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Alfons XIII.

Seit einer Reihe von Wochen verfolgt die Welt den Kampf, den der spanische König um seine Krone führt, wie ein großes Zirkusspiel. Wird Don Alfonso sich auch diesmal wieder behaupten? Er hat in Defensiven dieser Art Routine. Nicht zum erstenmal ist unter diesem König, der sein Amt 1902 als Sechzehnjähriger antrat, die Dynastie bedroht. Vor zwanzig Jahren, nach der Hinrichtung des katalanischen Syndikalisten Ferrer ging ein Orkan von Empörung über die spanische Monarchie nieder. Im Herbst 1918 nahm ein vieltägiger Generalstreik sozialrevolutionäre Formen an, die rote Fahne stieg auf, tagelang wurde in Madrid und Barcelona auf den Straßen gekämpft. Siegte auch der König damals noch, so warfen doch die Krisen der Nachkriegszeit und die wachsende Industrialisierung des Landes Fragen auf, die mit alten Rezepten nicht mehr zu behandeln waren. Der König flüchtete hinter die Militärdiktatur des Generals Primo de Rivera, die sich bis vor Jahresfrist hielt. Dann kam General Berenguer, der ein freiheitliches Regiment und beste konstitutionelle Formen versprach. Die Opposition mißtraute den Versprechungen mit einigem Recht, und seitdem ist es nicht mehr ruhig geworden. Der Putsch einer Pyrenäengarnison, der Aufruhrversuch des Fliegeroffiziers Franco – das alles ist für ein Jahr etwas viel. Und doch hat es die guten Nerven des Königs nicht erschüttert, den dreißig Jahre voller Meutereien und eine Reihe Bombenattentate nicht mürbe machen konnten. Dieser König hat viele Mängel, aber er ist kein Deserteur. Er kann nicht nur schießen lassen, sondern weit besser noch politische und diplomatische Mittel gebrauchen. Er ist seinen demokratischen Gegnern über, er ist ohne Zweifel der stärkere Realpolitiker und Rechner.

Vor einer Woche schien es mit Alfons zu Ende zu sein. Ihm blieb nichts übrig, als sich an seinen geschworenen Feind Sanchez Guerra zu wenden, der ihm grausame Bedingungen vorlegte. Eine Nationalversammlung sollte über die Staatsform entscheiden, der König für diese Zeit seiner Prärogative enthoben sein, was einem schwach verhüllten Hinauswurf gleichkam. Die amtliche Depeschenagentur bereitete schon auf die Abreise des Königs vor. Guerra verhandelte mit dem liberalen Politiker Santiago Alba, der noch immer in der pariser Emigration lebt, er verhandelte mit den Führern des letzten Putsches, die noch im Gefängnis sitzen, und allen gingen diese Bedingungen nicht weit genug. Doch inzwischen hatte der König, der schon gar nicht mehr vorhanden zu sein schien, wieder Luft geschöpft und ein Ministerium der royalistischen Erhaltung, mit einem Admiral an der Spitze, ins Leben gerufen. Die Entscheidung ist wieder vertagt, die große Auseinandersetzung in eine Kette zahlloser Plänkeleien aufgelöst – statt Guerra wieder, wie fast dreißig Jahre, Guerilla.

Für deutsche Augen hat diese spanische Revolution etwas Rührendes. Sie ist noch ganz und gar Sache des Bürgertums, sie erinnert an jene graue Vergangenheit, als auch bei uns das Bürgertum noch revolutionär bewegt war, noch gegen Feudalismus und Militarismus auf die Barrikade stieg und in der Politik an Ideale glaubte. Die bärtigen Köpfe dieser Politiker erinnern an die Rhetoren der Paulskirche, die einen so guten Willen hatten, so glänzende Programme und so wenig Ahnung von der Macht. Der hauptsächliche Faktor in der spanischen Politik ist die Armee. Seit hundert Jahren gibt sie den Ausschlag, sie hat seitdem alle Revolutionen und Reaktionen gemacht. Die Arbeiterschaft, stark in Madrid, in den baskischen Provinzen, in Katalonien und Valencia, ist von moderner Arbeiterpolitik ziemlich unberührt. Sie glaubt noch immer fest an die direkte Aktion, sie schwört auf Bakunin und Georges Sorel, ihr Anarcho-Syndikalismus hat marxistische Ideen nicht populär werden lassen. Das bedeutet praktisch, daß ein paar Millionen Arbeiter sich an keinen Wahlen beteiligen wollen, daß sie also dem Republikanertum verloren sind. Deshalb die Unsicherheit der Linken, die nur eine schwache Intelligenzschicht umfaßt und über Klubbismus und romantisches Verschwörertum nicht hinausgelangt. Es gebricht ihr an organisierten Kräften. Die Regierung wäre also, wie viele Jahrzehnte, in der Lage, die Wahlen zu machen. Der niedere Klerus und die »Kaziken«, die Dorfgewaltigen, würden die stumpfe, gleichgültige Landbevölkerung wie eine Schafherde an die Wahlurne schleppen und das gewünschte Resultat erzielen.

Diese Schwäche seiner Feinde kennt der König, und das gibt ihm Gelegenheit zu tausend Winkelzügen. Es fehlt ihm weder an Geist noch Weltkenntnis, er ist nicht einmal Absolutist aus Prinzip, sondern einfach aus Gewohnheit. Der Spanier Salvador de Madariaga hat in seinem hier vor einiger Zeit gewürdigten Buche sehr interessant erzählt, wie der sechzehnjährige König am Abend seiner Krönung nichts Eiligeres zu tun hatte, als einen Ministerrat zusammenzutrommeln, und wie die asthmatischen Exzellenzen der unbarmherzigen Wißbegierde eines Knaben Rede und Antwort stehen mußten. So ist Alfons XIII. bis heute geblieben: unter verbindlichen Formen ein Mann von sehr herrischen Prätentionen, wenn er auch später gelernt hat, der Diplomatie mehr zu vertrauen als dem offenen Befehl. So führt er einen zwar taktisch glänzenden, aber in der Sache recht donquixotehaften Krieg gegen die Zeit, den er im fünften Akt doch verlieren muß. Und würde er selbst obsiegen, der Thronfolger ist ein armer Krüppel, ein Degenerierter. Für was kämpft Don Alfonso, wenn nicht für den Nächsten der Dynastie –? Also nur für die eigne Freude an der Macht, für das süße Gefühl zu gebieten und über fremde Schicksale entscheiden zu dürfen. Wir können ihn nur politisch verurteilen, denn warum soll ein König leicht auf das verzichten, was jeder Rayonchef für sich beansprucht?

Die Weltbühne, 24. Februar 1931


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