. Um 8 oder 9 Uhr morgens hielten wir eine lange Mittagsrast, nachdem wir uns einen geschützten Platz an der Leeseite eines Eisrückens ausgesucht hatten. Wir breiteten den Schlafsack aus und krochen mit unserm Essen hinein; aber ich war so müde, daß ich mit diesem in der Hand einschlief.

Mir träumte, ich sei in Norwegen und besuche bei Fredrikshald Leute, die ich in meinem Leben nur einmal gesehen hatte; sie waren so lieb und freundlich. Es war der erste Weihnachtsfeiertag, und ich wurde in ein großes leeres Zimmer geführt, wo wir zu Mittag speisen sollten. Es war dort so kalt, daß ich zitterte, doch dampften bereits einige heiße Schüsseln auf der Tafel, sowie eine wunderschöne fette Gans. O, wie unsagbar freute ich mich auf die Gans! Dann begannen andere Gäste einzutreffen, durchs Fenster konnte ich sie ankommen sehen; als ich hinausgehen wollte, um sie zu begrüßen, stolperte ich und fiel in tiefen Schnee. Wie das mitten im Speisesaale möglich war, weiß ich nicht. Der Wirth amüsirte sich darüber und lachte – und ich wachte auf und fand mich zitternd vor Kälte in einem Schlafsack auf dem Treibeise im fernen Norden. O, wie elend und unglücklich fühlte ich mich da! Wir standen auf, packten schweigend unsere Sachen zusammen und setzten den Marsch fort; erst um 4 Uhr nachmittags hielten wir an. Doch mir schien alles düster und trostlos, und es dauerte lange, bis ich meine Enttäuschung verwunden hatte. Was würde ich nicht für das Mittagsmahl gegeben haben oder für eine Stunde in jenem Speisesaal, so kalt er auch war! Ach, hier dringt der Wind durch und durch!

Die Eisrücken und die wieder zugefrorenen Rinnen mit zusammengeschobenen Eisblöcken auf beiden Seiten wurden schlimmer und immer schlimmer, und es war eine verzweifelte Arbeit, sich über die neuen Eisgrate einen Weg zu bahnen. Die Schneeschuhe können nicht benutzt werden, weil zwischen den aufgethürmten Eisblöcken zu wenig Schnee liegt, man muß also ohne jene weiter waten. Bei diesem unsichtigen Wetter, wo alles weiß in weiß ist, ist es unmöglich, etwas von den Unebenheiten und Löchern zu sehen, zumal die Zwischenräume zwischen den Eisblöcken mit einer dünnen trügerischen Schneeschicht bedeckt sind, durch welche man in Spalten und Fallgruben hineinstürzt; dabei kann man noch von Glück sagen, wenn man ohne Beinbruch davonkommt. Um einen Weg zu finden, muß man weite Strecken vorausgehen, manchmal in der einen, manchmal in einer andern Richtung suchen, und hat man einen entdeckt, dann heißt es wieder umkehren, um die Schlitten zu holen, sodaß man denselben Weg vielemal machen muß. Als wir gestern halt machten, war ich fast fertig. Das Schlimmste war jedoch, daß wir so lange unterwegs gewesen waren, daß es mittlerweile zum Aufziehen unserer Uhren zu spät geworden war, als wir das Lager aufschlugen. Johansen's Uhr war vollständig stehen geblieben; die meinige tickte und ging glücklicherweise noch, als ich sie aufzog, sodaß sie hoffentlich noch in Ordnung ist. Um 12 Uhr mittags -31,5 C. Klares Wetter, südöstlicher Wind (4 Meter Geschwindigkeit in der Secunde). Das Eis scheint immer schlechter zu werden, und ich beginne zu zweifeln, ob es klug sein wird, den Marsch zu lange nach Norden fortzusetzen.

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Nordwärts durch das Schneetreiben.

Mittwoch, 3. April. Brachen gestern Nachmittag etwa um 3 Uhr auf. Der Schnee war nach dem südöstlichen Winde, der bis spät am Tage anhielt, in allerbestem Zustande, das Eis ziemlich passirbar, und alles sah hoffnungsvoll aus, da das Wetter schön war und wir gute Fortschritte machten. Allein nach mehrern flachen Strecken mit etwas altem höckerigem Eise kamen einige sehr unebene Stellen, die wie gewöhnlich von offenen Wasserläufen durchschnitten und mit Eisrücken besetzt waren. Im Verlaufe der Zeit wurde das Eis nicht besser, und um Mitternacht oder vielmehr heute Morgen wurden wir durch sehr schlechtes Eis und eine neu zugefrorene Rinne aufgehalten, mit so dünnem Eis, daß es uns nicht tragen wollte. Da wir sonst einen sehr weiten Umweg zu machen haben würden, schlugen wir das Lager auf. Hier wurde »Russen« getödtet, der zweite Hund, den das Schicksal ereilte. Das Fleisch wurde in 26 Portionen eingetheilt, jedoch wollten 8 Hunde es nicht fressen, sodaß sie mit Pemmikan gefüttert werden mußten. Das Eis vor uns sieht nicht sehr einladend aus; die Eisketten können einen zur Verzweiflung bringen, und es scheint noch gar keine Aussicht auf eine Besserung der Verhältnisse vorhanden zu sein. Um Mittag stand ich auf, um eine Meridianhöhe zu nehmen, die uns auf 85° 59' nördlicher Breite versetzt. Es ist erstaunlich, daß wir noch nicht weiter gelangt sind; wir quälen uns ab, soviel wir können, aber ohne große Fortschritte zu machen. Ich fange ernstlich zu zweifeln an, ob es rathsam ist, den Marsch noch viel weiter nach Norden fortzusetzen. Nach Franz-Joseph-Land ist es dreimal so weit wie die Distanz, die wir jetzt zurückgelegt haben. Wie mag wol das Eis in jener Richtung sein? Wir können kaum darauf rechnen, daß es besser ist als hier und daß wir schneller vorwärts kommen. Außerdem sind uns Gestalt und Ausdehnung des Landes unbekannt und können uns vielleicht beträchtlichen Aufenthalt bereiten; auch werden wir dort nicht sofort Wild finden können.

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Der Auffindung eines Weges harrend.

Ich habe schon längst eingesehen, daß es unmöglich ist, den Pol selbst oder seine unmittelbare Nachbarschaft auf einem Eise wie dieses und mit diesen Hunden zu erreichen; wenn wir nur mehr von ihnen hätten! Was würde ich jetzt nicht darum geben, wenn ich Olenek-Hunde hätte! Wir müssen umkehren, früher oder später. Aber wäre es, da das doch nur eine Frage der Zeit ist, von größerm Vortheil, wenn wir nach Franz-Joseph-Land zurückkehren, als wenn wir über das Treibeis wandern, das kennen zu lernen wir jetzt Gelegenheit genug gehabt haben? Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es bis zum Pol genau dasselbe sein. Wir können auch nicht hoffen, noch eine erhebliche Strecke höher hinaufzukommen, bevor die Zeit uns zur Umkehr zwingt. Wir sollten wirklich nicht viel länger warten.

12 Uhr Mittag -29,4° C. klares Wetter, Ostwind von 1 Meter Geschwindigkeit; 12 Uhr Mitternacht -34° C., klar und still.

Es wurde mir immer räthselhafter, weshalb wir nicht mehr Fortschritte nach Norden machten. Während des Weitermarsches rechnete ich fortwährend unsere Märsche zusammen, um immer zu demselben Resultat zu kommen, nämlich, daß wir weit über den 86. Breitengrad hinaus sein müßten, vorausgesetzt, daß das Eis stillstände. Es wurde mir jedoch bald klar, daß es sich südwärts bewegte und wir in seiner eigensinnigen Drift, je nach der Willkür von Wind und Strömung, unsern schlimmsten Feind hatten.

Freitag, 5. April. Begannen unsern Marsch gestern um 3 Uhr morgens. Das Eis war jedoch schlecht, mit Rinnen und Rücken, sodaß wir nur geringe Fortschritte machten. Diese Rinnen mit den auf beiden Seiten aufgethürmten Eisblöcken bringen uns zur Verzweiflung; es ist gerade, als ob man über lange mächtige Geröllhalden führe, und verursacht uns fürchterlichen Aufenthalt. Bei jeder verliere ich viel Zeit, zuerst mit dem Wegsuchen, und dann mit dem Durchkommen; dabei fällt man zur Abwechselung vielleicht ins Wasser, wie mir das gestern zweimal passirt ist. Wenn es beim Aufsuchen eines Weges und bei der Leitung meines Schlittens über unebene Stellen für mich schwere Arbeit ist, so ist Johansen mit den beiden Schlitten, auf welche er aufzupassen hat, auch nicht besser daran; es ist ein schwieriges Stück Arbeit, nur einen derselben über die Eisblöcke zu bringen, von den Eisrücken gar nicht zu reden. Aber es steckt ein guter Kern in ihm, und er gibt es niemals auf. Gestern fiel er beim Uebergang über eine Rinne wieder bis über die Knie ins Wasser; ich war kurz vorher auf Schneeschuhen hinübergegangen und hatte nicht bemerkt, daß das Eis schwach war. Er kam mir ohne Schneeschuhe nach und ging neben einem der Schlitten, als plötzlich das Eis nachgab und er einbrach; doch gelang es ihm glücklicherweise, sich an dem Schlitten festzuhalten, und die Hunde, die nicht angehalten hatten, zogen ihn wieder heraus. Ein solches Bad ist kein ganz ungemischtes Vergnügen jetzt, wo keine Möglichkeit vorhanden ist, die Kleider zu trocknen oder zu wechseln; man muß mit einem Eispanzer gehen, bis die Kleider am Körper aufthauen und trocknen, was bei dieser Temperatur nicht so geschwind geht.

Gestern Morgen nahm ich eine Beobachtung zur Bestimmung der Länge und der Mißweisung des Kompasses, und heute habe ich im Sacke den ganzen Vormittag mit Ausrechnen zugebracht, um unsern Ort genau festzustellen. Ich finde, daß unsere Breite gestern 86° 2,8' war. Das ist sehr wenig, aber was sollen wir machen, wenn das Eis so ist, wie wir es getroffen haben? Und die Hunde, die armen Thiere, können auch nicht mehr arbeiten, als sie es thun; täglich seufze ich jetzt nach den Schlittenhunden vom Olenek. Die Länge war gestern 98° 47' 15" Ost, die Mißweisung 44,4°.

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Über einen Eisrücken.

Ich komme mehr und mehr zu der Ansicht, daß wir vor der ursprünglich festgesetzten Zeit Beim Verlassen des Schiffes hatte ich mir vorgenommen, 30 Tage nach Norden zu marschiren, und daher nur für diesen Zeitraum Futter für die Hunde mitgenommen. umkehren müssen. Es sind vermuthlich ungefähr 280 Seemeilen (410 Kilometer) bis Petermann-Land (in Wirklichkeit waren es über 360 Seemeilen [670 Kilometer] bis Kap Fligely), jedoch wird es uns wahrscheinlich die größte Mühe kosten, diese Entfernung zurückzulegen. Die Frage ist nur: sollten wir nicht versuchen, auf jeden Fall 87° nördlicher Breite zu erreichen? Ich bezweifle jedoch, ob es uns gelingen wird, wenn das Eis sich nicht bessert.

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Nichts als Eis.

Sonnabend, 6. April. 2 Uhr morgens -24,2° C. Das Eis wurde immer schlimmer. Gestern brachte es mich fast zur Verzweiflung, und als wir heute Morgen halt machten, war ich beinahe entschlossen, wieder umzukehren. Ich will jedoch noch einen Tag weiter gehen, um zu sehen, ob das Eis nach Norden hin wirklich so schlecht ist, wie es von dem 10 Meter hohen Eisrücken aus, hinter dem wir lagen, aussieht. Gestern haben wir kaum einige Kilometer zurückgelegt. Rinnen, Ketten und rauhes Eis; es sieht aus wie eine endlose Moräne von Eisblöcken; und dabei das unaufhörliche Heben der Schlitten über jede Unebenheit hinweg; es genügte, Riesen zu ermüden. Seltsam ist dieses aufgebrochene Eis; zum größten Theile ist es nicht sehr massiv, sondern sieht aus, als ob es in neuerer Zeit in die Höhe gedrängt worden sei, da es nur theilweise mit dünnem losem Schnee bedeckt ist, in den man plötzlich bis zum Leibe einsinkt. Und so dehnt sich das Eis meilenweit nach Norden aus. Hin und wieder bemerkt man alte Schollen mit Hügeln, die durch die Einwirkung der Sonne oben abgerundet sind und oft aus sehr dickem Eise bestehen.

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Ein Vorstoß auf Schneeschuhen.

Es wird mir immer deutlicher, daß unser Hierbleiben nicht rathsam ist. Wir werden nicht im Stande sein, weiter nach Norden zu kommen, und eine langwierige Arbeit wird es nach Franz-Joseph-Land auch werden. Andererseits werden wir dort unsere Zeit viel besser ausnutzen können, wenn uns überhaupt welche bleibt. 8½ Uhr abends -34° C.

Montag, 8. April. Nein, das Eis wird immer schlechter, und wir kommen nicht weiter; eine Kette folgte der andern, und es gab nichts als Eisblöcke, über die wir fahren mußten. Wir brachen heute Morgen gegen 2 Uhr auf und setzten den Weg, solange wir konnten, fort, wobei wir die Schlitten während der ganzen Zeit fast tragen mußten; schließlich wurde es aber zu arg. Ich war auf Schneeschuhen eine gute Strecke vorausgeeilt, fand aber keine Aussichten für das Vorwärtskommen und erblickte selbst von den höchsten Hügeln überall nur dasselbe Eis, das sich bis an den Horizont ausdehnt. Es war gerade, als ob man über eine endlose Steingeröllfläche schaute. Noch länger dieses zu ertragen, hat wenig Sinn, und wir erreichen wenig. Sollte noch viel solches Eis zwischen hier und Franz-Joseph-Land kommen, so werden wir die Zeit wahrlich dafür brauchen. Ich beschloß daher, umzukehren und unsern Kurs auf Kap Fligely zu richten.

Auf diesem nördlichsten Lagerplatze leisteten wir uns ein großes Festmahl, bestehend aus Labskaus, Brot und Butter, trockener Chocolade, gedämpften Preiselbeeren, nebst heißem Molkentrank. Uebersatt krochen wir in unsern lieben Sack, unsern besten Freund. Ich nahm heute eine Meridianhöhe, aus welcher ich ersehe, daß wir ungefähr auf 86° 10' nördlicher Breite sein mußten. Diese Breite erhielt ich durch rohe Schätzung. Bei genauerer Berechnung stellte sie sich als 86° 13,6' heraus, während die Länge ungefähr 95° Ost war. Die Breite war höher, als wir nach den Beobachtungen der letzten Tage vermuthen konnten; offenbar trieb das Eis nach Norden, wofür wir einige Tage später einen klaren Beweis erhielten. Heute Morgen stellte ich auch eine Beobachtung zur Bestimmung der Länge an. Um 8½ Uhr vormittags -36° C.

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Unser nördlichstes Lager, 86° 13' 36" (8. April 1895).


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