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Die Prinzessin hörte, daß die Zofe eintrat. Sie öffnete die Augen und wandte den Kopf ungeduldig zur Tür.
»Annette«, sagte sie vorwurfsvoll, »haben Sie mich denn nicht verstanden? Habe ich nicht gesagt, daß Sie mich unter keinen Umständen heute nachmittag stören sollten?«
Annette bot ein Bild der Verzweiflung. Die hochgezogenen Augenbrauen und die beweglichen Hände verrieten ihre Erregung.
»Madame, habe ich das nicht alles dem Herrn gesagt? Ich habe ihn gebeten, später noch einmal vorzusprechen, weil Madame böse Kopfschmerzen hätten. Ich habe ihm gesagt, daß ich meine Stelle riskiere, wenn ich Madame störe. Und was hat er geantwortet? Ich würde meine Stelle ebensogut verlieren, wenn ich nicht hinaufgehen und ihn melden würde. Er war sehr ungehalten. Er kommt in einer dringenden Angelegenheit.«
»Von wem sprechen Sie denn eigentlich?«
»Aber natürlich von Major Forrest, Madame. Er wartet unten.«
Die Prinzessin schloß die Augen eine Sekunde, öffnete sie dann langsam wieder und nahm den kleinen, vergoldeten Handspiegel von dem Tisch an ihrer Seite.
»Drehen Sie das Licht an!«
Der bis dahin im Halbdunkel gelegene Raum erstrahlte nun im Licht eines großen Kronleuchters, und die Prinzessin betrachtete sich kritisch. Sie betupfte ihr Gesicht mit einer Puderquaste und legte dann den Spiegel wieder fort.
»Annette, Sie werden Monsieur sagen, daß ich wirklich sehr leidend bin. Aber da er nun einmal in einer so dringenden Angelegenheit gekommen ist, will ich ihn empfangen. Drehen Sie das Licht wieder aus, ich kann mich in dieser Verfassung nicht recht sehen lassen. Und legen Sie die Spitzen ein wenig zurecht. So.«
»Madame sehen nur ein wenig blaß aus«, versicherte die Zofe. »Das macht nichts. Diese Engländerinnen haben alle eine zu rote und gesunde Farbe. Ich werde es Monsieur bestellen.«
Sie verschwand. Kurze Zeit später trat ein großer, tadellos gekleideter Herr ein. Sein nicht allzu volles Haar war geschickt frisiert, seine Gesichtszüge aber waren hart und ausdruckslos. Seine Augen standen ein wenig zu dicht zusammen. Annette zog sich zurück, nachdem sie ihn hineingeführt hatte.
»Setze dich hierher, Nigel, wenn du mit mir sprechen willst«, sagte die Prinzessin. »Aber geh bitte leise, ich habe fürchterliche Kopfschmerzen.«
»Das ist kein Wunder in diesem vollständig abgeschlossenen Raum«, entgegnete er etwas unhöflich. »Es riecht hier, als ob du Weihrauch verbrannt hättest.«
»Das liebe ich«, erwiderte die Prinzessin ruhig, »und es ist auch zufällig mein Zimmer. Sage mir schnell, was du zu sagen hast.«
Er ließ sich nieder, nahm ihre Hand, führte sie an die Lippen und behielt sie dann in der seinen.
»Entschuldige bitte, daß ich so wenig auf dein Befinden Rücksicht genommen habe, aber es scheint sich in den letzten Tagen alles gegen mich verschworen zu haben. Mein Glück hat mich verlassen, das fällt mir auf die Nerven.«
Sie sah ihn neugierig an. Sie war etwas über die mittleren Jahre hinaus, und ihr Gesicht zeigte die Spuren des bewegten Lebens, das sie hinter sich hatte. Aber sie hatte noch schöne Augen, und die kosmetischen Salons in der Bond Street taten ihr Bestes, um ihre Schönheit zu konservieren.
»Was ist denn los, Nigel? Hast du Unglück im Spiel gehabt?«
Er runzelte die Stirn und zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete.
»Ena, zwischen uns besteht seit jeher die Abmachung, daß wir einander stets die Wahrheit sagen. Du sollst also erfahren, was mich bedrückt. Man hat im Klub eine offene Abneigung gegen mich. Ich kann nicht genau sagen, was es ist, aber ich merke es sofort, wenn ich ins Spielzimmer trete. Seit mehreren Tagen fällt es mir schwer, mich an einer Bridge-Partie zu beteiligen. Als ich heute nachmittag mit Harewood, Mildmay und noch einem anderen zu spielen begann, haben sich nach kurzer Zeit zwei von ihnen entschuldigt und sind gegangen. Ich habe natürlich getan, als ob ich nichts merkte, aber die Antipathie ist nun einmal da, und meine Lage ist verteufelt schwierig.«
Sie sah ihn scharf an.
»Etwas Positives liegt aber nicht vor? Es hat doch keinen Skandal oder Auftritt gegeben?«
»Nein«, sagte er aufgebracht. »Ich bin doch nicht so dumm, daß ich das riskiere. Aber es will eben keiner mehr mit mir spielen. Nur der junge Engleton hält noch meine Stange. Dem könnte ich allerdings im Bridge so viel Geld abnehmen, daß mir die ganze andere Gesellschaft gestohlen bleiben kann. Wenn ich ihn nur von den anderen wegbringen könnte, wenn ich irgendwo eine kleine Partie arrangieren könnte! Ich müßte ihn einmal eine oder zwei Wochen lang für mich allein haben.«
Die Prinzessin sah nachdenklich aus.
»Um diese Zeit zu verreisen, ist ganz unmöglich«, sagte sie nach einiger Zeit. »Außerdem bist du doch eben erst zurückgekommen.«
»Ja, das ist wohl unmöglich. Das würde gerade jetzt gar nicht passen. Es sieht so aus, als ob ich davonlaufe. Vor einer Woche sprachst du doch darüber, daß du eine Villa unten am Fluß mieten wolltest. Hast du den Plan weiter verfolgt?«
»Das geht leider nicht. Ich habe mich bereits hier mehr engagiert, als ich sollte. Dieses Haus, die Dienerschaft, die Wagen kosten ein kleines Vermögen. Ich darf mir die Rechnungen gar nicht ansehen. Es ist nicht daran zu denken, daß ich noch ein zweites Haus dazunehmen kann.«
Major Forrest schaute düster auf seine glänzenden Lackstiefel.
»Verdammtes Pech!« sagte er halblaut. »Man müßte irgendwie einen ruhigen Platz auf dem Lande ausfindig machen. Wenn Engleton, wir beide und vielleicht noch ein oder zwei Mitspieler zusammen wären, könnte ich durchhalten. Augenblicklich steht es wirklich verzweifelt.«
Seine Hand, die auf der Stuhllehne lag, zitterte nervös.
»Mein lieber Nigel, hole dir aus dem kleinen Schränkchen dort einen Kognak. Ich kann nicht sehen, wie du hier so schlapp und bleich sitzt und zitterst, als ob dir der Tod auf den Fersen wäre.«
Er folgte ihrer Aufforderung.
»Ich hoffte, daß du ein wenig mehr Teilnahme für mich zeigen würdest, Ena.«
»Du bemitleidest dich ja selbst schon genug, das ist also überflüssig. Aber setze dich wieder her, wir wollen vernünftig miteinander reden.«
»Ich spreche doch vernünftig, aber ich bin tatsächlich in einer entsetzlichen Lage. Glaube nicht, daß ich Geld von dir will. Ich weiß, daß du schon alles für mich getan hast, und es handelt sich jetzt auch nicht um ein paar hundert Pfund. Meine einzige Hoffnung ist Engleton. Kommt dir denn kein guter Gedanke?«
Die Prinzessin stützte den Kopf leicht auf die langen, gepflegten Finger ihrer rechten Hand. Sie war noch eine schöne Frau und verstand es, sich vorteilhaft zu kleiden. Geschmack und Eleganz waren ihr angeboren, und ihre Gestalt wies noch klassische Linien auf. Sie betrachtete interessiert den Mann, der ihr in den letzten Jahren am nächsten gestanden hatte, und es kam ihr plötzlich zum Bewußtsein, daß er sie in dieser Verfassung nicht mehr fesselte. Sein Versagen in einer schwierigen Lage war ihr peinlich. Sie sah ihn zum erstenmal ohne Maske; er zeigte sich nicht länger als der kalte, berechnende Zyniker. Er war nicht mehr Herr der Situation, sondern das Schicksal hatte ihn gedemütigt. Sie erkannte die Tragödie in dem Blick seiner grauen Augen, an dem Zittern seiner Lippen. Seit vielen Jahren war er ein Glücksritter ohne festes Einkommen gewesen, aber nun schien seine Existenz ernstlich bedroht zu sein. Seine Freunde, die dauernd Verluste beim Spiel mit ihm erlitten, trennten sich von ihm und ließen ihn allein.
»Nigel, du enttäuschst mich sehr. Ich kann nicht sehen, wenn ein Mann schwach wird. Es liegt doch nichts gegen dich vor. Vor allem darfst du dich jetzt nicht furchtsam oder feige zeigen! Ich will einmal nachdenken, ob ich diese kleine Partie, von der du eben gesprochen hast, irgendwie zustande bringen kann. Was hast du eigentlich heute abend vor?«
»Nichts Besonderes. Engleton hat mich zum Essen eingeladen.«
»Mir kommt schon eine Idee«, sagte die Prinzessin langsam. »Vielleicht wird nichts daraus, aber auf jeden Fall lohnt es sich, den Versuch zu machen. Hast du schon meinen neuen Verehrer gesehen – Mr. Cecil de la Borne?«
»Meinst du etwa diesen gigerlhaft aufgeputzten Stutzer, mit dem du gestern im Park spazierenfuhrst?«
Die Prinzessin nickte.
»Ich habe ihn erst vor einer Woche kennengelernt, und er ist äußerst aufmerksam. Er hat irgendwo in Norfolk einen Landsitz. Jeanne und ich werden heute abend mit ihm im Savoy speisen. Du kommst einfach mit Engleton dazu. Ich werde schon alles arrangieren. Vielleicht entwickelt sich daraus etwas. Er sagte mir gestern, daß er bald nach Norfolk zurückkehren müßte.«
»Den Namen kenne ich gut. Es ist eine sehr alte katholische Familie von gutem Adel. Also, ich werde mit Engleton kommen, wenn du es so einrichten kannst. Aber ich habe keine Hoffnung, daß er uns nach so kurzer Bekanntschaft schon alle einlädt.«
Die Prinzessin sah nachdenklich vor sich hin.
»Überlasse das nur mir«, sagte sie nach einer Weile. »Ich habe einen Plan. Auf jeden Fall bist du um viertel nach acht im Savoy und bringst Lord Ronald Engleton mit.«
Forrest schaute sie bewundernd an. Seit Jahren hatte er diese Frau beherrscht, aber heute war sie zum erstenmal die Stärkere.
»Wir werden pünktlich erscheinen. Engleton wird nur zu glücklich sein, wenn er Jeanne trifft.«
Die Prinzessin seufzte.
»Heutzutage sind alle Männer so schrecklich egoistisch und gewinnsüchtig.«