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Eine Bilanz nach 48 Stunden.

Wenn ein Dampfer am Hafenkai liegt und seine Ladung einnimmt, wenn vom Lande aus hochbeinige Krähne die Ballen und Fässer und Kisten hinüberreichen und sie mit schnarrendem Kettengerassel in die Luken des Schiffskörpers versinken lassen, und vom Dampfer lange Krahnarme nach dem Ufer hinübergreifen und die mit Stahltauen umschnürten Holzhäuser mit den schweren Maschinen drin von den niedrigen Lowrys auf dem Geleise des Schienenstranges langsam emporheben und die schwebende Last sich in der Luft langsam zu drehen beginnt und mit ächzendem Wehlaut an der Reeling anstößt, daß krümelnde Holzstückchen herabfallen, und wenn der Lademeister, der zu den Leuten an der Dampfwinde hinüberschimpft und seine Papiere mit den Zetteln des Zollbeamten vergleicht, wenn der eine einen blauen Strich im Konnossement macht und der andere mit dem angefeuchteten Bleistiftstummel jedes Stück der Ladung in seiner Liste markiert, dann kommt auch endlich eine kleine Kiste an die Reihe, die seit gestern schon unter dem Schutzdach des geteerten Öltuches geduldig wartet. »Eine Kiste optischer Instrumente,« sagt der Zollbeamte und macht einen blauen Strich. »Eine Kiste optischer Instrumente,« wiederholt der Lademeister und macht einen Bleistiftstrich und ruft: Vorsicht! wenn ein Arbeiter die schwere Kiste hochkanten will. Dann faßt der Greifhaken des Krahnbalkens oben in die Schlinge des Stahltaus und mit stotterndem Zungenschlag setzt das rasselnde Räderwerk der Dampfwinde ein, der Stahldraht scheuert sich knisternd in die Wand der Kiste ein, das Faß daneben rückt mürrisch beiseite, ärgerlich schurrt die Holzumkleidung eines gußeisernen Maschinenteils splitternd über die nassen glitscherigen Köpfe der Pflastersteine. Oliaho … Oliaho machen die Arbeiter und schieben nach. Spritzende Tropfen öligen Wassers, fauchende Dampfstrahlen, und unter dem harten Stottern der Dampfwinde, unter Schreien und Schimpfen versinkt das Ganze im Schiffsraume, auch die Kiste mit den optischen Instrumenten. Neben freundlichen weißen Kisten mit blinkenden Stahlwaren wird sie zwischen weichen Ballen von Lederpappe im Raume für Stückgut sicher gebettet. Aber wenn der Lärm dort oben verstummt ist, wenn die einbrechende Nacht die schnarrenden Winden und die klirrenden Ketten zur Ruhe verweist, wenn nur der schleppende Schritt der Deckswache oben einen Widerhall findet, dann – ja dann kann man es hören. In dem Innern der Kiste geht es ganz leise Tick … Tick … Tick. Das Uhrwerk ist aufgezogen und auf die Sekunde gestellt. Tick … Tick macht es. Wenn das Schiff ganz weit draußen ist und die Passagiere schlafen und die Wache auf der Back nach der Brücke hinübersingt: »Lampen brennen. Alles wohl!«, dann ist das Uhrwerk abgelaufen, dann stockt die Feder und löst einen kleinen Hammer aus. Zehn Kilo Dynamit genügen. Und eine Viertelstunde später irren nur noch ein paar mit Menschen vollgestopfte Boote halb sinkend über die Wogen, die den stolzen Dampfer verschlungen haben.

Tick, Tick, Tick geht es unten im Raume; die Uhr ist gestellt. Unaufhaltsam geht es Tick, Tick, bis die Stunde kommt, die niemand kennt. Man kann nie wissen, was für Ladung man an Bord nimmt. Einmal muß die Stunde kommen. Aber niemand weiß es.

*

Auch wir hatten die Stunde nicht gewußt. In der Zeit, da der kleine Zeiger viermal die Runde machte, hatte unser Land ein ganz anderes Aussehen erhalten, und die Bilanz über die letzten 48 Stunden, die die Presse am Dienstag Morgen zog, wirkte geradezu niederschmetternd. Dem Erscheinen des Feindes im Westen waren im Osten, waren in New York die ersten Schläge auf finanziellem Gebiete gefolgt. In Wall Street eröffneten am Montag die Eisenbahnwerte, soweit sie die Linien betrafen, die über das Felsengebirge nach Westen führten, mit Minimalkursen, die nahe an Makulatur streiften. Anscheinend waren in der ersten Panik ungeheure Massen sinnlos auf den Markt geworfen worden, bis dann in der zweiten Börsenstunde plötzlich, nachdem Milliarden in fliegender Hast umgesetzt waren, unter dem Eindruck von Massenkäufen durch eine starke Hand eine leise Aufwärtsbewegung einsetzte, aber bevor diese richtig erkannt wurde, hatten die Eisenbahnmagnaten des Westens bereits das ganze schwimmende Material restlos aufgekauft. Sie konnten mit der Realisierung ihrer Millionenverdienste warten, bis erst die amerikanische Armee den Feind wieder vertrieben hatte.

Gleichzeitig kamen von jenseits des Ozeans die riesenhaften Verkaufsordres von London. Die alte Welt suchte sich aller amerikanischen Papiere zu entledigen, und man machte in der Union nur von neuem die alte Erfahrung, daß in der Stunde eines politischen Zusammenbruchs jeder Staat ganz allein dasteht und daß an dieser Tatsache alle diplomatischen Nichtigkeiten und alle unschädlichen Rührseligkeiten fremder Völker nichts ändern. So war es nach der Schreckensnacht von Port Arthur gewesen, so war es auch jetzt.

Wie es möglich gewesen war, daß sich die Japaner innerhalb 24 Stunden in den Besitz der Pacificstaaten setzen konnten, war in allen Einzelheiten natürlich noch nicht zu übersehen. Die in den nächsten Tagen und Wochen einlaufenden Nachrichten ergaben aber ungefähr folgendes Bild: Die Zahl der auf amerikanischem Boden ansässigen Japaner betrug rund 100 000 Mann. Wir wissen, daß die Japaner sich nicht nur als Kleingewerbetreibende, als Händler und Kaufleute in den Städten niedergelassen hatten, daß sie als Farmer, als Obstzüchter, überall zu finden waren; japanische Kulis, mongolische Erdarbeiter waren bei allen Bauten, an allen Eisenbahnstrecken beschäftigt. Die gelbe Flut drohte bereits die Grundlagen unseres Wirtschaftslebens durch Unterbieten aller Preise zu unterspülen. Der gelbe Einwanderer, der dem amerikanischen Arbeiter Hacke und Spaten, Axt und Säge aus der Hand nahm, der in die Fabriken und Werkstätten eindrang und bei Lohnkämpfen ein rücksichtsloser Streikbrecher war, er war nicht nur in den Pacificstaaten sondern, das Felsengebirge überschreitend, bis tief in den Osten hinein ein Gast geworden, der, kaum angekommen, mit einem Tsuschima-Lächeln schon seine Rechte, seine politischen Rechte forderte. Der Einzelne erregte keinen Verdacht und ward auch nicht unbequem, und immer haben es die Mongolen verstanden, die Vorpostenkette ihres Volkes auf amerikanischem Boden nirgends so zu verdichten, daß das japanische Element irgendwo besonders aufgefallen wäre. Aber sie waren überall.

Es ist uns häufig gesagt worden, daß jeder an der Pacificküste landende oder über die kanadische und mexikanische Grenze kommende Japaner ein vollkommen ausgebildeter Soldat sei. Aber wir haben das mehr als ein politisches Kuriosum, als eine japanische Eigentümlichkeit, denn als ein Warnungszeichen angesehen. Daß aber diese ganze Ansiedelungspolitik nach einem bestimmten Plane geregelt wurde, daß jeder japanische Einwanderer seine militärische Stellungsordre hatte und daß er mit der im geheimen arbeitenden militärischen Zentrale in San Franzisco stets in Verbindung blieb und auch in gewissen Zwischenräumen durch reisende japanische Händler und Agenten – es waren Generalstabsoffiziere, die gleichzeitig die wichtigen Terrainstudien für den Kriegsfall machten – kontrolliert wurde, das blieb unsern Augen verborgen. Ebensowenig wußten die Unternehmer im Staate Washington, die aus Kanada Hunderte von japanischen Holzfällern bezogen, wußten die Eisenbahngesellschaften, die japanische Streckenarbeiter anstellten, daß sie damit eine japanische Kompagnie in ihren Dienst nahmen.

So vollzog sich der Aufmarsch für den kommenden Krieg in großem Maßstabe während des Jahres 1907, bis das starke Zuströmen der japanischen Einwanderer endlich zu den bekannten Konflikten führte. Wir haben es damals als einen Triumph unserer Diplomatie angesehen, daß Japan angesichts der drohenden Haltung Californiens nach etwas diplomatischem Strohfeuer klein beigab und das bekannte Auswanderungsverbot für Hawai und die Pacificküste erließ und gleichzeitig eine Anzahl der Auswanderungsgesellschaften daheim auflöste.

Tatsächlich hatte Japan damals seinen militärischen Aufmarsch in unserem Lande im vollsten Frieden beendet und stieß nur noch bei der letzten Konzentrierung des Kuli-Importes auf Schwierigkeiten. Tatsächlich war die japanische Invasion, von der unsere Politiker in einer fernen Zukunft träumten, bereits um die Jahreswende 1907/8 fertig. Die japanische Armee auf unserem Boden stand Gewehr bei Fuß und wartete bis man daheim finanziell und militärisch ebenfalls fertig wurde und die Parole zum Angriff ausgegeben werden konnte.

Wenn wir heute die Zeitungen aus jenen Jahren durchblättern, müssen wir darüber lächeln, daß wir uns damals haben einreden lassen können, die japanische Gefahr sei durch den diplomatischen Rückzug der Regierung in Tokio und durch das Verbot der Auswanderung nach Nordamerika gebannt. Damals schrieben unsere Zeitungen, Japan habe eingesehen, daß es den Bogen überspannt habe, es weiche jetzt zurück, weil ihm Admiral Evans Flottenfahrt gezeigt habe, daß wir gerüstet seien. So wenig kannten wir den Charakter der Mongolen.

An die Anwesenheit eines so starken japanischen Bevölkerungselementes in dem Völkergemisch unserer Weststaaten allmählich gewöhnt, haben wir es versäumt, das Treiben dieser so harmlos aussehenden japanischen Ansiedler zu kontrollieren. Viel zu beobachten gab es freilich auch nicht, aber es wäre doch interessant gewesen, den Inhalt der zwar nicht umfangreichen, aber regelmäßig eingeschmuggelten Warentransporte über die mexikanische und kanadische Grenze zu untersuchen. Warum haben wir uns dabei beruhigt, daß dem Grenzschmuggel doch nicht zu steuern sei? Es waren nicht die traditionellen Klavierkisten und nicht die famosen landwirtschaftlichen Maschinen, deren Absatz nach kriegführenden oder kurz vor dem Ausbruch eines Krieges stehenden Staaten erfahrungsgemäß immer einen so sonderbaren Aufschwung nimmt. Mit so plumpen Mitteln arbeiteten die Gelben nicht. Es waren kleine gefällige Kistchen mit zerlegten Gewehren und Handwaffen. Und wenn ein japanischer Farmer einen Erntewagen aus Kanada bezog, so war es ein reiner Zufall, daß die außerordentlich stark gebauten Räder dieses Karrens genau an ein Feldgeschütz oder an eine Protze paßten. Das Rohr bezog dann der Nachbar, der zum Bau seines Hauses eiserne Säulen brauchte, in deren Innern die Teile des Geschützrohres angelötet waren. So kam im Laufe der Jahre allmählich die gesamte Kriegsausrüstung für die japanische Armee in ganz unverdächtiger Form heimlich über unsere Grenze.

Und geschickt sind die Japaner, geschickt im Zusammensetzen und Montieren ihrer Waffen, geschickt auch im Verbergen. Oder ist jemals einem Menschen die Idee gekommen, wenn er das japanische Gasthaus unweit des Bahnhofes in Reno besuchte, daß der freundliche Wirt, der immer so viel Späße machte, ein Bataillonskommandant war? Hatte jemand eine Ahnung, daß die kalifornischen Weinfässer in seinem Keller gar nicht imstande waren, dieses Produkt der pacifischen Sonne von sich zu geben, sondern sechs Maschinengewehre bargen, und daß hinten im Hofgebäude das im Laufe von zwei Stunden vollständig kriegsbereit zusammensetzbare Material einer Maschinengewehrabteilung sich befand, und daß auf dem Boden des Hauses die angeblich von mehreren Reisenden in Verwahrung gegebenen Koffer und Kisten die Munition dazu enthielten? Hat man Zeit, so läßt sich das alles Stück für Stück unauffällig ins Land schaffen. Und man kommt dabei nicht einmal mit unsern Gesetzen in Konflikt.

Und dann begann es sich zu regen in den letzten Apriltagen. Es waren viele Japaner auf Reisen, aber wie kann das auffallen in einem Lande, wo so viel gereist wird wie bei uns. Der Feind sammelte sich. Die Leute kamen auf den Stationen an und verschwanden wieder im Lande, verschwanden nach ihren Sammelplätzen, in den Einöden des Gebirges. Jeder fand dort sein Gewehr, seine Munition und seine Uniform, alles genau so, wie er das auf dem Papier in japanischen Lettern verzeichnet fand, das er bei seiner Landung erhalten hatte und das bei zufälligen Besuchen japanischer Freunde immer wieder ergänzt und aufs neue mit den von San Franzisco ausgegebenen Ordern in Einklang gebracht wurde.

Alles klappte. Es konnte doch auch nicht auffallen, daß zu dem in der kleinen Stadt Irvington auf den 8. Mai festgesetzten Jahrmarkt bereits am Sonnabend zahlreiche Wagen mit japanischen Farmern von auswärts eintrafen und daß diese auch ein paar Dutzend Pferde mit auf den Markt brachten. Und wer konnte es den Leuten verdenken, daß sie in dem japanischen Gasthof einkehrten, der mit seinen weiten Stallgebäuden für diese Zwecke besonders geeignet war. Früher hatte man jenen Japaner verlacht, dann aber wegen seines Geschäftssinnes bewundert, weil er es verstanden hatte, den ganzen Pferdehandel in Irvington in seiner Hand zu konzentrieren.

Als dann am anderen Tage zur Zeit des Kirchganges – die Japaner waren ja Heiden – die Straßen in der Sonntagsstille vollkommen vereinsamt dalagen, da mußten die paar Leute, die sich zufällig in der Mainstreet befanden, an eine Spukerscheinung glauben, als sie aus der Einfahrt neben dem japanischen Gasthause eine Feldbatterie von sechs Geschützen und sechs Munitionswagen ausrücken sahen. Die Batterie setzte sich sofort in Trab und verließ die Stadt, um draußen in einer Feldschanze in Stellung zu gehen, wo bereits ein Dutzend Leute emsig mit Spaten und Hacke an der Schanzarbeit waren.

Man alarmierte die Polizei von Irvington, weckte auf dem Post Office einen schlafenden Beamten und telegraphierte nach der nahegelegenen Militärstation, aber man telegraphierte nur noch ins Blaue hinaus, man bekam keine Antwort mehr, die kupfernen Nervenstränge des Verkehrs waren längst in der Kontrolle des Feindes, und auch diese telegraphische Warnung wäre schon zu spät gekommen, denn um 9 Uhr war jene Militärstation – mehr als die Hälfte der Kompagnie befand sich wie immer auf Urlaub – bereits von japanischen Truppen überrumpelt worden.

Hunderttausend Japaner auf amerikanischem Boden hatten die Vorpostenlinien nach Osten besetzt, längst bevor man sich in den Pacificstaaten überall über die Sachlage klar wurde. Im Laufe des Sonntags begann dann nach der Einnahme von San Franzisco, nach der Besetzung Seattles, San Diegos und der anderen befestigten Küstenstädte, die Landung der zweiten Staffel der japanischen Armee, und am Montag abend mochten an 170 000 Mann die Pacificstaaten in ihrer Gewalt haben.

*

Bei der Unterbrechung der Eisenbahnverbindungen am Sonntag Morgen hatte der Feind das Prinzip verfolgt, alle Züge auf der Fahrt von Osten nach Westen ungehindert passieren zu lassen. Innerhalb der von der japanischen Vorpostenlinie begrenzten Zone häufte sich somit ganz automatisch ein gewaltiges Wagen- und Maschinenmaterial auf. Alle Züge, die in der Richtung nach Osten fuhren, wurden jedoch angehalten und teils wieder auf derselben Strecke zurückgeschickt, teils zur Beförderung der japanischen Truppen in vorgeschobene Stellungen und zur Verbindung der Etappen untereinander benutzt. In einzelnen Fällen machte man mit diesen Eisenbahnzügen auch kühne Vorstöße auf weiter nach Osten gelegene amerikanische Militärposten, die man überfiel, und auf die Depots, in denen die Gewehre und die Munitionsvorräte für die Milizarmee lagerten.

Nur in wenigen Fällen versagte dieser Riesenmechanismus. Das eine Mal eben in Swallowtown, wo es nicht auf den Expreß in der Richtung nach Umatilla, sondern auf den Lokalzug nach Pendleton abgesehen war. Die verspätete Ankunft des Expreßzuges und die vorzeitige Besetzung der Station kurz vor der fahrplanmäßigen Ankunftszeit des Lokalzuges und schließlich die Heldenmütige Tat des Stationsbeamten brachte eine unvorhergesehene Störung. Wir wissen, daß man bei der Rückkehr des Expreßzuges nach Swallowtown Toms Wärterbude leer fand. Der Feind war auf und davon und mit ihm die beiden auf der Station gefangen gehaltenen Farmer. Die schleunigst von Walla Walla herbeigerufene berittene Polizei entdeckte die beiden auf ihrem Wagen festgebundenen Leute am Nachmittag ein paar Meilen westlich der Station in einer Bodensenkung und fand in dem Wagen zufällig auch einen Fahrplan der Oregonbahn mit einer Bemerkung in japanischer Schrift neben der Ankunftszeit des Lokalzuges von Umatilla. Offenbar hatte der Führer der Abteilung diesen Fahrplan auf der Flucht verloren. Als die Polizisten am Abend die Station Swallowtown wieder erreichten, passierte kurz darauf ein japanischer Militärzug in der Richtung nach Pendleton. Die neben der Station wartenden Polizisten erhielten aus dem langsam fahrenden Zuge heftiges Feuer, das sie energisch erwiderten; doch der Kampf war zu ungleich. In wenigen Minuten war alles entschieden.

Am Montag Abend befand sich ein riesenhaftes Eisenbahnmaterial in der Gewalt des Feindes, das ihm ganz von selbst in die Arme gelaufen war und das mehr als ausreichend für seinen Zweck war.

Mit dem von Victoria (Britisch-Columbia) gemeldeten Erscheinen einer Flotte in der San Juan de Fuca-Straße, von wo sie nach Port Townsend und dem Puget-Sund weitergefahren sei, hatte es seine Richtigkeit gehabt. Ein Kreuzergeschwader hatte in der Morgendämmerung des Sonntags Esquimault und Victoria passiert. Einige Stunden darauf hatte man aus der Richtung von Port Townsend Kanonendonner herüberschallen hören. Die britischen Hafenbehörden hatten eine auffallende Nervosität verraten und hatten die Abfahrt des fälligen Dampfers nach Seattle verhindert. So konnte man auf die von amerikanischer Seite am Montag früh kommende telegraphische Anfrage nach den fremden Kriegsschiffen, die übrigens keine Flagge geführt hatten, auch nur ganz unbestimmt antworten, da man selber nichts wußte. In Victoria herrschte wegen der zahllosen vagen Gerüchte von dem Ausbruch eines Krieges ungeheure Aufregung; auf der Flottenstation aber rührte sich nichts. Ein Kreuzer lief am Montag in der Richtung nach Port Townsend aus, tauschte dann mit Esquimault zahlreiche Signale, nahm hierauf Kurs auf Cap Flattery und ging seewärts. Großen Eifer, der Sache auf den Grund zu kommen, zeigte man also nicht.

Tatsächlich hatte ein Kampf zwischen den japanischen Schiffen und den Werken von Port Townsend stattgefunden. Ein Teil der feindlichen Flotte war mit den Truppentransportdampfern nach dem Puget Sund weitergegangen, fand dort die Marinedepots und die Befestigungen, das Arsenal und die Werften – das vor Port Orchard liegende Panzerschiff »Texas« war durch die von den Japanern genommenen Strandforts zusammengeschossen worden – bereits in den Händen der japanischen Truppen, die Seattle ähnlich wie San Franzisco in der Morgenfrühe überrumpelt hatten und begann sofort mit der Ausschiffung der Truppen und der Landung des Kriegsmaterials. Dagegen war ein mit unzureichenden Kräften unternommener Handstreich auf Port Townsend fehlgeschlagen. Die ängstliche Fernhaltung der Japaner von den neuarmierten Küstenwerken und die in der kleinen Stadt leichter mögliche Überwachung der Asiaten hatte hier eine heimliche Zusammenziehung größerer feindlicher Streitkräfte unmöglich gemacht. Hier mußten die Geschütze sprechen. Und damit hatte der Feind von vornherein gerechnet.

Wie gut aber die Japaner über alle Einzelheiten unserer Verteidigung unterrichtet gewesen sind, wie gut sie jede einzelne Batterie, ihre Geschütze und ihre Munitionsvorräte kannten – natürlich waren auch hier wieder beim Schanzenbau japanische Erdarbeiter verwendet worden; sie arbeiteten ja so billig, die als Kulis verkleideten japanischen Ingenieure –, bewies die Tatsache, daß Japan hier eine ganz neue Waffe ins Gefecht führte. Von den 8,2 Millionen, die im Frühjahr 1908 dem Kongreß für den Ausbau der Küstenbefestigungen abgerungen waren – mehr zu erreichen war ja nicht möglich bei der Heidenangst unserer Volksvertretung vor einem Defizit –, wurden hier auf den Felsenhöhen bei Port Townsend zwei neue Mörserbatterien gebaut, die, selbst unerreichbar für jedes Schiffskaliber, mit ihrem Steilfeuer von oben herab in der Lage waren, die Decks feindlicher Schiffe zu durchschlagen und damit jedem Panzerschiff den sicheren Untergang zu bereiten.

Nun hatten die Japaner schon bei Port Arthur sehr unerfreuliche Erfahrungen im Kampfe mit den schwer armierten Küstenforts gemacht. Einmal strapazierte man die sich schnell abnutzenden Rohre der schweren Schiffsartillerie mit solchen Bombardements außerordentlich, und dann war der Erfolg am Lande meist minimal. Nicht ohne Grund hatte Togo damals den Strandwerken von Port Arthur durch indirektes Feuer von der Taubenbucht aus beizukommen gesucht. Aber auch das hatte trotz sorgfältiger Feuerbeobachtung von der See her nur geringen Erfolg. Dem Steilfeuer aus den Mörserbatterien von Port Townsend gegenüber aber war auch das stärkste Linienschiff auf der See hilflos, weil es bei dem geringen Elevationswinkel seiner Geschütze die hochgelegenen Werke auf der Felsenküste einfach nicht erreichen konnte. Und Port Townsend mußte niedergekämpft, mußte unschädlich gemacht werden, sollte es nicht dauernd den Weg nach Seattle, dieser wichtigen Operationsbasis im Norden, bedrohen.

Aber jede Waffe findet ihre Gegenwaffe, jede Erfindung ihre Gegenerfindung. Nie hat eine Neuerung in der Waffentechnik die Welt aus den Angeln gehoben, stets wurde sie alsbald durch eine andere paralysiert. Und vor Port Townsend wiederholte sich gewissermaßen der Vorgang vom 9. März 1862. Wie damals das Erscheinen des »Merrimac« den hölzernen Kriegsflotten den Todesstoß versetzt hatte, bis er selber vor Ericssons »Monitor« bei Hampton Roads flüchten mußte, so bestand vor Port Townsend am 7. Mai eine neue Waffe ihre Feuerprobe. Nur waren diesmal wir nicht die Bahnbrecher der neuen Zeit.

Gegen die Mörserbatterien von Port Townsend führte der Feind, während die japanischen Kreuzer außerhalb des Feuerbereichs der Küstenbatterien nach Seattle weiterfuhren, vier Schiffe ins Gefecht, die allen Regeln der Schiffsbaukunst Hohn zu sprechen schienen und, selbst unverwundbar, den bisherigen Systemen den Garaus zu machen drohten. Es waren niedrige Fahrzeuge, die wie riesige Sumpfschildkröten auf dem Wasser schwammen. Bei der Geheimniskrämerei auf den japanischen Werften, wo man jedes europäische Auge unbedingt fern zu halten gewußt hatte, wurde nicht nur unser Volk, sondern die ganze Welt von diesen Mörserbooten überrascht. An Stelle der langen Flachbahngeschütze der modernen Linienschiffe trug jedes von diesen unheimlichen grauen Dingern vier 45 cm-Haubitzen, eine Mörserart japanischer Konstruktion. Über dem niedrigen Deck zeigte sich nichts weiter als ein kurzer, stark gepanzerter Schornstein und vier kleine gepanzerte Kuppeln, in denen sich die Visierfernrohre für die Geschütze befanden, deren Mündungen in der Wölbung des Walrückendecks lagen. Auch für San Franzisco waren vier solcher Fahrzeuge bestimmt gewesen, kamen aber wegen der raschen Überwältigung der dortigen Forts nicht zur Verwendung.

Es war unser Verhängnis, daß wir stets da angegriffen wurden, wo man an keine Verteidigung gedacht hatte und daß die Verteidigungswerke, die wir hatten, nie von der Front, nach der sie ausschauten, vom Feinde beschossen wurden. Gegen das Feuer von Flachbahngeschützen waren unsere Küstenwerke überall vorzüglich geschützt, nur schade, daß die Japaner keine Flachbahnkaliber gegen sie ins Feuer führten. Mit den Mörserbooten griffen sie unsere Werke an ihrer verwundbarsten Stelle, nämlich von oben an. Die Batterien von Townsend waren außer Winfield Scott die einzigen, die an unserer Westküste am 7. Mai bei dem Erscheinen verdächtiger Schiffe sofort richtig einen japanischen Angriff vermuteten und auch alsbald die vier japanischen Kreuzer und die Truppentransportdampfer unter Feuer nahmen. Doch bevor dieses eine Wirkung erzielte, bog die feindliche Flotte nach Norden aus und die vier Mörserboote gingen zum Angriff vor. Sie dampften bis auf zwei Seemeilen heran und eröffneten das Feuer.

Was nützte es, daß unsere Kanoniere die flachen, grauen Wölbungen dieser unheimlichen Seeschildkröten aufs Korn nahmen. Um sie herum plumpsten die schweren Granaten wirkungslos ins Wasser, und traf wirklich eine, so zerschellte sie an dem meterdicken Panzer der Deckswölbung oder glitt, im spitzen Winkel auftreffend, wirkungslos an ihr ab, wie Hagelschlag an dem Kuppeldach eines Gartenpavillons. Der einzige Zielpunkt blieb das unablässig wie aus Kratertrichtern aus den grauen Panzerdecken auflohende Mündungsfeuer der feindlichen Mörser.

Um die Mittagsstunde waren die Panzerkuppeln der Batterien von Townsend sämtlich zerstört, ein Geschütz nach dem anderen verstummte. Auch die horizontalen Panzerdecken über den Verschwindlaffetten der Riesengeschütze der anderen Forts hatten den fast senkrecht von oben einschlagenden Stahlmassen nicht standgehalten. Ein einziger Treffer hatte meist genügt, um den komplizierten Mechanismus zu zerstören und es gelang nicht mehr, die versenkten Rohre dann wieder in Feuerstellung zu bringen. Die Betoneindeckung der Munitions- und Mannschaftsräume war zerschossen, die Traversen von den massenhaft einschlagenden Sprenggranaten des Feindes zerwühlt und in einen Trümmerhaufen verwandelt. Und was sich zuletzt noch um das zerfetzte Sternenbanner über Townsend scharte, war ein Häuflein schwer verwundeter Artilleristen, die, bis zum bittern Ende treu ihre Pflicht erfüllend, vom Feinde dadurch geehrt wurden, daß man ihnen den Abzug mit den Waffen gestattete.

An Bord eines Dampfers von Seattle sandte man diese Helden des 7. Mai nach der kanadischen Flottenstation in Esquimault, wo ihr Eintreffen die Bevölkerung zu stürmischen Kundgebungen gegen Japan fortriß, übrigens das erste Zeichen dafür, daß in Kanada das Solidaritätsgefühl der weißen Rasse erwacht war und daß man energisch Front zu machen begann gegen die Politik des Kabinetts von St. James. Was ging es auch Kanada an, was man in London für gut hielt als britische Politik auszugeben, hier, wo die gegenwärtige Not heiß auf den Nägeln brannte, und wo der Kriegslärm vom anderen Ufer dem weißen Manne ein gellendes Mene Tekel in die Ohren schrie.

*

Am Dienstag, den 9. Mai, standen also an 170 000 Mann japanischer Truppen auf amerikanischem Boden. Im Norden folgte die Linie der feindlichen Vorposten ungefähr der Ostgrenze der Staaten Washington und Oregon und zog sich dann durch den Süden Idahos, stets einige Meilen östlich des Schienenstranges der Oregon Shortlinie bleibend, die somit dem Feinde als Verbindungslinie hinter der Front diente. Bei Granger, dem Treffpunkt der Oregon Shortlinie mit der Union Pacific, bog die japanische Stellung zu ihrer östlichsten Bastion aus, die mit Feldschanzen und in den nächsten Wochen mit starker Artillerie gesichert wurde, und dann folgten die Positionen der feindlichen Vortruppen weiter südlich dem Zuge der Wasatschberge, überquerten das Great Colorado-Plateau und hielten sich dann auf den Höhen des Berglandes von Arizona, über Fort Bowie die mexikanische Grenze erreichend.

Nur im Süden und im äußersten Norden führten zahlreichere Eisenbahnlinien von Osten gegen die japanische Front heran. Im Zentrum aber stießen die Transportwege, auf denen ein amerikanischer Gegenstoß erfolgen konnte: in Granger die Union Pacific, in Grand Junction die Denver und Rio Grande Railroad, und südlich davon die Atchinson, Topeka and Santa Fé Railroad rechtwinklig auf die japanischen Positionen, und an diesen Stellen sorgten bald Fesselballons und mehrere Motorluftschiffe für eine weitreichende Vorpostensicherung nach Osten, so daß bei einem amerikanischen Angriff das Moment der Überraschung ausfiel. Im Norden boten die starken Feldbefestigungen an der Grenze zwischen Washington und Idaho und im Süden die sonnendurchglühten Sandwüsten New Mexikos hinreichenden Schutz. Auch setzte die fast lückenlose Bahnverbindung von Nord nach Süd den Feind in den Stand, rechtzeitig seine Reserven nach einem bedrohten Punkte zu werfen. Aus dieser einzigartigen Frontstellung weiter nach Osten vorzudringen, hütete er sich wohlweislich. Jedes Vorschieben größerer Truppenverbände hätte die Vorteile dieser Position abgeschwächt und außerdem gebot die doch immerhin beschränkte Zahl seiner Truppen, ihre Kräfte nicht unnötig zu zersplittern.

Was hatten wir nun dieser feindlichen Invasion entgegenzusetzen? 60 000 Mann zählte unsere reguläre Armee auf dem Papiere. 15 000 davon hatten in den Pacificstaaten gestanden und bildeten vornehmlich die Besatzung der Küstenbefestigungen, die alle ohne Ausnahme noch am Montag in die Gewalt des Feindes gefallen waren. Damit reduzierte sich unsere reguläre Armee schon auf 45 000 Mann. Von dieser Zahl befanden sich weitere 18 000 Mann auf den Philippinen und waren, ohne es damals schon zu wissen, auf Mindanao und in den Festungswerken von Manila gewissermaßen außer Gefecht gesetzt. Weiterhin fielen die von San Franzisco nach Manila unterwegs befindlichen beiden Regimenter aus und ebenso die Garnison von Pearl Harbour auf Hawai. Demnach kamen von unserer Feldarmee nur 25 000 Mann wirklich noch in Betracht, die aber über das ganze Land in den zahllosen Prärieforts, an der Ostküste, auf Cuba und Porto Rico verzettelt waren. Fünfundzwanzigtausend gegen eine zunächst siebenfache Übermacht, die aber im Laufe der nächsten Tage fast stündlich um Hunderte von Soldaten wuchs. Noch am Montag hatte, wie wir wissen, der Präsident die Miliztruppen ( Organized Militia) einberufen und am Tage darauf in einer Botschaft an den Kongreß die Bildung einer freiwilligen Armee gefordert. Die Aufrufe zum Eintritt in die Milizregimenter klebten in der Form riesiger Plakate an allen Straßenecken und am Eingang der schleunigst eingerichteten Werbebureaus. Wohl war es somit möglich, in einigen Monaten eine dem Feinde der Zahl nach gleichstarke Armee zu formieren, und auf den amerikanischen Bürger durfte man sich verlassen. Aber wo waren die Führer, wo war die gesamte Organisation des Transport-, des Verpflegungswesens, des Sanitätswesens – eine Traintruppe fehlte uns überhaupt – wo waren in letzter Linie die Waffen?

Die Waffen- und Munitionsdepots in den Pacificstaaten waren in der Hand des Feindes, aus den Geschützen der dortigen Feldartilleriedepots waren japanische Batterien formiert, und über den schweren Küstengeschützen flatterte das japanische Sonnenbanner. Die furchtbare Wahrheit, daß wir dem Feinde gegenüber vorläufig absolut wehrlos waren, wirkte, sobald sie erst klar erkannt war, in allen Bevölkerungsklassen einfach niederschmetternd. In ohnmächtiger Wut über diesen Zustand der Hilflosigkeit und in dem Drange, Rache zu nehmen an dem übermächtigen Feinde, drängte man sich in die Werbebureaus, und die Listen für den Eintritt in die freiwilligen Regimenter bedeckten sich schnell mit Unterschriften. Die Bürger der Vereinigten Staaten ließen die Hand vom Pfluge, stellten ihr Handwerkszeug in den Winkel und ließen die Feder ruhen; die klappernden Schreibmaschinen blieben stehen und in den Kontoren der Wolkenkratzer ward es still, das Geschäftsleben verödete. Nur in den Fabriken, in denen Kriegsmaterial hergestellt wurde, herrschte eine emsige Tätigkeit.

Vorläufig gab es noch eine schwache Hoffnung: die Flotte. Wo war aber die Flotte? Wir wissen, daß nach der Fahrt unserer Schlachtflotte über den Pacific nach Australien und nach Ostasien und nach ihrer Rückkehr in die atlantischen Gewässer ein Geschwader von zwölf Schlachtschiffen und vier Panzerkreuzern unter Admiral Sperry nach der Westküste entsandt und mit der Basis in San Franzisco dort stationiert worden war. Dazu kam das eigentliche pacifische Geschwader. Das philippinische Geschwader bildeten der Panzerkreuzer »Charleston« und die Kreuzer »Birmingham«, »Chester« und »Salem«, alles übrige lag auf der atlantischen Seite.

Das war der verhängnisvolle Fehler des Jahres 1909 gewesen. Verhallt, ungehört verhallt war die eindringliche Warnung, die Marine der Vereinigten Staaten angesichts der von Japan drohenden Gefahr zusammenzuhalten, sei es im Westen oder im Osten. Nur als die geschlossene Macht, wie Admiral Evans sie durch die Magalhaensstraße geführt hatte, war unsere Flotte der japanischen absolut überlegen. Jede Teilung, jede Absplitterung einzelner Divisionen mußte verhängnisvoll werden. Was ist nicht alles über die Verteilung unserer Marine geschrieben und gesagt worden! Und wieviel verschiedene Aufgaben wurden ihr zu gleicher Zeit gestellt! Man wollte Manila schützen, man wollte in Pearl Harbour eine Flottenstation haben, man wollte die Pacificküste schützen und man wollte eine Reserve auf der Ostseite haben.

Und dabei lag es doch auf der Hand, daß jede Flottenabteilung, die in Manila oder Hawai stationiert war, im Falle eines japanischen Angriffes ein verlorener Posten war. Aber wir haben uns einreden lassen, Japan werde aus Rücksicht auf unser kleines Philippinengeschwader nicht wagen, seine Schiffe über den Pacific zu senden. Auch wenn wir eine ganze Panzerdivision in Manila stationiert hätten, so würde das den japanischen Angriff nicht gestört haben. Japan hätte auch ein solches Geschwader durch Detachierung gleichstarker Streitkräfte vernichtet, ohne selber in seinem Aufmarsch vor unserer Westküste behindert zu werden. Gegenüber einer großen Seemacht aber eine isolierte Kolonie mit vier Kreuzern schützen zu wollen, war einfach lächerlich. Für die Verteidigung Manilas genügten die starken Küstenbatterien und eine Division Unterseeboote – die zwei vorhandenen waren jedoch wenig brauchbar –, alles andere bedeutete nur die planlose Aufopferung von Streitkräften, die anderswo nützlicher sein konnten.

Und nach der Teilung unserer Flotte zwischen Osten und Westen war sowohl die Pacificflotte wie die als Reserve gehaltene atlantische Flotte jede für sich, der japanischen weitaus unterlegen. Es war ein verhängnisvoller Luxus, im Pacific und im Atlantik je eine Flotte zu haben. Es war überflüssig, in unseren atlantischen Häfen ganze Schiffsdivisionen nur als maritime Dekorationsstücke vor den Augen Europas auf Lager zu halten, oder um eventuell imstande zu sein, gegen eine widerhaarige südamerikanische Republik imponierend demonstrieren zu können. Das konnten ebensogut ein paar Kreuzer tun. Englisches Geld und japanische Intriguen haben uns freilich die venezolanische Wunde stets offen gehalten, daß wir immer argwöhnisch mit einem Auge nach diesem Erdenwinkel hinschielen mußten, der uns schon soviel politisches Ansehen gekostet hat. Aber war unser Ansehen in der Welt denn so brüchig, daß wir es davon abhängig machen mußten, wie hoch ein Herr Castro die Machtmittel der Republik der Vereinigten Staaten einschätzte!

Bei der Rückständigkeit der Arbeiten am Panama-Kanal konnte es für uns bis zu dessen Vollendung nur eine Politik geben: die Flotte zusammenzuhalten, um mit ihr im Pacific entweder von vornherein den Feind von einem Angriff auf unsere Küste abzuschrecken, einerlei, ob uns das in Tokio übelgenommen wurde oder nicht, oder die pacifische Station, wie früher, nur mit ein paar Kreuzern zu besetzen und die Flotte im Atlantic zu halten, um, wenn der Feind wirklich angriff, ihn dann sicher mit der ganzen Wucht unserer maritimen Schlagkraft im Rücken zu treffen. Aber die dilettantischen Sicherheitskommissare, die überall, wo unsere Flagge weht, ein imponierendes Geschwader haben wollten – als seien die Sterne und Streifen nicht ein Zeichen der Stärke sondern der Hilfsbedürftigkeit –, sie haben unsere Flotte zur Ohnmacht verdammt. Sie haben auch nicht einsehen wollen, daß der fatale Mannschaftsmangel auf unserer Marine lediglich eine Geldfrage bedeutete. Bezahlten wir unsere Marinemannschaften so gut wie die Fabrikarbeiter am Lande, so konnte es uns an Rekruten niemals fehlen und kein Matrose wäre desertiert. Aber wenn 1908, als diese Gefahr schon unverkennbar war, bei der Beratung des Marinebudgets Senator Maine uns – das amerikanische Volk – noch mit dem Gespenst eines Defizits schrecken konnte, wenn er einen der reichsten und energischsten Staaten der Welt damit einschüchtern konnte, wir steuerten auf das furchtbare Ereignis eines Defizits von ein paar Dollars im Budget zu, wenn wir mit der Bewilligung der notwendigen Mittel für unsere Flotte unsere nächsten nationalen Aufgaben erfüllten, so war das der kleinliche Standpunkt eines ängstlich um jeden Cent rechnenden Krämers, der in dem Augenblicke, da die Lose über das Schicksal einer Welt fallen, nur entsetzt über die Kosten jammert. Es war sicherlich eine kurzsichtige Politik, deren Folgen wir jetzt bitter zu spüren hatten.

Die Fahrt unserer Flotte um Südamerika herum hatte der Welt den Beweis gebracht, daß der Wert einer Marine nicht dadurch beeinträchtigt wird, wenn einmal in einem Hafen ein paar betrunkene Matrosen das Wiederkommen vergessen, sie hatte der Welt den Beweis gebracht, daß unsere Flotte mit ihrem Schiffsmaterial und mit ihrer Besatzung unter den Seemächten nicht zurücksteht. Und nach dieser Kraftprobe, nach diesem einzigen gescheiten Gedanken, den unsere Marinepolitik seit Jahrzehnten gehabt hat, diese wahnsinnige Verzettelung unserer Schiffe auf den vielen Stationen.

Und dann noch die gefährliche Renommage, daß die Flotte auf dem ganzen Wege um Südamerika herum durch Funksprüche mit Washington in telegraphischer Verbindung geblieben sei. Hatte denn die Erfahrung vor Trinidad, wo die auf Admiral Evans wartenden Kohlenschiffe dank der von einem englischen Dampfer abgefangenen Funksprüche ganz genau wußten, daß unsere Flotte einen Tag früher bei ihnen eintreffen würde, hatte die seltsame Begleitung unserer Flotte zwischen Valparaiso und Callao durch einen japanischen Dampfer, der auch mit Funkspruchapparaten ausgerüstet war, uns nicht gewarnt und uns nicht schlagend genug bewiesen, daß jede neue technische Erfindung auch ihre Schattenseiten hat? Nein, wir hatten nichts dabei gelernt. In Washington versteifte man sich darauf, durch konstante Funkspruchverbindung aus dem Marinedepartement allen Kriegshäfen und Flottenstationen die Befehle zu übermitteln. Aber jede Zwischenstation auf dem langen Wege von Ost nach West gab ebensoviele Möglichkeiten zu Indiskretionen, zu Verrat und zur Kontrolle durch unsichtbare Empfänger. Warum hatten wir nicht das Beispiel Europas beherzigt, wo die drahtlose Telegraphie zu einem Staatsmonopol gemacht wurde, warum mußten wir jedem Einwohner der Vereinigten Staaten das Recht zugestehen, sich seine eigene Funkspruchleitung einzurichten? Ist denn nie in Washington jemandem der Gedanke gekommen, daß, bevor die Befehle des Marinedepartements nach Mare Island, nach Puget Sound und San Diego gelangten, sie schon von Hunderten von Leuten, die wir nicht kannten, ohne Mühe gelesen werden konnten? Mußte uns das alles erst der Erfolg des Feindes sagen, konnten wir nicht auf die Stimme derer hören, die aus offenkundigen Tatsachen ihre Schlüsse zogen und zur Vorsicht mahnten?

Und doch klammerte sich die Presse am Dienstag noch mit einer letzten Hoffnung an die Möglichkeit, daß Admiral Sperry mit seinen zwölf Schlachtschiffen des pacifischen Geschwaders dem Feinde in den Rücken fallen, ihn an seiner Operationsbasis treffen und die Fäden, die von San Franzisco nach Tokio führten, abschneiden könnte. Eine Möglichkeit, Sperry noch von der Gefahr zu verständigen, gab es nicht mehr, da die Funkspruchstationen jenseits des Felsengebirges bereits in den Händen des Feindes waren. Man mußte auf einen glücklichen Zufall hoffen. Aber blinde Zufälle haben noch nie einen Staat in der Stunde bitterster Not gerettet. Gerettet haben ihn nur die Energie und der sichere Blick und die kraftvolle Hand von Männern. Man hoffte auf Admiral Sperry, man hoffte auf seine Tatkraft, und man hatte doch ein schlechtes Gewissen, wenn man sich immer wieder fragte: wo ist die pacifische Flotte? und keine Antwort bekam. Ja, wo war Admiral Sperry?


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