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VIII

Es war zwei Uhr nachmittags, als der Jägermeister den Reichstag verließ, um zu Karsten From zu gehen, der mit der endgültigen Ausführung seines Porträts begonnen hatte. Der Aufenthalt im Thing langweilte ihn in diesen Tagen. Die Zuschauergalerie war fast leer. Das Publikum war sich klar geworden, daß infolge von Enslevs Krankheit vorläufig keine großen sensationellen Debatten zu erwarten waren. In der reservierten Loge waren heute überhaupt keine andern Damen gewesen als der alte Haudegen in Röcken, Fräulein Evaldsen ... Obwohl der Weg nach Karsten From nicht ganz kurz war, entschloß er sich, zu gehen. Er hatte ein ziemlich schweres Frühstück eingenommen und empfand das Bedürfnis, sich zu rühren. Vielleicht würde es überhaupt gut für ihn sein, wenn er für etwas mehr Bewegung sorgte. Wenn er zum Beispiel Ernst daraus machte, täglich eine Stunde zu reiten so wie Frandsen. Er hatte bemerkt, daß die Stadtluft ihn korpulent machte. Obwohl seine neuen Kragen eine Nummer weiter waren als die alten, beengten sie ihn doch bereits.

Da er nach der Sitzung bei Karsten From sich noch immer beschwert fühlte, wanderte er nach der Österbrogade hinaus, um Frandsen einen Besuch zu machen und sich von ihm einen Reitstall empfehlen zu lassen.

Als er sich dem großen fünfstöckigen Hause näherte, in dessen Dachgeschoß der Freund wohnte, hielt eine Droschke vor der Tür, und eine Dame stieg aus. Er hätte fast einen Schrei ausgestoßen. Es war Wilhelmine.

In einiger Entfernung blieb er stehen. Er sah, daß sie den Kutscher bezahlte und darauf eiligst im Hause verschwand. Bis zu diesem Augenblick war er einigermaßen ruhig gewesen. Es war ja eine Möglichkeit, daß sie andere dort im Hause kannte als Frandsen, zum Beispiel eine der Damen aus dem Vorstand der Fächerausstellung. Als er aber sah, wie sie im Vorübereilen einem der Glockenknöpfe in der Haustür einen leichten Druck versetzte, flammte das Mißtrauen in ihm auf.

Einen Augenblick darauf stand er in der Tür und lauschte. Wilhelminens einsame Schritte klangen durch den Treppenschlund. Sie war kaum höher gekommen als bis zum zweiten Stockwerk, und hier machte sie halt.

»Gott sei Dank!« sagte er zu sich selbst und preßte die Hand gegen das Herz, das zu zerspringen drohte. Aber gleich darauf hörte er sie weiter hinaufgehen.

Noch versuchte er, sich vorzureden, daß er sich geirrt habe. Vielleicht war es gar nicht Wilhelmine, sondern eine ihrer Schwestern oder eine andere Dame, die ihr ähnlich sah, und die auch einen blauen Samthut mit schwarzer Feder hatte.

Jetzt war sie bis zum vierten Stockwerk gelangt.

Blieb sie nicht stehen? ... Nein, sie ging weiter, und er hörte, wie eine Tür geöffnet wurde, noch ehe sie oben angekommen war. »Guten Tag« wurde gesagt. Es war Frandsens süßliche Stimme. Dann schloß sich die Tür, und alles war still.

Wie ein Wahnsinniger sprang er die Treppe hinauf, aber auf halbem Wege blieb er mit einem gewaltigen Ruck stehen und machte einen neuen Versuch, sich zu besinnen. Er sagte sich selbst, jetzt gelte es, vollkommen ruhig zu sein und sich der Situation gewachsen zu zeigen. Vor allen Dingen keine Szenen, die ihn lächerlich machen könnten! Keine Übereilung!

Mit langen Schritten schritt er weiter hinauf wie ein Affe, der in einem Baum emporklettert. Vor der Tür des Freundes blieb er einen Augenblick stehen und lauschte, indem er das Ohr gegen den Briefspalt legte. Wenn das Wagengerassel von draußen ihre Stimme nicht übertäubte, konnte er sie deutlich da drinnen sprechen hören.

»Jetzt ruhig, John!« ermahnte er sich selbst und drückte auf die Klingel.

Als nicht sofort geöffnet wurde, behielt er den Finger auf dem Knopf und begann gleichzeitig gegen die Tür zu hämmern.

»Macht auf!« rief er. »Ich bin es! ... Ich weiß, daß du da drinnen bist, Wilhelmine! Augenblicklich macht ihr auf, oder ich hole die Polizei!«

Als noch immer niemand öffnete, stieß er in seiner Verzweiflung mit den Füßen gegen die Tür und rüttelte an dem Schloß, während er fortfuhr zu schreien, daß er die Polizei holen wolle.

Der Lärm rief die Bewohner des Hauses herbei. Aus einer halbgeöffneten Tür gegenüber guckten ein paar ängstliche Kindergesichter hervor, und bald stand der Treppenabsatz unter ihm voller Leute, die ihn anstarrten. Aber der Jägermeister war jetzt ganz von Sinnen und sah nichts. Mit geballten Händen rannte er gegen die Tür, stieß mit den Füßen und schlug, und rief wilde Drohungen durch den Briefspalt hinein.

»Mach dich nur gefaßt, kleiner Frandsen! Ich schieße dich nieder wie einen räudigen Kater! Und du, Wilhelmine ... Dir soll es nicht besser ergehen! Ich will dir den Bauch aufschlitzen, du Dreckluder!«

Einige von den Bewohnern des Hauses hatten den Schutzmann von der Straße geholt; der kam jetzt schwerfällig die Treppe herauf.

Als der Jägermeister seine Hand auf der Schulter fühlte, wandte er sich um und wurde gleich ruhiger. Er gab seinen Namen auf und sagte mit Tränen in den Augen, daß sich seine Frau da drinnen bei ihrem Geliebten befinde. Er habe sie von der Straße selbst hinaufgehen sehen, deswegen verlange er jetzt, daß die Tür im Namen des Gesetzes gesprengt werde.

Der Schutzmann schüttelte gutmütig den Kopf und sagte, er könne nichts bei der Sache tun. Er machte selbst einen Versuch, Einlaß zu erlangen, indem er klingelte; als aber nicht geöffnet wurde, bat er den Jägermeister, sich fortzuverfügen.

Jetzt aber brach der Wahnsinn dem armen Manne aus den Augen wie helle Flammen. Er stürzte wieder auf die Tür zu, um sie mit der Schulter einzurennen. Mit beiden Fäusten hämmerte er drauflos und schrie, er wolle ihnen das Haus über dem Kopf abbrennen, wenn sie nicht aufmachten.

Während alles dessen hatten die beiden Liebenden drinnen auf Herrn Frandsens Sofa gesessen, ohne den Mut, sich zu rühren. Sie wagten nicht einmal, sich anzusehen. Mit weißen Gesichtern wie zwei Leichen saßen sie da. Frau Wilhelmine kam zuerst zu sich. Als sie die Stimme des Schutzmannes hörte, stand sie auf. In ihrer Angst, daß man die Tür sprengen würde, entschloß sie sich, über die Hintertreppe zu flüchten.

Es gelang ihr auch, ungesehen zu entschlüpfen. Zur selben Zeit, als ihr Mann schließlich unter rasendem Widerstand mit gebundenen Händen zu einem Wagen geführt wurde, der in aller Eile geholt worden war, um ihn nach dem Hospital zu fahren, saß sie wohlverwahrt in einem andern Wagen auf dem Wege nach Hause und hatte sich schon klargemacht, auf welche Weise sie sich selbst am besten aus der Sache ziehen könne, ohne bloßgestellt zu werden. Sobald sie von der Polizei Mitteilung erhalten hatte, was geschehen war, wollte sie ihren Vater anklingeln, damit er der Presse Verhaltungsmaßregeln geben sollte.

Noch am selben Nachmittag gelangte die Unglücksbotschaft zu der Familie in der Dronningens Tvärgade durch eine Telephonmitteilung von Asmus Hagen. Die Nachricht machte einen schrecklichen Eindruck auf Jytte, die den Vetter immer gern gehabt hatte trotz seiner vielen Schwächen. Am härtesten wurde jedoch Frau Berta betroffen. Sie saß lange wie gelähmt da, die Hände im Schoß, außerstande, zu sprechen. Und von neuem sah sie in Gedanken die alte Großtante aus ihrem Grabe da drüben auf Storeholt emporsteigen und hörte ihre tiefe Stimme die biblische Drohung ausrufen: »Die Rache ist mein!«


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