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Dienstag, 9. April. Gestern machten wir den ersten Marsch heimwärts. Wir erwarteten, dasselbe unpassirbare Eis zu treffen, kamen aber, als wir noch nicht weit gegangen waren, zu unserer Ueberraschung auf ziemlich gutes Terrain, das sich stetig besserte, sodaß wir mit nur geringem Aufenthalt den Weg bis heute Morgen fortsetzten. Wir trafen selbstverständlich auch Eisrücken an, doch ließ es sich immer ziemlich leicht mit diesen fertig werden, sodaß wir gut weiter kamen. Wir brachen gestern gegen 2 Uhr nachmittags auf und blieben bis 1 Uhr morgens unterwegs.
Donnerstag, 11. April. Besser und immer besser. Fanden gestern nichts als schöne ebene Eisstrecken mit wenigen Rücken, die leicht zu überschreiten waren, und einigen Rinnen mit dünnem Eise darauf, die uns etwas mehr Schwierigkeiten bereiteten. Sie liefen jedoch ungefähr in unserer Richtung – unser Kurs ist jetzt mißweisend Süd 22° zu West oder rechtweisend ungefähr Westsüdwest –, sodaß wir an ihnen entlang gehen konnten. Schließlich mußten wir aber den Uebergang unternehmen, der uns bestens gelang, obgleich das Eis sich unter uns und den Schlitten mehr bog, als uns lieb war. Spät am Nachmittage trafen wir vor einer Rinne ein, die wir in derselben Weise zu behandeln beabsichtigten. Mit dem ersten Schlitten erreichten wir ziemlich sicher die andere Seite, nicht aber mit den andern. Kaum hatten die Leithunde des einen Gespanns die gefährliche Stelle erreicht, wo das Eis am dünnsten und etwas Wasser von unten heraufgekommen war, als sie anhielten und vorsichtig die Pfoten ins Wasser tauchten; in demselben Augenblicke brach einer von ihnen ein. Das Wasser umherspritzend quälte er sich ab, um wieder herauszukommen, jedoch begann das Eis jetzt unter dem Gewichte der andern Hunde und des Schlittens zu sinken, sodaß alles vom Wasser überströmt wurde. Ich zog Hunde und Schlitten so rasch wie möglich zurück, wodurch es mir gelang, sie alle sicher und wohlbehalten auf das feste Eis zu bringen. Wir versuchten den Uebergang an einer andern Stelle nochmals, indem ich zuerst auf Schneeschuhen hinüberlief und dann die Hunde lockte, während Johansen nachschob; allein das Resultat war nicht besser als beim ersten mal, da »Suggen« einbrach und wir wieder umkehren mußten. Nach einem weiten Umwege gelang es uns endlich, als wir schon stark ermüdet waren, die beiden Schlitten hinüber zu bringen. Wir fanden auch einen guten Lagerplatz, wo wir die wärmste Nacht und den bequemsten, ja ich möchte fast sagen behaglichsten Morgen verbrachten (beiläufig erwähnt, mit Reparaturen), die wir bisjetzt auf der Reise erlebt hatten. Wir traten den Marsch 5 Uhr morgens an und rasteten hier 6 Uhr nachmittags. Ich glaube, wir haben gestern den weitesten Tagemarsch gemacht, den wir bisher erreicht haben. 2 Uhr nachmittags -27,6° C.
Sonnabend, 13. April. Seit drei Tagen sind wir nur über gutes Eis gekommen; wenn das so weiter geht, werden wir die Rückreise schneller machen, als ich gedacht hatte. Ich begreife diese plötzliche Veränderung des Eises nicht. Sollte es möglich sein, daß wir in derselben Richtung mit den Rücken und Unebenheiten wandern, sodaß wir an ihnen jetzt entlang gehen, anstatt sie zu kreuzen? Die Rinnen, die wir bisjetzt getroffen haben, scheinen darauf hinzudeuten; sie folgen sämmtlich ziemlich genau unserm Kurse. Gestern hatten wir das ärgerliche Pech, daß wir unsere Uhren hatten ablaufen lassen; die Zeit vom Abend vorher, als wir in den Sack gekrochen waren, bis zum Lagern gestern Abend war zu lang gewesen. Selbstverständlich haben wir die Uhren wieder aufgezogen; das Einzige aber, was ich jetzt thun kann, um die mittlere Greenwicher Zeit zu finden, ist, eine Zeitbestimmung und eine Breitenbeobachtung anzustellen und dann die Entfernung von unserm Wendepunkt am 8. April, wo ich die letzte Beobachtung zur Längenbestimmung vorgenommen habe, annähernd zu schätzen. Bei diesem Verfahren kann der Fehler kaum groß sein. Ich war übrigens stolz darauf, daß wir unsere Uhren controliren und Greenwicher Zeit aus Monddistanzen erhalten konnten. Als ich aber Beobachtungen anstellen wollte, stellte sich heraus, daß die zum Ausrechnen nothwendigen Tabellen an Bord der »Fram« gelassen worden waren.
Ich nehme an, daß wir im Durchschnitt der letzten drei Tage täglich nicht weniger als 22 Kilometer gemacht und infolge dessen 67 Kilometer in der Richtung Süd 22° West (mißweisend) zurückgelegt haben. Als wir gestern hier halt machten, wurde »Barbara« getödtet; das Schlachten ist keine sehr angenehme Episode. Klares Wetter; um 6½ Uhr morgens -30° C.; Wind Süd mit 2-3 Meter Geschwindigkeit.
14. April, Ostersonntag. Gestern hatten wir mit den Rinnen Unglück; sie drängten uns beträchtlich aus unserm Kurse. Schließlich wurden wir durch eine besonders unangenehme aufgehalten. Nachdem ich vergeblich eine Strecke weit an derselben entlang gegangen war, ohne eine Stelle zum Uebergang zu finden, hielt ich es unter den gegebenen Verhältnissen für am besten, unser Zelt aufzuschlagen und den Abend vor Ostern festlich zu begehen. Außerdem wollte ich unsere Breite und Länge sowie die Zeitbestimmung und die Mißweisung ausrechnen, da es uns von Wichtigkeit war, so rasch wie möglich die richtige Zeit wieder zu erhalten. Nachdem das Zelt aufgeschlagen war, kroch ich in den Sack, während Johansen für die Hunde sorgte; indeß ist es, selbst wenn die Temperatur höher als -30° C. ist, nicht sehr angenehm, in einem gefrorenen Sacke die gefrorenen Kleider und Schuhe aufzuthauen und gleichzeitig die Beobachtungen auszurechnen und mit den schmerzenden, vom Frost erstarrten Fingern Logarithmen aufzuschlagen. Das ist ein sehr langsames Stück Arbeit, sodaß ich den Ostersonntag für die übrigen Berechnungen verwenden muß, und wir nicht vor heute Abend werden weiter ziehen können. Wir haben jedoch den Abend gemächlich bei folgendem Mahle gefeiert: heißes Molkenwasser, Fiskegratin, gedämpfte Preißelbeeren und Citronensaft-Grog, d. h. Citronensaft-Tafeln und etwas Zucker in heißem Wasser aufgelöst. Ein geradezu herrliches Diner. Nachdem wir uns gehörig vollgeschmaust hatten, krochen wir endlich um 2 Uhr unter die Decken.
Ich habe unsere frühern Breiten und Längen nochmals nachgerechnet, um zu sehen, ob ich einen Fehler darin entdecken könnte. Ich finde, daß wir gestern nicht südlicher gekommen sein müssen als 86° 5,3', während wir nach unserer Rechnung, unter der Voraussetzung, daß wir in den letzten drei Tagen 67 Kilometer zurückgelegt haben, bis auf 85° und einige 50 Minuten gekommen sein würden. Ich kann mir das auf keine andere Weise erklären, als daß wir infolge des in den letzten Tagen gehabten südlichen Windes rasch nach Norden getrieben sind, was für die »Fram« sehr gut sein würde, während es dies für uns jetzt gerade nicht ist. Ich nehme an, daß wir uns jetzt auf 86° östlicher Länge befinden und habe nach dieser Länge unsere richtige Uhrzeit ausgerechnet. Ich war überzeugt, daß wir diese östliche Länge nicht erreicht haben könnten, nahm sie aber der Sicherheit wegen als richtig an, da ich lieber an die Ostseite als an die Westseite von Franz-Joseph-Land gelangen wollte. Sollten wir die Breite von Petermann-Land oder Kronprinz-Rudolf-Land erreichen, ohne eins von beiden zu sehen, so würde ich im erstern Falle sicher sein, daß wir sie westlich von uns hätten, sodaß wir dann in dieser Richtung danach suchen könnten, während wir im Falle, daß wir kein Land fänden und nicht sicher darüber sein würden, ob wir zu weit östlich oder zu weit westlich ständen, die Richtung nicht kennen würden, in welcher wir zu suchen hätten. Die Mißweisung beträgt hier nach meiner Beobachtung 42,5°. Gestern steuerten wir mißweisend Süd 10° West, heute will ich nach Süd 5° West und morgen gerade nach Süden halten. Der Grund, daß unser Kurs sich so ändern mußte, ist natürlich der, daß unsere westliche Route hier an jedem Tage mehrere Längengrade kreuzte; diese sind ja in diesen hohen Breiten so klein, daß ein Grad in 86° Breite nur ungefähr 7 Kilometer mißt. Sollten wir einigermaßen eine gerade Richtung einhalten, so mußte sich unser Kurs recht- und mißweisend mit jedem Meridian ändern. Zur Abwechselung war der Himmel heute bezogen, jedoch schien die Sonne abends, als wir unser zweites Frühstück einnahmen, wieder freundlich durch die Zeltwand. Johansen hat heute Kleider geflickt, während ich Berechnungen angestellt und unsere Kurse abgesetzt habe. So mild und angenehm ist es bisjetzt noch nicht gewesen. 10 Uhr abends -25,6° C.
Dienstag, 16. April. Als wir gestern Morgen um 1 Uhr im Begriffe standen, aufzubrechen, schlich sich »Baro« davon, ehe wir ihn anschirren konnten; er hatte gesehen, daß wir ein paar von den andern Hunden angespannt hatten, und wußte, was nun folgen würde. Da ich den Hund, den besten, den ich in meinem Gespann hatte, nicht gern verlieren wollte, so hatten wir einigen Aufenthalt. Ich rief und rief und guckte hinter alle Hügel, um ihn zu suchen, sah aber nichts weiter als Kette hinter Kette, bis sie am Horizont verschwanden, von der Mitternachtssonne im fernsten Norden umschienen. Die Eiswelt träumte im hellen, kalten Morgenlichte. Wir mußten ohne den Hund aufbrechen, jedoch erblickte ich ihn später zu meiner größten Freude weit hinten in unserm Kielwasser, nachdem ich schon geglaubt hatte, sein hübsches Gesicht zum letzten mal gesehen zu haben. Er schämte sich offenbar, als er herankam und stehen blieb, und blickte mich flehentlich an, als ich ihn ergriff und anschirrte. Ich hatte den Hund durchpeitschen wollen, wurde aber durch seinen Blick entwaffnet.
Wir trafen passirbares Eis, wenn es auch nicht immer ganz flach war, und machten befriedigende Fortschritte; einige Rücken drängten uns jedoch aus unserm Kurse nach Westen. Im Laufe des Morgens entdeckte ich, daß ich an irgendeiner Stelle meinen Kompaß vergessen hatte, den ich dort herausgenommen hatte, um Peilungen vorzunehmen, und da wir ihn nicht entbehren konnten, so mußte ich wieder umkehren und danach suchen. Ich fand ihn auch wieder, jedoch war der Rückweg ein schweres Stück Arbeit, und zum ersten mal war es mir unterwegs unbehaglich infolge der Hitze, da die Sonne fast unerträglich brannte. Als ich endlich die Schlitten eingeholt hatte, fühlte ich mich etwas schwach; Johansen saß auf dem Kajak und schlief in der Sonne und fand es zum ersten mal schön und warm. Dann ging es wieder weiter. Licht und Wärme machten uns jedoch schläfrig und matt, sodaß wir nur langsam vorwärts kamen. Um 10 Uhr vormittags lagerten wir daher. Als ich dann die meteorologischen Beobachtungen vornahm, war ich nicht wenig erstaunt zu finden, daß das Schleuderthermometer -26,2° C. zeigte. Wir richteten das Zelt daher in der brennenden Sonne auf, und bald war es drinnen sehr nett und warm. Wir hatten ein behagliches Ostermahl bereitet, das nicht nur für den Ostersonntag, sondern auch für den Ostermontag reichte. Nach meiner Rechnung beträgt die Entfernung, die wir am Sonnabend vor Ostern und gestern zurückgelegt haben, ungefähr 22 Kilometer, sodaß wir insgesammt an 96 Kilometer von unserm Heimwege hinter uns haben.
Mittwoch, 17. April. -28° C. Gestern haben wir unzweifelhaft den längsten Tagemarsch gemacht. Wir begannen ihn um 7½ Uhr morgens und beendeten ihn gegen 9 Uhr abends, nachdem wir um die Mittagszeit ein paar Stunden im Sacke Rast gemacht hatten. Das Eis war so, daß ich es früher alles andere als gut genannt haben würde. Es war überall äußerst uneben und bestand aus in die Höhe gepreßtem, ziemlich neuem Eise und ältern abgerundeten Rücken. Hier und dort waren Ketten; jedoch konnte man überall weiter kommen, da wir durch Rinnen glücklicherweise nicht behindert wurden. Der Schnee lag über den Unebenheiten des Eises ziemlich locker, indeß konnten die Hunde überall allein ziehen, sodaß wir keine Ursache hatten, über sie zu klagen. Hier, wo wir uns jetzt aufhalten, scheint das Eis demjenigen etwas ähnlich zu sein, das wir um die »Fram« herum hatten; wir sind jetzt etwa bis zu der Gegend herabgekommen, wo sie treiben muß. Ich bin überzeugt, wir haben gestern 30 Kilometer gemacht, sodaß die auf dem Heimwege zurückgelegte Strecke nun 126 Kilometer betragen muß.
Das Wetter ist jetzt herrlich, nicht so kalt, daß es gerade unbequem wäre. Hier oben herrscht in der Atmosphäre merkwürdiges Gleichgewicht und Ruhe. Wir sind jetzt über einen Monat über das Eis gewandert und noch nicht ein einziges mal durch schlechtes Wetter aufgehalten worden; während der ganzen Zeit hatten wir Sonnenschein, ausgenommen ein paar Tage, an denen die Sonne aber auch noch durchkam. Das Dasein wird immer schöner, die häßliche Zeit der Kälte ist vorüber. Nun dringen wir immer weiter dem Lande und dem Sommer entgegen. Jetzt ist es keine Prüfung mehr, morgens aufzustehen, in Erwartung eines guten Tagemarsches, zu kochen, dann behaglich und warm im Sacke zu liegen und beseligte Träume zu träumen von der Zukunft, wenn wir wieder heimgekehrt sind.
War heute mit einer umfangreichen Schneiderarbeit beschäftigt, da meine Hosen durch den Gebrauch sehr schlecht geworden sind. Es erscheint einem ganz mild, wenn man jetzt bei -28° C. sitzt und näht, gegen die 40°, die wir früher hatten; damals war es sicherlich kein Vergnügen, die Nadel zu führen.
Freitag, 19. April. Wir haben jetzt noch für drei oder vier Tage Futter für die Hunde, doch hoffe ich, noch etwas länger damit auszukommen, und werde zunächst die schlechtesten Hunde als Futter für die andern verwenden. Gestern wurde »Perpetuum« geschlachtet. Dieses Schlachten ist übrigens eine ärgerliche Geschichte; aber was sollen wir thun? Wir haben die Thiere bisher mit einem Messer erstochen; es ist dies jedoch keine sehr befriedigende Tödtungsart, und wir haben daher gestern beschlossen, eine neue Methode anzuwenden, das Stranguliren, das war aber noch schlimmer. Wie üblich, führten wir den Hund hinter einen Hügel, damit die andern nicht sehen sollten, was passirte; dann schlangen wir dem Thiere einen Strick um den Hals und zogen beide mit voller Macht daran, bis wir nicht mehr konnten, aber ohne Erfolg. Unsere Hände hatten bei der Kälte alles Gefühl verloren, sodaß uns nichts anderes übrig blieb, als wieder das Messer zu gebrauchen. Es war schrecklich. Natürlich würde Erschießen die bequemste und barmherzigste Todesart gewesen sein, aber wir wollten ungern unsere kostbare Munition an den Hunden verbrauchen; vielleicht kommt einmal die Zeit, daß wir ihrer dringend bedürfen.
Die gestrigen Beobachtungen ergeben, daß wir bis 85° 37,8' nördlicher Breite herabgekommen sind, während die Länge 79° 26' Ost Infolge des Stehenbleibens der Uhren am 12. April sind alle im Tagebuch für den Rest der Reise angegebenen Längen zu westlich. Wie sich aus S. 67 ergibt, geschah dieses absichtlich. Der Fehler stellte sich später auf ungefähr 6½°. sein muß; das stimmt gut mit unserer Rechnung, da wir seit unserer letzten Beobachtung vom 13. April 82 Kilometer gemacht haben, gerade so viel, wie ich angenommen hatte.
Noch immer derselbe helle Sonnenschein Tag und Nacht. Gestern frischte der Nordwind etwas auf, und er wehte auch heute noch, doch belästigte er uns nicht sehr, da wir ihn im Rücken hatten. Die Temperatur, welche jetzt zwischen 20° und 30° unter Null ist, kann nur angenehm genannt werden. Sie ist unzweifelhaft ein Glück für uns; denn wäre es wärmer, so würden die Rinnen sich länger offen halten und darum unangenehmer werden. Mein sehnlichster Wunsch ist jetzt, in die Nähe von Land zu kommen, ehe die Rinnen zu schlimm werden. Was wir dann machen, wird auf die Umstände ankommen.
Sonntag, 21. April. Vorgestern brachen wir um 4 Uhr nachmittags auf und machten in der Nacht halt, um etwas zu essen. Die Rast zum Mittagsmahl, bei dem wir mit unserm Essen in die Tiefe unsers warmen und behaglichen Sackes hineinkriechen, ist ganz außergewöhnlich angenehm. Nach einem ordentlichen Schläfchen machten wir uns wieder auf den Weg; doch wurden wir bald durch die abscheulichste Rinne aufgehalten, die wir bisjetzt noch getroffen haben. Ich ging an derselben entlang, um einen Uebergang zu finden, traf aber auf dem ganzen Wege nur schlimmes aufgebrochenes Eis. Die Rinne blieb überall gleich breit und unzugänglich, überall voll von zusammengefrorenen Blöcken und morschem Eise, die deutlich bewiesen, daß das Eis hier während langer Zeit in Bewegung gewesen und durch die unaufhörlichen Pressungen zermalmt und zertrümmert worden war. Dasselbe war auch aus zahlreichen neugebildeten Rücken und den nach allen Richtungen führenden Rissen wahrzunehmen. Endlich fand ich einen Uebergang; aber als ich die Karawane auf einem weiten Umwege dorthin geführt hatte, hatte die Rinne sich in der Zwischenzeit wieder verändert, und ich hielt es nicht für rathsam, den Uebergang zu wagen. Obgleich ich so weit als nur möglich vorging, fand ich doch überall nur dieselbe ekelhafte Rinne, voll von mich angrinsenden Eisstücken, und auf jeder Seite hohe Eisketten. In mehrern Fällen waren die Eisstücke, wie ich bemerkte, mit Schlamm vermischt, und an einer Stelle waren ganze Schollen, deren Blöcke zu einem Rücken in die Höhe gepreßt waren, von völlig dunkelbrauner Farbe; ich konnte jedoch nicht nahe genug hinkommen, um zu bestimmen, ob diese Farbe von Schlamm oder von Meeresthieren herrühre. Die Rücken waren an einzelnen Stellen ziemlich hoch und erreichten eine Höhe von vielleicht 8 Meter. Hier hatte ich eine gute Gelegenheit, zu beobachten, wie sie die Form von Eisbergen mit steilen, ebenen Flächen annehmen, indem alte Rücken sich in mehrern Richtungen spalten. Oft habe ich auf dieser Reise massige hohe Hügel mit ähnlichen glatten Seiten und von großem Umfange gesehen, die zuweilen schneebedeckten Inseln sehr ähnlich sahen. Sie bestehen aus paläokrystischem Eise, wie man es sich nur wünschen kann. Auf unserer ganzen Reise haben wir keine wirklichen Eisberge gesehen, bis wir in die Nähe des Landes kamen; es war alles Meereis. Dasselbe war auch während der Drift der »Fram« der Fall.
Schließlich war ich gezwungen, umzukehren, ohne meine Mission erfüllt zu haben. Das Aergerlichste dabei war, daß ich auf der andern Seite der Rinne schönes flaches Eis sah, das sich weit nach Süden ausdehnte, während wir gezwungen waren, hier zu lagern und zu warten. Ich hatte mich damit bereits vertraut gemacht, als ich bei der Rückkehr nach unserm ursprünglichen Halteplatze ganz in der Nähe einen ziemlich guten Uebergang fand. Wir gingen nunmehr, während das Eis unter unsern Füßen fortwährend in Bewegung war, nach der andern Seite hinüber, doch war es mittlerweile 6 Uhr morgens geworden. Wir setzten zwar den Weg noch eine Weile auf schönem flachen Eise fort, allein die Hunde waren müde, und es waren schon fast 48 Stunden verflossen, seitdem sie gefüttert worden waren.
Als wir weiter hasteten, wurden wir nicht wenig überrascht, als wir plötzlich ein riesiges Stück von einem Balken trafen, das schräg aus der Oberfläche des Eises hervorragte; es war, soweit ich sehen konnte, sibirisches Lärchenholz und wahrscheinlich vor langer Zeit durch Eisdruck in die Höhe gehoben worden. Manche schöne Mahlzeit hätten wir uns damit kochen können, wären wir im Stande gewesen, das Holz mitzunehmen; jedoch war es zu schwer dazu. Nachdem wir den Balken mit »F. N. H. J. 85° 30'« bezeichnet hatten, setzten wir den Weg fort.
Noch immer Eisebenen vor uns; ich freue mich schon darauf, wieder unterwegs zu sein. Auf Schneeschuhen über diese ebene Fläche hinzufliegen, wäre eine Lust! Land und Heimat kommen näher, und während man dahinjagt, schweift der Gedanke südwärts zu allem, was schön ist. 6 Uhr morgens -30° C.
Montag, 22. April. Wenn wir schon in den vorhergehenden Tagen gute Fortschritte gemacht haben, so hat der gestrige Tag geradezu sich selbst übertroffen. Ich glaube, ich kann für unsern Tagemarsch 37 Kilometer annehmen, werde aber, um ganz sicher zu gehen, die beiden letzten Tage zusammenwerfen und 60 Kilometer für sie rechnen. Die Hunde werden jedoch allmählich müde, sie sehnen sich nach der Zeit zum Lagern. Sie warten ungeduldig auf das Futter und stürzen sich, da sie immer gieriger auf Hundefleisch geworden sind, wie Wölfe auf die dampfenden Stücke, die ihnen mit Haut und Haaren zugeworfen werden. Nur »Kvik« und »Barnet« halten sich zurück, solange das Fleisch noch warm ist, fressen es aber mit Heißhunger, sobald es gefroren ist. 12 Uhr Mitternacht -33,3° C.
Freitag, 26. April. -31,5° C.; Minimum-Temperatur -35,7° C. Gestern Morgen war ich nicht wenig erstaunt, als ich plötzlich im Schnee die Fährte eines Thieres bemerkte. Es war ein Fuchs gewesen, der von ungefähr rechtweisend Westsüdwest hergekommen war und sich in nordöstlicher Richtung entfernt hatte. Die Fährte war noch ganz frisch. Was in aller Welt macht ein Fuchs hier in diesem wilden Meere? Ganz ohne Nahrung war er hier nicht, wie die Losung auf seinem Wege bewies. Ist hier in der Nähe Land? Unwillkürlich blickte ich danach aus; aber das Wetter war gestern den ganzen Tag unsichtig, und wir konnten Land vielleicht nahe sein, ohne es zu gewahren. Ebenso wahrscheinlich ist es jedoch, daß der Fuchs der Spur eines Bären gefolgt ist. Jedenfalls ein warmblütiges Säugethier auf dem 85. Breitengrad! Noch waren wir nicht weit gegangen, als wir eine zweite Fuchsfährte antrafen, die ungefähr in derselben Richtung wie die erste verlief und den Windungen der Rinne folgte, die uns aufgehalten und zum Lagern gezwungen hatte. Unbegreiflich ist mir, wo diese Thiere auf dem Eise ihre Nahrung finden, doch vermuthe ich, daß sie in den offenen Rinnen einige Krustenthiere und ähnliches Gethier erwischen können. Weshalb verlassen sie aber die Küste und kommen hierher? Das ist mir das Rätselhafteste. Ob sie sich wol verirrt haben? Das scheint mir wenig wahrscheinlich zu sein. Nun bin ich gespannt, ob wir heute nicht auch die Spur eines Bären entdecken können; das würde mich besonders befriedigen, weil man daraus schließen könnte, daß wir uns wieder wohnlichen Gegenden nähern. Ich habe soeben nach den Peilungen unsern Kurs auf der Karte abgesteckt, wobei ich rechne, daß wir in den vier Tagemärschen seit unserer letzten Beobachtung 111 Kilometer gemacht haben, was ich nicht für übermäßig hoch halte. Danach könnten es nach Petermann-Land, wenn es ungefähr dort liegt, wo Payer es angegeben hat, nicht viel mehr als 223 Kilometer sein. Gestern hätte ich wieder eine Beobachtung anstellen sollen, doch war es nebelig.
Gegen Ende unsers gestrigen Tagemarsches kamen wir über zahlreiche Rinnen und Eisrücken; in einem ganz neuen Rücken waren ungeheuere Stücke von Süßwassereis in die Höhe geschraubt worden. Das Eis war dicht mit Thon und grobem Sand durchsetzt, sodaß die Blöcke aus der Ferne dunkelbraun aussahen und leicht für Felsen gehalten werden konnten; ich habe thatsächlich selbst geglaubt, sie wären Gestein. Ich kann mir nicht anders denken, als daß dieses Eis Flußeis, am wahrscheinlichsten aus Sibirien, ist; weiter nördlich habe ich oft ungeheuere Stücke von solchem Süßwassereis gesehen, und sogar auf 86° Breite fand ich noch Thon auf dem Eise.
Sonntag, 28. April. Auch gestern haben wir gute Fortschritte gemacht; ich nehme 30 Kilometer an. Wir begannen den Marsch gestern Nachmittag um 3½ Uhr und setzten ihn bis heute Morgen fort. Das Land kommt näher, und es beginnt die aufregende Zeit, wo wir es am Horizont werden sehen können. O, wie ich mich nach Land sehne, um endlich etwas anderes unter den Füßen zu haben als immer Eis und Schnee, ganz abgesehen davon, daß dann auch der Blick auf etwas anderm ruhen kann. Gestern wieder eine Fuchsspur, die ungefähr in derselben Richtung verlief wie die frühern. Im Laufe des Tages mußte »Gulen« daran glauben; er schien vollständig erschöpft zu sein, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, taumelte und lag, als wir ihn auf einen Schlitten legten, ganz still, ohne sich zu rühren. Wir hatten schon vorher beschlossen gehabt, ihn an diesem Tage zu tödten. Armes Thier! Treu, gutmüthig und willig arbeitete es bis zu seinem Ende für uns, um dann zum Dank dafür, daß es nicht mehr konnte, getödtet zu werden und den andern zum Fraß zu dienen. Es war am 13. December 1893 auf der »Fram« geboren und hat als echtes Polargeschöpf nie etwas anderes als Eis und Schnee gesehen.
Montag, 29. April. -20° C. Gestern wurden wir, nachdem wir erst eine kleine Strecke zurückgelegt hatten, durch offenes Wasser, einen breiten See oder Kanal, der sich ungefähr quer vor unserm Kurse ausdehnte, aufgehalten. Wir arbeiteten uns eine Weile westwärts an demselben entlang, bis sich plötzlich der See an einer verhältnißmäßig schmalern Stelle rasch zusammenzuschließen begann. In wenigen Minuten thürmte sich das Eis vor uns auf, worauf wir mit Hülfe der lärmenden Eiskette, die unter unsern Füßen donnerte und krachte, hinübergelangten. Es hieß eilen und Hunde und Schlitten rasch hinüberbringen, wenn wir zwischen den rollenden Eisblöcken nicht eingeklemmt werden wollten. Fast hätte sich dieser Eisrücken auf Johansen's Schneeschuhe geworfen, die er einen Augenblick zurückgelassen hatte, während wir den letzten Schlitten hinüberschafften. Als wir uns endlich an der andern Seite der Rinne befanden, war der Tag schon weit vorgeschritten. Natürlich verdiente eine solche Arbeit eine Extraration Fleischchocolade.
So ärgerlich es auch ist, mitten auf dem schönen flachen Eise durch eine Rinne aufgehalten zu werden, wenn man vorwärts möchte, so ist es unleugbar doch ein wundervolles Gefühl, das offene Wasser vor sich und die Sonne auf den vom Winde bewegten kleinen krausen Wellen spielen zu sehen. Man stelle sich nur einmal vor: nach so langer Zeit wieder offenes Wasser und glitzernde Wellen! Die Gedanken schweifen zurück zur Heimat und zum Sommer. Vergeblich blickte ich mich überall um, ob ich nicht in der Rinne den Kopf eines Seehundes oder an den Rändern einen Bären entdecken könnte. Die Hunde begannen jetzt kraftlos zu werden und waren nur noch schwer vorwärts zu treiben; »Barnet« war vollständig fertig und wurde an diesem Abend getödtet; mehrere der andern sind sehr erschöpft. Selbst »Baro«, mein bester Hund, fängt an, in seinem Eifer nachzulassen, von »Kvik« gar nicht zu sprechen; vielleicht muß ich mit dem Futter ein wenig freigebiger sein. Der Wind, der morgens ungefähr Südsüdost gewesen war, drehte sich später mehr nach Osten, sodaß ich, um Pettersen's Lieblingsausdruck für einen tüchtigen Südoster, der das Schiff einigermaßen rasch nach Norden trieb, zu gebrauchen, eine »regelrechte Teufelsbrise« erwartete. Ich wunderte mich nur, daß die Temperatur noch so niedrig zu sein schien. Längere Zeit hatte ich am Horizont im Süden und Südwesten eine dunkle Wolkenbank beobachtet und gedacht, daß sie Land bedeute, doch begann sie jetzt höher zu steigen und sich uns in verdächtiger Weise zu nähern. Als wir dann nach dem Mittagessen aus dem Sack krochen, sahen wir, daß der ganze Himmel bewölkt war; und daß auch die »Teufelsbrise« sich eingestellt hatte, merkten wir, als wir den Marsch fortsetzten.
Gestern bemerkte ich wieder eine Fuchsfährte, die vom Schnee fast schon verwischt war und in der gleichen Richtung führte wie die frühern. Das ist schon die vierte, die wir getroffen haben. Der Umstand, daß wir so viele finden, läßt mich ernstlich an die Nähe von Land glauben; ja, ich erwarte, es jede Minute zu sehen, wenn es vielleicht auch noch einige Tage dauern mag. In Wirklichkeit dauerte es fast drei Monate, ehe dieses Wunder (am 24. Juli 1895) eintrat.
Dienstag, 30. April. -21,4° C. Trotz allem war gestern ein böser Tag. Er fing mit hellem Sonnenschein an; es war warm (-20° C.), und im gleißenden Sonnenlichte lagen weite Strecken von schönem flachem Eise und lockten uns; alles trug dazu bei, uns ein tüchtiges Tagewerk zu versprechen. Aber o weh! wer dachte an die gräßlichen, dunkeln Spalten, die quer über unsern Weg liefen und uns das Leben zur Last machen sollten? Der Wind hatte den Schnee ordentlich hart gemacht und uns eine feste und schöne Bahn bereitet, sodaß wir rasch vorwärts kamen. Wir waren indeß noch nicht weit gelangt, als wir durch eine Rinne mit vollständig offenem Wasser aufgehalten wurden, die sich gerade vor unserm Wege ausdehnte. Nachdem wir ihr eine kleine Strecke gefolgt waren, fanden wir schließlich eine Stelle zum Uebergange. Wie am Tage vorher bewegte sich das Eis an der Nordseite der Rinne gegenüber dem stillstehenden an der Südseite in westlicher Richtung. Dasselbe war bei den andern Rinnen, die wir im Laufe des Tages trafen, der Fall oder ersichtlich früher der Fall gewesen. Wir schlossen natürlich daraus, daß das Eis im Norden starke westliche Drift habe, während dasjenige im Süden durch Land zurückgehalten werde. Nicht lange nachher trafen wir wieder eine Rinne, die ungefähr in derselben Richtung verlief. Auf einem ziemlich weiten Umwege kamen wir auch hier wohlbehalten hinüber, ohne weitern Unfall, als daß drei Hunde ins Wasser fielen; ebenso wurde die dritte bewältigt, während die vierte zu viel für uns war. Diese Rinne war sehr breit. Wir verfolgten sie eine weite Strecke in westlicher Richtung, ohne jedoch einen passenden Uebergang zu finden. Dann lief ich noch 4 Kilometer allein weiter, um die Gegend zu erforschen, mußte aber zu Johansen und den Schlitten zurückkehren, weil ich keine Möglichkeit hinüberzukommen entdecken konnte. Es ist ein fruchtloses Stück Arbeit, eine Rinne zu verfolgen, die sich im rechten Winkel zu unserm Kurse ausdehnt; besser ist es, zu lagern, eine gute Pemmikan-Suppe à la Julienne, die sehr angenehm schmeckt, zu bereiten und sich in der Hoffnung auf spätere bessere Zeiten dem Schlafe hinzugeben. Das Wetter ist ruhig, sodaß sich hoffentlich keine neuen Rinnen mehr bilden. Die Rinnen bilden sich am häufigsten bei windigem Wetter, da das Eis dann in Bewegung gesetzt wird. Wenn es während der Zeit, die wir noch brauchen, um Land zu erreichen, sich so hält, wird uns das sehr von Nutzen sein; dann mögen sich so viele Rinnen bilden, als da wollen. Sollten die Verhältnisse vorher aber zu schlimm werden, so bleibt uns nichts weiter zu thun übrig, als unsere Kajaks auszubessern. Wie sie jetzt sind, werden sie nicht flott bleiben, da durch das fortwährende Umschlagen der Schlitten an vielen Stellen Löcher eingerissen sind, sodaß die Fahrzeuge volllaufen würden, sowie sie aufs Wasser gesetzt werden. –
Ich hatte das Ausbessern der Kajaks solange wie möglich aufgeschoben. Es geschah dies zum Theil, weil diese Arbeit lange Zeit in Anspruch genommen hätte, die Tage aber kostbar waren, solange es sich darum handelte, Land zu gewinnen, ehe das Eis unpassirbar würde; zum Theil aber auch, weil es bei der Temperatur, die wir jetzt hatten, schwierig gewesen wäre, die Arbeit ordentlich auszuführen, sowie auch, weil anzunehmen war, daß die Fahrzeuge durch das Kentern der Schlitten bald wieder Löcher bekommen würden. Dazu kam, daß ich jetzt nur ungern die Rinnen mit den Kajaks kreuzen mochte, weil jene noch mit jungem, mehr oder weniger dickem Eise bedeckt waren, das schwierig zu durchbrechen gewesen wäre, selbst wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, den Bug der Kajaks durch einen Neusilberbeschlag und Extra-Segeltuch vor dem Durchschnittenwerden zu schützen. Wie schon früher bemerkt, war ein fernerer nicht unbedeutender Nachtheil, daß alles in die Kajaks dringende Wasser sofort gefroren wäre und nicht wieder hätte entfernt werden können, vielmehr bei jedem Uebergange über eine Rinne das Gewicht unserer Ladungen vermehrt haben würde. Unzweifelhaft war es daher besser, die Rinnen selbst auf einem weiten Umwege zu umgehen, als sich den Hindernissen und Zufälligkeiten auszusetzen, welche die andere Alternative mit sich gebracht haben würde.
Die Hunde waren gestern Abend über einen unserer kostbaren Pemmikan-Säcke gerathen, hatten die eine Ecke desselben abgerissen und etwas von dem Inhalt verzehrt, glücklicherweise nicht viel. Bis hierher waren wir so glücklich gewesen, daß sie den Proviant unberührt gelassen hatten; doch wird der Hunger jetzt zu stark für sie, und die Natur ist stärker als die Disciplin.