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Niemand wird in diesen Tagen in ärgrer Verlegenheit sein als Herr Doktor Werner, der Oberreichsanwalt. Während er sich sonst seine Landesverräter aus einer linken Ecke holte, wird ihm jetzt von Herrn J. Goebbeles, dem Oberrabbiner der berliner Teutonen, der Herr Reichspräsident in Person präsentiert. Wird Herr Doktor Werner dieser Verlockung, die alle Jägerinstinkte in ihm wachkitzeln muß, widerstehen? Der Herr Reichspräsident täte gut, sich schon jetzt mit Paul Levi in Verbindung zu setzen, denn bei Herrn Lütgebrune wird er wohl kein Glück mehr haben ...
Dieses Volksbegehren hugenbergscher Formung ist ein Akt jener politischen Hysterie, die nach oberflächlicher Meinung Heimat und Blüte nur in Frankreich hat. Aber seit Paul Déroulède und Fort Chabrol haben sich die Franzosen durchweg recht vernünftig gezeigt, der politische Wahnwitz hat dagegen in Deutschland tief Wurzel gefaßt. Was will Herr Hugenberg? Wogegen protestiert er? Gegen einen unbestreitbaren außenpolitischen Erfolg. Gegen die Befreiung einer deutschen Provinz von fremder Besatzung. Wo und in welchem Lande wurde je ein solcher Irrsinn so planmäßig zelebriert?
Aber zwischen all den Narreteien, die das Komitee Hitler-Hugenberg-Seldte in die Welt setzt, befindet sich doch eine vergiftete Waffe. Das ist die Geschichte von dem im Youngplan angeblich vorgesehenen deutschen Sklavenexport in die Kolonien der Andern. Eine horndumme Erfindung zwar, aber trotzdem perfide ausgedacht, und die amtlichen Richtigstellungen haben nichts genützt. Seit der Dolchstoßlegende und den Weisen von Zion ist nichts Bösartigeres ausgebrütet worden. Der Pfeil ist gewiß aus schlechtem Holz geschnitzt aber mit Curare getränkt. Denn es gibt eine große Schicht, die für solche Sensationen aufnahmefähig ist. Es gibt eine politische Unterwelt, wo keine Tatsachen, keine Augenscheinlichkeiten, keine Sachargumente verfangen. Kein Lichtstrahl aus der deutschen Wirklichkeit ist dorthin gedrungen, nur der dümmste Schwindel. Die sogenannte Volksbewegung wird bald erledigt sein. Auch Herr Hugenberg ist nur eine flüchtige Erscheinung. Aber der Flurschaden, den er angerichtet hat, wird nicht so bald behoben sein. Die von ihm ausgesäte Lüge wird die Republik noch durch viele, viele Jahre verfolgen.
Sklaverei –? Wen kann man damit eigentlich in Panik jagen? Ein tönerner Begriff, ein klapperndes Schlagwort. Mit oder ohne Youngplan – die breite Masse lebte vorher und wird weiter in einer Lohnsklaverei leben. Sie rechnet sich mühsam durch die Woche, mit Eisenklammern an den ihr von den Gesetzen der Wirtschaft diktierten Lebensstandard gefesselt. Dann kommt das Heer von Arbeitslosen, das nichts sehnlicher wünscht als baldmöglichst aus der enervierenden Untätigkeit in die Trupps der Lohnsklaven zu rücken. Dann kommt das Rentenproletariat, zerknitterte, verprügelte Existenzen, immer mit einem Auge am Gashahn, dann das absinkende Kleinbürgertum, auf den Trümmern seines einstigen Besitztums noch immer die Bettelfahne seiner traditionellen »Selbständigkeit« schwingend. Die Ängstlichen, die sich in ihren Albträumen schon unter dem Bambusstock eines Virginiapflanzers ächzen sehen, mögen ruhig sein. Das kapitalistische System von heute braucht nicht die Fürsten des achtzehnten Jahrhunderts nachzuahmen, braucht nicht die Untertanen zu Tausenden nach Amerika zu verkaufen. Die moderne Leibeigenschaft ist bodenständig, sie stößt niemanden aus, sie kettet ans Land. Sie stößt nicht einmal die Arbeitslosen aus, denen in ihrem Hungerdasein noch immer die wichtige Funktion zufällt, als industrielle Reservearmee im Hintergrunde zu bleiben und die Löhne zu drücken.
Es ist der ewige spießbürgerliche Schwachsinn, zu glauben, es gäbe keine Sklaverei mehr, nur weil man seinen Passepartout in der Tasche hat, ohne Erlaubnis des Bezirksamtmanns von Berlin nach Brandenburg reisen und ohne Zustimmung seines Arbeitgebers heiraten darf. Das Helotentum des kapitalistischen Zeitalters ist heimatwüchsig, es war vor dem Dawes- und Young-Komitee da. Es wird bleiben, auch wenn die Gläubigermächte plötzlich vor Herrn Hugenbergs schöner patriotischer Haltung plötzlich Furcht bekommen und ihre Shylockkontrakte zerreißen sollten.
Weil sich aber die Tatsachen ökonomischer Zwangsläufigkeiten doch nicht so ohne weiteres fortzaubern lassen, deshalb hat man für den deutschen Hausgebrauch ein schreckliches Gebilde herbeigezaubert, an dem man auch die Empörung abreagieren kann. Das ist der »Weltkapitalismus«, ein vages Kompromißprodukt, das man in der Arbeiterkate mit gleicher Ungefährlichkeit wie im Industriekontor verwünschen kann. Radikale Revolutionen gegen das Bankhaus Morgan stören das Ausbeutertum hierzulande nicht.
Dennoch gestattet sich Herr Hugenberg damit ein bitterböses Spiel, dessen Folgen einmal, wenn nicht noch auf ihn, so doch auf die Erben seiner Macht fallen werden. Einmal muß die nationalistische Radikalisierung Deutschlands ins Sozialistische umschlagen. Man kann nicht Hungerleidern dauernd vorlügen, der Feind stehe jenseits der Grenzen. Für die Gegenwart bleibt nur zu beklagen, daß ein größenwahnsinniger Industriedespot noch immer wagen darf, eine solche Giftgasattacke des Chauvinismus auf Deutschland loszulassen. Damit das Haus Hugenberg gedeiht, muß das Land wieder in Not und Zerrüttung geschleudert werden wie anno Stinnes. Gewissenlose Hetzmäuler sausen durch die Provinz und fanatisieren die Ewigdummen, in edler Konkurrenz mit den Blättern aus der Zimmerstraße. Keine Lüge, keine Niedertracht bleibt unverwendet. Der Cherusker Hugenberg braucht, wie sein sagenhafter Vorgänger, den Morast, um zu siegen.
Aber das alles wäre viel einfacher, wenn die Republik nicht durch eigne Schuld so viel Kredit verloren hätte.
Die Weltbühne, 22. Oktober 1929