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Dumpf rauschend pflügte der Bug des englischen Frachtdampfers »Port Elisabeth« die breiten Wogen des Pacific am Abend des 14. Septembers. Oben auf der Kommandobrücke hielten der Kapitän und der erste Steuermann mit scharfen Gläsern Ausschau nach vorne. Man näherte sich San Franzisco. Der Dampfer hatte in Esquimault eine Ladung Maschinenteile und Schienen, wie die Schiffspapiere auswiesen, für San Franzisco an Bord genommen. In Esquimault war auch der zweite Steuermann angeheuert worden, den der Kapitän allerdings ungern genommen hatte, weil der Mann invalide war und den rechten Arm noch in der Binde trug. Da aber kein anderer Ersatz für den bisherigen zweiten Steuermann, der sich in den Hafenwirtschaften von Victoria verkrümelt hatte, zu beschaffen war, so nahm der Kapitän ihn, der sich Henry Wilson nannte, und hatte, wie sich während der Fahrt herausstellte, einen ganz guten Griff damit getan, da er ein ruhiger, nüchterner Mann und mit den Fahrwasserverhältnissen an der Pacificküste bekannt war.
Wilson befand sich im Kartenhaus und studierte eifrig die Einfahrt nach San Franzisco: »Kapitän, wir sind jetzt acht Seemeilen vor dem Goldenen Tor; ein Wunder, daß die Japaner uns noch nicht entdeckt haben,« rief er durch die Tür nach der Kommandobrücke hinaus.
»Man sollte meinen,« versetzte der Kapitän, »soweit müßten sie doch wenigstens ihre Postenkette vorgeschoben haben.«
»Na, schließlich gegen wen?« sagte Wilson, »hier ist ja für die Flotte nichts mehr zu holen, und einem englischen Dampfer mit harmloser Ladung werden die Verbündeten unserer glorreichen Regierung auch wohl nichts anhaben wollen.«
Wilson trat zu den beiden anderen, und an die Reeling gelehnt suchten alle drei mit ihren Gläsern in der Finsternis nach den Feuern von Golden Gate. Aber kein Lichtschimmer wollte sich zeigen.
»Daß wir nun gerade nachts nach San Franzisco hineingelassen werden,« fing der erste Steuermann wieder an, »glaube ich nicht. Unsere Fahrtanweisung lautet ja auch, mittags Golden Gate zu erreichen.«
»Ja, aber wenn die Maschine nicht mehr mitmacht,« brummte der Kapitän, »soll der Teufel die Zeit einhalten.«
Da sehen Sie,« rief Wilson und deutete nach vorn auf das jäh aufblitzende Licht eines Scheinwerfers, »da haben sie uns.«
Ein paar Sekunden darauf wurde die »Port Elisabeth« von dem weißblauen blendenden Lichte des Scheinwerfers übergossen, das beständig auf ihr haften blieb.
»Wir halten ruhig unsern Kurs!« sagte der Kapitän etwas hastig zu dem Mann am Ruder, »Was sie wollen, werden sie uns schon mitteilen. Wilson, richten Sie die Schiffspapiere her, wir werden nun wohl gleich Besuch bekommen.«
Kaum hatte Wilson die Kapitänskajüte erreicht, so erscholl schon der scharfe Glockenklang im Maschinenraum, und alsbald begann der Taktschlag der Maschine sich zu verlangsamen. Als Wilson wieder die Kommandobrücke betrat, sah man plötzlich die Masten und niedrigen Schornsteine eines Schiffes und einen dicken schwarzen Rauchstreifen wenige hundert Yards von der »Port Elisabeth« quer durch den Lichtkegel des Scheinwerfers streichen. Dann tauchte an Backbord ein langer schwarzer Torpedokreuzer mit vier niedrigen Schloten aus dem Dunkel empor, wendete, nahm denselben Kurs wie der Frachtdampfer und gab hierauf eines seiner Boote von Bord, aus dem vier Marinesoldaten, ein Lotse und ein Offizier das Deck der »Port Elisabeth« betraten.
Der Kapitän begrüßte den japanischen Leutnant bereits an der Reeling und unterhielt sich im Flüsterton einige Minuten mit ihm, worauf beide in der Kapitänskajüte verschwanden. Der Japaner mußte von der Durchsicht der Schiffspapiere befriedigt sein, denn als er wieder mit dem Kapitän die Brücke betrat, waren beide in eifrigster freundschaftlichster Unterhaltung.
»Hier, mein erster Steuermann, Hornberg.«
»Engländer?« fragte der Japaner.
»Nein, ein Deutscher.«
»Ein Deutscher?« gab der Japaner gedehnt zurück. »Nun, die Deutschen sind doch die Freunde Japans?« sagte er dann verbindlich lächelnd zu dem ersten Steuermann, der die Frage aber überhörte und an den Maschinentelegraphen ging.
»Und hier mein zweiter Steuermann Wilson.«
»Engländer?« fragte der Japaner wieder.
»Jawohl, Engländer,« antwortete Wilson eifrig.
Der Japaner maß ihn mit langem Blick: »Sie kommen mir bekannt vor.«
»Nicht unmöglich,« sagte Wilson, »ich habe lange Jahre in japanischen Gewässern gefahren.«
»So?« fragte der Japaner weiter, »auf welcher Linie denn?«
»Auf verschiedenen Linien, Herr Leutnant, ich kenne Schanghai, ich bin von Hongkong mit Trampdampfern auf Yokohama gefahren, ich war während des russischen Krieges auch einmal in Nagasaki, – auch mit Maschinenteilen als Ladung,« fügte er nach einer Pause hinzu. »Es war eine gefährliche Fahrt, gerade waren die Russen von Wladiwostok ausgelaufen.«
»So, mit Maschinenteilen,« sagte der Japaner obenhin, »und kennen das Fahrwasser hier auch?«
»Leidlich,« sagte Wilson.
»Haben Sie Verwandte auf der amerikanischen Marine?« fragte der Japaner dann scharf.
»Nicht daß ich wüßte,« gab Wilson zurück, »meine Familie ist groß und als Engländer hat man Verwandte in allen Meeren, Verwandte in der amerikanischen Marine habe ich meines Wissens nicht.«
»Mr. Wilson, Sie übernehmen jetzt die Führung des Schiffes unter Leitung des Lotsen, den uns der Herr Leutnant mitgebracht hat. Mr. Hornbergs Wache ist zu Ende,« sagte der Kapitän und ging mit dem Japaner wieder in seine Kajüte.
Fünf Minuten darauf wurde der erste Steuermann zum Kapitän gerufen und erschien dann wieder auf der Kommandobrücke: »Mr. Wilson, ich soll die Führung der »Port Elisabeth« weiter übernehmen. Sie möchten zum Kapitän kommen.«
»Bitte,« entgegnete Wilson kurz.
Der Kapitän und der Japaner saßen bei einem Glase Whisky unten in der Kajüte. »Der Herr Leutnant,« begann der Kapitän, »möchte etwas über Esquimault wissen, Sie müssen den Hafen doch kennen.«
»Nur ganz wenig,« antwortete Wilson, »ich war nur drei Tage dort.«
»Lagen japanische Schiffe in Esquimault, als Sie dort waren?«
»Ja, ein japanischer Kreuzer im Dock« sagte Wilson.
Wilson zuckte die Achseln, »Ich weiß es nicht, ich kenne die japanischen Schiffe nicht.«
»Setzen Sie sich, bitte«, sagte der Kapitän, »hier ein Glas.«
»Was haben Sie mit Ihrem Arme?« fragte der Japaner.
»Es war auf der Überfahrt von Schanghai nach Viktoria, als ich bei einem Sturme gegen die Reeling geschleudert wurde und den Arm brach.«
Lange Pause.
»Kennen Sie den Leutnant Longstreet auf der amerikanischen Marine?«
»Ich kenne keinen Herrn dieses Namens auf der amerikanischen Marine.«
Der Japaner wühlte förmlich mit seinen Augen in Wilsons Gesicht, das vollkommen gleichgiltig blieb.
»Sie haben dem Kapitän gesagt,« fing der Japaner wieder an, »Sie wären öfters in San Franzisco gewesen. Auf welcher Linie?«
»Auf keiner Linie, ich war zu meinem Vergnügen in San Franzisco.«
»Wann?«
»Vor zwei Jahren zuletzt.«
»Darf ich Ihre Papiere sehen?«
»Bitte,« sagte Wilson, stand auf, ging in seine Kajüte und brachte die Papiere.
Der Japaner las sie eifrig durch.
»Sonderbar,« sagte er schließlich, »ich dachte, ich hätte Sie schon einmal gesehen.«
Dann warf er noch einen Blick in einen der Scheine, sah Wilson scharf über den Rand des Papieres an und fragte schnell: »Warum führen Sie zwei Namen?«
»Ich führe nur einen,« gab Wilson zurück.
» Winstanley und Wilson,« sagte der Japaner mit scharfer Betonung.
»Bedauere,« sagte Wilson, »ich kenne keinen Herrn Winstanley oder wie sagten Sie? Der Name kann auch nicht in meinen Papieren stehen.«
»Nun dann ist es ein Irrtum,« antwortete der Japaner mürrisch.
Wilson verließ die Kapitänskajüte wieder und ging nach oben. Auf der Brücke angekommen, atmete er tief auf.
Der Lotse gab die Anweisung für die Fahrt. Der Torpedokreuzer folgte wie ein Schatten an Backbord.
»Warum haben wir wohl eigentlich die Funksprucheinrichtung an Bord?« fragte Hornberg.
»Ich habe nie darüber nachgedacht, aber es fällt mir jetzt auf. Ich glaube, es ist nur ein Versuch der Reederei,« sagte Wilson. Dann schwiegen beide und folgten nur den Angaben des Lotsen für die Kursrichtung des Schiffes.
Wilson sah nach der Uhr. »Meiner Ansicht nach sind wir zwei Seemeilen vor Golden Gate, wir müssen doch jetzt im Bereich der inneren Vorpostenlinie sein.«
»Möglich,« sagte Hornberg, »alles fährt ja mit abgeblendeten Lichtem, da ist das schwer festzustellen.«
»Können wir nachts hinein?« fragte er den japanischen Lotsen.
»Ja, mein Herr, wie Sie wollen, Tag und Nacht unter unserer Führung.«
»Aber wie denn?«
»Sie werden es gleich sehen.«
In diesem Moment heulte die Sirene des Torpedokreuzers dreimal kurz auf, und sofort blitzte eine halbe Seemeile entfernt das rote Seitenlicht und die Toplaterne eines Dampfers auf, der die »Port Elisabeth« mit seinem grellen Scheinwerfer beleuchtete.
Der Lotse gab mit einer kleinen Flagge einen kurzen Signalspruch hinüber, der von dem japanischen Wachtschiff beantwortet wurde.
»Jetzt werden Sie das Fahrwasser sehen,« sagte der Lotse zu Wilson, »eigentlich ist es eine amerikanische Erfindung, aber wir haben sie erst praktisch angewandt. Wir können jetzt gar nicht mehr fehlen.«
»Ja, Herr Kapitän, jetzt sollen Sie Ihr Wunder sehen,« sagte der Leutnant, der mit dem Kapitän die Kommandobrücke betrat. »Jetzt dürfen Sie staunen, jetzt bekommen wir die Fahrtrichtung durch die Minensperre.«
Auf den ruhigen Wogen erschien plötzlich ein leuchtender Lichtkreis, der Widerschein einer etwa zehn Meter unter der Wasseroberfläche befindlichen Lichtquelle.
»Eine verankerte Lichtboje«, erklärte der Leutnant, »die das Ende des elektrischen Lichtkabels darstellt, und dort rechts eine andere. Jetzt brauchen wir uns nur zwischen den beiden Reihen der Lampenbojen, die an die Kabel angeschlossen sind, zu halten, und wir haben einen absolut sicheren Weg durch die Minensperren, auf dem wir ungefährdet den Hafenkai in San Franzisco erreichen.« Und in der Tat schwamm etwa hundert Yards in der Fahrtrichtung voraus ein zweiter weißer Lichtkreis auf dem Wasser und dahinter eine ganze Kette Heller runder Scheiben, die nach links eine Kurve machte und sich dann in der Ferne verlor. Rechts ein ebensolches strahlendes Lichtband. Nach einer halben Stunde bezeichneten drei rotglühende Reflexe, wie schwimmende durchsichtige Lichtkessel mit einer rubinroten brodelnden Flut angefüllt, die Stelle, wo das Ruder nach Backbord gelegt werden mußte, um hier durch eine Lücke in der Minensperre das Schiff hindurchzuwenden.
»So erreichte die »Port Elisabeth« in der Morgenfrühe San Franzisco, wo sie nicht am Hafenkai, sondern am Arsenal auf Mare Island festmachte und dort, während die Mannschaft nach San Franzisco beurlaubt wurde, ihre Ladung von Maschinenteilen und Schienen von Bord gab, die sich aber seltsamerweise unter den Händen chinesischer Kulis in Geschützrohre, Munition und Granaten verwandelte. » Le pavillon couvre la marchandise, besonders unter dem Union Jack,« meinte Hornberg ironisch, angesichts dieses Verwandlungsprozesses. Der Kapitän warf ihm einen bösen Blick zu.
Das war das zweite Mal, daß Kapitän Winstanley von der Vereinigten Staaten Marine, einst Kommandant des Linienschiffes »Georgia«, San Franzisco in diesem Kriege sah, wo er acht Wochen zuvor nachts aus dem Marinelazarett entflohen war. Der japanische Leutnant war derselbe, der den Offizieren auf dem Lazarettschiff »Ontario« am 8. Mai das Ehrenwort abgenommen hatte, das zu geben, Winstanley sich damals geweigert hatte. Zwei Monate nach dieser Fahrt auf der »Port Elisabeth,« als deren zweiter Steuermann er sich unauffällig über die japanischen Verteidigungsmaßregeln in San Franzisco informieren konnte, stand Winstanley als Kommandant des zweiten atlantischen Geschwaders an Bord des Panzers »Delaware.« Und vier Monate darauf machte der Name des Siegers in der Seeschlacht bei den Galapagos-Inseln die Runde um den Erdball.