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Rechts ist Trumpf!

Anderthalb Jahre hat der Reichskanzler Brüning sich bemüht, der sogenannten Nationalen Opposition Manieren beizubringen. Er hat sich sein Erziehungswerk durch so viele Konzessionen an die Rechte zu erleichtern versucht, daß die arme demokratische Republik dabei in die Brüche gegangen ist. Brünings Idee war: die Rechtsparteien soweit zu zivilisieren, daß sie außenpolitisch tragbar wurden und innenpolitisch wenigstens noch einen Schein von Legalität wahrten. Damit ist der Reichskanzler gescheitert. In dem braunschweigischen Harzburg tritt alles, was Küche und Keller an Fascismus, Monarchismus und Nationalismus zu bieten haben, geschlossen gegen ihn auf. Die Reden der Führer sind ein einziges dröhnendes Pronunciamento. Zugleich mißlingt Brünings Versuch, durch Aufnahme von Vertrauensmännern der Schwerindustrie sein Kabinett umzubilden, um durch Gewinnung der wirtschaftlichen Reaktion auch die politische Reaktion an sich zu knüpfen. Nach einigen Tagen qualvollster Verlegenheit kommt nur ein mäßig verändertes Kabinett zustande, das, von allen Mittelgruppen verlassen, nicht lange leben kann, auch wenn es das erste parlamentarische Feuergefecht überstehen sollte.

Das Bemerkenswerteste an den Wirren der vergangenen Woche ist, daß Brüning auf den Reichspräsidenten nicht mehr in dem Maße wie früher rechnen kann. Wir wollen uns nicht in das Rätselraten verlieren, ob Brüning besondere Vollmachten verlangt hat oder nicht. Die Hauptsache ist, daß er sie nicht in der Hand hat. Infolgedessen sagten Schmitz, Silverberg und Vögler ebenso ab wie Bracht, Geßler und Neurath. Die Herrschaften verzichteten auf das Vergnügen, nach einer Ministerschaft von ein paar Stunden wieder in ihre Privatwohnungen zurückzukehren. Nicht einmal mit den Namen Geßler und Neurath als Köder ist es Brüning gelungen, die Rechte wenigstens zur Tolerierung zu verführen. Die anonyme Clique, die sich hinter der ehrwürdigen Kulisse »der Reichspräsident« verbirgt und deren Quertreibereien schon wiederholt Unheil angerichtet haben, will diesmal ganze Arbeit machen und die Regierung an Hugenberg-Hitler ausliefern. Deshalb wird die formale Demission des Kabinetts zum Anlaß genommen, ein wahres Fegefeuer von Intrigen anzufachen. Und deshalb erscheint einen Tag vor dem harzburger Treffen der braune Häuptling des deutschen Fascismus im Palais des Reichspräsidenten. Ein Ereignis von unerhörter propagandistischer Wirkung für die Reaktion, auch wenn sich die beiden Herren nur über das Wetter unterhalten haben. Und als Auftakt für Harzburg wird die Sprache der Nationalsozialisten so drohend und frech wie seit einem Jahre nicht. In Dessau hat einer davon, der Abgeordnete Stöhr, in öffentlicher Versammlung ausgeführt, es müßten nicht immer Köpfe rollen, das höchste Gericht des Dritten Reichs werde eine Methode ausfindig machen, deren Durchführung ein Erzeugnis der deutschen Hanfindustrie vorübergehend im Preise steigert. So etwas darf öffentlich gesagt werden, und obgleich es nicht erst einer Notverordnung bedurfte, um da einzuschreiten, läuft der Lümmel noch immer frei herum. Die Rechte weiß, was sie riskieren darf. Sie steht an der Szene, sie ist dran.

Die in Harzburg versammelte Nationale Opposition hat sich »bereit und gewillt« erklärt, »die Verantwortung zu übernehmen.« Dabei war das von den Haupthähnen des Nationalismus abgelesene Zeug ohne Geist und Plan wie sonst auch. Hugenberg übernahm, so ganz nebenbei, auch noch die Rettung Amerikas, Hitler forderte die Aufhebung des Versailler Vertrags, und der unqualifizierbare Schacht denunzierte die Reichsbank, daß ihre Ausweise nicht den Tatsachen entsprächen. Obgleich das alles tönte und rasselte wie schlechte Militärmusik, fehlte doch eine am Äußerlichen haftende Aggressivität. Die Herren waren alle auf ihre Weise bemüht, den Realitäten Rechnung zu tragen. Kommunismus oder Nationalismus! ruft Hitler, und gibt damit den ohnehin fadenscheinigen Sozialismus der Seinen endgültig auf. Schacht will, nach alten Rezepten, nur an das »raffende Kapital« heran. Hugenberg wettert gegen den internationalen Kapitalismus, um dafür dessen deutsche Spielart desto dicker zu unterstreichen. Er feiert die »nationale Volkswirtschaft«, die nicht dem geschlossenen Handelsstaat gleichzusetzen ist, »aber eine sich selbst genügende Nahrungsgrundlage bedeutet«, er fordert »selbständige Währungs- und Handelspolitik«. Das sieht alles nicht sehr nach Drittem Reich aus, das sind keine besessenen Wiedertäufer, deren irdisches Handeln und Wollen die Idee metaphysisch durchleuchtet. Dieser Adolf Hitler ist kein neuer Jan Bockelson van Leyden, der eine ganze Nation in Verzückung bringt wie dieser die kleine Bischofsstadt Münster. Dieser Prophet ist ein gerissener Industrieagent, der weiß, was seine Einbläser wollen. Gute Nacht, Moeller van den Bruck, du bist gestern in Harzburg ein zweites Mal gestorben. Hier geht es nicht um den in Deutschland zu verwirklichenden Gottesstaat sondern um höchst kommune Geschäftsinteressen. Die erstrebte Nationale Regierung entlarvt sich immer mehr als ein neues Kabinett Cuno mit Inflation, Unternehmerwillkür, Abbau der Sozialpolitik und etwas nationalistischem Tamtam. Diesen Herren Schwerindustriellen und Großagrariern brennt das Feuer unter den Nägeln, und weil Brüning den letzten Einbruch in die Lohntarife und die Sozialpolitik verzögert, deshalb läßt Hugenberg sein Ultimatum in eine Staatsstreichdrohung ausklingen: »Der Bauplatz muß zuvor seitens der Andern geräumt sein, oder er muß durch die Unsern gestürmt werden.«

Zu diesem Sturm wird es kaum kommen. Denn die zweite Brüningregierung steht auf so schwachen Beinen, daß sie Herr Hugenberg ohne jeden Aufwand durch eine Räumungsklage beim Amtsgericht Berlin-Mitte zum Abzug nötigen könnte. Wenn die Harzburger sonst nichts für sich haben, so doch die Logik der Situation. Eine volkstümliche Welle trägt sie hoch, ihr Plus ist das katastrophale Minus heute nach anderthalb Jahren Brüning. Die nationalistische Bewegung ist sehr stark, auch wenn sie in sich nicht geschlossen ist und Nationalsozialisten und Stahlhelmer gestern, wie Kriemhild und Brunhild, um den Vortritt gestritten haben. Weniger aussichtsvoll sind dagegen die nächsten Chancen einer Rechtsregierung. Sie wird sich zunächst mit Frankreich zu vertragen haben, also viele ihrer Anhänger enttäuschen müssen, denn Geld kommt nur über Paris. Der neue französische Botschafter François-Poncet ist zwar der Rechten wohlgeneigt, aber das französische Volk ist es nicht, und Frankreich wird noch immer nicht von betriebsamen Industriebeamten regiert. Die antifranzösische Hetze wird jedenfalls aufhören müssen, Deklamationen gegen die Tribute fallen ohnehin fort, denn die Reparationen sind inzwischen im Weltmeer der Krise still versunken. Man vergesse nicht, daß der deutsche Nationalismus heute noch von starken sozialrevolutionären Kräften getragen wird. Im Falle der Machtergreifung aber hat er nichts zu bieten als Wirtschaftsreaktion, praktisch wird er gezwungen sein, das System der Notverordnungen fortzusetzen, das Brüning so vorbildlich eingeleitet hat.

Doch diese Betrachtung greift den Ereignissen vor. Einstweilen kommt das Regime des Nationalismus näher wie ein unabwendbares Verhängnis. In seiner tödlichen Verlegenheit hat der Reichskanzler, dem alle bequemern Sitzgelegenheiten verloren gegangen sind, sich in verzweifelter Entschlossenheit auf die Spitze der Bajonette gesetzt. An Stelle des Herrn Wirth, der sich in seinem Kampfe um die Reinheit der deutschen Seele einen Glorienschein erworben und den trotzdem der Teufel geholt hat, tritt der Wehrminister Groener. Militär und Polizei in einer Hand, Wehrmacht und Exekutive in einer Person vereinigt, das heißt höchste Alarmbereitschaft. In äußerster Not ernennt Brüning selbst einen Primo de Rivera, um einem Andern, der dazu Lust haben könnte, die Rolle vor der Nase wegzuschnappen. Eine Diskussion über die Verfassungstreue Groeners erübrigt sich unsres Erachtens, denn die Verfassung, die es zu schützen gilt, ist von Brüning selbst in unermüdlicher Bureauarbeit in Atome zertrümmert worden. Noch in seinen letzten Notverordnungen bemüht er sich, den Übergang zu Hugenberg-Hitler möglichst unauffällig zu machen.

Die Absagen an Brüning kommen heute von den wenigen Liberalen, die es noch in Deutschland gibt. Die Sozialdemokratie hat sich zu einem solchen Entschluß noch nicht durchgerungen, ja, Brüning kann in seine letzten Amtsstunden den Trost mitnehmen, daß die Sozialdemokratie einen pietätvollen Kranz von Immortellen auf seinem Grabe niederlegen wird. Welch eine Komödie hat die Wirklichkeit da gedichtet! Wenn dieser Kanzler überhaupt ein Programm hatte, so war es das, die Sozialdemokratie in die Ecke zu drängen und in ihrem Einfluß auf den Staat durch konservative Elemente zu ersetzen. So wie eine arme verschmähte Geliebte, die nach einer Zärtlichkeit hungerte und statt dessen nur Prügel bezog, als einzige dem Sarge des Angebeteten folgt, während die viel feinern Damen bereits die nächste Lagerstatt parfümieren, so trauert die Sozialdemokratie heute um den teuren Verblichenen, der ihr Seele und Unterleib für immer ruiniert hat. Brüning hat der Sozialdemokratie nichts zuliebe getan. Er schreckte nicht einmal davor zurück, ihr Geßler und Neurath zuzumuten. Und daß Herr Geheimrat Schmitz von I.G. Farben nicht Minister wurde, scheiterte nicht nur an dessen mangelndem Willen sondern auch an dem Einspruch Stegerwalds, der vermeinte, die Sozialisten würden nicht imstande sein, Herrn Schmitz hinzunehmen. Welch überflüssiges Zartgefühl, sie hätten noch ganz andre Pillen geschluckt. Der christliche Arbeiterführer Imbusch ist es gewesen, der vor ein paar Tagen gegen die Zechenherren mit Sozialisierung gedroht hat, sicher nicht aus einem Überschwang an Radikalismus, sondern in der klaren Erkenntnis, daß man heute zu Arbeitern nicht anders sprechen kann. Während die Sozialdemokratie ihre eignen Radikalen vor die Tür setzt, spielt ein nichtsozialistischer Arbeitervertreter die Karte der Sozialisierung aus.

»Gegen das zweite Kabinett Brüning kann man genau dasselbe einwenden wie gegen das erste. Aber auch nicht viel mehr«, schreibt der ›Vorwärts‹. Und weiter: »Es ist ein offenbarer Unsinn, wenn man sagt, es sei dasselbe wie ein Kabinett Hitler-Hugenberg.« Gegen eine so unerbittliche Selbstmordabsicht läßt sich nicht mehr mit oft wiederholten Argumenten streiten. Hier muß man sich nach einem unverdächtigen Zeugen, am besten von der andern Seite der Barrikade, umsehen. Die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹ schreibt am 4. Oktober: »So steuern wir immer weiter von der Demokratie ab. Brünings politische Tätigkeit kann man doch nur dahin zusammenfassen, daß sie mit einem Wort Bismarcks, die Vorfrucht der nationalen Diktatur bedeutet, das heißt, er gewöhnt das Volk an die Diktatur und ermöglicht es seinen Nachfolgern, sich zu behaupten unter Hinweis auf ihren Vorgänger.« Hier ist mit musterhafter Deutlichkeit ausgesprochen, worauf es ankommt. Dies und nichts andres haben wir vom ersten Tage der Kanzlerschaft Brünings an behauptet, und die Harzburger sind herzlich undankbar, wenn sie den Mann, der alles so nett für sie eingerichtet hat, jetzt als nationalen Schädling in den tiefsten Tartaros stürzen möchten. Auch für diesen Katastrophenspezialisten sollte in dem Katastrophenkabinett Hitler-Hugenberg ein Platz frei sein. Der Politiker Brüning hat den Ruck nach rechts gewollt und statt dessen den Fascismus heraufbeschworen. Nun sind ihm die Dinge übern Kopf gewachsen, und der Zauberstab, mit dem er so munter hantierte, tanzt ihm grob auf dem Rücken herum. Die papiernen Wände der Konstitution sind durchstoßen, keine »formale Demokratie« wird in Zukunft mehr hindernd und mildernd zwischen Kapitalismus und Arbeiterschaft stehen. Der Weg der Evolution ist verrammelt, der Kanzler, der die Autorität stärken wollte, hat die Anarchie durch tausend Löcher ins Haus gelassen. Der Mann, dem es gelungen ist, die Republik auf dem Verordnungswege zu erledigen, muß sich heute hinter Groeners Bajonette verkriechen. Der Mann, der das Volk an die Diktatur gewöhnt hat, verläßt er die Szene, und ihm wird zum Abschied genau das, was er verdient hat: – ein Steinwurf und ein Fluch.

Die Weltbühne, 13. Oktober 1931


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