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Zu spät!

Eine amerikanische Nachrichtenagentur verbreitete vor ein paar Tagen die Meldung vom Abschluß eines französisch-russischen Nichtangriffspaktes. Die Nachricht war verfrüht, denn die Verhandlungen sind noch nicht zum Ende gediehen. Aber der Erfolg ist kaum mehr bezweifelbar, nachdem sich beide Mächte bei den Beratungen über einen Handelsvertrag entschieden nähergekommen sind. Seit einiger Zeit findet die moskauer Presse wieder freundlichere Worte für Frankreich, und im Hintergrund steht noch ein gleiches Abkommen zwischen Rußland und Polen, von dem man bald hören wird.

Wir haben die Bedeutung solcher Pakte niemals überschätzt. Sie schaffen den Krieg nicht aus der Welt, wohl aber legen sie nützliche Hemmungen in das Unheilswerk der Schwertpolitiker. Zum mindesten sanieren sie für eine bestimmte Phase die Beziehungen zwischen zwei Mächten, sie geben den Vertragspartnern wenigstens vorübergehend Freiheit, sich im Guten oder Schlimmen andern Aufgaben zuzuwenden als der Kultivierung einer alten Feindschaft. Der Umgangston zwischen Paris und Moskau war ausgesprochen schlecht. Nirgendwo war die Bolschewikenfurcht ärger als in Frankreich. Nirgendwo benahm sich die Presse, auch die offiziöse, unhöflicher gegen die diplomatischen Vertreter der Sowjets. Das hat die Herren im Kreml nicht daran gehindert, erst die engere wirtschaftliche Verknüpfung, dann eine Besserung des politischen Verhältnisses zu versuchen. Daran konnte sie nicht der Skandal um Kutjepow, nicht die Hetze gegen den Botschafter Dowgalewski hindern. Denn die russische Außenpolitik zeichnet sich bei der Wahrnehmung der eignen Interessen durch eine glasklare Vernünftigkeit aus. Sie gleicht darin durchaus der französischen Außenpolitik, deren logische Folgerichtigkeit in Deutschland so oft verkannt wird. Sie beide, die russische und die französische Politik, vertreten den gleichen sublimierten Egoismus; sie drapieren sich beide ideologisch und menschheitlich: die eine sagt »Europa«, die andre »die Revolution«.

Die deutsche Presse, die sonst das Gras der Diplomatie immer wachsen hört, widmet den französisch-russischen Verhandlungen keine langen Betrachtungen. Sie beschränkt sich auf trockene Registrierung. Solche Schweigsamkeit läßt sich leicht erklären. Dieser Vertrag bedeutet den Totenschein unsres »außenpolitischen Aktivismus«, die Paraphe darunter sein Grabkreuz. Denn die Revisionskampagne, die mit der Ära Brüning aufkam, beruhte auf der Voraussetzung, daß die Feindschaft zwischen Paris und Moskau weder gesinnungsmäßig noch technisch zu überbrücken wäre, daß Rußland dem Europa versailler Konstruktion in ewiger Ablehnung gegenüberstehen würde. So übernahm man Kiplings berühmtes Wort »east is east, and west is west« kritiklos in ein ganz andres Klima, man baute darauf eine Politik und wie das hier landesüblich ist, gleich eine fertige Weltanschauung. Man hielt es für selbstverständlich, daß Rußland nicht zögern werde, sich mit einem revanchesuchenden fascistischen Deutschland gegen die kapitalistische Demokratie Frankreichs zu verbünden; zum mindesten rechnete man auf eine schadenfrohe Neutralität der Russen bei einer kleinen Regulierung der Ostgrenzen. Die russisch-französische Feindschaft, das ist der große Glaubenssatz der Nationalisten aller Farben. Davon lebt der alte Nationalismus von Hugenberg und Seeckt ebenso wie der neue Nationalismus von Jünger und Schauwecker und der rote Nationalismus des Leutnants Scheringer.

Die Herren kommen zu spät! Die beiden Staaten, die im Laufe des Jahres 1918 ihre Erbfeindschaft entdeckten, sind drauf und dran, eine wohltätige Erholungspause einzulegen. Und die französische Außenpolitik erteilt der Wilhelm-Straße noch eine ganz besondere Lektion, indem sie die Kreditschwierigkeiten Ungarns benutzt, um in diese Zitadelle des Revisionismus Bresche zu schlagen. Das jetzt in ärgsten Finanznöten zusammengebrochene Regime des Grafen Bethlen stellte gewiß niemals eine ernste Verneinung der Verträge dar. Aber für die deutschen Nationalisten bedeutete es mit seinem italienischen Bündnis, mit seinem sturen Chauvinismus, mit seiner permanenten Großmäuligkeit und seinen gelegentlichen Geldfälschungen gradezu das Musterbild einer Staatsordnung, in der die nationale Idee das Erste und das Letzte ist. Nun erweitert Frankreich seinen Einfluß im Südosten; Anschluß und Zollunion werden damit utopische Begriffe. Der deutschen Außenpolitik wird aber jetzt, nach der Romreise des Kanzlers, sehr handgreiflich demonstriert, daß die Freundschaft mit Mussolini den Bankrott nicht verhindern kann. Die größte Blamage klebt am Auswärtigen Amt, das jahrelang die Regierung Bethlen als starke Alliierte und große Zukunftschance betrachtet hat. Das Auswärtige Amt hat seit den Tagen, wo der Staatssekretär Zimmermann den Weltkrieg mit Hilfe Mexikos gewinnen wollte, eine besondere Vorliebe für Nieten. Hier zeigte sich das wieder sehr deutlich.

Der Aktivismus hat also die besten Früchte getragen. Wenn Herr Laval demnächst nach Berlin kommt, wird er Deutschland in völliger Isolierung vorfinden. Man hat von einer Schützengrabengemeinschaft mit Rußland gefaselt, man hat über einem gelegentlichen diplomatisch-militärischen Techtelmechtel in Moskau die Verständigung mit Frankreich versäumt und dabei nicht einmal das Vertrauen Rußlands erworben. Man hat gemeinsam mit dem russischen Kommunismus die »Ketten von Versailles« brechen wollen und zu diesem Zweck zunächst einmal die deutschen Kommunisten in Ketten gelegt. Deutschland behält in Moskau keinen andern Ruf als den, das gelobte Land der Kommunistenverfolgungen, der Zuchthausurteile zu sein. Ein Traum ist zu Ende. Die Drohung mit Rußland löst sich in Dunst auf, der ungarische Bluff zerplatzt. Es ist unter diesen Umständen kein Wunder, daß man jetzt, wo es tagt, die künstliche Beleuchtung verstärkt und daß von alledem in der großen Presse kein Wort zu lesen ist.

Die Weltbühne, 25. August 1931


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