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Vom 22. Juni bis 15. August 1895.
Mit dem Fortschreiten des Frühjahrs nahmen die Störungen im Eise zu, und es bildeten sich in allen Richtungen neue Rinnen und Tümpel. Gleichzeitig trat auch täglich eine Zunahme der Zahl der Seethiere und Vögel um uns herum ein.
In der Nacht zum 22. Juni wurde ich durch die Wache geweckt, die mir meldete, es seien Wale in der Rinne an der Steuerbordseite. Jeder eilte an Deck, wo wir sieben oder acht weibliche Narwale sahen, die in der nahe bei uns befindlichen Rinne ihre Luftsprünge machten. Wir gaben einige Schüsse auf sie ab, die jedoch keine Wirkung auszuüben schienen. Im Laufe des Tages fuhr ich ihnen mit dem Seehundsboot nach, ohne jedoch in Schußweite zu gelangen. Um die Jagd mit Erfolg ausüben zu können, wenn sie, wie wir hofften, uns in Zukunft nochmals einen Besuch abstatten sollten, bereiteten wir zwei Harpunenblasen und einen eichenen Anker vor, die wir am Ende der Harpunenleine befestigten. Sollte der harpunierte Walfisch sich als zu stark für uns erweisen, dann wollten wir den Anker und die Blasen auswerfen; vielleicht würden wir dann, wenn das Schicksal nicht gegen uns wäre, erfolgreich sein.
Wir wünschten sehr dringend, den neuen Apparat zu probiren, und hielten daher scharfen Ausguck nach Walen. Gelegentlich sahen wir einen oder zwei in der Rinne, jedoch verschwanden sie so rasch wieder, daß uns keine Zeit blieb, sie zu verfolgen. Am Abend des 2. Juli hatten wir Aussicht auf eine großartige Jagd. Die Rinne wimmelte von Walen, und wir machten uns rasch zur Verfolgung auf. Allein auch diesmal waren sie so scheu, daß wir nicht an sie herankommen konnten. Einer blieb noch eine Zeit lang in einer kleinen Rinne, die so schmal war, daß man hinüberwerfen konnte. Wir versuchten, uns am Rande entlang hinzuschleichen, aber sobald wir bis auf kurze Entfernung an den Wal gelangt waren, bekam er Wind von uns und schwamm in den großen Kanal hinaus, wo er blieb, sich umhertummelte, sich vier bis fünf Minuten auf den Rücken drehte, den Kopf über Wasser haltend und tüchtig blasend; er verhöhnte uns offenbar. Als wir uns endlich mühsam nach der großen Rinne zurückgearbeitet hatten in der Absicht, ihn bei seinen Vorstellungen etwas zu unterstützen – klatsch, war er weg.
Einige Tage später erhielten wir nochmals den Besuch von einer Bande dieser Schauspieler in einer andern Rinne, die sich ganz nahe bei dem Schiffe neu gebildet hatte. Drei von ihnen hatten lange, schwere Stoßzähne, die sie bald hoch über Wasser zeigten, bald dazu benutzten, ihre Freundinnen auf dem Rücken zu kratzen. Wir rüsteten uns sofort mit Büchsen und Harpunen aus und rannten, so schnell die Beine uns tragen wollten, nach der Rinne hinab; allein noch ehe wir hinkamen, hatten die Thiere die Flucht ergriffen. Es nützte nichts, zu versuchen, in Schußweite dieser scheuen Geschöpfe zu kommen. Wir ließen sie daher fortan meist unbehelligt.
Im Frühjahr 1896 waren wir jedoch einmal nahe daran, einen Narwal zu fangen. Ich war auf die Vogeljagd gegangen und gerade eifrig damit beschäftigt, die geschossenen Vögel aus dem Boote zu nehmen, als plötzlich in der Rinne nahe bei unserm gewöhnlichen Landungsplatze, wo die Harpune mit der Leine zum sofortigen Gebrauch bereit lag, ein Narwal erschien. Ich ergriff rasch die Harpune, jedoch war die aufgeschossene Leine zu kurz, und nachdem ich sie in Ordnung gebracht hatte, tauchte der Wal unter Wasser, gerade als ich ihn zu harpunieren bereit war.
Zu dieser Zeit erschien gelegentlich auch ein großer bärtiger Seehund ( Phoca barbata; wir verfolgten ihn manchmal, aber ohne Erfolg; er war zu scheu.
Auf der Vogeljagd hatten wir mehr Glück, und schon am 7. Juni schossen wir so viele Grilllummen, Möven, Eissturmvögel und Krabbentaucher, daß wir an diesem Tage unsere erste Mahlzeit von frischem Fleisch in diesem Jahre halten konnten. Das Fleisch dieser Vögel wird in der Regel nicht sehr hoch geschätzt; wir aßen es jedoch mit wahrem Wolfshunger und fanden, daß es einen ausgezeichneten Geschmack hatte, besser als das zarteste junge Schneehuhn.
Eines Tages erschienen drei Möven und ließen sich in einiger Entfernung vom Schiffe nieder. Pettersen schoß zweimal nach ihnen, fehlte die Vögel, die aber ruhig auf dem Schnee sitzen blieben und ihn mit hochgespannter Bewunderung betrachteten. Endlich flogen sie davon, begleitet von verschiedenen Segenssprüchen des Jägers, der über sein Unglück, wie er es nannte, erbost war. Die Augenzeugen des Bombardements hatten eine andere Ansicht von dem »Unglück«, und es regneten zahlreiche Scherze auf den armen Burschen herab, als er mit leerer Hand zurückkehrte.
Pettersen wurde jedoch bald ein eifriger Jäger und erklärte, eins der ersten Dinge, welche er nach der Rückkehr thun werde, sei, sich eine Vogelflinte zu kaufen. Er schien als Schütze einiges Talent zu haben, obwol er schwerlich, ehe er an Bord der »Fram« gekommen war, jemals einen Schuß abgefeuert hatte. Wie alle Anfänger mußte er sich eine hübsche Zahl von Fehlschüssen gefallen lassen, ehe er so weit war, daß er das Ziel traf. Allein Uebung macht den Meister, und eines Tages errang er sich als Schütze unsere Achtung, als er thatsächlich einen Vogel im Fluge schoß. Dann aber folgten eine Zeit lang wieder »Unglücksfälle«, sodaß er das Vertrauen auf seine Fähigkeit, das Vogelwild im Fluge zu tödten, verlor und sich für seine Geschicklichkeit weniger hochgesteckte Ziele suchte. Erst lange nachher kam die wirkliche Ursache vieler seiner schlechten Schüsse ans Licht. Ein Schelm, der geglaubt hatte, Pettersen richte zu viel Unheil unter dem Wild an, hatte in der Stille seine Patronen umgeladen, sodaß Pettersen während der ganzen Zeit mit Salz anstatt mit Blei geschossen hatte; das machte natürlich einen kleinen Unterschied.
Außer den genannten Thieren scheinen auch grönländische Haifische auf diesen Breiten vorzukommen. Als Hendriksen eines Tages den Speck von einigen Bärenhäuten entfernen wollte, die er vor ungefähr einer Woche draußen in dem Kanal ins Wasser gehängt hatte, fand er, daß die beiden kleinsten Felle fast vollständig aufgezehrt waren, sodaß nur einige wenige Fetzen übrig waren. Es konnte kaum ein anderes Thier gewesen sein als der grönländische Hai, der uns diesen Streich gespielt hatte. Wir hingen einen großen Haken mit einem Stück Speck aus und versuchten einen von diesen Dieben zu fangen; es nutzte uns aber nichts.
Zu Anfang August waren der Steuermann und Mogstad eines Tages draußen auf dem Eise, um nach dem Kiel des Petroleumboots zu suchen, der dort vergessen worden war. Sie sagten, sie hätten frische Spuren von einem Bären gefunden, der um den Großen Hügel herumgetrottet sei. Es war jetzt schon fast ein Jahr her, seitdem wir zuletzt einen Bären in der Nachbarschaft gehabt hatten, und wir waren daher in sehr gehobener Stimmung über die Aussicht auf eine willkommene Aenderung in unserm Menu. Lange Zeit jedoch hatten wir nichts als nur die Aussicht. Allerdings sah Mogstad bei dem Großen Hügel einen Bären, allein, da derselbe schon zu weit weg war, um mit ihm anzubinden, und auch rasch weiter lief, so wurde er nicht verfolgt. Es verfloß noch ein halbes Jahr, ehe uns wieder ein Bär einen Besuch abstattete, – es geschah dies erst am 28. Februar 1896.
Wie bemerkt, hatte die »Fram« seit der ersten Maiwoche in einer großen Eisscholle eingebettet gelegen, die täglich an Ausdehnung abnahm. In allen Richtungen bildeten sich Risse und entstanden neue Rinnen, oft, um sich schon nach wenigen Stunden wieder zu schließen. Wenn die Ränder des Eises mit fürchterlicher Gewalt gegeneinanderkrachten, wurden alle vorspringenden Spitzen abgebrochen und kleinere Schollen gebildet, die über- und untereinandergeschoben oder zu großen oder kleinen Hügeln aufgethürmt wurden. Diese stürzten, wenn der Druck aufhörte, wieder zusammen und brachen bei ihrem Falle große Schollen ab. Infolge dieser wiederholten Störungen nahmen die Risse in unserer Scholle beständig zu, insbesondere nach einer sehr heftigen Eispressung am 14. Juli, als sich Spalten und Rinnen quer durch die alte Eiskette an Backbord, sowie ganz nahe an der Seite des Schiffes bildeten, sodaß es eine Zeit lang aussah, als ob die »Fram« bald ins Wasser hinabgleiten würde. Für den Augenblick blieb das Schiff zwar in seinem alten Lager, jedoch drehte es sich während all dieser Störungen im Eise häufig nach verschiedenen Richtungen. Der Große Hügel, der seine Entfernung von dem Schiffe beständig vergrößerte, trieb ebenfalls sehr unregelmäßig, sodaß er einmal etwas ab, einmal gerade voraus war.
Am 27. Juli trat eine Pressung im Eise ein, wie wir sie, seitdem wir festgerathen waren, noch nicht erlebt hatten. In jeder Richtung bildeten sich weite Rinnen, und die Scholle, auf welcher die Schmiede sich befand, drehte sich beständig wie in einem Wirbelstrom herum, sodaß wir jeden Augenblick befürchteten, die ganze Werkstatt zu verlieren. Scott-Hansen und Bentsen, die bei der frischen Brise gerade eine Segelfahrt machen wollten, unternahmen es, die Schmiede mit allem Zubehör auf die Scholle zu schaffen, auf welcher wir lagen. Sie nahmen noch zwei Mann zur Hülfe mit, und es gelang ihnen mit vieler Mühe, die Sachen zu bergen. Zur selben Zeit zeigte sich eine heftige Störung im Wasser um das Schiff herum. Die »Fram« drehte sich mit der Scholle, sodaß der Bug bald West ½ Süden anstatt Nordost anlag. Alle Mann waren eifrig beschäftigt, die Gegenstände, die wir auf die Schollen gebracht hatten, auf das Schiff zurückzuschaffen. Es glückte auch, obwol es keine unbedeutende Arbeit und infolge der starken Brise und der heftigen Bewegung der Schollen und Eisblöcke nicht ohne Gefahr für die Boote war. Die Scholle mit den Trümmern der Schmiede wurde in derselben Richtung wie der Große Hügel langsam fortgeführt und diente uns noch längere Zeit als eine Art Bake.
Sie sah in der Ferne wie eine solche aus, da sie auf der Spitze gleichsam mit einer schwarzen Kappe gekrönt war, einem großen eisernen Topfe, der dort das Unterste zu oberst lag. Den Kessel hatte ursprünglich Trontheim gekauft; er war in Chabarowa zugleich mit den Hunden an Bord gekommen und von jenem auf der Reise durch Sibirien zum Kochen des Futters für die Hunde gebraucht worden. Wir pflegten Speck und anderes Hundefutter darin aufzubewahren. Im Laufe seiner langen Dienstzeit hatte der Rost Löcher in den Boden gefressen; wir hatten den Topf daher kassirt und auf den Eisrücken in der Nähe der Schmiede geworfen. Er treibt vielleicht noch heute als Bake im Polarmeer umher, wenn er nicht vielleicht von einer Eskimofrau an der Ostküste von Grönland gefunden und in Besitz genommen worden ist.
Als die Sonne und das milde Wetter ihren Einfluß auf die Oberfläche des Eises und den Schnee ausübten, hob das Schiff sich täglich höher aus seinem Lager, sodaß am 23. Juli an der Backbordseite 3½ Planken von der aus Greenheart bestehenden Eishaut und an der Steuerbordseite 10 Planken freilagen. Am Abend des 8. August barst unsere Scholle an Backbord, und die »Fram« änderte ihre Neigung von 7° nach Backbord auf 1½° nach Steuerbord, wodurch 4 bezw. 2 Planken der Eishaut und 11 Bugeisen frei wurden.
Ich fürchtete, daß die kleine Scholle, auf welcher wir jetzt eingebettet lagen, in der Rinne hinabtreiben könnte, falls das Eis sich noch mehr lockern sollte, und befahl daher dem Steuermann, das Schiff an der Hauptscholle zu vertäuen, wo noch viele von unsern Gegenständen lagen. Der Befehl wurde jedoch nicht schnell genug ausgeführt, und als ich eine halbe Stunde später an Deck kam, trieb die »Fram« bereits den Kanal hinab. Sofort wurden alle Mann an Deck gerufen, und mit vereinten Kräften gelang es uns, das Schiff wieder an die Scholle zu holen und sicher zu vertäuen.
Da wir die »Fram« gern vollständig aus dem Eisbett, in welchem sie so lange gelegen hatte, befreien wollten, beschloß ich, den Versuch zu machen, das Schiff loszusprengen. Am nächsten Tage, 9. August, zündeten wir daher um 7½ Uhr abends eine Mine von ungefähr 3 Kilogramm Schießpulver an, die wir 3 Meter vom Achtersteven unter der Scholle angebracht hatten. Als die Mine explodirte, erhielt das Schiff einen heftigen Stoß, jedoch blieb das Eis anscheinend unzerbrochen. Nunmehr entspann sich eine lebhafte Erörterung über das Sprengen. Die Mehrheit war der Ansicht, daß die Mine nicht kräftig genug gewesen sei; einer behauptete sogar, daß mindestens 20 Kilogramm Pulver hätten verwendet werden müssen, ein anderer fand, man müsse gute Miene zum bösen Spiel machen u.s.w. Aber als wir noch in der Debatte waren, barst die Scholle plötzlich. Aus den Oeffnungen kamen große Eisklumpen unter dem Schiffe herauf, die »Fram« erhielt am Heck einen starken Stoß von unten, hob sich vorn, begann schwer zu rollen, als ob sie die Eisfesseln abschütteln wollte, und sprang dann unter starkem Klatschen hinaus ins Wasser. Dabei hatte sie so viel Fahrt, daß eine der Bugtrossen riß; im übrigen ging der Stapellauf so glatt von statten, wie kein Schiffbauer ihn sich hätte besser wünschen können. Wir vertäuten das Heck an dem Rande des festen Eises mit Eisankern, die wir zu diesem Zwecke kürzlich geschmiedet hatten.
Scott-Hansen und Pettersen waren jedoch sehr nahe daran gewesen, ein kaltes Bad zu nehmen. Nachdem sie die Mine unter der Scholle angebracht hatten, legten sie sich mit dem Prahm dahinter, um die Zündschnur einzuholen. Als die Scholle barst, die »Fram« ins Wasser setzte und der Rest der Scholle, sobald er von seiner Last im Gewicht von 600 Tonnen frei wurde, kenterte, befanden sich die beiden im Boot gerade inmitten des gefährlichen Wirbelstromes von Wasserwogen und Eisstücken in keiner angenehmen Lage; ihre Gesichter, namentlich dasjenige Pettersen's, als das Boot mit ihnen in dem Hexenkessel herumtanzte, mögen sehenswerth gewesen sein.
Das Schiff hatte jetzt eine leichte Neigung nach Steuerbord (¾°) und trieb beträchtlich leichter als vorher auf dem Wasser, da an Steuerbord 3 Eichenplanken, an Backbord noch etwas mehr und vorn 9 Bugeisen frei lagen. Soweit wir sehen konnten, hatte das Schiff keinerlei Schaden gelitten, weder durch die vielen, gelegentlich heftigen Eispressungen, denen es ausgesetzt gewesen war, noch durch seinen Ablauf.
Der einzige Fehler am Schiffe war, daß es noch immer ein wenig leckte, sodaß wir häufig die Pumpen in Thätigkeit setzen mußten. Eine kurze Zeit war es in der That beinahe dicht, was uns glauben ließ, daß das Leck über der Wasserlinie sein müsse, doch fanden wir bald, daß wir uns in dieser Beziehung irren müßten, da das Schiff später mehr Wasser als je vorher zu ziehen begann.
Im übrigen lag das Schiff jetzt sehr gut, mit der Backbordseite an einem ebenen, ziemlich niedrigen Eisrande und einer offenen Rinne an Steuerbord. Letztere schloß sich bald; jedoch blieb noch eine schmale Oeffnung von ungefähr 200 Meter Länge und 120 Meter Breite. Ich wünschte nur, daß der Winter bald kommen möchte, damit wir in dieser günstigen Lage sicher einfrören. Es war jedoch noch zu früh im Jahre dazu, auch waren noch zu viel Pressungen im Eise, um das zu gestatten. Wir mußten noch manchen Kampf durchmachen, ehe die »Fram« sich in ihrem letzten Winterhafen festlegte.
Unsere Drift war in der zweiten Hälfte des Juni und während des größern Theils des Juli im ganzen befriedigend. Ich theile die folgenden Beobachtungen darüber mit:
Datum | Breite | Länge | Windrichtung |
Juni 22. | 84° 32' | 80° 58' | N. |
Juni 27. | 84° 44' | 79° 35' | N. z. O. |
Juni 29. | 84° 33' | 79° 50' | ONO. |
Juli 5. | 84° 48' | 75° 3' | SO. |
Juli 7. | 84° 48' | 74° 7' | WSW. |
Juli 12. | 84° 41' | 76° 20' | WSW. |
Juli 22. | 84° 36' | 72° 56' | NNW. |
Juli 27. | 84° 29' | 73° 49' | SW. z. S. |
Juli 31. | 84° 27' | 76° 10' | SW. |
August 8. | 84° 38' | 77° 36' | NW. |
August 22. | 84° 9' | 78° 47' | SW. |
August 25. | 84° 17' | 79° 2' | O. z. N. |
September 2. | 84° 47' | 77° 17' | SO. |
September 6. | 84° 43' | 79° 52' | SW. |
Wie aus dieser Zusammenstellung ersichtlich ist, kamen in der Driftrichtung nur verhältnißmäßig geringe Abweichungen nach Süden und Norden vor, während diejenigen nach Osten und Westen viel größer waren.
Vom 22. bis zum 29. Juni ging es rasch westwärts, dann im Anfang Juli wieder eine Strecke zurück, darauf ein paar Tage wieder schnell nach Westen, worauf eine rasche Rückdrift bis zum 12. Juli kam. Von diesem Tage bis zum 22. Juli trieben wir wieder tüchtig nach Westen, bis 72° 56'; von da ab herrschte aber die Rückdrift vor, die uns am 6. September auf 79° 52' brachte oder ungefähr dieselbe Länge, von der wir am 29. Juni ausgegangen waren!
Während dieser Periode war das Wetter im ganzen schön und mild. Gelegentlich hatten wir etwas Schneetreiben und nassen Schnee, was uns drinnen zu bleiben zwang. Jedoch ärgerte uns das schlechte Wetter nicht sehr; im Gegentheil, wir warteten eifrig auf Veränderungen, namentlich wenn sie in uns die Hoffnung auf eine tüchtige Drift nach Westen und die Aussicht, bald aus unserm Gefängniß herauszukommen, wieder belebten. Man darf das jedoch nicht so verstehen, als ob wir uns davor fürchteten, vor unserer Heimkehr noch einen weitern Winter im Eise zuzubringen. Wir hatten Proviant genug und was sonst noch nöthig war, um durch weitere zwei oder drei Polarnächte zu kommen, wenn dies nothwendig werden sollte, und wir hatten ein Schiff, zu dem wir im Hinblick auf die vielen Proben, denen es schon unterworfen worden war, das vollste Vertrauen besaßen. Wir waren sämmtlich wohl und gesund und hatten gelernt, uns immer näher aneinander anzuschließen.
Was Nansen und Johansen betraf, so hegte kaum einer von uns ernstliche Befürchtungen; so gefährlich ihre Reise auch war, besorgten wir doch nicht, daß sie den Mühseligkeiten unterwegs unterliegen und verhindert sein würden, Franz-Joseph-Land zu erreichen und, ehe das Jahr zu Ende war, nach Norwegen zurückzukehren. Im Gegentheil, wir freuten uns bei dem Gedanken, daß sie bald zu Hause sein und unsern Lieben erzählen würden, daß bei uns alles in Ordnung sei und alle Aussichten auf unsere Heimkehr im Herbst 1896 vorhanden seien. Es ist jedoch kein Wunder, daß wir ungeduldig wurden und daß Geist und Körper litten, wenn die Drift nur langsam war oder anhaltende Gegenwinde und die Rückdrift es höchst unwahrscheinlich machten, daß wir die Heimat zu der von uns erwarteten Zeit erreichen könnten.
Ferner war der wichtigste Theil unserer Mission bis zu einem gewissen Grade erfüllt. Es war keine Aussicht vorhanden, daß die Drift uns viel weiter nördlich bringen würde, als wir jetzt waren, und was zur Erforschung der Gegenden im Norden geschehen könnte, würde von Nansen und Johansen gethan werden. Unser Zweck war daher, den Instructionen von Dr. Nansen gemäß offenes Wasser und die Heimat auf dem kürzesten Wege und in der sichersten Weise zu erreichen, wobei wir aber alles in unserer Macht Stehende thun sollten, um die bestmöglichen wissenschaftlichen Resultate mit nach Hause zu bringen. Diese Resultate hatten wir, nach unsern Erfahrungen bis zu diesem Punkte zu urtheilen, beinahe schon so gut wie erzielt, indem wir nämlich, während wir nach Westen trieben, festgestellt hatten, daß das Polarmeer seinen Charakter, dieselben Tiefen, dieselben Eisverhältnisse und dieselben Strömungen fast unverändert beibehielt. Keine Inseln, Felsen, Untiefen und noch weniger ein Festland schienen in der Nähe unsers oft unregelmäßigen Kurses zu sein; wohin man blickte, überall dieselbe einförmige und öde, mehr oder weniger zerrissene Eisfläche, die uns festhält und mit sich führt, wir mögen wollen oder nicht. Unsere wissenschaftlichen Beobachtungen wurden ununterbrochen so regelmäßig und genau wie möglich fortgesetzt und umfaßten außer den gewöhnlichen meteorologischen Aufzeichnungen, Lothungen, das Messen der Stärke des Eises, Bestimmung der Länge und Breite, das Messen der Temperatur des Meeres in verschiedenen Tiefen, die Bestimmung des Salzgehalts, das Sammeln von Proben der Meeresfauna, magnetische und elektrische Beobachtungen u. s. w.
Mit dem Steigen der Temperatur wurde die Oberfläche des Schnees täglich schlechter, sodaß sie sich nur selten zu Schneeschuhfahrten eignete; selbst auf Schneereifen war es sehr schwer weiter zu kommen, da der Schnee so weich war, daß wir fast bis an die Knie einsanken. Hin und wieder, selbst noch im Juli, war die Oberfläche einen Tag tauglich, und wir benutzten diese Gelegenheiten zu kurzen Jagd- und ähnlichen Ausflügen. Dann wurde die Schneefläche aber wieder so schlecht wie je, und als ich eines Tages auf das Eis hinaus mußte, um eine angeschossene Möve zu holen, war der Schnee so weich, daß ich oft bis zur Brust einsank. Ehe ich den Vogel erreichen konnte, kam die ganze Meute Hunde herangeschossen, bekam ihn zu fassen und tödtete ihn. Einer der Hunde nahm den Vogel ins Maul, und nun entspann sich ein wilder Wettlauf zwischen ihm und den andern. Endlich kehrte die Meute wieder nach der Rinne im Eise zurück, ich paßte die Gelegenheit ab und riß ihnen den Vogel fort. Die Beute war ziemlich theuer zu stehen gekommen, da ich von der Quälerei durch den bodenlosen Schneesumpf vollständig erschöpft und durch und durch naß war.
Unsere Hauptbeschäftigung war noch immer die Arbeit an den Schlitten und Kajaks. Die Schlitten, die von dem Großen Hügel, wo sie den ganzen Winter gelegen hatten, sämmtlich an Bord gebracht waren, wurden reparirt und mit Kufen versehen. Am 16. Juli befanden sich alle, acht Hand- und zwei Hundeschlitten, in gutem Zustande.
Die Kajaks, an denen wir lange Zeit gearbeitet hatten, waren ungefähr um dieselbe Zeit vollendet. Wir hatten jetzt insgesammt fünf Doppelkajaks und ein Einzelkajak; das letztere hatte ich angefertigt, es wog 16 Kilogramm. Sämmtliche Kajaks wurden in der offenen Rinne probirt und erwiesen sich als fest und wasserdicht. Sowol sie als auch die Schlitten wurden an den Davits aufgehißt, um sie im Falle der Noth jeden Augenblick herablassen zu können.
Das Petroleumboot, das uns in seinem jetzigen Zustande von keinem Nutzen war, wurde von dem Großen Hügel herbeigebracht und auseinandergenommen. Es war aus ausgesuchtem Ulmenholz gebaut; ein paar Planken davon wurden sofort als Kufen für diejenigen Schlitten verwendet, die wegen Mangel an Material noch nicht damit ausgerüstet waren.
Auch die Apotheke, die gleichfalls in dem Depot auf dem Großen Hügel gelegen hatte, wurde herbeigeholt und in einem der Großboote verstaut, das wir auf den Eisrücken ganz nahe dem Schiffe gesetzt hatten. Der Inhalt hatte keinen Schaden genommen, und trotz des Frostes war nichts gesprungen, obwol sich in der Kiste mehrere Arzneien befanden, die nicht mehr als 10 Procent Alkohol enthielten.
Auch mit der Auswahl und dem Abwiegen des Proviants und der Vorräthe für elf Mann und eine siebzigtägige Schlittenreise sowie für einen sechsmonatigen Aufenthalt auf dem Eise waren wir beschäftigt. Welcher Art und von welchem Gewicht dieser Proviant war, ergibt sich aus folgender Zusammenstellung:
Schlittenproviant für 11 Mann auf siebzig Tage
Kilogramm | |
Cadbury-Chocolade, 5 Kisten à 24 Kilogramm | 120 |
Fleisch-Chocolade | 12½ |
Weizenbrot, 16 Kisten à 22 Kilogramm | 352 |
Dänische Butter, 12 Büchsen à 14 Kilogramm | 168 |
Citronensafttafeln | 1 |
Waage's Fischmehl | 25 |
Viking-Kartoffeln, 3 Büchsen à 13 Kilogramm | 39 |
Knorr'sche Erbsensuppe | 2½ |
Knorr'sche Linsensuppe | 2½ |
Knorr'sche Bohnensuppe | 3½ |
Bovril, 2 Kisten | 52 |
Vril-Speise, 1 Kiste | 24 |
Hafermehl, 1 Kiste | 40 |
Molkenpulver, 1 Kiste | 25 |
Aleuronatbrot, 5 Kisten à 25 Kilogramm | 125 |
Pemmikan, 6 Kisten | 170 |
Pemmikan 7 Säcke | 296 |
Leber, 1 Sack | 51 |
_____ | |
Gesammtgewicht: Kilogramm | 1519 |
Außerdem Salz, Pfeffer und Senf. |
Proviant für 11 Mann für einen sechsmonatigen Aufenthalt auf dem Eise.
Als alle Vorräthe vorbereitet und verpackt waren, wurden sie provisorisch an bestimmten festen Stellen auf dem Vorderdeck unter dem Zeltdach verstaut. Ich wollte sie erst später im Jahre oder dann, wenn die Umstände es erforderlich machten, auf das Eis bringen lassen.
An Kohlen hatten wir noch Ueberfluß, ungefähr 100 Tonnen; nach meiner Berechnung würden 20 Tonnen ungefähr für den Verbrauch von sechs Monaten auf dem Eise ausreichen. Wir füllten daher Bütten, Fässer und Säcke mit diesem Quantum und schafften sie auf das Eis, desgleichen auch 700 Kilogramm Kartoffeln in Blechkisten, etwa 200 Liter Petroleum, 350 Liter Gasöl und 150 Liter Theeröl.
Da das Schiff noch immer tief beladen war, wollte ich es soviel wie möglich erleichtern, sofern dies bewerkstelligt werden konnte, ohne irgendwelche von den Vorräthen, die ausgeladen werden mußten, einer Gefahr auszusetzen. Nachdem die abgenutzte Windmühle fortgenommen worden war, hatten wir natürlich auch keine Verwendung mehr für die Batterie und die Dynamomaschine. Wir zerlegten daher den ganzen Apparat in Stücke und packten ihn mit den Lampen, Kugeln und allem sonstigen Zubehör ein. Dasselbe geschah mit dem Petroleummotor. Auch das Göpelwerk wurde auseinandergenommen und nebst einer Partie schwerer Gegenstände auf das Eis gebracht. Das eine Großboot war schon früher ausgesetzt worden; jetzt nahmen wir auch das andere aus den Davits und schafften es nach dem Großen Hügel hinauf. Als dieser aber kurze Zeit darauf eine tüchtige Strecke von uns forttrieb, holten wir das Boot mit allem Uebrigen, was sonst noch auf dem Hügel lag, zurück und schafften es nach der großen Scholle, an welcher wir vertäut lagen – unserm »Gut«, wie wir sie zu nennen pflegten. Oben auf den Davits bis hinter zum Halbdeck stellten wir aus Planken eine Plattform her, wo die Schlitten, Kajaks und andere Gegenstände während des Winters aufbewahrt werden sollten.
Am 22. Juli setzten wir unsere Tiefseelothungen fort und nahmen an diesem Tage zwei derselben vor, die eine bis auf 2500 Meter, die andere bis auf 3000 Meter, ohne in beiden Fällen Grund zu bekommen. Um ganz sicher zu sein, daß die Leine auch untersank, ließen wir sie sehr langsam auslaufen, sodaß wir 2¼ Stunden brauchten, um die Tiefe von 3000 Meter zu erreichen. Am 23. lotheten wir wieder zweimal, das erste mal bis 3400 Meter, ohne Grund zu finden, beim zweiten mal bekamen wir in 3800 Meter Grund. Es dauerte 2½ Stunden, um die Leine bis zur letztern Tiefe hinabzulassen. Endlich nahmen wir am 24. Juli wieder eine Lothung von 3600 Meter vor, ohne Grund zu finden, und schlossen daher auf eine Tiefe von 3700-3800 Meter.
Am 7. Juli ruderte der Doctor mit dem Prahm hinaus, um Algen zu suchen, kam aber mit leeren Händen zurück. In diesem Sommer waren merkwürdig wenig Algen zu finden, auch schien nicht soviel thierisches Leben im Wasser zu sein als im vorigen Jahre.