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Wie man sich wiedertrifft

Lukrezia nach 17 Jahren

Ich nannte sie Lukrezia, seit sie jung und strahlend bei uns in Leons Atelier erschienen war, wo wir Grünspechte, phantastische Träume in karge Realitäten umsetzten und ich noch in der gleichen Nacht meine Tragödie »Lukrezia Borgia« für sie zu schreiben begann. Seit einigen Monaten war sie am Stadttheater engagiert, rasend ehrgeizig und spielte an Sonntagnachmittagen eine kokette unwahrscheinlich junge Maria Stuart. Meine Borgia-Tragödie zeichnete sich vor minimalen Konkurrenzversuchen durch die neue interessante Nuance aus, daß Lukrezia in der Nacht vor seiner Verbrennung Savonarola in seiner Zelle verführt.

Einmal las ich abends im Atelier aus meinem Drama vor, und sie ließ sich herbei, eine Szene zu sprechen. Nachher brachte ich sie durch eine dunkle Allee nach Hause und faselte immerzu Verse und begann schließlich ganz leise und zag auf ihren Schultern zu skandieren und so weiter. Sie wehrte lachend ab. Sie hat später noch manchmal abgewehrt und einmal setzte es sogar eine Maulschelle, aber ich hatte trotzdem immer das Gefühl, daß wenn ich drei Jahre älter wäre ... und ich verwünschte meine Jugend. O Narr, deine Jugend zu verwünschen.

Eines Tages war sie nach New-York ans Irving Place-Theater engagiert. Ihr letztes Wort war, entweder als Charlotte Wolter wiederzukommen oder gar nicht.

Wiedergesehen habe ich sie 17 Jahre später auf dem Podium eines fünftrangigen Kabaretts der Friedrichstadt, entkleideter als ich jemals meine Lukrezia in meinen wildesten Träumen mir vorgestellt hatte. Sie trug ein Kouplet vor, der Text war hanebüchen, entsprechend die Gestikulation.

Nachher im Vorraum stand ich ganz dicht neben ihr. Wie alt mochte sie eigentlich sein? Das goldrote Haar war inzwischen fuchsig brennend geworden, sie hatte das typische grell glänzende, in allen Winkeln ausgetuschte Chansonetten-Gesicht, aber ihr Profil hatte noch etwas von längst vergangener mädchenhafter Lieblichkeit.

Ich begrüße sie. Sie sieht mich ohne Erinnerung an, dann, wie unter Emailleschicht, ein professionelles Lächeln –: sie müsse jetzt noch im »Gelben Affen« auftreten, aber nachher könnte ich sie ja besuchen, das Haus sei die ganze Nacht auf. Und sie sagt mir ihre Adresse.

Dann stand ich an der Friedrichstraße und dachte, daß ich sie vor 17 Jahren geliebt hatte und daß es wohl kaum 10 Jahre her waren, seit dem ich sie vergaß. Und plötzlich wurde ich sehr müde und das Gelärme um mich tat mir weh, und ich hielt mir die Ohren zu. Und für einen Augenblick wurde das Gegröhle Betrunkener, der Ausruf der Zeitungshändler, das Getute der Autos, der ferne Signalpfiff von der Bahnhofsbrücke zu einem einzigen langgezogenen, klagenden Ne – ver – more ...


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