Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Durch Rauch und Brand.

Auf der Station Centralia der Northern Pacific Railway stand stets ein geheizter Zug, der Sicherheit halber. Auf dem Tender der Lokomotive vor dem schwarz glänzenden Kohlenhaufen, auf dem sich der Lichtschein aus dem Führerstande in roten glitzernden Reflexen brach, hockten zwei Japaner, der Lokomotivführer und sein Heizer. Sie hatten mit etwas heißem Kesselwasser eben ihren Tee bereitet und machten sich an ihr bescheidenes Abendbrot, dann zog der Führer seine Pfeife hervor, drückte ein paar Tabakskrumen in die Höhlung des kleinen Metallkopfes, tat ein paar Züge und sagte dann: »Akoki, es ist Zeit,« worauf der Heizer seine Schaufel ergriff, mit ihr in den Kohlenhaufen einhieb und dann die schwarzen Brocken mit sicherem Wurf in die offene Tür der Feuerung hineinbeförderte. Sausend fuhr der Luftzug in die blendende Glut der Feuerung, unter keuchenden Atemzügen stieß die Maschine dicke Packen schwarzen Rauches aus, der von den auflohenden Flammen durchglüht, wie eine unheimliche Feuersäule über die dunkle Reihe der Wagen dahingetrieben wurde. Der Lokomotivführer stieg die Stufen der kleinen eisernen Treppe herunter und prüfte mit hallenden Hammerschlägen das stählerne Gestänge seiner Maschine.

Vor dem in Dunkel gehüllten Stationsgebäude schritt ein japanischer Wachtposten langsam auf und ab. Wenn er aus dem Bereich der beiden trübe brennenden Laternen verschwand, schien ihn die Dunkelheit völlig in sich einzuschlucken. Nur an dem einen Ende des Bahnhofes waren zwei kleine Fenster erhellt. Es war der Dienstraum der japanischen Wache, dessen Fensteröffnungen bis auf schmale Schießscharten zugemauert waren. Der Kontrollzug, der abends zwischen 8 und 9 Uhr die Strecke revidierte, war vor einer halben Stunde passiert und in der Richtung nach Portland weitergefahren. Außer dem Unteroffizier und dem Mann an dem Schaltapparat für die drei Bogenlampen, die sich auf dem Dach des Bahnhofes befanden, um bei einem nächtlichen Überfall das Gelände sofort zu erhellen, hatten sich die meisten der Soldaten bereits zur Ruhe auf ihre Feldbetten hingestreckt. Andere flüsterten leise miteinander.

Plötzlich fuhr der Unteroffizier jäh empor. Draußen ertönte ein erstickter Schrei. »Die Lampen!« schrie er dem Mann am elektrischen Schaltapparat zu. Der riß den Hebel herum, aber draußen blieb es finstre Nacht.

Die Soldaten sprangen auf. Der Unteroffizier machte ein paar Schritte auf die Tür zu, aber bevor er sie erreichte, wurde sie von draußen aufgerissen.

Ein verwegen aussehender Mann, mit einem Rifle über der Schulter, erschien in der Öffnung. Ein dunkler Gegenstand sauste durch die Luft und schlug an der Wand an. Ein betäubender Knall. Eine blendende Explosion füllte die Wachtstube mit gelben Licht, dicker, schwarzer Rauch wallte auf und drang durch die Schießscharten nach draußen. Vor dem Bahnhof liefen Bewaffnete hin und her, und als der Mann, der die Handgranate geworfen hatte, von ihnen aufgehoben wurde, konnte man ihm, der nur unbedeutende Wunden davon getragen hatte, aber infolge des Luftdruckes aus Mund und Ohren blutete, triumphierend mitteilen, daß das Werk gelungen, daß die Wachtstube zum Sarge für das kleine japanische Kommando geworden war.

Über den durch einen Säbelhieb zu Boden geschlagenen Posten auf dem Bahnsteig hinstolpernd stürmte jetzt der Führer der Angreifer auf die Lokomotive zu, aus deren surrenden Ventilen kochende Dampfwolken aufstiegen. Mit einem Satz hinauf auf den Führerstand, da lag der Heizer, durch einen Beilhieb getötet. Dunkle Gestalten sprangen von der anderen Seite herauf, wo sie mit ihrem Kameraden jäh zusammenprallten.

»Hallo, Dick, das nenne ich ganze Arbeit!« Und nun ward's unten neben der langen Wagenreihe lebendig. Wild aussehende Männer, den Rifle über der Schulter und den Revolver in der Rechten, rissen die Wagentüren auf und durchstöberten schnell den ganzen Zug.

»Dick, wo ist Forster?«

»Hier,« antwortete eine rauhe Stimme.

»Los auf die Maschine! Schnell in die Wagen! Alles zur Abfahrt bereit! Fehlt keiner? Arthur! Wo ist Arthur?«

»Hier Dick!«

»Bravo Arthur, das nenne ich echt amerikanische Arbeit,« sagte der Anführer, »Bravo Jungens! Soweit wären wir! Nun aber flott!«

Fighting Dick verteilte seine Leute auf die einzelnen Wagen, worauf er selber mit Forster, einem Lokomotivführer der Northern Pacific Railway, den Führerstand der Maschine erklomm.

»Die haben es uns bequem gemacht,« sagte Forster, »eben noch nachgefeuert! Da kann die Fahrt losgehen, und noch dazu meine alte Maschine! Die haben wir ihnen also glücklich abgejagt. Wenn wir sie nur nicht wieder hergeben müssen. Aber den Japs laß ich sie doch nicht wieder. Vorher mag sie ein bischen Dynamit schlucken, daß sie den Husten davon bekommt.«

»Los,« kommandierte Fighting Dick, dessen Ruhm als verwegener Bandenführer schon weit über die Grenzen des Staates Washington hinausreichte. Mit solchen Leuten sollten wir unsere Heimat zurückgewinnen. Es war eine wilde Gesellschaft, jeder von ihnen ein Held. Farmer, Jäger, Arbeiter aus den Werkstätten und Fabriken, zahlreiche Tramps und jene verzweifelten Existenzen, indianischen Halbbluts, von denen selten einer in einem Bett stirbt, sondern meist dadurch ein jähes Ende findet, daß man ihm die Sonne ins Gehirn scheinen läßt, weil sich ein fremdes Pferd zu ihm »verirrt« hat. Vor wenigen Tagen erst hatte Fighting Dicks Bande im Gebirge einen regelrechten Kampf mit einer japanischen Kavallerieabteilung gehabt, und in den Wäldern von Tacoma hatten manche feindlichen Patrouillen den Rückweg nicht wieder gefunden. Diesen Vorfällen verdankte Tacoma offenbar auch die Verstärkung seiner Garnison.

Jetzt galt es die 5000 Gewehre und die Munitionskisten durch einen Handstreich aus Tacoma herauszuholen.

Nichts als der Knall der explodierenden Handgranate im Bahnhof von Centralia hatte bisher das Unternehmen verraten können. Zwar hatten die fernen Berge das Echo dieser Detonation weithin hallend zurückgegeben, aber was wollte in dieser Zeit ein einzelner Schuß besagen, wo unser Vaterland vom Kanonendonner Tag für Tag widerhallte.

In rasender Geschwindigkeit jagte der Zug rasselnd und klappernd dahin in die Dunkelheit hinein. Eine falsche Weichenstellung, eine gelockerte Schiene konnte ihn freilich jeden Moment in einen Trümmerhaufen verwandeln und hundert tapfere amerikanische Herzen mit einem Schlage zum Schweigen bringen. Mit feurigen Augen beleuchtete Forsters Maschine die langen rotglänzenden Schienenbänder. In den schweigenden Wäldern links und rechts der Strecke, zwischen den riesenhohen Stämmen, über deren Zweige der grelle Lichtschein der Laternen hinhuschte, glühten hin und wieder einsame Lichter von Häusern auf. Dort harrte man in banger Erwartung der Rückkehr des Zuges aus Tacoma. Hohles Donnerrollen erscholl jetzt von unten.

»Die Brücken?« fragte Fighting Dick.

Forster nickte: »Die Brücken.«

Da erschien in der Ferne ein dämmernder Lichtschein. Der Zug näherte sich Tacoma.

Jetzt wuchsen aus dem Dunkel bald links, bald rechts einzelne Häuser empor und sausten vorüber, tanzende Lichtbänder tauchten auf und verschwanden. Hochragende schwarze Gebäude neben den Geleisen warfen ein tobendes Gelärm wie von prasselnden Hammerschlägen in das Tosen des vorüberbrausenden Zuges hinein. Ein Lichterhaufen vorn über den Geleisen. Grüne und rote Laternen glitten pfeilschnell vorüber, jetzt knirschten die Bremsen und der Zug fuhr polternd und brausend in den dunklen Bahnhof ein.

Ein paar Gestalten eilten über den Bahnsteig. Überall blitzten Schüsse auf. Ein totwunder Japaner lehnte schwer atmend an einem Pfeiler.

Unter dem Druck der Bremsen jammerten die Räder laut auf, mit einem gewaltigen Ruck, der alle durcheinander warf, stand der Zug. Herunter von den Wagen! Fighting Dick voran, den Revolver in der Rechten. Ihm folgten die anderen. Hinein in das Stationsgebäude, dort lebte schon keiner mehr. Die Revolver der Männer von Tacoma hatten ihre Schuldigkeit getan.

Jetzt klappernde Hufschläge draußen auf der Straße. In wilder Fahrt kamen die Gespanne heran, die schweren Lastwagen mit den Gewehrkisten und den hochaufgeschichteten Haufen der länglichen Blechkästen voll Patronen. Wildes Gewühl und Getümmel. Schnell schleppten die Männer zu zweit die mit Stricken umschnürten Kisten an den Zug heran, laut knallend schlugen die Türen zu. Rasselnd jagten die leeren Wagen durch die stillen Straßen zurück. Unterdessen fuhr Forster seine Lokomotive auf die Drehscheibe, rasch wurde sie herumgeschwenkt und stand bald wieder pustend und fauchend an der Spitze des Zuges.

Alles das war das Werk von knapp einer halben Stunde gewesen. Da ertönten Schüsse in den benachbarten Straßen, aber keine geschlossene feindliche Abteilung erschien. Es waren wohl nur Patrouillen, die durch den Lärm am Bahnhof aufmerksam gemacht, vom Elektrizitätswerk heraneilten. Am dunklen Nachthimmel stiegen ein Paar Leuchtkugeln auf, mit ihrem blendend weißen Magnesiumlicht die Dächer der Häuser plötzlich scharf beleuchtend. Ein Warnungssignal?

Da lärmten schon die elektrischen Glocken in der Nähe des Bahnhofes, die von Brown & Co's Keller aus bedient wurden, das Zeichen, daß vom Wasserwerk kommende verdächtige Zeichen bemerkt worden waren. Ungeduldig wartete Forster im Führerstande seiner Maschine auf das Signal zur Abfahrt. Weshalb nur Fighting Dick solange zögerte. Der stand in dem Eingang des Bahnhofes und winkte nach draußen. »Wo ist Arthur Engelmann?« rief er.

»Hier nicht,« erscholl es aus dem Zuge.

»Ja, wo denn nur?«

Verschiedentlich wurde der Name wiederholt, aber der Gerufene erschien nicht. Der Zug war zur Abfahrt fertig; man verstaute jetzt die Gewehrkisten im Inneren der Wagen, um sie an den vorher verabredeten Haltepunkten schnell wieder ausladen zu können. Jetzt kam Arthur Engelmann gelaufen.

»Schnell!« rief ihm Fighting Dick zu.

»Nein warte! Den hier müssen wir noch mitnehmen,« schrie Engelmann zurück und deutete auf einen Verwundeten, der von zwei Männern getragen wurde.

»Laß ihn liegen! Wir müssen fort. Männer haben wir genug, aber nicht Gewehre.«

»Du nimmst ihn mit!«

»Nein, wir fahren.«

»Du bleibst,« rief Arthur Engelmann, Fighting Dick am Arm packend, »es ist mein Bruder.«

»Ich kann Dir nicht helfen, laß ihn zurück.«

»Dann bleibe ich hier.«

»Dann bleib!«

In diesem Moment ertönten aus einer der nächsten Straße schmetternde Hornsignale.

»Die Japaner!« brüllte Fighting Dick, »komm Arthur!«

Der aber entriß seinen verwundeten Bruder den beiden, die ihn trugen, und lud ihn auf die Schulter, während jene sich an ihm vorbei drängten und den Zug zu gewinnen suchten. Fighting Dick ihnen voran.

Schon knatterten zahlreiche Schüsse, klatschend schlugen einige Geschosse an die Wände des Bahnhofes, da kommandierte Fighting Dick: »Los, Forster! Go on!«

Sausend und schnaubend und mit den blinkenden Kolbenstangen die hohen Räder, die auf den glatten Schienen nicht fassen wollten, in rasender Hast herumwirbelnd, zog die Lokomotive an, gerade als eine japanische Abteilung in das Bahnhofsgebäude eindrang, wo sie ziellos auf den Zug zu feuern begann. Wie Schloßenhagel schlugen die Gewehrkugeln noch in die letzten Wagen ein, Holzwände und Fensterscheiben zersplitternd.

Fighting Dick blickte neben Forster stehend zurück. Er sah den Bahnsteig jetzt von Soldaten gefüllt. Ihnen mußten die beiden Deutschen in die Hände gefallen sein.

Nun hieß es schnell machen, denn wenn auch der Bahntelegraph an der Strecke unterbrochen war, so gab es doch Lichtsignale, und richtig dort drüben in der Richtung des Wasserwerkes blitzte ein gleißender Lichtschein auf, erlosch wieder und warf in zuckenden Intervallen seine Strahlen gegen den wolkenbedeckten Himmel. Wer konnte diese lautlose Zeichensprache deuten? Vielleicht ein Befehl an den nächsten Alarmposten, die Schienen vor dem heranstürmenden Zuge aufzureißen?

Die Zähne zusammengebissen, die Hand an den Hebeln der Steuerung, stand Forster auf seiner Lokomotive. Unablässig schaufelte ein Heizer die Kohlen in die Feurung.

»Forster,« sagte Fighting Dick, »was ist das da vorne? Herrgott, da brennt es.«

»Das sind die Brücken, Fighting Dick.«

»Ahnte ich es doch, die verdammten Gelben! Einerlei, vorwärts müssen wir. Kommst Du mit Deiner Maschine durch?«

»Halten werden die Brücken schon noch. Das Holz brennt einen halben Tag, in zehn Minuten sind wir da.«

Jetzt sah man flatternde Flämmchen an den Geleisen entlang laufen, sah sie emporzüngeln an dem blutrot beleuchteten Gebälk der langen Holzbrücken, die hier das Geleise trugen, riesige Zeugen der amerikanischen Holzverschwendung. Wallende Qualmwolken krochen heran. Jetzt verschwanden die Schienen in dem blutroten Gewoge. Die Lokomotive versank in einem Meer von Flammen und Rauch. Forster zog schnuppernd den Rauch ein.

»Petroleum,« sagte er, »sie haben Petroleum ausgegossen.«

»Und wenn wir mit verbrennen, durch müssen wir,« antwortete Fighting Dick.

Beizender Brandrauch und der glühende Brodem des wogenden Feuermeeres ließ die keuchenden Lungen fast ersticken. Die Luft zitterte vor Hitze. Alle scharfen Linien zerflossen. An beiden Seiten schlugen die prasselnden, sausenden Flammen jetzt empor.

»Preß Dich dicht an die Vorderwand,« schrie Forster, »da kriegst Du noch Luft, sonst ersticken wir.«

Heulend fuhr der hochgespannte Dampf aus allen Ventilen, den glühenden Stahlbau der dahinstürmenden Lokomotive durch und durch erschütternd. Die Glasscheiben der Fenster zerplatzten im Gluthauch der Flammen, an den heißen Wänden des Führerstandes blieb die Haut in Fetzen hängen, wenn die Hand an ihnen eine Stütze suchte. Draußen knallten ein paar Schüsse.

»Noch eine Minute,« schrie Forster durch den tobenden Lärm, »dann haben wir die Brücke hinter uns.«

Fighting Dick sank zu Boden, die giftigen Rauchgase hatten ihm die Besinnung geraubt. Jetzt krochen die Flammen in sich zusammen und versteckten sich in wirbelnden Rauchwolken.

»Durch!« sagte Forster, »wir haben die freie Strecke.« Dann bog er sich hinaus und blickte an den Wagen des Zuges entlang. Die letzten beiden brannten lichterloh. Flackernde, tanzende, sprühende Flammenstreifen huschten an den Wänden empor und flogen über die Dächer, vom Luftzug immer mehr angefacht. Forster ließ die Dampfpfeife ertönen, das Signal, den letzten Wagen abzukoppeln und hier auf der Strecke stehen zu lassen.

Denn eben hatte er mit sicherem Blicke das Zeichen erhascht, das ein Mann, dicht neben dem Geleise stehend, gab, indem er eine Radfahrerlaterne über seinem Kopf schwang.

»Vielleicht können sie ihn noch ausladen,« sagte er zu Fighting Dick, der sich langsam erholte. Doch die Explosion einiger Patronenkästen in dem zurückbleibenden Wagen zeigte, daß hier wohl nicht mehr viel auszuladen sei.

Fünf Minuten später, nachdem der Zug ein dunkles Stationsgebäude passiert hatte, dasselbe Signal, und so blieb einer der Wagen nach dem anderen auf dem Geleise stehen, worauf alsbald die Gewehr- und Munitionskisten in die neben der Strecke wartenden Fuhrwerke übergeladen wurden. Die Pferde legten sich scharf ins Zeug und verschwanden im Dunkel, während auf dem Geleise die brennenden Wagen wie ein leuchtendes Fanal einsam zurückblieben.

Als in der Morgenfrühe des 9. Juni ein aus Portland kommender japanischer Militärzug langsam die Strecke absuchte, stieß er zunächst auf den Trümmerhaufen der durch eine Dynamitladung gesprengten Lokomotive, und dann hatte man einen ganzen Tag damit zu tun, die Reste des verbrannten Zuges zu beseitigen. Die durch einen japanischen Alarmposten mit einigen Fässern Petroleum in Brand gesetzte Holzbrücke war durch das Feuer gänzlich zerstört.

Der überraschende Handstreich war aber gelungen und Fighting Dicks Ruhm hallte von einem Ozean zum anderen und gab auch jenseits des Meeres die erste Kunde davon, daß die alte Tatkraft des amerikanischen Volkes sich endlich auf sich selbst besonnen habe und daß der rücksichtslose Vertilgungskrieg gegen die Gelben – vorläufig noch mit kleinen Mitteln – begonnen habe. In der Postenlinie der feindlichen Vortruppen am Felsengebirge aber und an den Biwaks der japanischen Heere dämmerte eine Ahnung davon auf, daß dieselbe urgewaltige Kraft, die Japan seit einem Menschenalter auf die Höhe der politischen Macht gehoben hatte, jetzt gegen den fremden Eindringling selber im Felde stand, die unwiderstehliche Kraft rücksichtsloser nationaler Selbstaufopferung …

Die halbe Stadt hatte von dem Plane, aus Tacoma die Gewehre zu retten, gewußt, aber an die Stelle gedankenloser Geschwätzigkeit von ehedem war hier schon die Schutzwehr straffer Selbstzucht getreten. Kein Zeichen, kein Wort hatte das Vorhaben dem Feinde verraten, man bezwang die fiebernde Erregung und trug eine gleichgiltige Miene zur Schau. Man hatte doch schon vom Feinde gelernt.

Vierzehn Amerikaner wurden mit den Waffen in der Hand gefangen genommen, außerdem 28 teils sehr schwer Verwundete. Eine Bekanntmachung des japanischen Kommandanten von Tacoma teilte am anderen Abend mit, daß sämtliche Gefangene noch im Laufe des nächsten Tages vor ein Kriegsgericht gestellt und die ganze Strenge der Bestimmung zu fühlen haben würden, daß jede Widersetzlichkeit der Zivilbevölkerung mit dem Tode geahndet werden sollte. Mit einem japanischen Regiment, das von Seattle aus am 9. Juni noch eintraf, fand sich auch das japanische Kriegsgericht in der Stadt ein, das zunächst die Stadtverwaltung von Tacoma ersuchte, ihrerseits zwei Mitglieder zum Kriegsgericht zu stellen, ein Ansinnen, welches aber kurz und bestimmt abgelehnt wurde, worauf die Japaner unter sich das Urteil fällten, was, wie vorauszusehen, in allen Fällen auf Tod durch den Strang lautete.

Erst auf die Bitte des Bürgermeisters von Tacoma hin begnadigte man die Verurteilten zum Tode durch Erschießen.

Der alte Engelmann versuchte vergebens, seine beiden Söhne noch einmal zu sehen, sein Verlangen wurde brüsk zurückgewiesen.

In der Morgendämmerung des 11. Juni führte die Exekutionsabteilung die Verurteilten hinaus zum Wasserwerk. Die Verwundeten wurden auf Wagen befördert. Schweigend geleiteten dichte Scharen der Einwohner diesen Zug des Todes.

Hochaufgerichtet stand der alte Engelmann am Fenster seines Hauses, stumm grüßten ihn die letzten Blicke seiner beiden Söhne, der eine in der Schar seiner Kameraden marschierend, der andere auf den ersten Wagen mit den Verwundeten. Frau Martha hatte es über sich vermocht neben dem Gatten auszuharren. Als der Transport vorüber war, brach sie weinend zusammen. Die Hoffnung ihres Lebens war dahin, und in die Zukunft sah sie wie in einen düsteren Abgrund.

Da legte sich eine leichte Hand auf ihren weißen Scheitel, »Mutter,« sagte die eine Tochter, »hörst Du es? Ich habe es schon gestern gehört. Sie singen das Lied von Fighting Dick, sie singen auch von den Unseren. Wer es gemacht hat das Lied, niemand weiß es. Es ist wie von selbst gekommen. Schon gestern abend sangen sie es auf der Straße, das Lied von Arthur Engelmann, der sein Leben für seinen Bruder opferte.«

»Ja,« sagte der Alte, »Mutter, es ist wahr, sie singen das Lied, und sei stolz Mutter, die, die wir heute dahingeben, sie werden weiter leben, im Herzen des amerikanischen Volkes, als seine Helden.«

Und immer lauter scholl von draußen das stolze Lied der Bürger von Tacoma, das erste Siegeslied in dieser trüben Zeit.


 << zurück weiter >>