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Der Sturm auf Hilgard.

3 Uhr morgens. Nur vom linken Flügel von der Division Fowler hallte ab und zu ein vereinzelter Kanonenschuß herüber. Oben von der Paßhöhe des Gebirges klang deutlich das Fahren und Rangieren von Eisenbahnzügen, der knallende Zusammenprall der Wagen und das dumpfe Rollen der Räder. Rechts war es ruhig.

Leise Pfiffe durch alle Schützengräben! Und dann quollen die zum Sturm auf Hilgard bestimmten Regimenter leise und behutsam aus den langen Furchen hervor. Die ersten Kolonnen führten Matratzen, Heusäcke, Bretter und Erdsäcke mit sich, um mit ihnen den Stacheldrahtverhau zu überbrücken, wenn es nicht gelingen sollte, schnell die Pfähle, die das Drahtgewirr trugen, umzuhauen. Einzelne amerikanische Batterien hinter La Grande begannen zu feuern. Noch war es drüben ruhig.

Doch da stiegen rechts an der Berglehne rasch hintereinander zwei rote Leuchtkugeln empor, zwei blaue folgten. Lautlos erloschen sie hoch in der Luft. Ein Signal diesseits oder jenseits? Die Regimenter stockten einen Augenblick, es erfolgte nichts. Nur die beiden Scheinwerfer hinter Hilgard hefteten ihre Lichtkegel auf jene Stelle, wo die bunten Sterne aufgefahren waren. In Hilgard bellte ein Hund, doch das Bellen brach kurz ab. Wieder Totenstille da vorne, nur von rückwärts grollte der Geschützdonner und aus den Waldtälern links ballerten vereinzelte Schüsse.

Jetzt waren die ersten an den Drahthindernissen. Da, ein lauter, jäh emporlodernder Schmerzensschrei, ein paar rote Explosionsflammen schlugen aus der Erde empor, und in ihrem Feuerschein waren plötzlich die Pfähle und die Netzfäden des Drahtverhaus sichtbar. In der vorderen Reihe zappelten ein paar Menschen zwischen den Drähten, die anscheinend elektrisch geladen waren. Jetzt galt es. Die mit Kautschukhandschuhen zum Schutz gegen den elektrischen Strom versehenen Pioniere packten entschlossen zu. Hallende Axthiebe erklangen. Laute Flüche und jammerndes Stöhnen. »Ein Hundsfott, wer das Maul auftut« schrie jemand mit gedämpfter Stimme. Gegen den aufsprühenden Schein explodierender Sprengkörper, mit denen man die Pfähle im Boden zu lockern versuchte, hoben sich die schwarzen Silhouetten der Stürmenden, die lange Bretter und Erdsäcke über das Geflecht der Stacheldrähte hinwarfen, scharf ab.

Schwankende, springende Gestalten von zuckenden Flammen grell beleuchtet, knatternde Schüsse, Milliarden rotglühender Feuerfunken ringsum, und dazwischen das unheimliche scharf abgehackte Rattattatt … Rrrrrr … Rattattatt der Maschinengewehre, ein Laut, als lüde man Steinschotter aus einem Wagen ab.

Drüben war die Hölle losgebrochen. Vor, zwischen und aus den Häusern Hilgards schlug den stürmenden Regimentern ein geradezu vernichtendes Gewehrfeuer entgegen, in das sich der grobe Knall der Feldbatterien mischte. Doch über die Leichen der Gefallenen, die zwischen den bohrenden Stacheln der tödlichen Drahtschlingen eingepfercht hier verröchelten, über die schwankenden Bretter und durch die von den Minenexplosionen gebrochenen Lücken drangen unter lautem Hurragebrüll die Bataillone vor. Was tat es, daß hier und da die eigenen Maschinengewehre, die die Stürmenden mit vorgeschleift hatten, blutige Furchen durch die dunklen Kolonnen zogen, es ging vorwärts. Die Feldbatterie links der ersten Häuser, die Feldbatterie rechts der ersten Häuser und zwei feindliche Maschinengewehre geradeaus vor der Barrikade waren schon in den Händen des 28. Regiments. Jetzt schlug seine dunkle Woge gegen die Häuserfront. Keine Möglichkeit weiterzukommen! Vor der haushohen Barrikade, die den Straßeneingang sperrte, verblutete vergebens ein Bataillon. Im toten Winkel des Feuers der Verteidiger, die aus den bis zu Schießscharten verstopften Fensteröffnungen der Häuser schossen, konnten die Stürmenden einen Moment verschnaufen. Aber weiter! Man hatte keine Sturmleitern. Man brauchte auch keine Leitern. Schnell bauten sich an den Außenwänden der Häuser Menschenpyramiden auf, an denen, gehoben und geschoben, gestützt und gehalten von den Armen der Untenstehenden, einzelne Soldaten bis soweit hinauf gelangten, daß sie in die Scharten hinein schießen konnten. Mit Äxten und mit den Gewehrkolben half man nach; einzelne Häuser waren schon in unserem Besitz. Alle Scheinwerfer des Feindes vereinigten ihr Licht auf Hilgard, man focht in blendender Helle. Seltsam nah erschien über den Häusern der weiße Turmstumpf der Kirche von Hilgard, um die zerrissenen Kupferplatten des Daches spielten rotgoldene Lichtreflexe.

Aber es kam kein Zuzug von rückwärts, das rasende feindliche Artilleriefeuer und die spritzenden Geschoßgarben der Maschinengewehre fegten den Erdboden vor Hilgard, fegten die Schützengräben, aus denen neue Bataillone emporstiegen, pflügten das Gelände in glühenden Furchen auf, und zwischen den Schützengräben und den ersten Häusern Hilgards, von wo gellende Hornsignale um schnellen Nachschub riefen, breitete sich eine unpassierbare Feuerzone aus. Die Erfolge der Sturmkolonnen drohten wieder verloren zu gehen, wenn es dem Feinde gelang nach Hilgard Verstärkungen zu werfen. Da schaffte ein Angriff von links aus dem Waldtale endlich Luft.

Die irische Brigade unter General O'Briens Führung stürmte wie eine Windsbraut heran und griff ganz unvermutet in den Kampf ein.

Dieser Angriff warf die heranrückenden japanischen Verstärkungen zurück. Man sah die Regimenter im Morgendämmern zurückfluten und dann auf dem ansteigenden Terrain Schützenlinien bilden. Zwischen diesen und der Rückseite Hilgards lagen die Schützenschwärme der Iren, die sprungweise vorgingen. Doch unter dem rasenden Artilleriefeuer der Japaner kam der Kampf zum stehen.

Während das fahle Morgenlicht am Himmel langsam emporkroch gab es ein wildes Durcheinander. Das 17. japanische Infanterieregiment rang noch mit den beiden amerikanischen Regimentern um den Besitz der Vorderfront Hilgards, die beiden in der Hinterfront des Städtchens eingenisteten japanischen Bataillone richteten ihr Feuer auf die dichten Kolonnen des dritten irischen Regimentes, das noch nicht in Schützenlinien aufgelöst war. Ein kritischer Moment, wenn es nicht gelang, den Widerstand in Hilgard schnell zu dämpfen.

In den Häusern und auf den durch beginnende Brände und den Feuerschein platzender Geschosse jäh erleuchteten Straßen tobte ein wilder Kampf von Mann zu Mann, mit Bajonett und Kolben ging man sich gegenseitig zu Leibe, alle Truppenverbände kamen durcheinander. Und wo die Waffen zerbrochen, rang Mann gegen Mann, nicht Menschen mehr, Gorillas, die sich mit Zähnen und Krallen gegenseitig zerfleischen. Krachendes Gebälk, stürzende Mauern, hoch auflodernde Flammen, von den Dächern herniederrauschende Funkenlawinen und darüber und dazwischen die platzenden Schrapnells, Angreifer und Verteidiger im Durcheinander niedermähend.

Endlich trafen Verstärkungen ein, ein Regiment, das beim Passieren der Feuerzone vor Hilgard mehr als die Hälfte seiner Leute verloren hatte.

»Wo ist Oberst Johnson?«

»Drüben jenseits der Straße.«

»Gefangen?« fragte einer.

»Gott bewahre, die machen keine Gefangenen, wir machen ja auch keine.«

Langsam wurde es heller.

Die Irländer draußen hinter Hilgard hatten einen schweren Stand. Wenn es gelang, den Feind in der Flanke zu fassen, konnte man seine Stellung aufrollen. Anders kam man jedenfalls nicht vorwärts. In jeden im Sprung hochgehenden Zug der Schützenlinien mähte der Sensenschnitt der verderbenspritzenden Maschinengewehre furchtbar ein. Der Feind wich und wankte nicht.

General O'Brien hatte schon fünf Ordonnanzen fortgeschickt, um zur Division Fowler die Aufforderung hinzubringen, koste es was es wolle, den Feind von links her zu fassen. Alle fünf waren augenblicklich unter feindlichen Schüssen zusammengebrochen, sobald sie nur einen Zoll Uniformtuch hinter ihrer Deckung zeigten. Sollte die Brigade nicht nutzlos verbluten, mußte etwas geschehen.

Da erschien, sich kriechend heranarbeitend, neben dem General der Unteroffizier Dan Freeman.

»Hier, Herr General«, rief er mit freudestrahlendem Gesicht »jetzt haben wir die Verbindung«, und schob O'Brien den Telephonapparat hin, dessen Drahtleitung er durch die ganze Feuerzone hinter sich abgerollt hatte.

»Mann, sind Sie des Teufels,« rief der General, und dann in den Apparat: »Werfen Sie auf den rechten Flügel der vor uns liegenden japanischen Truppen, was Sie aufbringen können! Die feindliche Stellung ist erschüttert, aber von hier aus im Frontalangriff gegen die Abhänge nicht zu nehmen.«

Minuten vergingen, todesbange Minuten unter dem Geschoßhagel des Feindes. Die platzenden Granaten lichteten die Reihen der Regimenter, und das Infanteriefeuer fegte über den Boden hin, dazu wurde die Munition bei den Irländern knapp. In Hilgard fuhren zwischen den Ruinen der Häuser mehrere Batterien auf; der Feind wich und wankte nicht.

Da brauste es von links heran: Kavallerie, indianische Scouts, reguläre Kavallerie, Milizkavallerie, freiwillige Regimenter, hinter ihnen Maschinengewehre und Feldartillerie. Eine ungeheure Menschenlawine in dichte Staubwolken gehüllt, aus denen sprühende Feuerfunken prasselten.

Das war die Rettung. Ein gellender Jubelschrei der Irländer übertönte das wilde Toben der Feldschlacht, und nun gab es kein Halten mehr. Wie Kornschwaden sanken die ersten Linien der Reiter vor dem Kugelschlag der Maschinengewehre nieder; einerlei, weiter, weiter! Ganze Regimenter wurden zerfetzt. Hunderte von Sätteln wurden leer, aber die Reitermasse kam heran, und noch bevor sie die irischen Schützenlinien erreicht hatte, ging fast ohne Kommando alles, was St. Patricks grünes Kleeblatt am Hute trug, hoch; ein konzentrischer Sturmangriff.

Diesem Anlauf war der Feind nicht gewachsen. Mitten zwischen seinen Schützenlinien waren die Irländer, waren die Reiter, mitten in die feindlichen Schützenlinien stürmte im Galopp eine Batterie vor, Tote, Verwundete, Lebende ohne Unterschied mit den Rädern zermalmend. An den Geschützrohren klebten blutige Fetzen, die Räder warfen abgerissene Gliedmaßen empor, ganze Körper wurden von den Radspeichen mit herumgewirbelt.

Gellende Trompetensignale. Die Pferde herumgeworfen! Abgeprotzt! Da setzte eine feindliche Granate auf die Deichsel der Protze auf, und im Nu bildete die Bespannung des Geschützes einen wüsten, blutigen Knäuel wild umherschlagender Beine, angstvoll sich windender Pferdeleiber.

Aber das Geschütz war in Stellung. Heraus mit der Munition! Bums! krachte der erste Schuß, der noch im Rohr gesessen hatte, und dann griffen sie alle zu, ein indianischer Scout, an der Schulter stark blutend, schleppte Granaten, ein Pionier schleppte Granaten, ein todwunder Artillerist schob die Kartusche ins Rohr.

»Ziel dort oben links, neben den beiden einzelnen Fichten 600 Yards,« brüllte ein Leutnant mit offenem Uniformrock, unter dem man das blutige Hemd sah.

»Links neben den beiden Fichten,« antwortete der Richtkanonier über dem Lafettenschwanz liegend. Bums! fuhr der Schuß los. Wie ein Zug Wachteln ging drüben eine japanische Schützenlinie hoch.

Noch mehr Geschütze, Maschinengewehre, Munitionswagen, alles brauste in wilder Hast vorüber, unablässig feuerten die Batterien.

Der Kampf verzog sich weiter nach vom. Lichterloh brannten die Häuser Hilgards, weiß erhob sich über ihnen noch immer die Ruine des Kirchturmes. Rechts neben Hilgard vorbei zogen Kolonnen über Kolonnen unter den Klängen der Regimentsmusiken.

Ein Ordonnanzoffizier jagte vorüber: »Wie steht es vorn?« rief man ihn an. »Gut, gut, wir siegen.« Donnernder Jubel gab die Antwort.

Die feindlichen Geschosse begannen spärlicher einzufallen. Der Kampf zog sich an den Bergabhängen empor.

In Hilgard arbeiteten Pioniere eifrig daran, die Straße wieder frei zu machen, um den Truppen den Umweg um die Stadt zu ersparen. Man legte die brennenden Häuser mit Dynamit nieder und errichtete bei der Stadt einen Verbandsplatz, auf den die Verwundetentransporte von allen Seiten über das weite Schlachtfeld zustrebten.

Gegen Mittag waren die Aufräumungsarbeiten in Hilgard soweit gediehen, daß das 36. Milizregiment (Nebraska) als erstes die Stadt passieren konnte. Rauchende, qualmende Ruinen mit Toten und Sterbenden und verkohlten Leibern gefüllt zu beiden Seiten der Straße. Seltsam leer hallte der Taktschritt der Bataillone an den Häuserwänden wider, als die erste Kompagnie jetzt auf den Platz einbog, wo die weiße Kirche inmitten der in Trümmern liegenden Häuser fast noch unversehrt stand. Irgendwo jammerte ein Verwundeter laut um Wasser.

Was war das? Waren das nicht Glockenklänge? Die Soldaten traten unwillkürlich leiser auf. Ja, Glockenklänge, ganz vereinzelt anfangs, dann lauter anschwellend brausten durch die hohen Fensterluken des weißen Kirchturmes. Baum … Baum … Baum …

Der Fahnenträger der ersten Kompagnie senkte das Feldzeichen, stumm marschierten die Soldaten weiter. Der Hauptmann der Kompagnie ritt hinüber zum Eingang des Kirchturmes und blickte hinein. Ein etwa zehnjähriger Junge zog und zerrte unablässig an den dicken Glockenseilen. In der Kirche schienen sich Verwundete zu befinden, lautes Stöhnen klang durch die halbgeöffnete Tür.

Der Hauptmann schaute sich verwundert um, dort drüben lagen zwei tote Japaner, im Krampf der Todesstarre einen schrecklichen Anblick bietend. Daneben krümmte sich jammernd ein durch einen Bajonettstich in den Unterleib verwundeter amerikanischer Infanterist, und dort in dem Winkel erkannte der Hauptmann auf einer zerfetzten Matratze eine Frau in dunkler Kleidung … Baum … Baum … klangen von oben die Glocken. Der Lärm der Schlacht drang nicht mehr hierher.

»Was machst Du da, Junge?« fragte der Hauptmann.

»Ich läute für Mütterchen die Glocken,« sagte der Knirps.

»Für Mütterchen?«

»Herr General,« erklang da eine schwache Stimme aus dem Winkel, »lassen Sie den Jungen, ich möchte noch einmal unsere Glocken hören.«

»Was ist Ihnen, sind Sie verwundet?« fragte der Hauptmann.

»Es geht wohl zu Ende,« antwortete die Frau, »eine Kugel hier in der Lunge, ich glaube, es ist die Lunge.«

»Ich werde Ihnen einen Arzt schicken,« sagte der Hauptmann, »obgleich wir …«

»Ist nicht mehr nötig, Herr General, ist nicht mehr nötig.«

»Wie kommen Sie hierher?«

»Mein Mann,« klang es schwach zurück, »liegt drüben in unserm brennenden Hause, er war Pastor hier in Hilgard … Die Tage waren schrecklich,« die Frau machte eine Pause, »ja, schrecklich, Herr General, Sie wissen das nicht. Meinen Mann haben sie erschossen, unsere Elly hat eine Granate zerrissen, als ich mich mit ihr und dem Jungen über die Straße hierher rettete,« und dann mit steigender Erregung: »Herr General, man kann an Gott verzweifeln, wenn man das alles sieht, daß es soviel herzbrechendes Weh in der Welt geben kann, daß sich die Menschen so morden. Sie wissen das nicht in der Schlacht, aber hier … Und da der liebe Gott seine Kirche in diesem Kampfe gnädig bewahrt hat, habe ich den Jungen gebeten, mir noch einmal die Glocken zu läuten, vielleicht ist es manchem, der draußen stirbt, auch noch ein Trost, auch noch eine Stimme von oben, ein Friedensklang nach diesen schrecklichen Tagen. Lassen Sie den Jungen, Herr General, lassen Sie ihn die Glocken weiter läuten.«

»Kann ich Ihnen irgend etwas helfen?« fragte der Hauptmann.

»Nein, nur Wasser.«

Der Hauptmann kniete an dem Schmerzenslager der verlassenen Frau nieder und reichte ihr seine Feldflasche.

In gierigen Zügen trank sie.

»Ich danke Ihnen, Herr General, was wird nun aus meinem Jungen? Mein armer Mann …« und sie begann leise zu weinen.

»Frau,« sagte der Hauptmann, sich mühsam zu einer Rauheit zwingend, »es ist nicht um diesen Jungen, es ist nicht um den Einzelnen, der gefallen ist, es ist um unser großes Volk, das jetzt den Feind geschlagen hat. Es wird auch für die Verlassenen und Waisen aus dem Kriege sorgen, jetzt da uns der Herr den Sieg gegeben hat. Die, die da draußen liegen und die hier gefallen sind, sie sind gestorben für unser Vaterland, das wir mit unserem Blute schwer zurückerkaufen.«

Baum … Baum … machten die Glocken, als der Hauptmann tief ergriffen die Kirche verließ. Baum … Baum … klangen sie weiter. Tausenden, die auf der Walstatt in banger Todesnot lagen, und den armen Verwundeten, die im Innern der Häuser mit zerschmetterten Gliedern die Flammen langsam auf sich zukriechen sahen, ein letzter Ruf von oben, ein Klang von Gott, der sich von unserem Volke abgewandt zu haben schien.

Und dann kam der Abend, der Abend des 16. August, der mit blutigen Lettern in der Geschichte unseres Volkes verzeichnet steht. In der Front ging es vorwärts. Alle Reserven befanden sich bald im Feuer. Unsere prächtigen Regimenter gingen sozusagen nach vorne durch, eine japanische Stellung an den Berghängen nach der anderen wurde im Sturm genommen. Der Rückzug des Feindes begann. In den Donner der Geschütze mischte sich immer wieder der gellende Hurraruf unserer Soldaten. Immer neue Meldungen von Erfolgen in der Front und auf beiden Flanken trafen bei General Mac Arthur im Hauptquartier ein.

Der Draht hatte längst die frohe Kunde durchs ganze Land getragen. In allen Städten herrschte lauter Jubel, stolz flatterten die Sterne und Streifen von allen Häusern, und hell aufjauchzten die Herzen.

General Mac Arthur, der sich mit seinem Hauptquartier bei Hilgard befand, wartete noch auf die Nachrichten von der Division Fowler, die sich durch die Bergtäler auf dem linken Flügel gegen den Paß vorzuarbeiten hatte. Sie sollte den Versuch machen, die rechte Flanke des Feindes zu umfassen, meldete aber, daß sie auf unerwarteten Widerstand gestoßen sei. Hier schien also der Rückzug des Feindes noch nicht begonnen zu haben.

Dafür ging es im Zentrum besser. Aber was wollte dieses todesmutige Vorwärtsstürmen, dieses kühne Draufgehen, das mit Hunderten zuckender Menschenleiber über feindliche Laufgräben Brücken schlug, das aus ganzen Kompagnien lebende Sturmleitern vor den japanischen Schanzen aufbaute, was wollte all dieser Heldenmut heißen gegenüber der unerbittlichen Schlachtenmathematik Marschall Nogis, der mit inniger Freude diese stürmenden Menschenwogen des amerikanischen Heeres auf sich zufluten sah, während er von seinem Zelte aus die scharfen Zangen der japanischen Flanken sich hinter der Armee General Mac Arthurs schließen ließ.

Um 7 Uhr abends kam vom rechten Flügel die befremdende Mitteilung, die Batterien, die schon die Rückzugslinie des Feindes entlang der Bahnlinie unter Feuer genommen hatten, bekämen plötzlich Feuer von rückwärts und bäten um Verstärkungen. Es gab keine Reserven mehr, das letzte Bataillon, der letzte Mann war nach vorn gehetzt! Wo kamen die Feinde in der Flanke noch her?

Eindringlich, ängstlich bat das Telephon um Verstärkungen, um Batterien, um Maschinengewehre, die Munition ginge zu Ende. Unser Train war längst verbraucht, die Munition, die wir hatten, war vorne, und zwischen den Depots weit hinten in blauer Ferne und den kämpfenden Truppen klaffte eine weite Lücke. General Mac Arthur hatte nichts mehr zu vergeben.

Jetzt kam von Indian Valley die Bitte um Maschinengewehre, wir hatten keine mehr. General Mac Arthur ließ nach Union, dem Endpunkte der Feldbahn, telegraphieren. Stunden könnten vergehen, hieß es, die Eisenbahnarbeiter müßten erst die Strecke reparieren. Stürmische Bitten auch von Toll Gate um Munitionsersatz, vergeblich.

Und dann kam um 8 Uhr, als die Sonne glühend im Westen versunken war, und die Kette der blauen Berge, über denen die weißen Rauchballen platzender Schrapnells schwebten, im goldenen Lichte des Abends erstrahlten, während das von Staubwolken erfüllte Tal langsam im Dunkel zu versinken begann, da kam von Baker City die niederschmetternde Kunde, daß große geschlossene feindliche Truppenkörper an der zerstörten Bahnlinie von Sumpter sichtbar wären. Kurz darauf meldete Union die Unterbrechung der Eisenbahnlinie nach rückwärts und einen Angriff durch abgesessene japanische Kavallerie mit Maschinengewehren. Die Division Wood meldete noch immer die Einnahme neuer japanischer Stellungen in der Front. Hier siegte man sich zu Tode.

Mit unerbittlicher Folgerichtigkeit schlossen sich die Arme der riesigen Zange, mit denen Nogi die gesamte Nordarmee jetzt einzuschließen drohte. Die amerikanische Aufklärung auf beiden Flanken hatte die in den Terrainfalten, in den flachen Talmulden, unter dem Schutze der Wälder in Reserve gehaltenen japanischen Truppen nicht bemerkt. Zwei Meilen weiter nach links und rechts, und unsere Kavallerie wäre auf die stählernen Zähne jener Riesenzange gestoßen, aber an diesen zwei Meilen fehlte es eben.

Um 10 Uhr abends wurde das brennende Baker City von den Japanern gestürmt, vorher schon war Indian Valley in die Hände des Feindes gefallen. Der Frontalangriff hoch oben in den Bergen begann zu schwanken, kam zum Stehen, einige eroberte Stellungen wurden wieder geräumt, und unten im Tale bei La Grande, von wo man die Feldlazarette nach rückwärts zu räumen begann, trafen die Sanitätswagen und die Verwundetentransporte jetzt mit den aus Baker City zurückflutenden Truppen zusammen. Ein Rückzug traf auf den anderen, und dann kam die Nacht, die furchtbare Nacht der Vernichtung. Wieder brüllte der Geschützdonner über das Tal hin, wieder knatterten die Maschinengewehre in den Tumult hinein, und das Infanteriefeuer wogte auf und ab.

Wohl kann man eine erschöpfte Truppe, wohl kann man ausgehungerte, vor Durstesqualen vergehende Truppen noch zu einem letzten Sturmangriff vortreiben, wohl kann man mit ihnen siegen, indem sie das Letzte daran setzen, den letzten Rest ihrer Kräfte in jäh auflodernder Begeisterung zusammenfassen, aber mit Truppen, die 24 Stunden lang hin- und hergejagt sind, deren Nervenkraft in dem alle Spannkraft abstumpfenden Geschiebe der Schlacht verbraucht ist, mit ihnen kann man die verloren gehende Entscheidung nicht mehr retten.

Die zu Tode ermatteten Regimenter gingen zurück, zurück in den Talkessel der blauen Berge, der, rings umzuckt von flammenden Blitzen, in sich Tod und Verderben barg. Das Hauptquartier mußte zurück, verirrte sich im Dunkeln, kam vom Wege ab, und mitten im feindlichen Feuer ritt, nur von einem einzigen Offizier begleitet, General Mac Arthur über das blutige Feld.

Der General traf auf eine Kavalleriebrigade der Division Longworth, er setzte sich selber an die Spitze der Reiter und preschte mit ihnen gegen ein japanisches Regiment vor. Ein wüstes Handgemenge im Dunkel der Nacht. Wohl blieben nur ein paar hundert Reiter in den Sätteln, aber der Stoß schaffte Luft, er riß auch die wankenden Bataillone wieder mit vorwärts.

General Mac Arthur befahl den Rückzug über Union und ließ die Division Wood, die langsam auf Hilgard zurückwich ihn decken. Alle Truppenverbände drohten sich aufzulösen, und nur die entschlossene Energie der Offiziere hinderte die allgemeine Deroute. Wie Mauern standen die dezimierten Regimenter der Division Wood vor den Ruinen Hilgards. Sie waren der starre Fels, an dem sich der heranwogende Sturm des Feindes brach. So gelang es wenigstens den Divisionen Fowler und Longworth einen leidlichen Rückzug zu erkämpfen, denn auch die Kräfte des Feindes begannen nachzulassen. Die Ungewißheit des Nachtkampfes, bei dem man sozusagen mit verbundenen Augen kämpft, und der jede Gefechtsleitung unsicher macht, bei dem die Schußwirkung des eigenen Feuers unkontrollierbar ist, lähmte auch die Stoßkraft der japanischen Angriffe. Die dünnen Linien der feindlichen Truppen die von Baker City und von Norden her den eisernen Ring um unser Heer zu schließen drohten, wurden durch den entschlossenen Ansturm amerikanischer Regimenter durchstoßen, und wenn auch unser gesamter Train und zahlreiche Geschütze in der Hand des Feindes blieben, der Rückzug über Union war frei.

Im Morgendämmern des 17. August begannen die Reste der Division Wood das tapfer behauptete Hilgard zu räumen. Schritt um Schritt wichen unter dem feindlichen Artilleriefeuer die Helden von Hilgard zurück.

Vor Union hielt General Mac Arthur am Wege und ließ die Regimenter – oft nur noch eine Kompagnie stark – schweigend passieren. Unmutig runzelte er die Stirn, als er den Oberst Katterfeld erblickte, der allein, nur von zwei Infanteristen gefolgt, mitten auf der Straße ritt. Der Oberst blutete aus einer Kopfwunde.

General Mac Arthur gab seinem Pferd die Sporen: »Herr Oberst wie können Sie Ihr Regiment verlassen?«

Oberst Katterfeld richtete sich in den Bügeln auf und griff salutierend an die Mütze: »Melde gehorsamst Herr General, daß vom 28. Milizregiment nur die beiden Soldaten Dan Woodlark und unser kleiner Makkabäer Abraham Singer übrig sind. Es sind tapfere Leute Herr General, die ich hiermit zur Beförderung Vorschläge.«

General Mac Arthur wurden die Augen feucht, er schluckte an ein paar Worten und reichte Oberst Katterfeld die Hand: »Verzeihen Sie,« sagte er schlicht, »ich wollte Sie nicht kränken.«

»Dummes Zeug,« rief der Oberst. »Wir fangen wieder an, Herr General, wir fangen wieder an. So lange wir uns nicht selbst aufgeben, ist nichts verloren.«

Das war ein gutes Wort am 17. August.


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