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Um eine Erklärung für die überwiegend obszöne Literatur des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich zu haben, muß man sich stets vor Augen halten, daß die Gesellschaft dieses Jahrhunderts eine der tollsten und ausschweifendsten war, die die französische Geschichte kennt. Selbst Schriftsteller von hohem Rang und ernsten Graden haben der pornographischen Literatur ihren Tribut gezollt, so etwa der Philosoph Lamettrie mit den beiden Büchern »L'art de jouir« und »La volupté«, etwa Diderot mit den »Bijoux indiscrets«, »Jaques le fataliste«, »La religieuse« u.a.
Die Sittenverwilderung des Adels setzt etwa 1715 ein mit dem Beginn der Regentschaft des Herzogs von Orleans. Zugleich steigt bei der Nennung dieses verruchten Fürsten im Kulturkenner sofort das Bild einer zügellosen Epoche empor, die nicht die geringste Scham mehr kannte. Es ist grotesk, daß just der »geadelte« Mensch sich einem prahlerisch wilden Sinnenleben ergab, das ihn der Bestie des Waldes gleichstellte; führend ging der Herzog von Orleans allen voran. Zur Tatenlosigkeit verdammt, führte sein ungebändigter Leichtsinn zu einer erschreckenden Schlechtigkeit. Kriege hätten ihn vielleicht zum Helden gemacht; da Friede war, sicherte er sich den Weltruhm der Ruchlosigkeit; es geschah kein Mord am Hofe, den man nicht zuerst ihm zugeschrieben hätte. Sobald der Abend nahte, pflegte er sich mit seinen Huren, Sängerinnen und Tänzerinnen und einem Dutzend gleichgesinnter Freunde in seine Gemächer einzuschließen, wo die frechsten Orgien gefeiert wurden. Widerliche Zoten und empörende Gotteslästerungen bildeten die Unterhaltung, die durch viehische Trunkenheit immer von neuem angefeuert wurde.
In meinem Essay über Marquis de Sade habe ich erzählt, wie selbst die höchsten Regierungsbeamten und Staatsmänner nichts anderes waren als skrupellose Abenteurer, lastervolle Verräter und Kavaliere niedrigster Sinnlichkeit. Liest man die Romane dieser Zeit oder die Memoiren der fürstlichen Kurtisanen und Maitressen, so sieht man deutlich, wie verheerend diese wüsten Zustände auf die höheren Volksschichten einwirkten. Die wilde Lust und Zerstreuungssucht, die im königlichen Palast herrschte, griff auf die gesamte »feine Gesellschaft« über. Die ganze vornehme Welt strömte von der Provinz nach Paris, um sich an dem süßen Gift der Ausschweifung zu berauschen. Die Herzogin von Bery stellte ihre Demoralisation so schamlos zur Schau, daß selbst der Verdacht, mit ihrem Vater im Inzest zu leben, keinen Menschen weiter störte. In den Heiratsverträgen der adeligen Damen jener Zeit ist eine der wichtigsten Bedingungen, daß die Gattin den Winter in Paris zubringen dürfe. Die Paläste sind Freudenhäuser, zumindest Spielhöllen. 1716 wurden die öffentlichen Maskenbälle eingeführt, die sich an Nuditäten gegenseitig überbieten. Der Tagesruhm gehört den Tänzerinnen; und die Dichter, die jene Elfen besangen, nahmen wahrlich kein Blatt vor den Mund. Je schlüpfriger und gemeiner sie waren, desto mehr Anklang fanden sie bei ihrem Publikum. Die »Heiligkeit der Ehe« galt als ein eingemotteter Witz, Familienglück war Spießbürgerei, Treue in der Liebe war dem Gelächter der Vornehmen preisgegeben. Die Damen übertrumpften die Herren an Laszivität und Ausgelassenheit. Bei ihrer Toilette machten nicht die Kammerzofen, sondern die Kammerdiener die notwendigen Handreichungen, die beim Hemd begannen. Man betrachte nur die verräterischen Kostüme dieser Zeit und man wird ohne breite Erklärungen alles verstehen. Das arabische, weichgepolsterte Sofa wird jetzt Mode und verdrängt die mittelalterlich hochlehnigen, steifen und strengen Stühle. Der Fauteuil kommt auf. Die natürliche Zimmerluft wird durch süßliche Parfüms verdrängt. Die Zimmereinrichtung wird farbig, orientalisch weichlich und lüstern. Alles zielt auf eine sinnliche Wirkung; die Menschen und ihre Kleider, Möbel und Gemälde sind verkünstelt, launenhaft und schwelgerisch. Die Geschichte des Luxus hat in dieser Epoche einen ihrer interessantesten Abschnitte darzustellen. Das wollüstige Raffinement entnervter Schwächlinge gibt den Ton an. Die Maler dieser von innerer Fäulnis zersetzten Zeit heißen Watteau und Boucher. Watteau ist der Maler der üppigen Liebesgärten; bei ihm ist die Sinnlichkeit noch durch schalkhafte Anmut und eine raffinierte Naivität gemäßigt. Den Gipfel der Verwilderung erreichen die Bilder aber bei François Boucher. Seine Kunst beherrscht fast zwei Menschenalter, und er ist der eigentliche Meister des Rokoko. Er ist der Abgott der vornehmen Welt, der Maler der frechen Grazie und Schlüpfrigkeit. Die Phantasie, die er entfaltet, läßt die Vermutung aufkommen, daß er sein ganzes Leben unter liederlichen Dirnen zugebracht habe. Er ist geziert, maniriert, affektiert und verlogen; alles ist Schminke und Talmi; alle seine Bilder schreien und sind stofflich aufdringlich.
In der Literatur sieht es nicht anders aus. Man spekuliert auf die aufgereizten Nerven des Publikums; man will nicht Kunst machen, sondern Geld. Wenn die Schriftsteller jener Zeit die verwilderten Sitten künstlerisch darstellten, geschah es nicht, um der Zeit den Spiegel vorzuhalten und dem Publikum ein Entsetzen vor sich selber einzuflößen, sondern um die Zeitgenossen zu amüsieren, noch mehr aufzustacheln und in noch größere Frivolität hineinzupeitschen.
An der Spitze dieser Dichter steht der Abbé Prévost mit seiner berühmten »Manon Lescaut«. Er gibt zum erstenmal in der französischen Literatur eine so kecke und naturfrische Schilderung der Wirklichkeit, daß etwas durchaus Großes von ihm hätte erwartet werden können, wenn die Wirklichkeit selber nicht so verdorben und innerlich faul gewesen wäre. Die Natürlichkeit, die Wärme und die gewinnende Treuherzigkeit der Erzählung ist tief ergreifend; aus jeder Zeile fühlt man, daß ein schmerzliches Erlebnis zugrunde liegt. Der Erfolg dieser Erzählung war denn auch ungeheuer groß; selbst in Deutschland wurde der Roman viel gelesen, mannigfach – zuletzt in unseren Tagen von Carl Sternheim – dramatisiert und nachgeahmt. Alexandre Dumas' »Kameliendame« ist nichts anderes als die spätgeborene Schwester der Prévostschen Manon. Aber sie ist erst ein Auftakt.
Die ganze Schamlosigkeit und Liederlichkeit der Zeit spiegelt sich jedoch in Crébillon fils. Seine Schlüpfrigkeit ist sprichwörtlich geworden. Wenn man seine Romane liest, schwindelt einem fast vor der Sophistik des Herzens, die die bodenlose Verderbnis als etwas durchaus Natürliches, Selbstverständliches und Unumgängliches hinnimmt. Wenn diese Geschichten wenigstens noch einen Kunstwert hätten; aber alle seine Romane »Die Ausschweifung des Herzens und des Geistes« 1736, »Das Sofa« 1745, »Die Nacht und der Augenblick« 1755, »Das Glücksspiel am Kaminfeuer« 1763, »Ah, welch eine Geschichte!« 1764 usw. sind heute für jeden gebildeten Leser nur langweilig, denn sie sind unerträglich zotig, trotz mancher entzückenden Einzelheiten, die eine sehr feine Miniaturarbeit bekunden.
In gleichem Rahmen bewegte sich der Dichter Jean Baptiste Louis Gresset.
Aber man kann diese Dichter nicht als die allein Schuldigen erklären; die ganze französische Gesellschaft trug nach Kräften dazu bei, jede moralische Anwandlung zu ersticken. Louis XV. selbst war in seinem Wandel noch schamloser und verworfener als der ausschweifendste Kaiser des alten Rom; ein unbeständiger, planloser, jeder Intrige zugängiger Mensch. Nur unter solch einem König konnte ein so pervertierter und ruchloser Schriftsteller aufkommen, wie der Marquis de Sade, dessen Schriften eigentlich nichts mehr mit Literatur zu tun haben; sie sollten eher vom Pathologen betrachtet werden. Daß er trotzdem in der Literatur des achtzehnten Jahrhunderts eine große Rolle spielt, und daß seine blutrünstigen und widerlichen Bücher zu so großer Popularität gelangt sind, haben wiederum nur jene verrotteten Kreise verschuldet, die mit Vorliebe solche verwerflichen Bücher lasen.
Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts erschien in Frankreich ein Buch, das ungeheures Aufsehen machte und das in den Köpfen mehr Unheil anrichtete, als die laszivsten Geisteserzeugnisse und die schlüpfrigsten Gemälde; sein Verfasser Choderlos de Laclos erntete dafür Lob und Tadel, Bewunderung und Verachtung. Die einen verschafften ihm den Ruf eines der besten Schriftsteller, die andern stellten ihn auf die Stufe jener Literaten, die auf die niedrigsten Leidenschaften spekulieren. Die einen nannten ihn einen bedeutenden Schilderer des Lasters, die andern einen Jugendvergifter und Jugendverderber. Die einen verlangten, daß das Buch vernichtet und öffentlich vom Henker verbrannt werden sollte; die andern forderten, daß es in den besten Sammlungen der klassischen Literatur einen Platz einnehme. Soviel war sicher: alle Frauen bekannten, es gelesen zu haben, und in den Beichtstühlen wurden »Die gefährlichen Liebschaften« des Choderlos de Laclos viel genannt.
Der Verfasser selbst erzählt darüber (ich gebe seine Ausführungen auszugsweise wörtlich, denn sie sind so ziemlich unbekannt und nur mündlich überliefert):
»Ich stand in Garnison auf der Insel Ré und langweilte mich ... Ich hatte ein Geschäft betrieben, von dem ich mir wenig Beförderung und wenig Achtung versprechen konnte, so daß ich mich entschloß, an einem Werke zu arbeiten, das sich von der gewöhnlichen Bahn entfernen, Aufsehen machen und mir noch lange nachhallen sollte, wenn ich schon tief im Grabe liegen und schweigen würde. Ich hatte einen literarischen Freund, der sich in den Wissenschaften einen großen Namen gemacht und in seinem Leben eine Menge Abenteuer bestanden hatte, denen es nicht an Glanz und Eklat, nur an einem Rahmen fehlte. Dieser Mann war im eigentlichsten Sinne für die Frauen geboren und in alle Falschheiten und Treulosigkeiten, worin es das weibliche Geschlecht so weit gebracht hat, eingeweiht. Mit einem Worte: wäre er ein Hofmann gewesen, er würde den Ruf eines Lovelace erreicht und ihn im guten Gesellschaftstone noch übertroffen haben. Er hatte mich zu seinem Vertrauten erwählt, ich lachte über seine Streiche, half ihm aber bisweilen mit meinem Rate. So kannte ich z.B. eine seiner Maitressen, die der Frau von Merteuil so ziemlich nahe kam; aber erst in Grenoble fand ich das eigentliche Original, welches zu meiner Schilderung gesessen und von welcher meine Frau von Merteuil nur eine schwache Nachbildung ist; es war eine gewisse Marquise de L.T.D.P.M., von der die ganze Stadt Züge wußte und erzählte, die in der Geschichte der berüchtigsten Kaiserinnen des alten Rom eine Hauptstelle eingenommen haben würden. Ich zeichnete mir das Merkwürdigste auf und nahm mir vor, zu seiner Zeit Gebrauch davon zu machen. Prévans Geschichte war lange vorher einem Stabsoffizier bei den Mousquestairs, Herrn von Rochechouart, begegnet. Der Vorfall brachte ihn um Ruf und Ehre. Heute würde man darüber lachen. Ich hatte einen Vorrat pikanter Abenteuer und Geschichten aus meinen Jugendjahren. Ich verschmolz alles, machte aus den heterogenen Teilen ein Ganzes, erdichtete das Fehlende und schuf insbesondere den Charakter der Frau von Tourvel, auf den ich viel halte und der mir nicht, zu den gewöhnlichen zu gehören scheint. Ich verwendete großen Fleiß auf den Stil, und nachdem ich an meinem Werke ein paar Monate gefeilt hatte, schickte ich es ins Publikum ...«
Und dies Werk ist heute noch am Leben. »Mich dünkt,« sagt Choderlos de Laclos im Vorwort, »man erweist der Sittlichkeit einen Dienst, wenn man die Mittel bekannt gibt, deren sich die Sittenlosen bedienen, um die Sittlichen zu verderben.«
Was man auch heute noch diesem überaus frivolen Werke nachsagen muß, ist, daß sein Verfasser außergewöhnliche Menschenkenntnis besitzt, und daß er die Schwächen und Niedrigkeiten der französischen Frau des achtzehnten Jahrhunderts kennt. Sein Buch, das selbstverständlich eine Reihe mehr oder minder gelungener Nachahmungen erlebte, mußte jedem Ehrbaren als Höllenbreughel erscheinen. Obwohl de Laclos eigentlich nichts anderes beweist, als daß die Männer nie so verdorben sein können wie die Frauen, und daß selbst der ränkevollste und klügste Mann ein Lehrling bleibt gegenüber den meisterhaften Listen und Schlichen des Weibes. Ebenso schurkenhaft wie Frau von Merteuil, in der die Mordgier eines Richard III., die Ränkesucht eines Jago und die Dirnenhaftigkeit einer Messalina eine bewundernswürdige Trias gemeinster Leidenschaften bilden, ebenso edel, fromm und lieblich ist Frau von Tourvel. »Die Schilderung der Frau von Tourvel«, sagt ein Zeitgenosse de Laclos, »ist das Schönste, was man lesen kann und hat der Jugend beider Geschlechter Ströme von Tränen entlockt.« Und das ganze Werk dreht sich eigentlich nur um die Frage, wie diese Lichtgestalt am gründlichsten zu verderben sei und wie sie denn auch vernichtet wird; wie der brave Offizier Prévan um Ehre und Stellung gebracht wird und endlich, wie aus einem tugendhaften Mädchen eine Dirne gemacht werden könne. »Es sind Gemälde,« sagt der einstige Page der Marie Antoinette, der Graf von Tilly, selbst ein wüster Abenteurer vor dem Herrn, »tadelnswerter als Aretins Bilder; aber die meisten sind elegant, einige wahr, mehrere mit stark aufgelegten Farben ausgemalt. Für diejenigen, welche die große Welt nur vom Hörensagen kannten, hat dieses Werk für eine glänzende Schilderung der allgemeinen Sitten einer gewissen hohen Klasse gegolten und ist in dieser Hinsicht eine der tausend Wogen im revolutionären Ozean geworden, die den Hof verschlungen haben; einer der tausend Blitze im Ungewitter, der den Thron zerschmettert hat.«
Wir haben gehört, daß die Gestalten in de Laclos' Werk nach wirklichen Modellen gearbeitet worden sind, und darin liegt die kulturhistorische Bedeutung dieses Buches für uns. Psychologisch ist das Werk von einer beispiellosen Raffiniertheit, stilistisch befolgt der Dichter in gewissem Sinn das Gesetz des Realismus, insofern er jeder Person im Sprechen und Schreiben einen eigenen Stil beilegt. Heute erscheint uns das selbstverständlich; aber zu jener Zeit war es immerhin ein literarisches Wagnis. Die Intrigen sind leicht und graziös ineinander verwoben; man merkt die Arbeit und die Mühe nicht, die es dem Autor gemacht haben muß, so viel Schamlosigkeit in eine natürliche, gedrängte und elegante Form zu bringen. Das Buch ist das Werk eines hervorragenden Kopfes, eines gemeinen Herzens und eines lüsternen Genies.
Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts erschien es als ein unheilkündendes Zeichen der Zeit; in unseren Tagen wird man nur noch vom historischen Gesichtspunkt aus verstehen, daß dies Buch so viel Entsetzen und so viel Ruhm auf sich häufen konnte.
Im Anschluß an die »Gefährlichen Liebschaften« Choderlos de Laclos' ist von Louvet de Couvrays »Chevalier Faublas« zu sprechen, einem der charakteristischsten Liebesromane des achtzehnten Jahrhunderts, dessen wollusttrunkener Held in der galant parfümierten Maskerade eines gefühlvollen Mädchens sämtliche Männer, die ihm mit ihren Frauen in die Quere kommen, zu Hahnreis macht. De Couvray hat seinem abenteuernden Chevalier Faublas ein Privileg auf Frauenverehrung und Fraueneroberung mit auf den Lebensweg gegeben, das der junge Draufgänger nach Kräften ausnützt. Das charmante Werk, heiter und frech wie Griechenlands Göttermythen, glänzend und leichtfertig, aber nicht so aufrichtig wie die Liaisons dangereuses, ist dennoch ein prägnanter dichterischer Ausdruck des frivolen ancien regime; es ist eine von starker romantischer Einbildungskraft durchsetzte Casanoviade, naiv und tolldreist, aber keineswegs in grobem Sinne unzüchtig.
Zu dieser Literaturgattung haben alle zeitgenössischen Schriftsteller ihren Beitrag geliefert; auch Voltaire hat frivole Gedichte beigesteuert; selbst Rousseaus Feder fehlt nicht darunter. Schließlich: mit den Wölfen muß man heulen. Wenn man sich unter Wilden aufhält, die alle nackt gehen, fällt man natürlich unangenehm auf, wenn man in Kleidern umherspaziert; schon die Talmudisten raten zu der klugen Konzession, sich den Sitten des Landes anzupassen, in dem man lebe. Man darf daher die Philosophen Voltaire, Rousseau, Lamettrie nicht verdammen, wenn auch sie in das Horn ihrer Zeitgenossen stießen. Hat doch selbst der feinste Denker des dixhuitième siècle, Denis Diderot, sich an dieser Literatur mit einer stattlichen Bändezahl beteiligt. Das berühmteste Werk dieser Art ist sein »Jacques le fataliste«. Es wurde von Goethe folgendermaßen angepriesen: »Es schleicht ein Manuskript von Diderot: ›Jacques le fataliste‹, herum, das ganz vortrefflich ist. Eine sehr köstliche und große Mahlzeit, mit großem Verstand für das Maul eines einzigen Abgottes zugerichtet und aufgetischt. Ich habe mich an den Platz dieses Bels gesetzt und in sechs ununterbrochenen Stunden alle Gerichte und Einschiebeschüsseln in der Ordnung und nach der Intention dieses künstlerischen Koches und Tafeldeckers verschlungen. Es ist nachher von mehreren gelesen worden, diese haben aber leider alle, gleich den Priestern, sich in das Mahl geteilt, hier und da genascht und jeder seine Lieblingsgerichte davongeschleppt. Man hat ihn verglichen, einzelne Stellen beurteilt, und so weiter.«
Man muß nicht nach einem tieferen Sinn dieses Werkes suchen, das ganz und gar aus der Laune geboren und aus einer Summe glücklicher Details zusammengesetzt ist. Daß Diderot oft ein loses Mundwerk darin hat, verführte den deutschen Übersetzer Mylius dazu, das Werk um seine heiterste Wirkung zu bringen, indem er es für die Spießbürger zurechtstutzte und säuberte. Den Liebesgöttern, die darin umherflogen, beschnitt er die Flügel allzu stark. Denn er prägte durch dieses Verfahren dem Werk einen moralinsauren Charakter auf, den es keineswegs besaß. Anderen Werken dieser Zeit gegenübergestellt, begreift man kaum den Wunsch einiger französischer Kritiker, daß das Werk auf dem Index stehen möge! Ich bin überzeugt, daß jede Dame, die danach greift und die gern den prickelnden Reiz verbotener Lektüre genießen möchte, es ein wenig enttäuscht aus der Hand legen wird; daß jeder Mann, der auf Goethe schwört, mit seinem Goethe schmollen wird, der ihn durch sein begeistertes Urteil dazu verführt hat, es zu lesen. Überflüssig zu betonen, daß nicht diese Werke Diderots Ruhm ausmachen.
Eine andere Gruppe französischer Autoren, die diesen Kreis der Pornographiker runden und die noch hierhergehören, habe ich bereits in dem Essay über Marquis de Sade genannt.
Natürlich gab es in diesem siècle corrompu nicht nur Schweinigel und Huren. Die Pariser Salons der großen Damen hatten einen nicht minder bedeutenden Einfluß auf die französischen Schriftsteller. An der Spitze standen die Salons der Madame Geoffrie, du Deffant, Lespinasse, Necker u. a. Von all diesen wirklichen Damen sind zahlreiche Briefe auf uns gekommen, die überfließen von Geist und Grazie, von Verstand, Bildung, Takt, Vornehmheit, Anmut, ja selbst von Genie. Solche Briefe werden heute nicht mehr geschrieben; freilich gibt es auch nicht mehr jene Salons. Sie sind den wundersamen Blüten vergleichbar, die ihre vollendete Schönheit, ihre Düfte und Farben aus dem schlammigen Boden der Verwesung und des Zerfalls saugen.