Stanislaw Przybyszewski
Satans Kinder
Stanislaw Przybyszewski

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Dritter Abschnitt

Die Tat

I.

Der Bürgermeister war im höchsten Grade erregt. Er lief ratlos umher, warf die Papiere durcheinander, Schweiß rann ihm von der Stirn.

Gordon suchte ihn zu beruhigen.

»Aber Onkel, du mußt die Fassung nicht verlieren. Es ist ganz lächerlich, wie dich diese Bagatellen in Aufruhr versetzen.«

»Bagatellen! Bagatellen! Herrgott, bist du denn verrückt? Das nennst du Bagatelle? Bedenke doch, das ist die fünfte Proklamation in diesem Monat. Die fünfte! Eine schlimmer als die andre. Das ist etwas Unerhörtes bei uns!«

»Aber du mußt dich daran gewöhnen. In andern Provinzen nimmt man so etwas ganz ruhig hin. Du denkst gleich an Revolutionen, an Mord, an Teilung der Güter. Nun, lieber Onkel, so schlimm ist es nicht ...«

Der Bürgermeister sah ihn zweifelnd an.

»Denkst du also wirklich, daß es keine Gefahr hat?«

»Gefahr?! Donnerwetter! Dann müßte man mindestens zwei Millionen von Sozialisten, Anarchisten, und wie sie alle heißen mögen, ins Gefängnis einstecken. Man tut es nicht. Die Regierung darf es nicht tun. Sie muß jede politische Partei als solche anerkennen, und jede politische Partei hat das freie Agitationsrecht. Allerdings mußt du mit möglichster Strenge vorgehen ...«

»Ja! nicht wahr?«

»Selbstverständlich! Aber du mußt es auf eigene Faust tun. Hilfe von der Regierung anflehen hieße nur, sich ein Armutszeugnis ausstellen. Und gar nach Militär rufen, das würde dich nur deine Stellung kosten. So schlimm ist die Sache doch nicht. In Regierungskreisen würde man nur sagen, daß du nicht genügend orientiert bist. Denk nur! Militär! Das heißt, einen Belagerungszustand hervorrufen!«

Der Bürgermeister ging unschlüssig auf und ab.

»Ja, ja. Du hast Recht. Ich will auch gar nicht zu den äußersten Mitteln greifen. Aber ich werde ganz wirr. Schnittler kommt jeden Tag hergelaufen und verlangt Hilfe, weil seine Arbeiter sich auflehnen ... Sieh nur! Wieder ein Brief von ihm.«

Gordon las neugierig den Brief.

»Ich finde den Brief ganz unverschämt. Damit hast du nichts zu tun! Wenn Schnittlers Arbeiter sich auflehnen und unzufrieden sind, so ist es nur seine eigene Schuld. Er ist ein Schwein. Er ist überhaupt kein Mensch. Jedes Mädchen, das ihm gefällt, nimmt er in sein Kontor und schändet sie. Jetzt ist es seine Sache, die Arbeiter dahin zu erziehen, daß sie seine Schweinereien als selbstverständlich hinnehmen. Du würdest dich nur kompromittieren und noch größere Erbitterung hervorrufen.«

Der Bürgermeister sperrte die Augen weit auf.

»So? So? Also so steht die Sache! Ich habe vieles davon gehört, aber ich wollte nicht daran glauben.«

Gordon wurde sehr erregt.

»Ihn solltest du einsperren. Er verpestet die ganze Stadt. Alles, was hier geschieht und dir Sorgen bereitet, ist nur auf Schnittlers zuchtlosen Einfluß zurückzuführen. Er allein ist daran schuld, daß grade diese unverschämte Agitation auf so guten Boden fällt.«

»Ja! Das ist ganz gewiß richtig. Ich werde ihm ordentlich auf die Nase geben. Es ist doch eine Unverschämtheit, mir einen drohenden Brief zu schreiben.«

»Wenn er es noch einmal wagt, werde ich ihm in deinem Namen antworten!«

Der Bürgermeister wurde ganz gerührt.

»Du hast die Hauptschreier aus seiner Fabrik einsperren lassen?« fragte Gordon nach einer Pause.

»Ja. War das vielleicht nicht gut?«

»Ja. Das find ich. Aber laß dich nur nicht zu weiteren Schritten hinreißen, welche die Situation noch verschlimmern und dich deine Stellung kosten könnten. Vermögen hast du nicht, und ich bin spätestens in einem Jahre bankrott.«

Der Bürgermeister lief unruhig auf und ab.

»Ja, ja, du hast Recht! Welch Glück, daß ich dich habe! Denk dir, ich wollte schon nach Berlin um ein paar tüchtige Beamte von der politischen Polizei schreiben ...«

»Dann hättest du dich schön blamiert. Kennst du die Antwort? Kennst du sie? Nun, so höre: Wenn ein Bürgermeister von einer Stadt von zehntausend Einwohnern über ein paar politische Proklamationen so in Aufregung gerät, so kennt er durchaus nicht die politischen Verhältnisse unserer Zeit ... Das könnte eine böse Sache werden.«

»Ja, ja, nun versteh ich vollkommen. Ich kann jetzt gar nicht verstehen, daß ich in solche Aufregung kam; aber diese ewigen Briefe, diese anonymen Briefe ...«

Gordon lachte.

»Herrgott, bist du naiv, Onkel! Das ist ja die gewöhnlichste und dümmste Taktik auf der Erde. Die Anarchisten nennen das: Angst einjagen. Weißt du, warum die Anarchisten Bomben werfen? Doch nur, um das Bürgertum in einer tödlichen Angst zu erhalten. Dieses Mittel mit den ängstigenden Briefen ist in Frankreich z. B. so abgebraucht, daß kein Mensch mehr darauf Rücksicht nimmt. Der Präsident von Frankreich bekommt täglich hunderte von solchen Briefen, und doch hindert ihn das nicht, ohne Begleitung auf der Straße herumzuspazieren ...«

»Ja, ja, ich weiß ...« Der Bürgermeister schien über seine Unwissenheit beschämt zu sein ... »Aber ich bin so schlaflos und nervös ...«

»Zeig mir doch übrigens diese Briefe.« Gordon machte eine verächtliche Handbewegung.

Der Bürgermeister reichte ihm ein ganzes Paket von Briefen.

Gordon sah sie alle aufmerksam durch, plötzlich runzelte er bedenklich die Stirn.

»Sonderbar, sonderbar!« sagte er mit einem finsteren Ausdruck.

»Was ist sonderbar?« Der Bürgermeister wurde wieder sehr unruhig.

»Dieser Brief ... Weißt du, ganz denselben Brief bekam ich vor drei Monaten, als meine Scheune abbrannte.«

»Ja, ich erinnere mich.«

»Und jetzt will er die Landratur abbrennen.«

»Was? Was meinst du?«

Gordon saß nachdenklich und spielte mit dem Brief; plötzlich stand er auf, als hätte er einen guten Einfall bekommen.

»Was? Was meinst du?« Der Bürgermeister wollte vor Aufregung platzen.

Gordon schlug sich gegen die Stirn. Ein wenig affektiert, wie ihm selbst vorkam.

»Jetzt hab ich es. Donnerwetter, daß ich nicht früher darauf verfallen bin! Mein Förster, der im vorigen Jahre erschossen wurde, sprach auch von anonymen Briefen ...«

»Aber was – was?«

»Verstehst du denn noch nicht, wer diese Briefe geschrieben hat?«

»Nein!«

»Natürlich der Wilddieb Sobek!«

»Aber ich habe gestern die Nachricht bekommen, daß er über die Grenze gegangen ist.«

»Dann ist er schlauer als wir alle. Er läßt uns glauben, daß er drüben ist, und vielleicht sitzt er hier in irgend einer Spelunke. Er hat meine Scheune abgebrannt aus Rache, daß ich ihn als Mörder angezeigt habe, und jetzt will er die Landratur abbrennen, weil der Landrat tausend Mark auf seine Ergreifung gesetzt hat.«

Der Bürgermeister stand mit offenem Munde da.

»Das stimmt. Aber warum annonciert sich der Kerl?«

»Das ist ja seine unerhört freche Bravour. Das tun sie übrigens alle. Ist wohl so ein alter Brauch von den Femgerichten her.«

»Ja, richtig, ja ...« Wieder schämte sich der Bürgermeister über seine Unwissenheit.

Gordon stand nachdenklich am Tisch.

»Der Kerl hat Courage. Aber das ist der Mut der Verzweiflung. Diesmal soll er uns nicht entschlüpfen.«

Er stutzte plötzlich.

»Hör mal, Onkel. Wenn der Kerl schreibt, daß er die Landratur niederbrennen will, so ist natürlich die Abtei damit gemeint.«

»Warum?«

»Weil der Landrat dort wohnt und die Abtei hinter der Stadt liegt.«

»So ist es! Ja natürlich!« Der Bürgermeister rieb sich die Stirn vor Aufregung. »Das ist es natürlich! Mir wollte es nicht in den Kopf, daß ein Mensch es wagen könnte ... Die Landratur liegt doch mitten in der Stadt.«

»Er wollte dich natürlich irre führen, aber das gelingt ihm nicht.«

»Nein, nein! Ich werde die Abtei natürlich Tag und Nacht bewachen lassen.«

»Aber hast du Beamte genug? Du mußt die ganze Abtei möglichst dicht mit Posten besetzen, und zwar noch heute. Sobek zögert niemals.«

»Ja natürlich, sofort!«

»Aber hast du Beamte genug?«

»Ich nehme alle Menschen zu Hilfe. Drei Rathausbediente, sechs Polizeibeamte, das sind neun. Das genügt.«

»Ja, das genügt. Du mußt natürlich allen das strengste Schweigen zur Pflicht machen, es als eine Art tiefsten Amtsgeheimnisses darstellen, sonst wird die Stadt beunruhigt.«

»Natürlich, natürlich!«

»Jetzt ist es drei Uhr. Um sieben kannst du sie ausrücken lassen. Ich muß jetzt gehen ...«

»Ja, du, Gordon, besuch mich doch heut Abend zu einer Whistpartie.«

Gordon bedachte sich.

»Ja, danke.«

»Aber komm etwas früher, so vielleicht um acht.«

»Ja.«

»Und vergiß nicht dein Kartenglück mitzubringen.«

»Nein, nein ...«


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