E. Phillips Oppenheim
Das Mädchen mit den Millionen
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 10.
Zurück in Salthouse.

Jeanne war bald mit dem Packen fertig. Sie nahm nur ein paar einfache Kleider und die notwendigsten Dinge mit.

Um acht Uhr brachte eins der jüngeren Mädchen ihr Essen. Jeanne löste kurz entschlossen ihr goldenes Armband.

»Mary, dieses Schmuckstück gebe ich Ihnen, wenn Sie mir einen kleinen Gefallen tun.«

Das Mädchen war zu erstaunt, um sprechen zu können.

»Ich möchte nur, daß Sie die Türe unverschlossen lassen, wenn Sie jetzt gehen. Es kommt doch nicht darauf an, Ihre Stellung hier ist sowieso zu Ende. Die Prinzessin wird die Dienstboten in diesen Tagen entlassen.«

Mary sah auf das Armband und zögerte keinen Augenblick.

»Ich hätte es auch für Sie getan, Miß Jeanne, ohne daß Sie mir etwas gegeben hätten. Das Armband ist ja viel zu gut für mich.«

Jeanne lachte und schob es ihr über den Tisch zu.

»Wenn Sie noch ein wenig mehr für mich tun wollen, so öffnen Sie die Hintertür. Ich komme gleich herunter.«

Mary schaute sie etwas verstört an.

»Sie wollen doch nichts Unüberlegtes tun, Miß Jeanne?« fragte sie furchtsam.

»Nein, es ist alles wohlüberlegt und notwendig, was ich tue.«

Fünf Minuten später ging Jeanne die große Treppe hinunter, ohne daß sie bemerkt wurde, und bald darauf stand sie auf der Straße.

Sie wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte. Es beherrschte sie nur der eine Wunsch, fortzugehen von allen, die sie für eine reiche Erbin hielten. Sie dachte nicht daran, daß ihre Stiefmutter die Welt getäuscht hatte, und daß sie nur unter den Folgen litt. Es kam ihr nur zum Bewußtsein, daß sie bei diesem Betrug die Hauptperson war, und daß die ganze Welt sie verachten mußte. Wer würde an ihre Unschuld glauben? Der Gedanke, sich an den Herzog oder Andrew de la Borne zu wenden, trieb ihr die Schamröte ins Gesicht.

Aber plötzlich erinnerte sie sich an die frohe und glückliche Zeit, die sie in Salthouse verlebt hatte, und faßte einen raschen Entschluß. Sie wollte wieder dorthin gehen, wenn vielleicht auch nur für kurze Zeit. Sicher würde sie im Dorf leicht Quartier finden, und Cecil konnte sie aus dem Wege gehen, wenn er noch dort war.

Schnell stieg sie in einen Autobus und fuhr zum Liverpool Street-Bahnhof. –

Als sie am nächsten Morgen wieder durch die Marschen wanderte, hatte sie das Gefühl, von einem schweren Druck befreit zu sein. Sie lauschte wieder den Lerchen, die in den Lüften sangen, und ließ sich von dem kühlen, frischen Seewind umbrausen. Sie hatte sofort Quartier gefunden, und keiner hatte sich über ihr Kommen gewundert. Ein alter Fischer, den sie ausfragte, erzählte ihr merkwürdige Geschichten von dem Herrenhaus und seinen jetzigen Bewohnern.

»So ruhelose junge Leute wie Mr. de la Borne und seinen Freund habe ich noch nie gesehen. Einer von ihnen geht immer nach London, und wenn er zurückkommt, reist der andere ab. Ich möchte nur wissen, warum sie niemals zusammen fahren.«

»Und was macht denn Mr. Andrew de la Borne? Ist er auch wiedergekommen?«

»Nein, noch nicht. Aber er wird wohl nicht mehr lange fortbleiben. Es ist auch höchste Zeit, daß er kommt. Die Leute hier fangen schon an, darüber zu reden, daß fast alle Fensterläden in Red Hall geschlossen sind. Waren Sie nicht schon vor ein paar Wochen hier? Sie kennen doch Mr. Andrew und Mr. Cecil?«

»Ja, ich kenne sie oberflächlich.«

»Mr. Andrew ist ein feiner Mann«, erklärte der Alte, »aber Mr. Cecil verstehen wir nicht recht. Was macht er bloß mit diesem merkwürdigen Fremden, der bei ihm wohnt? Niemand weiß es. Ob sie Karten spielen, oder ob sie nur am Tisch sitzen und sich gegenseitig betrachten? Jedenfalls ist es sehr merkwürdig. Mr. Andrew kann Fremde nicht leiden. Es sind eben viele Photographen und Zeitungsleute hier, weil doch der junge Lord verschwunden ist. Einige sagen, er sei ertrunken, andere meinen, es habe ein Duell zwischen ihm und Mr. Cecil gegeben. Jedenfalls ist er verschwunden, und sein Bruder hat eine Belohnung von tausend Pfund für den ausgesetzt, der ihn wieder auffindet. Das ist eine riesige Menge Geld.«

»Ja. Ich möchte nur wissen, ob Lord Ronald das wert ist.«

 


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