E. Phillips Oppenheim
Das Mädchen mit den Millionen
E. Phillips Oppenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 3.
Cecils Bruder.

Andrew de la Borne stand in der großen Halle vor dem offenen Kamin. Von seinem Ölzeug tropfte das Seewasser herab, aber er achtete nicht darauf. Er war groß, stattlich, braungebrannt, und trug einen schwarzen, wenig gepflegten Bart. Nach seinem Äußeren hätte man ihn für einen gewöhnlichen Fischer aus dem Dorfe halten können.

Cecil kam eben die Treppe herunter und betrachtete seinen Bruder halb ironisch, halb ärgerlich. Er selbst war sehr elegant gekleidet und schien in seinen innersten Gefühlen beleidigt zu sein, als er über das wunderbar geschnitzte, aber etwas altersschwache Geländer der Treppe zu seinem Bruder hinüberschaute. Er war schlank, mittelgroß, und sein grauer Anzug saß tadellos. Die Schattierung seiner Krawatte paßte vorzüglich zu der Farbe seiner Augen und dem Ton seines Anzugs. Seine Schuhe und Strümpfe entsprachen der letzten Pariser Mode. Die Haare hatte er sorgfältig glatt nach hinten gebürstet, und in den feinmanikürten Fingern hielt er eine Zigarette. Er war zwar blaß, und leichte, blaue Schatten zeigten sich unter seinen Augen, aber robuste Gesundheit gehörte ja nicht zu den Forderungen der Gesellschaftskreise, zu denen er zählen wollte. Man hätte fast glauben können, er sei einem Modejournal entsprungen.

Er sah seinen Bruder durch das Monokel an und seufzte.

»Aber Andrew, ich bin wirklich erstaunt, dich so zu sehen«, sagte er verstimmt. »Du solltest doch etwas mehr auf dein Äußeres geben. Weißt du denn nicht, wie schrecklich du aussiehst? Und der Fußboden leidet doch unter dem Wasser!«

»Ach, darauf kommt es doch gar nicht an, Cecil«, erwiderte sein Bruder in guter Stimmung. »Du benimmst dich ja so vornehm, daß es für die ganze Familie reicht. Und Seewasser gibt keine Flecken. Dieser Boden ist schon oft genug damit aufgewaschen worden.«

»Aber wo warst du denn? Was hast du gemacht?« fragte Cecil aufgebracht.

Andrews Gesichtszüge verfinsterten sich. Er dachte nicht gern an die letzten Stunden.

»Ich mußte auf die See hinaus, um ein unvernünftiges, junges Mädchen zu retten. Kate Caynsard war in ihrem kleinen Ruderboot draußen im Sturm. Es war so gut wie Selbstmord, und sie wäre auch in den Wellen umgekommen, wenn ich sie nicht mehr rechtzeitig erreicht hätte.«

»Du hast sie gerettet?«

Andrew, der sein ganzes Leben im Freien zugebracht hatte, und dessen Züge in Wind und Wetter gehärtet waren, sah seinen Bruder kühl und vorwurfsvoll an. Cecil war bleicher als sonst, und es lag Schuldbewußtsein in seinem fragenden Blick. Andrews Stimme klang streng, als er jetzt sprach.

»Ja, es gelang mir, wieder zurückzukommen«, sagte er grimmig. »Es war ein hartes Stück Arbeit. Beinahe hätten wir beide daran glauben müssen.«

»Ach, sie ist verrückt! Die ganzen Caynsards sind so merkwürdige Leute.«

»Kate ist genau so vernünftig wie du oder ich. Sie ist wagemutig, und ihr Leben gilt ihr nichts. Aber daraus folgert noch lange nicht, daß sie verrückt ist. Du hättest einmal sehen sollen, wie sie nachher mein kleines Boot in die Bucht steuerte, während die Flut zurückkam und eine Bö unsere Segel peitschte. Es war großartig!«

»Wozu erzählst du mir das alles?«

»Warum spielt Kate Caynsard mit ihrem Leben, als ob es weniger wert wäre als die Makrelen, die sie fängt? Weißt du das?«

Cecil ließ sein Monokel fallen und zuckte verächtlich die Schultern.

»Seit wann bin ich denn verpflichtet, mich um dieses Dorfmädchen zu kümmern? Zu starke Fußgelenke und derbe Gesundheit haben mir an Frauen noch nie gefallen. Ich habe einen feineren Geschmack.«

»Kate Caynsard gehört nicht zu diesen Leuten im Dorf. Sie lebt ihr eigenes Leben, und sie stammt aus einer älteren Familie als wir.«

»Darf ich dir nun aber wenigstens sagen, daß es am Platze wäre, dich vor der Ankunft unserer Gäste umzukleiden?«

»Warum sollte ich das tun?« fragte Andrew ruhig. »Es sind ja nicht meine Freunde. Ich kenne sie kaum bei Namen, und wenn ich sie hier aufnehme, so tue ich es nur um deinetwillen. Warum sollte ich mich in meinem Ölzeug schämen? Ich habe nicht den Ehrgeiz, ein repräsentatives Mitglied der Gesellschaft zu sein«, fügte er mit leichter Ironie hinzu.

Sein Bruder sah ihn verächtlich an.

»Das könnte auch wirklich niemand behaupten«, sagte er sarkastisch. »Du läufst hier herum wie ein Fischer oder wie ein gewöhnlicher Arbeiter. Schon seit Jahren habe ich dich nicht in einem anständigen Anzug gesehen. Niemals kleidest du dich zum Essen um – du siehst immer aus wie ein Bauer. Und dabei bist du doch mein älterer Bruder, und ich muß dich meinen Freunden als das Familienhaupt der de la Bornes vorstellen, bei dem sie zu Gast sind. Du kannst dich nicht darüber wundern, daß mir das nicht paßt.«

Es trat ein kurzes Schweigen ein, dann wandte sich Andrew mit einem leichten Achselzucken zur Treppe.

»Es ist auch gar nicht nötig, daß ich dich durch meine Gegenwart belästige. Ich werde nach der Insel hinübergehen, und du kannst hier deinen Freunden und Bekannten gegenüber den Gastgeber spielen, solange es dir Spaß macht. So ist uns beiden geholfen.«

Cecil war im allgemeinen stolz darauf, seine inneren Gefühle verbergen zu können, wie es die Regeln der vornehmen Gesellschaft vorschrieben. Aber jetzt konnte er seine Erleichterung doch nicht ganz geheimhalten. Das war ein Vorschlag, der alle Schwierigkeiten befriedigend löste.

»Eine fabelhafte Idee, Andrew, wenn du dich drüben wirklich wohlfühlst. Du würdest dich sicher mit meinen Gästen kaum verstehen können, denn sie haben eine ganz andere Lebenseinstellung als du. Aber es ist mir natürlich unangenehm, daß ich dich gewissermaßen aus dem Hause verdränge.«

»Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, erwiderte Andrew kühl.

»Sie lieben den Sport nicht, und da du nicht Bridge spielst –«

Andrew war bereits verschwunden. Cecil steckte sich eine neue Zigarette an.

»Ein ausgezeichneter Gedanke!« sagte er zu sich selbst. »Wenn er bloß so vernünftig ist, sich überhaupt nicht sehen zu lassen.«

Er klingelte, und der Hausmeister erschien, den er erst kürzlich in London engagiert hatte.

»Sorgen Sie dafür, daß der Boden hier aufgewaschen wird, James.« Er zeigte mißmutig auf die Wasserlachen. »Und nehmen Sie den Südwester dort weg. In einer Stunde servieren Sie den Tee, wenn die Herrschaften ankommen. Beschaffen Sie auch noch Whisky und Soda, und vergessen Sie Liköre und Sandwiches nicht.«

»Es wird alles zu Ihrer Zufriedenheit besorgt werden. Die Küchenverhältnisse sind allerdings ein wenig – rückständig hier, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«

»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte Cecil gereizt. »Während meiner Abwesenheit ist hier alles etwas vernachlässigt worden. Tun Sie nur alles, was in Ihren Kräften steht.« –

Andrew packte in seinem Zimmer rasch einige Sachen zusammen. Lachend legte er ein Paket neuer Kleider, die vor einigen Tagen angekommen waren, ungeöffnet in den Schrank und hing seinen Abendanzug wieder auf, der aufs sorgfältigste hergerichtet war. Kaum zwanzig Minuten später hatte er mit seinem Koffer das Haus durch eine Hintertür verlassen. Mit langen Schritten eilte er über die lange, schlecht gepflegte Allee. Als er gerade durch das Tor auf die Landstraße abbog, kam ein großes Auto um die Ecke und verlangsamte dann die Fahrt. Major Forrest lehnte sich heraus und rief ihn an.

»Können Sie uns sagen, ob dies hier Red Hall ist – die Besitzung von Mr. de la Borne?«

Andrew nickte, ohne die eleganten Damen, die sich auch vorneigten, eines Blickes zu würdigen.

»Diese Straße führt direkt zum Herrenhaus. Aber nehmen Sie sich in acht, wenn Sie hineinfahren. Es ist eine sehr scharfe Kurve.«

Er sprach absichtlich im breiten Dialekt von Norfolk. Dann ging er weiter.

»Das ist ja ein richtiger Riese Goliath!« meinte Engleton.

»Ich möchte gern eine Skizze von ihm machen«, sagte die Prinzessin. »Er hat wunderbare Schultern.«

 


 << zurück weiter >>