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Je weiter man in das Räderwerk der komplizierten Maschinerie des japanischen Angriffsplanes hineinblickte, umsomehr mußte man den Scharfsinn und die zähe Energie der Mongolen bewundern, mit der sie diesen Krieg vorbereitet hatten, und je besser man das erkannte, umso klarer wurde es, wie verschieden sich das alles in mongolischen und in den Augen der Völker weißer Rasse ausnahm.
Man hätte von 1904 lernen können, wenn man nicht in gefährlicher Gedankenlosigkeit jenen Krieg Japans gegen Rußland nur für eine Episode gehalten hätte, deren Wurzelfäden nicht tief in die Lebensquellen eines Volkes hineinreichen, das plötzlich an die Oberfläche einer rapiden politischer Entwicklung emporgetaucht war. Als 1895 der Einspruch der europäischen Mächte gegen den Frieden von Schimonoseki Japan fast alle Früchte des Krieges gegen China wieder entriß, als das japanische Volk die schon errungene Festlandsprovinz, die Halbinsel Liaotung, wieder räumen mußte, weil es seine Macht als Eroberer nicht gegenüber drei europäischen Mächten durchsetzen konnte, die so uneinig sonst untereinander hier doch darin übereinstimmten, daß die chinesische Beute nur dem Europäer zufallen dürfe. Damals glaubte man nämlich noch, daß es eine chinesische Konkursmasse gäbe, die unter die Gläubiger verteilt werden könne. Als Japan im zweiten Frieden von Schimonoseki auf jeden Festlandsbesitz verzichten mußte und mit ein paar Millionen Taels über diese zerstörte Hoffnung getröstet wurde, da wußte jeder Japaner zur selben Stunde, daß man die verlorene Kriegsbeute dereinst mit den Waffen von Rußland zurückfordern werde. Mit den Millionen der chinesischen Kriegsentschädigung bezahlte Japan eine neue militärische Rüstung, baute davon eine Panzerflotte und erzog in aller Stille das Volk für die Stunde der Rache. Remember Shimonoseki! Das war die heimliche Losung, das war das Freimaurerzeichen, das neun Jahre lang den Gedanken des japanischen Volkes die Richtung gab.
»Ein Reich, ein Volk, ein Gott!« hatte einst mit Emphase Kaiser Wilhelm gesagt. Solcher tönenden Worte bedarf es bei den Japanern nicht. In ihrer aller Herzen, vom Tenno bis zum letzten Rikscha-Kuli, lebt instinktiv, so natürlich wie der Herzschlag, ein eifersüchtiges nationales Bewußtsein, das die Kräfte der Religion, der politischen Idee und der geistigen Kultur in eine Einheit verschmilzt, die nur in ihren Stärkegraden und Erscheinungsformen verschieden ist. Schnürt sich vom Körper des japanischen Volkes ein Einzelwesen ab, so bleibt es immer ein Japaner, der wie ein ins Wasser gefallener Öltropfen sich nie mit dem Wasser vermischen kann und stets auf der Oberfläche als Fremdkörper bleibt, weil er das eine Element ist und das Wasser das andere. Während die über den Schüsselrand der europäischen Staaten abfließenden Ströme der Auswanderer in der Fremde sehr bald den Prozeß der Wesensveränderung durchmachen, bis sie mit der äußerlichen Angleichung an ihre Umgebung auch die innere Umwandlung vollzogen haben, bis sie mit den Gedanken und Empfindungen ihrer Umgebung denken und fühlen und völlig in ihr verschwinden, bleibt ein Japaner immer Japaner. Bleibt jenen als letzte Spur ihres früheren Wesens schließlich nur eine romantische Erinnerung, so weiß der Mongole von solcher Romantik nichts. Nüchtern, ohne großen Schwung der Phantasie, gilt seine Energie, sein ganzes Sinnen und Trachten nur seinem Volke, der nationalen, geistigen und religiösen Einheit Japans. Sie ist sein Gewissen, sein Glaube, sein Gott.
Womit andere Völker Jahrhunderte und Jahrtausende verbringen, mit der nationalen Erziehung des Volkes, dessen hat es in Japan nicht bedurft, weil ihr Produkt, die das ganze Leben des Volkes beherrschende nationale Gesinnung von vornherein gegeben ist und weil ein Verrat am Volke undenkbar ist, weil er gleichbedeutend wäre mit geistigem Selbstmord. Die innere Geschlossenheit des Volkscharakters, die Selbstverständlichkeit der nationalen Pflichterfüllung und die absolute Schweigsamkeit gegenüber den Fremden, das sind die Waffen, mit denen Japan von vornherein in den Kampf eintritt, in einer stählernen Rüstung klirrend, die der Gegner sich erst mühsam zusammensuchen und anlegen muß. Die Diskretion der japanischen Presse über alles, was den Staat in seiner Tätigkeit gegenüber dem Auslande angeht, ist ebensogut nationale Pflichterfüllung wie die frohe Selbstaufopferung des Soldaten, in dem das Kommando des Führers sich sofort in den eigenen Willen umsetzt.
Seit Marquis Ito 1905 mit leeren Händen aus Portsmouth zurückgekehrt war, seitdem das japanische Volk sich durch Roosevelts Friedensvermittlung enttäuscht sah, wußte jeder Japaner, wem der nächste Schlag zu gelten hatte. Wohl empörte sich anfangs das um den Millionengewinn des Krieges genarrte Volk, aber die Regierung sorgte dafür, daß dem Sicherheitsventil am Dampfkessel nur soviel überschüssiger Dampf entströmte, als nötig war, den Kessel vor der Zersprengung zu bewahren. Sie ließ hier und da, wo es keinen Schaden anrichten konnte, die erregten Massen sich austoben; dann aber begann Regierung und Presse alsbald das neue Werk, indem sie die nationale Leidenschaft von der Vergangenheit abwandten und ihr in dem Kampfe um die Herrschaft über den Pacific ein neues nationales Ziel setzten. Als man von Peking aus das Verbot der chinesischen Einwanderung nach den Vereinigten Staaten mit dem wirtschaftlichen Boykott amerikanischer Waren beantwortete, und die Panik in Wall Street die Regierung in Washington zu weitgehenden Konzessionen veranlaßte, war Japan weit davon entfernt, diese scharfgeschliffene Waffe zu zücken, wußte man doch auch, daß ein großer Teil der japanischen Volkswirtschaft, die Seidenproduktion, von der Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten abhängig war. Japan bestellte ruhig in Amerika weiter, behandelte die amerikanischen Importeure mit ausgesuchtester Höflichkeit und tat das, obgleich man sah, wie schon der Beginn des Warenboykotts den Herren in Washington den Schrecken durch die Glieder jagte, wie sie mit Geldsammlungen für die Hungersnot in China, mit einem Verzicht auf die chinesische Kriegsentschädigung von 1901 schleunigst um gut Wetter baten, obgleich man sah, daß vielfach das nationale Selbstgefühl der Amerikaner in dem Maße sank, als sich die Haufen der unverkäuflichen Frachtkollis in den Warenschuppen von Schanghai auftürmten. Da man den Feind überraschen wollte, mußte man ihn über die wahren Absichten täuschen.
»Nie davon sprechen, aber stets daran denken,« diese Losung, die der kleine jüdische Advokat auf dem Präsidentenstuhl Frankreichs einst ausgab, als die deutschen Heere nach dem siegreichen Feldzuge allmählich den französischen Boden verließen und der Rachegedanke ganz Frankreich erfüllte; »nie davon sprechen, aber stets daran denken,« das war, auch ohne daß sie öffentlich verkündet war, die Parole des japanischen Volkes. Neun Jahre hatte es gedauert, bis man den Wechsel von Schimonoseki in der Februarnacht auf der Reede von Port Arthur präsentierte, neun Jahre hatte man geschwiegen und stets daran gedacht, hatte mit rastloser, nie ermüdender Energie das Heer gedrillt und bewaffnet, hatte Schiffe gebaut und ihre Besatzungen geübt. Die Welt hatte das gesehen, aber über die wahren Absichten, die dieser riesenmäßigen nationalen Rüstung zugrunde lagen, hatte sie nur unklare Vorstellungen. Nicht Japan hatte die Welt getäuscht, da alles in vollster Öffentlichkeit vor sich ging, da man ein Millionenheer nicht unter einer Drahtglocke verstecken kann; nein, die Welt hatte sich selber getäuscht. Wenn man sonst in der Welt rüstet und Schiffe baut und Geschütze gießt, so weiß jedermann, gegen wen es geht, und wer es nicht weiß, dem künden es die weinseligen Tischreden der Diplomaten, künden es die schwatzhaften Artikel der Presse. Was die Völker der alten Welt für Pläne hegen, wird auf allen Straßen ausgeschellt. Die politische Indiskretion ist ein Gemeingut Europas und Amerikas. Kühl abwägend, lautlos beobachtend, aber im schweigenden Einverständnis unter sich und von einem einzigen Willen, von einem glühenden Haß gegen die Weißen beseelt, stehen ihnen die Völker Asiens und Afrikas gegenüber.
Lebe jahrzehntelang mitten unter den Bekennern des Islams, kenne sie alle in Deiner Umgebung, dringe in ihr Empfinden und Fühlen und in ihre Gedanken ein, Du wirst niemals den Augenblick bestimmen können, da der kleine Funke, der zuweilen in Momenten großer Begeisterung in ihren Augen glimmt, plötzlich jäh zu riesenhafter Flamme emporlodert, wo eine Kraft lebendig wird, von deren Dasein Du nie eine Ahnung gehabt hast, von der Du nie gedacht hast, daß sie alles rund umher verwüstet und zerstört. Aber dann, wenn erschlagene Leiber auf allen Straßen liegen, wenn Mord und Brand durch die Gassen rast, wenn der friedliche, ruhige, anscheinend so indolente Moslim, der jahrelang fleißig unter Dir gearbeitet hat, in wenigen Stunden zu einem gottbegeisterten Helden, zu einem Führer wird, dem Tausende willenlos folgen, dann bekenne vor den rauchenden Trümmern, daß dem Europäer, daß dem Abkömmling der weißen Rasse die Gedanken und das nationale Empfinden der Anhänger des Islams stets verschlossen bleiben werden, so verschlossen wie die Geheimnisse der Meerestiefe.
Du gehst einen Weg über das Sandfeld in hellglühender Mittagssonne und Du machst am anderen Morgen denselben Weg, nachdem es über Nacht geregnet hat. Überall auf unabsehbaren Strecken sind aus dem gestern so steril erscheinenden Boden Millionen sprießender Halme emporgeschossen. Woher dieses plötzliche Leben? Es war da. Unter der Oberfläche ist ein Leben, welches Du nicht siehst. Kommt ein befruchtender Regen, dann wird es aller Augen offenbar, was unter der Erddecke geschlummert hat.
In den dichten Dschungeln, aus denen dem heiligen Nil seine Wässer zuströmen, steht ein Zelt, davor ein gesatteltes Roß. Aus dem Zelte tritt ein weiß gekleideter Mann mit großen strahlenden Augen, draußen von den fanatischen Allah-Rufen seiner Anhänger stürmisch begrüßt. Er steigt auf das Roß, die Kamele erheben sich, und langsam schwankend setzt sich die lange Karawane in Bewegung und verschwindet im Busch. Schweigende Einsamkeit wie vorher im afrikanischen Urwald. Wohin sie gehen? Du weißt es nicht, Du siehst nur einen Reiter im weißen Burnus, Du siehst nur ein paar Dutzend Leute einen Propheten grüßen, aber um dieselbe Stunde, da Du nur einen davonreitenden Scheich siehst, wissen Millionen, daß der Khalif, daß Allahs Gesegneter seinen Weg durch die Länder begonnen hat, deren Bewohner er zum Siege oder zur Vernichtung führen wird. In demselben Augenblick schlagen Millionen Herzen von Mogador bis Kap Guardafui, von Tripolis bis in die brennenden Salzsteppen der Kalahari in dem einen Gedanken empor, daß die Stunde der Erlösung der Islamvölker gekommen sei. Ein sieghaftes Gefühl froher Hoffnung klingt durch die Herzen aller Gläubigen, deshalb weil im Dschungeldickicht ein einfacher Araberscheich den Weg betreten hat, den Allah ihn weist. Woher sie es wissen, woher sie es alle zugleich wissen, das bleibt dem Verständnis des weißen Mannes auf alle Ewigkeit verschlossen, so verschlossen wie das geheimnisvolle Seelenleben der Völker Gelbasiens.
»Nie davon sprechen, aber stets daran denken,« das war die Losung gewesen und alles, was geschehen, auch das Ungereimte, das Sinnlose galt diesem Zwecke. Was die Welt vor Augen sah, darüber war sie nicht zu täuschen, man mußte nur Sorge tragen, daß sie sich wieder selbst belog, wie damals, als man auf Port Arthur rüstete. Ein waffenstarrendes Heer stand damals, von allen gesehen, auf dem Boden Nippons, Hokkaidos und Kiuschius, und vor aller Augen lag die Flotte unter Dampf. Daß die Welt nicht sah, was sie sah, daß sie sich einredete, der kleine gelbe Affe werde den täppischen Eisbären nicht angreifen, das hatte sie sich nur selber zuzuschreiben, sich selber ganz allein. Weil die diplomatischen Schreiberseelen nur das sehen wollten, was in ihren Gedankengang hineinpaßte, weil sie sich nur im Kreise um ihre eigenen Ideen zu bewegen vermochten, konnten sie die Gedanken der anderen nicht verstehen, und deshalb verhallte die Stimme der wenigen Warner ungehört. Daß die Torpedoschüsse auf der Reede von Port Arthur die Welt aus dem Schlummer schreckten, war nicht Japans Schuld. Warum schlummerte die Welt?
»Nie davon sprechen, aber stets daran denken,« man mußte den Gegner von neuem einschläfern, ihn wieder in Sicherheit wiegen, seine Gedanken auf die Punkte fixieren, wo nichts zu sehen war, sich nichts vorbereitete. Man mußte ihn täuschen über die Art der Rüstung, man mußte in ihm Zwangsvorstellungen groß ziehen, die ihn irreleiteten, man mußte seine Politik auf ein falsches Gleis führen, damit er den wirklichen Plan nicht verstand und nichts von ihm ahnte.
Deshalb geschah das alles, deshalb entfachte man in San Franzisco den Streit um die Aufnahme von Japanern in die amerikanischen Schulen, deshalb markierte man nationale Entrüstung, deshalb ließ man plötzlich die japanische Presse wie einen Kettenhund auf diesen vorgeworfenen Bissen los, deshalb gebärdeten sich die Volksversammlungen so, als ob das Schicksal Japans davon abhänge, ob irgend ein Japaner auf dieser oder jener Schulbank säße, und deshalb jagte man, sobald von Washington aus Kontredampf gegeben wurde, den Kettenhund wieder in seine Hütte zurück, deshalb legte sich die »nationale Erregung« in Japan so schnell, nachdem man in diesem Streitfall das »Gesicht gewahrt« hatte. Man schläferte das amerikanische Volk ein, indem man ihm durch scheinbares Nachgeben die Überzeugung beibrachte, daß auf dem Gebiet der Schulfrage kein ernster Konflikt mehr zu befürchten sei, man gab auch in der Einwanderungsfrage nach und anstatt die Einwanderer wie bisher in San Franzisco und Seattle zu landen, schickte man sie über die mexikanische Grenze, wo keine Kontrolle möglich war, denn wer sollte die Sandwüsten Arizonas und New Mexikos daraufhin bewachen, ob hier oder da ein paar Japaner ganz unauffällig über die Grenze schlüpften. Die Zahl der Japaner festzustellen, die auf diese Weise eindrangen, war unmöglich, zumal man in Tokio hinsichtlich der Auswanderung stets mit falschen Zahlen operierte, um so die Statistik noch mehr zu erschweren und zu verwirren.
»Nie davon sprechen, aber stets daran denken!« Deshalb schickte man einen Japaner mit einem photographischen Apparat nach San Diego, um dort die Erdwälle des Forts Rosecrans umständlich zu photographieren. Er sollte sich dort verhaften lassen. Wir mußten den armseligen Kerl ja laufen lassen, als er nachwies, daß die Bilder, die er mit seinem Apparat ausgenommen hatte, viel besser und genauer in San Diego in jedem Laden zu kaufen seien. Der Zweck des Manövers war derselbe wie damals in Manila, wo man uns auch einen japanischen Spion aufband, der dort ostentativ photographierte. Diese Manöver sollten uns zu der Überzeugung bringen, daß Japan von allen diesen Befestigungen, die für seinen Angriffsplan kaum in Betracht kamen, keine Kenntnis hatte; sie sollten in Amerika den Glauben erwecken, daß Japan eben erst anfing zu spionieren, in einem Augenblick, da man in Tokio nicht nur den genauen Plan jeder einzelnen Küstenbefestigung besaß, nicht nur Dank der bis vor wenigen Jahren auf unserer Marine angestellten japanischen Stewards jedes unsrer Kriegsschiffe bis auf den letzten Bolzen kannte, und über die Qualitäten jedes Kommandanten und seine Liebhabereien bei Manövern genau informiert war, da Japan über die Mobilmachungsordre, die Sammelplätze der Armee und die Lage der Waffen- und Munitionsdepots bis ins einzelne unterrichtet war.
Aus demselben Grunde sprach die japanische Presse, sprach die von japanischen Staatsmännern inspirierte englische Presse Ostasiens stets nur von den Philippinen, als ob dieser Archipel das Ziel des ersten japanischen Schlages sein würde. Aus diesem Grunde ließ man auch in der englisch-chinesischen Presse um die Jahreswende den bekannten Plan veröffentlichen, der die detaillierte Offensive der japanischen Flotte und den Transport zweier Armeekorps nach den Philippinen enthielt, und diese Manöver hatten den gewünschten Erfolg. So wie einst Rußland vollständig überrascht wurde, weil es sich in seine Ideen über die Möglichkeit eines japanischen Einmarsches in die Mandschurei verrannt hatte, ebenso wurde jetzt die Auffassung, als werde sich Japan in einem Kriege zunächst der Philippinen und Hawais bemächtigen, zum amerikanischen und zum internationalen Dogma. Die Welt hatte sich zum zweiten Male täuschen lassen, sie erwartete den ersten Schlag vor Manila und Hawai und berechnete immer nur die Möglichkeit, wie lange es dauern würde, bis die amerikanische Flotte »herankommen« könnte, um die Situation im fernen Osten zu retten.
»Nie davon sprechen, aber stets daran denken!« Während Japan in der ganzen Welt diese falschen Vorstellungen über den Verlauf eines kriegerischen Konfliktes großzog, traf man an andern Stellen die wirklichen Maßnahmen und verführte so den Gegner, dort seine stärksten Kräfte zu konzentrieren, wo man überhaupt gar nicht angreifen wollte. Mit inniger Schadenfreude sahen die Japaner, wie Amerika seine philippinischen Garnisonen wegen des durch japanische Agenten entfachten Aufstandes auf Mindanao verstärkte, wie bei dieser Insel das Kreuzergeschwader zusammengezogen und so die Flottenbasis einem Handstreiche preisgegeben wurde. Mit derselben Schadenfreude sah Japan, wie die Union die Hälfte ihrer Flotte an der pacifischen Küste stationierte und im Vertrauen auf diese mobile Verteidigung die Küstenbefestigungen nur ungenügend besetzte in der Hoffnung, daß für eine kriegsmäßige Bemannung nach dem Ausbruch des Krieges noch immer Zeit genug sein würde.
Daß Japan im März und April dann seine gesamten mandschurischen Garnisonen unauffällig ablöste und durch Landwehrregimenter ersetzte, die gegenüber einem etwaigen Angriff Rußlands zunächst vollständig ausreichten, war ein weiterer Schachzug, dessen Bedeutung auch nicht rechtzeitig erkannt wurde, bis sich nach Wochen herausstellte, daß die von Dalny und Gensan aus angeblich nach Japan zurückgekehrten Transportschiffe als zweite Staffel der Invasionsarmee nach San Franzisco und Seattle dirigiert worden waren.
Nach der Vernichtung des philippinischen Geschwaders beschränkten sich die Japaner auf eine lockere Blockade der Bai von Manila durch ein paar alte Kreuzer und armierte Handelsdampfer und auf eine Isolierung der amerikanischen Garnisonen im Archipel, deren Schicksal sich bald entschied. An die schwer armierten Batterien von Corregidor konnten sich die Blockadeschiffe natürlich nicht heranwagen, das war ja auch nicht ihre Aufgabe. Sie sollten nur verhindern, daß Manila Zufuhr von außen erhielt. Und das gelang vollkommen. Anfangs fürchtete man auf der Blockadeflotte einen Angriff der beiden kleinen in Cavite stationierten Unterseeboote »Shark« und »Porpoise«, obgleich man durch Spione am Lande erfahren hatte, daß die Regierungswerft in Cavite sich vergeblich abmühte, diese subtilen Fahrzeuge seetüchtig zu machen, und daß sie von jedem Tauchversuch mit Defekten an ihren Gasolinmaschinen zurückkehrten. Als sie dann nach Wochen doch noch bei Corregidor erschienen, machten ihnen die vier japanischen Unterseeboote schnell den Garaus. Das stark befestigte Manila war eine Flottenbasis ohne Flotte geworden und wurde dann auch von der Landseite her bezwungen.
Da die viel zu schwache Garnison von kaum 10 000 Mann den weitläufigen Gürtel der Forts und Feldschanzen nur ungenügend verteidigen konnte, so wurden zunächst die unvollendet liegen gebliebenen Befestigungswerke in Olongapo an der Subig-Bai durch Dynamit gesprengt und hierauf geräumt, dann wurden die Bahnlinien aufgegeben und schließlich hielt man nur noch Manila und Cavite. Aber unter den steten Angriffen der von japanischen Offizieren geführten Filipinos verblutete die von allen Zufuhren abgeschnittene und demzufolge allein auf die vorhandenen Vorräte angewiesene Garnison Manilas schnell. Das einzige, was man im Überfluß hatte, waren Kohlen, aber aus Kohlen kann man kein Brot backen. Am 24. August kapitulierte Manila. 2800 verhungerte Soldaten streckten die Waffen, der Rest lag in den Lazaretten oder war draußen auf der Walstatt geblieben. Gleichsam durch ein inneres vulkanisches Feuer verzehrt, waren die Philippinen japanischer Besitz geworden. Einen einzigen Mann, den Leutnant Schirawa, hatte das Unternehmen den Japanern gekostet. Alles übrige hatten die Filipinos und das der Gesundheit der Moskitos und Skorpione so außerordentlich zuträgliche Klima besorgt.
Schneller hatte sich das Schicksal Hawais entschieden. Die 60 000 japanischen Bewohner des Archipels genügten vollauf, um ohne weiteres der amerikanischen Herrschaft ein Ende zu bereiten. Die halbfertigen Werke von Pearl Harbour wurden im ersten Anlauf überrannt, die drei Zerstörer und das kleine Kanonenboot im Hafen fielen durch einen Handstreich in die Hände des Feindes. Ganz beiläufig wurden auch Guam und Pago-Pago auf Tutuila abgetan. Dann erschien Mitte Mai eine von San Franzisco zurückkehrende japanische Transportflotte vor Honolulu und nahm 40 000 japanische Bewohner Hawais an Bord, um sie nach Seattle zu bringen. Aus ihnen wurde das Reservekorps der japanischen Nordarmee formiert.
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Die beginnende imperialistische Tendenz in der Politik Japans, dieser vom Volkswillen getragene Gedanke, daß die Herrschaft über den Pacific der Vormacht Gelbasiens gebühre, war längst, bevor der Kriegssturm durch die mandschurischen Ebenen dahinbrauste, zu der imperialistischen Politik der Vereinigten Staaten in Gegensatz geraten. Zunächst ohne sichtbare Konflikte zu schaffen. Wie ein Fatum, wie das Gebot einer unabänderlichen Weltordnung hatten die asiatischen Völker bisher die Herrschaft des weißen Mannes hingenommen; Port Arthurs Fall schlug dieses Idol in Trümmer. Und nachdem die Tage von Mukden und Tsuschima den Zauber der Unbesiegbarkeit der europäischen Waffen gebrochen hatten, fand die heimliche Wühlarbeit der japanischen Agenten überall bereiteten Boden. In Indien, in Siam und nicht zuletzt in China horchte das Volk auf, wenn ganz offen davon gesprochen wurde, daß, nachdem des Zaren Flotte vernichtet war, der Pacific und seine Randländer nur den Mongolen gehören dürften. Unbesiegbar war der weiße Mann nicht. Und neben England, neben dem verbündeten England, kam nur noch die Union in Betracht, die Union, die an dem Besitz der philippinischen Erbschaft Spaniens laborierte und sich immer noch nicht entschließen zu können schien, ihrer laut verkündeten imperialistischen Politik durch entsprechende Rüstungen eine feste Grundlage zu geben.
Dann kam der Friede von Portsmouth. Vollkommen darüber im klaren, gegen wen sich das nächste asiatische Gewitter entladen werde, vollbrachte Theodor Roosevelt eine der folgenreichsten Taten der Weltgeschichte und strich die Zahlung einer Kriegsentschädigung aus den Friedensbedingungen. Nicht dem Moskowiter zuliebe, sondern weil er die finanzielle Erstarkung Japans bis zur Vollendung des Panamakanals unterbinden wollte. Amerika tat dasselbe, was Deutschland, Rußland und Frankreich beim Friedensschluß von Schimonoseki getan hatten; wir mußten deshalb mit denselben Folgen rechnen. Aber wie lange hat es gedauert, bis wir, die wir noch die Siege Oyamas, Nogis, Togos in rauschenden Freudenfesten gefeiert haben, erkannten, daß es einst eine Rache für Portsmouth geben werde. Damals galt uns noch der mandschurische Feldzug als nichts weiter denn als ein Schaustück, bei dem wir dem Sieger Beifall klatschten. Wir ahnten nicht, daß er nur das Präludium war zu dem großen Drama des Kampfes um die Herrschaft über den Pacific. Wir haben den Imperialismus gewollt, aber haben ihm die Mittel versagt. Man darf aber nicht die Hand ausstrecken nach einem Imperium, wenn man sich scheut, das Schwert als Einsatz in die Wagschale zu werfen. Mit der Fahrt unserer Flotte nach dem Pacific konnten wir den Feind wohl momentan »bluffen«, ihn aber nicht über die Schwäche unserer Rüstung zu Lande und zu Wasser täuschen. Vor allem zu Lande.
Drüben verstanden alle, was die Masseneinwanderung der Mongolen nach unseren Pacificstaaten bedeutete, welchen Zwecken auch der Zustrom der Gelben nach der Westküste Südamerikas diente. Wir aber haben der japanischen Einwanderung nach Chile, nach Peru, nach Bolivien, wir haben der Überschwemmung der Häfen der südamerikanischen Westküste ruhig zugesehen. Und während dort der gelbe Mann ungehindert eindrang, und sich die großen Entscheidungen der Zukunft vorbereiteten, schauten wir von der Plattform der Monroedoktrin nur immer ängstlich nach Osten aus und hielten die bescheidenen Reste europäischer Kolonialherrschaft im karaibischen Meere unter scharfer Kontrolle, als ob uns von dort aus eine Gefahr drohen könnte. Als ob die Monroedoktrin nur ein Fenster nach Osten habe. Und wenn man sich hin und wieder bei uns daran erinnerte, daß die Monroedoktrin doch den ganzen Kontinent umfasse, dann ließen wir uns durch die Einflüsterungen der Londoner Presse wieder ablenken, wenn sie die »deutsche Gefahr« in Südamerika an die Wand malte, als ob ein europäischer Staat heute überhaupt noch daran denken könnte, sich gewissermaßen über Nacht drei brasilianische Provinzen wie einen Schinken aus dem Rauchfang zu holen. Mit der Farce der deutschen Gefahr in Brasilien hat man uns von London aus immer wieder mit bestem Erfolge genarrt. Heute wissen wir, weshalb.
Wie Taubstumme sind wir stets durch die Geschichte gestolpert und haben diejenigen, die uns beizeiten vor der Gefährlichkeit des japanischen Volkes gewarnt haben, als rückständige Menschen behandelt, deren Intellekt nicht ausreichte, den Siegeszug der japanischen Kultur zu begreifen. Wer den unleugbaren Aufschwung Japans nicht als das größte Ereignis des letzten Menschenalters anerkennen wollte, war in unseren Augen ein Feind jeder Kulturentwicklung. Japanerfreunde, Japanerfeinde, andere Rubriken kannten wir nicht. Aber daß man Japans Aufblühen zu einer politischen Großmacht in seiner ganzen Bedeutung anerkennen und dabei doch das eigene Volk in eindringlichster Weise davor warnen kann, in dieser Entwicklung lediglich eine feuilletonistische Kulturerscheinung zu erblicken, das ist uns nie aufgegangen. Das ist aber der Grundfehler unserer gesamten Politik der letzten Jahre gewesen. Und weil wir, in den landläufigen Phrasen befangen, dem Feinde jede Möglichkeit absprachen, einen neuen Krieg zu führen, weil wir den Gegner unterschätzten, in ihm nur ein unter einer zu schweren Rüstung zusammenbrechendes Volk sahen und es versäumten, uns auf jede Möglichkeit vorzubereiten, deshalb erfolgte die Rache für Portsmouth so unvermutet. Kein diplomatischer Konflikt, nicht die leiseste Trübung unserer Beziehungen zu Japan ging dem allen voraus. Und die Welt war um die Erfahrung reicher, daß ein Krieg kein Vorspiel auf der diplomatischen Bühne zu haben braucht, wenn er nur eine Vorgeschichte hat.