E. Phillips Oppenheim
Das Mädchen mit den Millionen
E. Phillips Oppenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 14.
Von der Spur abgelenkt?

Die Prinzessin versuchte schließlich eine neue, komplizierte Art von Patiencespiel; de la Borne nahm eine Zeitung auf.

»In fünf Minuten werde ich die fast unmögliche Aufgabe gelöst haben«, sagte sie. »Diesmal bin ich sicher, daß das Spiel aufgeht.«

Es folgte ein tiefes Schweigen, aber plötzlich schauten alle erstaunt auf. Jeanne stand bleich in der Türe.

»Was ist denn los, Kind?« fragte die Prinzessin.

Jeanne trat etwas näher.

»Draußen sprachen zwei Männer miteinander, als ich hinter der Hecke saß. Ich bin nicht aus allem klug geworden, aber scheinbar wollen sie hierherkommen. Sie unterhielten sich über Lord Ronald.«

»Weiter! weiter!« drängte die Prinzessin.

»Sie nehmen an, daß ihm etwas zugestoßen ist«, sagte das Mädchen tonlos. »Es ist entsetzlich! Was hat das alles zu bedeuten?«

Die Prinzessin lehnte sich lachend in ihren Stuhl zurück.

»Mein liebes Kind, du bist wahrscheinlich eingeschlafen und hast dummes Zeug geträumt, oder diese beiden Burschen, die du hast sprechen hören, sind verrückt. Was sollte denn Lord Ronald hier geschehen sein?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Jeanne leise. In ihren Augen spiegelten sich Schrecken und Furcht.

»Ich sagte dir doch, daß es hier eine kleine Szene gab. Lord Ronald ist einfach von hier fortgegangen. Glaubst du denn, daß ihn jemand daran gehindert hätte? Sieh uns doch an und gib dir selbst die Antwort. Betrachte den Major, der niemals seine Fassung verliert, oder Mr. de la Borne. Er mag seine Geheimnisse haben, aber sicherlich ist er kein Verbrecher. Und du weißt ganz genau, daß ich mich mit niemand streite. Das ist ja gar nicht der Mühe wert.«

Jeanne atmete schwer. Cecil sah blaß aus, aber er hatte sich inzwischen gefaßt. Die Worte der Prinzessin hatten ihren Zweck nicht verfehlt, der Bann war von allen genommen.

»Ich werde einmal klingeln, um herauszubringen, wer die Leute sind, die sich unbefugterweise um diese Stunde in meinem Park aufhalten«, sagte er. »Oder wollen wir alle hinausgehen und nachsehen?«

»Wie es Ihnen beliebt«, entgegnete Forrest. »Persönlich glaube ich, daß Miß Jeanne Dienstbotenklatsch gehört hat und alles falsch verstand. Auf jeden Fall müssen wir aber erfahren, was dahintersteckt.«

Plötzlich schlug die Glocke an der Haustür an. Das Spielzimmer lag direkt neben dem Eingang, so daß sie es deutlich hören konnten. Es klang wie ein Alarmruf mitten durch die stille Nacht. Alle fuhren auf. Cecil lehnte blaß an der Wand, auch Forrest war von Entsetzen gepackt. Nur die Prinzessin zeigte ihre innere Erregung nicht. Aufrecht saß sie in dem Stuhl und bog den Kopf leicht nach hinten. Sie hatte die Augenbrauen hochgezogen und die Stirne leicht gerunzelt. Es war, als ob sie fragen wollte, wer es zu dieser Zeit noch wagte, hier einzudringen. Jeanne hatte sich in eine Fensternische gesetzt und die Hände um die Knie gefaltet.

Cecil de la Borne sah auf die Uhr.

»Es ist fast elf, wahrscheinlich schlafen die Dienstboten schon. Ich will selbst aufmachen.«

Niemand hielt ihn zurück. Sie hörten den Widerhall seiner Schritte in der Halle, dann das Rasseln der Sicherheitskette und das Knirschen der großen, schweren Türe. Stimmen drangen undeutlich zu ihnen herein, und die Haustür wurde wieder geschlossen. Forrest klammerte sich mit beiden Händen an die Tischplatte an. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Die Prinzessin wandte sich rasch an ihn.

»Um Gotteswillen, Nigel, nimm dich zusammen! Wenn man dich nur ansieht, sind wir ja schon verraten. Selbst Jeanne ist schon auf dich aufmerksam geworden.«

Der Major riß sich zusammen. Schnell goß er sich einen Kognak ein und stürzte ihn hinunter. Im nächsten Augenblick trat Cecil wieder ein. Zwei Herren folgten ihm. Der eine war Andrews Gast, der andere ein kleiner Mann von dunkler Gesichtsfarbe. Er trug eine Brille und sah wie ein Beamter aus.

»Ich kann Sie nicht hindern, mein Haus zu betreten«, sagte Cecil, »obgleich ich Ihr Erscheinen zu dieser Stunde etwas ungehörig finde. Ich bedaure, daß ich kein anderes Zimmer habe, in dem ich Sie empfangen kann. Was Sie zu sagen haben, können Sie auch hier in Gegenwart meiner Freunde vorbringen. Wenn ich mich recht besinne, war Ihr Name Berners.«

Der Fremde verneigte sich vor der Prinzessin und Jeanne, ehe er antwortete. Er sah sehr ernst, aber durchaus nicht drohend aus.

»Ja, ich habe mich so genannt, weil es manchmal angenehmer für mich ist, als meinen vollen Namen zu geben. Ich bin Richard Berners, Herzog von Westerham. Lord Ronald ist mein jüngerer Bruder.«

Es trat ein unheimliches Schweigen ein. Der Herzog sah von einem zum andern.

»Ich muß mich entschuldigen, daß ich zu so später Stunde komme. Aber mein Rechtsanwalt ist eben von London eingetroffen und hat mir das Resultat seiner Nachforschungen mitgeteilt. Ronald ist mein Lieblingsbruder, obgleich ich ihn in der letzten Zeit nicht häufig gesehen habe. Seitdem er dieses Haus verließ, ist er spurlos verschwunden, und ich möchte gern die näheren Umstände seiner Abreise erfahren. Hat er Ihnen vielleicht gesagt, wohin er gehen wollte?«

Cecil wollte antworten, aber die Prinzessin kam ihm zuvor.

»Sie bringen uns ja eine ganz ungewöhnliche Neuigkeit, mein lieber Herzog. Lord Ronald ist von hier aus nach London gefahren. Ist er denn dort nicht angekommen?«

»Mein Rechtsanwalt hier hat sich überall erkundigt, er hat sogar ein Detektivbüro mit Nachforschungen beauftragt. Mein Bruder ist nicht nach London zurückgekehrt. Wir haben auch an seine verschiedenen Landsitze telegraphiert, aber nirgends war Nachricht von ihm zu erhalten. Unter diesen Umständen und aus gewissen anderen Gründen, auf die ich im Augenblick nicht näher eingehen möchte, bin ich etwas ängstlich geworden.«

»Nun, das ist ja ganz natürlich«, entgegnete die Prinzessin. »Es sind ja auch schon mehrere Tage seit seiner Abreise vergangen. Ihr Bruder, Herr Herzog, ist ein sehr liebenswürdiger junger Mann, aber er ist etwas sonderbar und hat seine Eigenheiten. Vielleicht hat er irgendeine Reise unternommen. In einigen Tagen wird er schon von sich hören lassen. Meiner Meinung nach brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«

Der Herzog verneigte sich.

»Es tut mir leid, Madame, aber ich bin anderer Ansicht. Bitte beziehen Sie das, was ich zu sagen habe, nicht auf sich oder auf Mr. de la Borne, dessen Charakter über allen Zweifel erhaben ist. Aber in Ihrer Gesellschaft befindet sich noch ein Herr, der jungen Leuten wie meinem Bruder gefährlich werden kann. Ich meine Sie«, wandte er sich an den Major.

Forrest verneigte sich ironisch.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden für dieses liebenswürdige Urteil. Ich weiß nur nicht, warum Sie Ihre Meinung hier zum Besten geben.«

»Seit einigen Tagen sind Schecks in beträchtlicher Höhe bei der Bank meines Bruders präsentiert worden, die Ihren Namen auf der Rückseite tragen. Ich bin hierhergekommen, um meinen Bruder zu sehen und ihm den Rat zu geben, nicht weiter mit Ihnen Karten zu spielen.«

Forrest trat einen Schritt auf ihn zu.

»Mein Herr, hüten Sie Ihre Zunge!«

»Ich habe mein Urteil nicht allein nach meiner eigenen Meinung gebildet, sondern ich habe sorgfältige Nachforschungen angestellt. Sie haben eben einen schlechten Ruf, selbst in den Klubs, deren Mitglied Sie sind, zuckt man die Schultern, wenn Ihr Name erwähnt wird. Mein Bruder ist doch schließlich auch aus diesem Hause verschwunden, nachdem er verschiedene Abende mit Ihnen gespielt hat. Ich möchte nun Näheres über seine Abreise von Ihnen hören. Auf alle Fälle bleibe ich solange hier, bis ich alles herausgebracht habe.«

Die Prinzessin trat zu Forrest und legte ihm die Hand auf die Schulter. Die Adern auf seiner Stirn waren geschwollen, und es sah fast so aus, als ob er dem Herzog an die Kehle springen wollte.

»Nigel, bitte lassen Sie mich mit dem Herzog sprechen. Bedenken Sie, daß von seinem Standpunkt aus alles nicht so ungeheuerlich erscheint, was er sagt. Cecil, bitte unterbrechen Sie mich nicht. Herr Herzog, Sie spielen hier eine sonderbare, beinahe unverzeihliche Rolle, selbst wenn man die Sorge um Ihren Bruder als Entschuldigungsgrund nimmt. Lord Ronald war hier der Gast von Mr. de la Borne, und soviel ich weiß, hat er während seines Aufenthaltes fast ebensoviel gewonnen als verloren. Auf jeden Fall möchte ich Ihnen auch im Namen des Majors sagen, daß wir hier stets fair gespielt haben. Ihr Bruder erhielt eines Abends ein Telegramm und hat dann gebeten, ihn am nächsten Morgen mit dem Wagen nach Lynn zu bringen. Er versprach, in einer Woche wiederzukommen.«

»Haben Sie denn seit seiner Abreise noch einmal von ihm gehört?«

»Nein. Erst gestern morgen sagte ich noch, daß sein Schweigen eigentlich recht unhöflich ist. Ihr Bruder hat sich in bestem Einvernehmen von uns getrennt. Sie können ja die Dienstboten fragen, wenn Sie wollen. Auch können Sie sich auf der Station erkundigen, von der er abgefahren ist. Ihr Erscheinen hier zu dieser späten Stunde erinnert mich fast an die Fabel von dem Elefanten im Porzellanladen. Wenn Sie glauben, daß wir Ihren Bruder hier irgendwo gefangenhalten, so durchsuchen Sie doch bitte das ganze Haus. Oder nehmen Sie an, daß wir ihn ermordet haben? Es steht Ihnen ja frei, ein Heer von Detektiven hierherzubringen und Nachforschungen anzustellen. Aber bevor Sie das Haus verlassen, möchte ich Ihnen den Rat geben, sich als gebildeter und wohlerzogener Mann für Ihr ungewöhnliches Verhalten bei Mr. de la Borne zu entschuldigen.«

Der Herzog lächelte leicht.

»Madame, als ich heute abend hierherkam, wußte ich nicht, daß ich mich an Sie zu wenden hätte. Ich hatte aber die Absicht, mit Mr. de la Borne zu sprechen. Gestatten Sie?«

Die Prinzessin zuckte die Schultern.

»Ich habe um des lieben Friedens willen im Namen beider Herren gesprochen, weil ich als Dame ruhiger verhandeln kann. Die Herren sind über Ihr herausforderndes Benehmen natürlich mit Recht sehr aufgebracht.«

Der Herzog beachtete ihre letzten Worte nicht. Er legte seine Hand auf Cecils Schulter.

»De la Borne, wir sind uns doch nicht fremd, obwohl wir uns persönlich kaum gesehen haben. Unsere Familien sind seit vielen Jahren befreundet. Scheuen Sie sich nicht, mir alles zu sagen, wenn etwas vorgekommen sein sollte, dessen Sie sich schämen. Ich bin als Freund hier, das wissen Sie doch wohl? Können Sie mir nicht bei meinen Nachforschungen nach Ronald helfen? Haben Sie keine Ahnung, wo er sein könnte?«

»Nein, nicht die mindeste.«

»Dann sagen Sie mir wenigstens, ob er unter ungewöhnlichen Umständen hier abgereist ist?«

»Es war gar nichts Ungewöhnliches dabei«, bemerkte Cecil mit einem verlegenen Lächeln. »Ich mußte nur sehr frühzeitig aufstehen, um mich von ihm zu verabschieden, und es war ein sehr kühler Morgen.«

Der Rechtsanwalt, der bisher geschwiegen hatte, nahm den Herzog einen Augenblick beiseite.

»Ich möchte Ihnen den Rat geben, Herr Herzog, jetzt lieber zu gehen. Wenn die Leute etwas wissen sollten, so wollen sie es uns doch nicht sagen, und je weniger wir uns hier merken lassen, ob uns ihre Auskunft genügt oder nicht, desto besser ist es.«

Der Herzog nickte, wandte sich aber noch einmal an Cecil.

»Ich muß natürlich Ihre Erklärung annehmen. Wenn mein Bruder Ihre Aussagen bestätigt, werde ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Madame, es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe.« Er verneigte sich vor der Prinzessin.

Forrest würdigte er keines Blickes mehr. Cecil begleitete die beiden hinaus, und als er wieder zurückkam, standen große Schweißtropfen auf seiner Stirne. Nachdem der Herzog gegangen war, schienen die Masken von ihren Gesichtern zu fallen. Sie sahen einander entgeistert an. Forrest schwankte zu dem kleinen Büfett.

»Geben Sie mir schnell einen Brandy!« sagte er zu Cecil.

 


 << zurück weiter >>