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Im ›8 Uhr-Abendblatt‹ wendet sich Herr Doktor Felix Hirsch in übrigens sehr freundschaftlicher Form gegen die Meinungen, die wir hier in der Präsidentschaftsfrage vertreten haben. Herr Doktor Hirsch verweist zunächst auf die »Realitäten«, die auch uns sehr gut bekannt sind. Sie bestehen vornehmlich in der Unfähigkeit der Linksparteien, die es soweit kommen ließen, daß schließlich nur die Wahl Hindenburg oder Hitler blieb. Herr Doktor Hirsch meint aber auch, wir hätten 1925 die Entwicklung nicht absehen und zum Beispiel nicht wissen können, was Herr Marx, der Kandidat des »Volksblocks« bald anstellen würde. Hindenburg habe aber inzwischen durch die Art seiner Amtsführung viele Bedenken seiner frühern Gegner zerstreut.
Demokraten wie Felix Hirsch lassen sich allzu leicht von den heutigen Kampfansagen der Rechten gegen Hindenburg täuschen. 1925 gab es noch keinen organisierten, grob zur Macht drängenden Fascismus. Aber das, was vor sieben Jahren die gesammelte Reaktion von der Präsidentschaft Hindenburg erwartete, das hat sie erfüllt. Das Parlament ist bis auf ein paar Scheinfunktionen abgebaut, es wird auf dem Verordnungswege regiert, die militärischen Interessen stehen im Mittelpunkt, und, last not least, die Erfüllungspolitik ist beendet. Das Hindenburg-Programm von 1925 ist heute Wirklichkeit. Natürlich haben sich Hugenberg und Seldte und die andern Taufpaten die Entwicklung etwas turbulenter vorgestellt, wohl auch nicht daran gedacht, daß die Tücke der fraktionellen Kämpfe ihnen die Ausführung entwinden und in die Hände eines Zentrumskanzlers legen könnte. Nicht von Herrn von Hindenburg wurde die Verfassung demoliert, darin haben die Demokraten recht, wohl aber unter ihm. Ist das empfehlenswert für den Kandidaten der Linken?
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Die Nationalsozialisten setzen gegen Hindenburg eine sehr wirksame Drohung: einen Hohenzollernprinzen. Sie wissen ganz gut, daß sich der Präsident der Deutschen Republik innerlich von seinen dynastischen Vorgängern noch nicht gelöst hat, daß er vor Auwi oder gar dem Ex-Kronprinzen sofort resignieren würde. ›Berlin am Morgen‹ teilte zuerst mit, daß bei Herrn von Schleicher eine Begegnung zwischen Brüning und Friedrich Wilhelm stattgefunden habe zu dem Endzweck, dem Prinzen die Kandidatur auszureden. Zuerst wurde, wie es sich versteht, kräftig abgestritten, jetzt gibt man amtlicherseits schon das Zusammentreffen zu; allerdings handle es sich um eine »Privatangelegenheit«. Was haben sich die Herren Brüning und Hohenzollern wohl privat zu sagen? Wir sind keine besonders heißen Verehrer von Fragen des republikanischen Zeremoniells, aber der Vertreter des republikanischen Staates hat nicht mit dem Vertreter der gestürzten Monarchie an einem Tisch zu sitzen. Es ist wenigstens nicht bekannt, daß sich die Hohenzollern mit dem republikanischen Regime ausgesöhnt hätten. Dieses ganze Arrangement ist im höchsten Grade anstößig.
Die Vermittlung lag, wie das in letzter Zeit üblich geworden ist, bei Herrn von Schleicher. In frühern Jahren fanden die diplomatischen Déjeuners bei Borchardt statt. Es wäre besser, wenn sie auch in Zukunft bei der Gastwirtsbranche blieben, schon der bessern Kontrolle halber. Der unkonzessionierte Frühstücksbetrieb bei Herrn von Schleicher sollte umgehend geschlossen werden. Er wird in seinen politischen Konsequenzen etwas zu kostspielig.
Auf die Dauer wird diese Kabinettspolitik unerträglich. Herr Brüning hat sich bestens ans Diktieren gewöhnt. Warum legt er nicht in einer Notverordnung fest, daß die Angehörigen der frühern fürstlichen Familien keinen Anspruch auf Staatsämter haben? Damit wäre die Sache doch erledigt. Aber würde das der Reichspräsident unterzeichnen?
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Dieses Hohenzollern-Frühstück jedoch ist nur ein Teilstück aus dem weitverzweigten Intrigenspiel, das sich um die Kandidatur Hindenburg entwickelt hat. Es ist, nebenbei gesagt, ein im geistigen Sinne sehr kleines Spiel, die Teilnehmer wollen sich nicht etwa gegenseitig vernichten sondern nur ein bißchen madig machen. Im Grunde streben sie zueinander. Der Reichspräsident möchte am liebsten wieder von der Rechten nominiert werden. Ein weites Feld für freundwillige Vermittler, die Vorbedingungen dazu zu schaffen.
Hitler hat nach Kräften versucht, Brüning zu kompromittieren, dafür rächte sich dieser wieder durch ein kleines scherzhaftes Zwischenspiel, indem er Hitler dem Gelächter preisgab.
Das Reichsinnenministerium hat der Öffentlichkeit ein paar Dokumente übergeben, aus denen ersichtlich wird, in welcher Weise Herr Frick als thüringischer Minister seinem Chef das deutsche Staatsbürgerrecht verschaffen wollte. Frick hat vom münchner Polizeipräsidium her noch einige Übung in solchen Dingen. Adolf Bonaparte sollte als Gendarmeriekommissar in Hildburghausen anfangen.
Das ist gewiß recht komisch, denn selten deckten sich Mann und Amt so sehr. Aber der Heiterkeitserfolg wird bald verrauscht sein, und wenn diese Zeilen im Druck erschienen sind, wird sich das Braune Haus vielleicht schon durch eine Enthüllung über seine Gegner revanchiert haben, und dann lacht halt die andre Seite, und wir sind nicht viel weitergekommen.
Denn auch diese Einbürgerungskomödie zeigt nur die Schwäche und Inkonsequenz der Reichsregierung. Dieser Herr Hitler ist staatenlos, gehört also einem sonst ganz besonders unseligen Menschenschlag an, der das ewige Freiwild der internationalen Polizei ist und für jede Amtsperson, wie in frühern Zeiten die Dirne, die rote Lilie auf der Schulter trägt. Und dieser eine Staatenlose wirft sich zum Parteihaupt auf, er unterhält eine Privatarmee von 300 000 Mann, er schickt Emissäre in fremde Hauptstädte, welche die offizielle Außenpolitik zu durchkreuzen suchen, man verhandelt mit ihm als gleichberechtigter Macht, er versichert seine Legalität, während seine Anhänger Pläne zur Abschlachtung einiger zehntausend deutscher Staatsbürger entwerfen, er frühstückt mit den Reichswehrgewaltigen, er wird vom Reichspräsidenten empfangen. Eine anständige Karriere für einen Menschen ohne Staatszugehörigkeit.
Ich glaube, es gibt hier nur zwei Möglichkeiten: Hitler wird entweder eingebürgert oder ausgewiesen. Was das Reichsinnenministerium unternimmt, ist nur eine kleine Neckerei und durchaus nicht geeignet, die Autorität wieder aufzurichten. Herr Hitler wird an ein kleines Manko in seinen Papieren erinnert. Ein Manko, das sich mit hundertsechs Parteigängern im Parlament und einer einexerzierten Halsabschneidertruppe schon ertragen läßt.
Zugleich erfahren wir durch den ›Lokalanzeiger‹, daß die Nationalsozialisten bei der Reichswehr nicht mehr zu den staatsfeindlichen Parteien gerechnet werden. Wir atmen beruhigt auf. Diese Gegner fechten mit umwickelter Spitze. Sie würden untröstlich sein, wenn sie sich etwas ernstliches zu leide täten.
Die Weltbühne, 9. Februar 1932