Georg Queri
Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern
Georg Queri

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I. Rügesitten in Altbayern

Tacitus erzählt, wie der Deutsche die Ehebrecherin strafte: Der Gatte riß ihr die Kleider vom Leibe und schnitt ihr das Haar ab, um sie dann nackt aus dem Hause zu jagen. Nicht ohne Schläge wahrscheinlich. Und um die Schmach größer zu machen, war die Sippe des Gehörnten erschienen wie zu einem Feste.

Rügesitten dieser Art sind uralt. Sie entstanden in dem Momente, als der Mensch religiöse Begriffe erfand und sich in Verbindung mit diesen eine Moralanschauung schuf. Da mag das ursprünglichste Rügegericht wohl eben so primitiv gewesen sein wie die ersten religiösen Zeremonien. Primitiv, aber wohl auch hart. Als sich der Mensch abschliff, verlangte er nach mehr Zeremoniell, und durch die Häufung der Äußerlichkeiten trat die Härte zurück: es entstanden Bräuche, die geübt wurden, weil sie Unterhaltung boten, und die allein um ihrer moralischen Basis willen nicht lebenskräftig sein konnten, weil die nivellierende Zeit einen Wechsel der Anschauungen bedingt.

Auch das Zeremoniell wechselt; so scheinen Bräuche, über die Berichte aus früherer Zeit vorliegen, vollständig verschwunden zu sein, während sie tatsächlich in einer anderen Form auf gleicher Basis fortleben. Diese Basis ist der Kampf gegen die Unsittlichkeit. Der Kampf um das persönliche Eigentum wurde so frühzeitig durch juristische Institute geführt, daß eine Volksjustiz zumeist unnötig oder verboten war; so entwickelten sich auch aus diesen Lebensinteressen heraus nur wenige interessante Bräuche. Aber das Sexualleben fand außerhalb der kirchlichen Bestrafung nicht zu allen Zeiten und nur unter besonderen UmständenAbgesehen von den Willkürlichkeiten mittelalterlicher Justiz. Man ertränkte Kuppler und Männer, die der Notzucht überführt waren; sie wurden entweder mit gebundenen Händen oder in einem Faß oder Sack steckend, ins Wasser geworfen. Im Jahre 1444 wurde in Nürnberg ein Mann, der vier Weiber geehelicht hatte, ertränkt; die vier Weiber, deren keine von der anderen etwas gewußt, erlitten denselben Tod. Ehebrecherinnen, Kupplerinnen und feile Dirnen wurden bis zum Ende des 16. Jahrhunderts gepfählt. Juden, die sich mit Christenfrauen vergangen hatten, wurden entmannt. eine richterliche Verurteilung; und gerade der Verkehr der Geschlechter beschäftigt die Aufmerksamkeit des Menschen am meisten: nicht sein eigener Geschlechtsverkehr, sondern der des lieben Nächsten. Aber gleichwohl geht daraus ein gesundes Gefühl für sittliche Reinheit hervor: es verlangte die Mitarbeit der Gesamtheit zur Erhaltung von Zucht und Sitte, und dieser unwillkürliche Aufpasserdienst forderte für seine Resultate irgendeine öffentliche Brandmarkung zum Zwecke heilsamer Schreckung einerseits, zum Zwecke der allgemeinen Lustbarkeit aber anderseits. Es gibt kein Volk, das solcher Bräuche bar ist. In Altbayern ist die Volksjustiz nach dieser Richtung hin am eigenartigsten entwickelt. So zwar, daß da und dort die offiziellen Gerichte bis in die neuere Zeit gezwungen waren, mit Volksbräuchen Hand in Hand zu gehen und groteske Abstrafungen vorzunehmen, die der gewohnten juristischen Formen entbehren und sich dem volkstümlichen Stile anpassen. Das bayrische Nationalmuseum zeigt in seiner Sammlung von Altertümern des bürgerlichen und Strafrechtes u. a. die folgenden Strafwerkzeuge: Das aus Roßhaaren gewebte grausame Büßerhemd für gefallene Mädchen; dann einen hölzernen faßförmigen bemalten Strafmantel, den auch die »Nachtrauber« zu tragen hatten. Ein Bursch auf der Leiter am Kammerfenster und ein spazierendes Liebespaar erklären in der Reihe der Malereien die spezielle Missetat. Häufiger waren Strafmasken und Strohkränze von unförmlicher Gestalt, besonders bei altbayrischen Landgerichten. Da ist der eiserne Saurüssel, der von seinem Träger erbauliche Dinge erzählt, und dann die Schandkronen für die liederlichen Mädchen, aus derbem Stroh geflochten, mit zwei langen Zöpfen, an denen der liebe Nächste fleißig zog, damit das Glöcklein wimmerte, das über dem Kopf hing und die Schande verkündete.

Ein ganz merkwürdiges Institut, zum Teil Volksbrauch, zum Teil im Bruderschaftscharakter und zum Teil offizielles Gericht, wurde im Jahre 1480 von der Mittenwalder Bürgerschaft errichtet : Die Bubenbruderschaft. Durch neun Jahre hindurch hatten ansteckende Krankheiten namentlich unter der Jugend sehr viele Opfer gefordert und die Bruderschaft sollte die Strafe Gottes abwenden und zur »Einpflanzung größerer Zucht und Ehrbarkeit« dienen. (Möglicherweise hatte eine Lustseuche die Jugend dezimiert.)

Die älteren Akten über diese Bruderschaft sind leider verloren gegangen. Ein Protokoll vom Jahre 1652 indessen, in dem der Pfleger von Werdenfels die Satzungen der Bruderschaft bestätigt und rechtsgiltig macht, gibt über die Tätigkeit der Mitglieder Auskunft. Die Hauptpunkte der Satzungen sprechen von religiösen Verpflichtungen.

Den Charakter des Bundes als Gerichtshof erklären die beiden folgenden Paragraphen:

»4. Wann am Ostermontag die Bruderschaft ihren Anfang genommen, werden sie sich nach dem heiligen Segen zusammen verfügen, einen Bruderschaftsrichter, sechs Beisitzer, einen Gerichtsschreiber und Amtmann erwählen, welche bis auf Nativitatis Mariae ihre Mitverwandten zur Zucht, Ehr- und Gottesfurcht, sowie zu guten Sitten und Tugenden nach dem Willen und der Meinung ihrer Voreltern anweisen und leiten, gegen die Ungehorsamen und Übertreter der Satzungen billige Strafen vornehmen, vor allem aber selbst mit gutem Beispiel vorangehen sollen. Auch sollen sie alle Unzucht und Buberei, das nächtliche Poltern auf der Gasse und in verdächtigen Winkeln, das Gotteslästern und anderen Frevel abstellen, und solche heillose Gesellen der Obrigkeit anzeigen, desgleichen die Scheit- und Raufhändel nicht verheimlichen, oder selbst abstrafen.«

Die Strafgewalt der Bubenrichter war also eine beschränkte. Auch das Strafausmaß:

»5. Richter, Beisitzer, Gerichtsschreiber und Amtmann, sowie alle einverleibten Brüder sollen alle Sonntage vom Anfang bis zum Ausgang der Bruderschaftszeit nach dem hl. Segen in der elterlichen Behausung des Richters zusammenkommen, und allda sollen sie am ersten Sonntag, indem Richter, Beisitzer und Gerichtsschreiber zu Tisch sitzen, der Amtmann aber neben dem Tisch steht und aufwartet, alle einverleibten Brüder neu beschreiben und auffordern, jährlich einen Kreuzer in die Bruderschaftsbüchsen zu erlegen, von den Neuaufgenommenen aber 3 Pfenninge zu erheben. Jeden Sonntag sollen sie zu Rath und Gericht sitzen, und nach Entfernung der Hausgenossen die vorkommenden Klagen anhören, über Klage und Antwort Umfrage ergehen lassen und zu Strafen verurteilen, sei es mit Geld oder mit Einlegen in das Wasser des Baches

Dieses Einlegen in den Bach ist es, was den Bubenrichtern ein etwas volkstümlicheres Gewand gibt als die zahlreichen anderen Paragraphen ihrer Satzungen, die sorgfältigst die kirchlichen Verpflichtungen behandeln. Über das Rituell gibt ein Protokoll aus dem Jahre 1645 Auskunft:

»Nach dem so kommen wir alle Sonntag den ganzen Sommer zusammen, bis auf Nativitatis Mariae. Umb 5 Uhr zu Morgens früh läutet man das Ave Maria, so weicht unser Herr Pfarrer das Wasser, alsdann steckt uns der Messner ein kleines Lichtl auf eines Finger lang. Welcher nit zu dem Licht kommt, und findet es nit brennend, der ist ein Kreuzer schuldig. Und wann das Licht verbronnen ist, gehen wir allesammt aus der Kirchen und stehen zusammen auf den Platz. Alsdann sagt der Richter zu dem Amtmann: »Biet den Buben nachher.« Sagt der Amtmann: »Ich biet euch nachher bei 10, 12, oder 20 kr«. Also geht der Richter vor in sein Behausung, und folgen ihm alle nach. Setzt sich der Richter sammt seinen Rathsherrn, an den Tisch, sammt dem Schreiber, und der Amtmann neben hinzu. Spricht der Richter: »Welcher ein Handel hat, der mag ihn fürbringen, oder etwas klagen.« So kommt einer herfür und thut den Hut ab und spricht: »Herr Richter erlaubt mir ein Redner.« Spricht der Richter: »Ich erlaub dir was du recht hast.« Traut er ihm sein Handel selbst auszuführen, mag ers thun, wo nit, mag er ein Redner nehmen in der Stuben, der ihm gefällt. Und gehen zu der Stuben hinaus, zeigt ihm sein Handel an. Alsbald er dem Redner sein Handel hat angezeigt, gehen sie beede wiederum in die Stuben und sagt: »Herr Richter, erlaubt einem guten Gesellen, sein Wort vorzubringen.« Sagt der Richter: »Ich erlaub dir, was du Recht hast.« Der und der hat ihm N. N. ein Schelm oder Dieb geheißen, oder dies und das gethan. Muß derselb von Stund an herfür, fragt ihn der Richter: »Hasts gethan?« Sagt er, ich habs gethan oder nit, muß der Klager ein Beweisung haben, daß er ihm solches gethan hat. Sagt der Richter: »Gibst dich ein?« Sagt er: »Ja, ich gib mich ein«, fragt der Richter: »Wo setzt es hin, in Rath oder in die Gemein, ich will euch darum fragen.« Sagen sie alle, sie setzen in den Rath, alsdann gehen sie wieder zur Stuben hinaus. Fragt der Richter an dem Tisch, spricht ein jeder nach seinem Verstand 1, 2, 3, 4, 5, 6 Kreuzer, ein Schelm oder Dieb 6 Kreuzer. Oder aber spricht man ihn in den Bach, muß er sich darein lassen legen, hab er ein Gewand an wie er wöll, und läßt ein nit abkaufen. Macht ihm der Amtmann im Bach vor des Richters Haus ein tiefes Geschwell, nimmt ihn der Richter bei dem Kopf und seine Rathsherrn sonst bei dem Leib, legen ihn also in den Bach.«

Bezüglich der Strafanwendung sagt § 8 der Satzungen:

»Tituliert einer den andern bestialisch mit Hund oder Vieh, so wird ein solcher, wenn es eingestanden und erwiesen wird, unbedingt zum Bach-Einlegen verurtheilt. Hierin ist Keiner zu verschonen und darf auch die Abkaufung der Strafe mit Geld nicht zugelassen werden.«

Es wäre eigentlich zu erwarten, daß die Bubenrichterschaft im Sinne ihrer Begründung weniger gegen Äußerungen rustikaner Art strafbar hätte vorgehen müssen, als gegen Dinge, die auf dem sexuellen Gebiet lagen. Aber der Bund hatte zu bald einen rein religiösen Charakter angenommen und der Werdenfelser Pfleger verweigerte ihm manche gewohnte Gerichtshandlung. Während er bald die Strafe des Bacheinlegens verbot, machte er doch die Bruderschaft für alle Exzesse im Markt verantwortlich. So sah sich der Bund in seinen Rechten beengt und ging mehr und mehr in den Bruderschaftscharakter über. Auf das Fensterln wurde schon eine Kirchenbuße gesetzt:

»– – wann einer aus der Bruderschaft sollte nächtlicher Weile bei einem ledigen oder einem andern verdächtigen Weibsbild, sei es hernach auf der Gassen, am Fenster oder anderstwo einen allein antreffen, ist er verbunden, selben hinwegzuschaffen. Wann dieser aber nit folgt, sollte er vor ein Vierling Wachs gestraft werden. Gehet er aber hinweg und wird nachmals wiederum bei dieser gefunden, und dieses durch denjenigen, so ihne hinweggeschafft, kann erwiesen werden, solle er um ein Pfund Wachs gestraft werden.«

Der Bruderschaftscharakter betont sich noch mehr in dem folgenden Abschnitt:

»Art. 34. – Sollte sich einer mit einem Weibsbild verlieren und selbe schwängern, wird er gänzlich von der Bruderschaft ausgeschlossen, ausgenommen, daß selbem annoch ein Platz auf der obern Porkirchen bei dem Gottesdienst vergünstigt wird.«

Der Drang, wieder zu ursprünglichen Bräuchen zurückzukehren, führte zu Anfang des 18. Jahrhunderts zu argen Skandalen. Mittenwald sah sich des großen Festes beraubt, das im Bacheinlegen jährlich wiederkehrte und für das es immer eine Reihe von Sündern gab: Burschen, die drei Sonntage hintereinander bei der Lade der Junggesellen fehlten; solche, die den andern kotig gemacht oder mit dem Schuh getreten hatten; Richter, die im Zeremoniell der Anklage einen Lapsus begangen hatten (sie wurden samt den sechs Ratsherren gewässert); diese sieben Leute wiederum, wenn sie einen eingelegt hatten und dem Gerichteten nachträglich noch ein trockener Faden nachzuweisen war; Burschen, die ihren Sonntagsschwipps gehabt hatten; solche, die sich in besseren Witzen gefielen.

Diese Lustbarkeit war also dahin. So bedauerte niemand, daß das Institut der Bubenrichter im Jahre 1860 völlig in eine kirchliche Bruderschaft umgewandelt wurde.

Die Lust am Klatsch kann von den übrigen Dorfeigentümlichkeiten nicht getrennt werden. Da sich aber der Klatsch gerade in Altbayern vielfach gewählt ausdrücken will – wie wir später aus besonders grotesken Belegen erfahren werden –, so läßt er sich in gereimte Verse binden. Und wenn viel zu klatschen ist, so entsteht die sogenannte Dorflitanei, die von Haus zu Haus ihr Zünglein wetzt.

Diese Dorflitaneien sind im allgemeinen selten geworden. Ich erinnere mich dunkel einiger Reime harmloser Natur und zweier anzüglicher aus einem Dörfchen am Starnberger See:

D Schmiedin muaß a Wittib bleibn,
Der Gsöll tuat eahmihm = ihr; an Stelle des weiblichen Possessivs wird fast immer das männliche gebraucht. die Zeit vertreibn . . .

Die »Deutschen Gaue« (Band X, pag. 200) teilen aus Rengersdorf in Niederbayern – im Bezirk Landau a. I. waren die Dorflitaneien besonders häufig – die folgenden Verse mit:

Da Niedamoa is a großa Ma,
da Mittamoa liegt an Mantl a,
da Nickl hat sö niedaglögt,
da Schneida hat eahm 's Geld vostöckt,
da Nöma hat a langö Nosn,
da Stöffö, der muaß alls dablosn (bereden),
d' Langön tuat stricka und allahand nah',
da Obabauanhans, dea tuat Scheißkachön (Nachttöpfe) drah' . . .

Diese Verse plaudern ja keine großen Sünden aus: daß der Niedermayr ein Gernegroß ist, und daß der Mittermayr um eines Mantels willen dem Spott verfiel; daß der Nickl ein Siebenschläfer, der Schneider ein Geizkragen, der Nömer ein Langnasiger und der Steffel ein Schwätzer ist. Der Langin wirft man ihre Strickerei und Näherei vor – gedankenlos oder mit Spitzfindigkeiten? Nun, und der Oberbauernhans ist ländlicher Töpfer und muß eben mit anderen Dingen die nützlichen Nachttöpfe anfertigen. Aber die Dorflitaneien bewegten sich nicht immer in gleich harmlosen Grenzen.

Eine Rügesitte recht profaner Art ist das Mauermachen, das heute noch blüht, wohl deswegen, weil es keinen Aufwand an Dichtkunst und keine zeremoniellen Schwierigkeiten fordert. Es handelt sich lediglich darum, die Front eines Hauses mit Menschenkot zu verschmieren, möglichst ausgiebig allerdings.

Das unappetitliche Werk verkündet einen Ehebrecher im Hause.

Ich kann mich nicht erinnern, daß je ein Ereignis rascher im Dorf bekannt geworden ist, als dieses Mauermachen. Der Betroffene mag sein Fenster zeitig am Morgen öffnen, um nach dem Wetter zu gucken – sicher sieht er schon eine Gruppe lächelnder Neugieriger vor dem Hause.

Die Sitte ist in den Bergen wie im Flachland üblich.

Das Sägspänestreuen verfolgt den gleichen Rügezweck. Man munkelt von einem Ehebruch. Der am meisten Ärgernis daran nehmen zu müssen glaubt oder der Boshafteste füllt seinen Schurz reichlich mit Sägmehl – das man eben hierzulande Sägspäne nennt – oder schiebt gleich einen tüchtigen Karren davon vom Hause des Ehebrechers zum Hause der Ehebrecherin und streut fleißig aus, »daß der Sünder weicher geht«. Zumeist mündet der weiße Weg dicht unterhalb der Schlafkammer des in Frage kommenden Weibes. Da sich die dicht gestreuten Sägspäne nur mit Schwierigkeiten völlig entfernen lassen, bleiben Vergehen und Spaß wochenlang in aller Mund – die Amtsgerichte legen demgemäß dem Sägspänestreuer ganz empfindliche Strafen auf.

Hierher gehört auch eine höchst merkwürdige Sitte, die Zeit und Kraft heischt: Das Mistwagenstellen. Da hat sich ein Bauer mit der Magd vergangen und die Schande ist ruchbar geworden. Man muß sie »auf den Kamin hinaufschreiben« oder die »Titel aufs Dach stecken«. Zu diesem Zwecke wird des Nachts ein Mistwagen aus des Bauern Stadel zerlegt, die Teile mühselig auf das Dach des Wohnhauses geschleppt und oben wieder zusammengesetzt. Das alles wird wohl kaum geräuschlos zu machen sein; aber die Inwohner hüten sich, die Täter in ihrem Werk zu stören: es könnte ein Stück vom Dach herabfallen . . . Wenn der Wagen oben wieder zusammengesetzt ist, beginnt der zweite Teil der Arbeit: das Beladen mit Mist. Nicht selten wird eine ganz tüchtige Fuhre Mist des Morgens auf dem Dach eines Hauses gefunden, über deren Beschaffung und Bedeutung nirgends Zweifel laut werden.

Ich erinnere mich einer ähnlichen Sitte: um Gerüchte zu erhärten, die über eine Bauerntochter und einen Schafzüchter gingen, stellte man dem Mädchen einen Schäferkarren aufs Dach des elterlichen Hauses.

Dann hat oder hatte man im Gebirge auch die Katzenmusik zur Ahndung sexueller Vergehen. Die Sitte bedurfte schon einer größeren Anzahl von Teilnehmern und fand sie auch, weil die Katzenmusik von jeher als etwas unerhört Lustiges galt. In Mittenwald war der Brauch besonders im Schwang und hier wie in einigen Orten gegen Benediktbeuern zu krönten plumpe Verse, die nach Art der Schnaderhüpferl abgesungen wurden, den nächtlichen Krawall:

Jeh, Buama, singts net gar aso schö,
sunst muaß der Peterl ausm Fuchsbau geh,
wannts n aussitreibts, wo geht er denn hi?
D X.-Marie hat er im Sih!
Mir wissn scho, wia oft daß er s z leicha nimmt,
weil er gar so oft zu ihr kimmt,
des pfeiffa d Spatzn schoh auf der Straßn –
du und dei saubers Mensch, ös derfts s Hurn bleibn lassn!

Der Brauch des »Loderstellens«, der im Oberland weithin verbreitet war, ist heute ziemlich abgekommen. Während im Schwäbischen ein aus Stroh gefertigtes Schwein in ein Haus geworfen wurde, in dem sich sexueller Ausschweifungen Beschuldigte befanden, wurde im Altbayrischen eine aus Stroh geformte und mit alten Gewändern gekleidete menschliche Figur vor das Haus gestellt.

Das Strohschwein hatte in seinem Innern Zettel mit anklagenden Versen, der Strohmensch in der Hand. Mir ist unter alten Akten ein derartiger Loderbrief in die Hände gekommen, der am Pfingstsonntag des Jahres 1840 einem der Blaumüllers Tochter von Vagen (Bezirksamt Miesbach) gestellten Loder beigegeben war.

Da Panzer in seiner Mythologie die einer schwäbischen Strohsau mitgegebenen Verse mitteilt, mögen die beiden Elaborate einander gegenübergestellt sein.

Das schwäbische:

»Der Obeknecht im Stadl
nimmt di Sau beim Wadl.
Die Sau hat ein krumpn Schwanz,
der geit der mad n Hochzetkranz.
Der Mitteknecht mitm Drutefues
ißt bei der Hochzet s Erbsemues.
Der Tennebue mit m rote Kopf
reißt der braut n Kranz vom Kopf.
Die Obemad geht mitm Herrn,
dem tuet si oft sei gern.
Die Mittlmad ist from und guet,
gar züchtig und auf ihrer huet;
gaet oft in d Kirch und nie zem Tanz,
drum nimt si au nie d Sau beim Schwanz.
S Tennemadl is schön und jung,
dreit (hurt) abe do scho bräfle rum:
des tuet si abe nur bei Nacht,
weils ihre mutter hat so gmacht.
Der Bauer und di Bäuerin standet oben a,
von dene ma au nix Bessers sagn ka.
Fressts des mit Löffeln,
Oder steckts es aufn Huet!«

Das altbayrische Pendant ist um ein gut Teil gröber gehalten:

»Den Kirdla Stier vo Pienzenau
Werts a balt vertriest
Wen er dat vür än andan herhalten Mießen
aber Er sagt er hat der Dirn nix do
Es geht an Würth Franzl
oder an Schuester Stier o
Da Schuesta hat die gsprunga
den 27. May
Und da Wirth Franzl den 7. Juny
dort is gwen da Wieder
den 27. May
der Selbe hatz do
Du bist ah rechtä Tradn Hur
und a rechts lueda
und ä rechti Hosn dirl Mueta.«

Zu deutsch:

Dem Kirdla- (soll heißen: Kistler-) Stier von Pinzenau
wird's auch bald verdrießlich,
wenn er täte für einen andern (als Vater) herhalten müssen,
aber er sagt, er hat der Dirn nichts getan,
es geht den Wirts Franzl
oder den Schuster-Stier an!
Der Schuster hat dich gesprungen den 27. Mai,
und der Wirts Franzl den 7. Juni,
dort ist gewesen der Widder den 27. Mai,
derselbe hat's getan!
Du bist eine richtige Tradn-HureTradn-Hure ist schwer zu deuten. Ich kenne den Ausdruck Troadhur = Eine, die man im nächsten schützenden Getreidefeld haben kann. Traiden ist im Schwäbischen soviel wie Huren.
und ein richtiges Luder
und eine richtige Hosentürlmutter!

Das Mädel schien überhaupt der allgemeinen Volksrache verfallen zu sein. Man hatte ihr sechs Jahre vorher das Haberfeld getrieben.

Interessant ist jedenfalls in dem Vergleich zwischen dem altbayrischen und dem schwäbischen Rügzettel das Moment, daß der Altbayer um einiges Erkleckliches deutlicher ist als der Schwabe.

Die Zeit des Dreschens war von unterschiedlichen Bräuchen begleitet. Es mögen hier die interessanten Verse wiedergegeben sein, die PanzerMythologie, Bd. II. in Marktl (bei Altötting) festhielt und die den Charakter einer moralischen Abrechnung tragen. Wechselgesänge zum Takt der Dreschflegel:

»Hui dau! nah!
auf Nachber, auf!
so Nachber dau nah!
brav nah!
miess'n mir a da sei.
Auf Hiasl, auf!
auf Michel, auf!
auf Hansel, auf!
seids allzam da?
schreits allzam ja!
Auf Jungfraun, auf!
auf Resl, auf!
auf Nanni, auf!
auf Franzi, auf!
seids allzam da?
schreits allzam ja!
Geh, leg di e weni her,
mer gebn der e weni Schmeer.
Halb Halm, halb Heu,
halb Haber, halb Brei:
werfts nur brav neu
Den schlagn mer brav drei!
Halb hin, halb her,
halb Leder, halb Schmeer,
halb Leder, halb Solen,
der Bauer kanns zalen!

Hopsasa Nagelschmied!
Unds andre sag i net.
Magst es gern wissn von mir,
dann sag i's erst dir.
Auf, auf! wer d Halmknedln gern ißt!

Auf, auf! wers net gern ißt!
Geh, Nachbar, glang e weni umi!
Welln mer e weni eini schaun
und e weni zammahaun:

Auf, auf! wer in d AdlgrubenDüngerjauche; es kommt schon vor, daß dem Burschen beim Kammerfensterln ein derartiges Abenteuer begegnet. nei gfalln is!
Auf, auf, wer im Kammerfenster steckn bliebn is!
Auf, auf! wers Kind inn Bach geworfen hat!

Ein ähnliches Drescherlied, das aber mehr die sämtlichen Dorfverhältnisse durchhechelt, habe ich im Ammergau aufgezeichnet. Es ist möglich, daß es – infolge des passenden Metrums – früher zum Takte des Dreschens gesungen wurde; heute ist es lediglich ein recht selten gewordenes Volkslied:

        Frisch auf zum Dröschn,
nehmts d Schlögl in d Hand,
denn wer früh anfangt,
der kriegt bald an End;
s Körndl is grodn,
jetzt dankts enkern Gott,
der enk befreit hat
von all enker Not.
Könnt ma unsre Feind jetzt
im Stroh drinnet habn,
Herr Gott, o Herr Gott,
wie dröschet ma s zamm!

Nacha möcht ih habn
an Herr Amtsschreiber drauf,
wegn a paar Zeiln
schreibt er unmenschlich viel auf,
und kommt dann der Zechet,
so nimmt er halt glei
a Mändl für d Herrschaft,
für sich aber drei.
Könnt ma den Brotz jetzt
im Stroh drinnet habn,
Herr Gott, o Herr Gott,
wie dröschet ma n zamm!

Drauf möcht ih habn
an Herrschaftslakai,
der geht dee Madln
alleweil aufs Gei,
jetzt moat der Lauser,
er ist jetza schon,
weil er mit Bortn
a Röckl hot on.
Könnt ma den Ragger jetzt
im Stroh drinnet habn,
Herr Gott, o Herr Gott,
wie dröschet ma n zamm!

An Pfarrer sei Köchin,
dee liegt mir an Mogn,
sollt ma des Luder
aufn Händn rumtragn.
Und wenn ma s nit grüßt,
bal ma s vo Weitem scho siecht,
so schneit da Pfarrer
ein grünsaures Gsicht.
Könnt ma des Luada jetzt
im Stroh drinnet habn,
Herr Gott, o Herr Gott,
wie dröschet ma s zamm!

Und der Herr Wirt, hãnts,nicht wahr? (der Altbayer fragt statt »Wie?« »Hãn?« Wenn er sehr höflich ist, hängt er ein abgekürztes »Sie« an: »Hãn S'?«).
des is enk a Schroll,
gießt er die Panzen
mit Wasser all voll,
schreibt auf, was man sauft,
mit doppelter Kreid
den Gästen auf d Tafel,
daß mancher aufschreit.
Könnt ma den Bscheißer jetzt
im Stroh drinnet habn,
Herr Gott, o Herr Gott,
wie dröschet ma n zamm!

Unser Grichtshalter
is aa nit viel wert,
wenn ma uns zkriegn,
sollt er sagn, was sih ghört,
er hat ja koan Mogn
und hat aa koa Herz
und steht allmal da
als a Mandl beim Sterz.
Künnt ma den Frötta jetzt
im Stroh drinnet habn,
O Gott, o Herr Gott,
wie dröschet ma n zamm!

Jetz möcht ih kriagn
noh unter mei Hand
d Feind voh mein König
und d Feind voh mein Land;
Flögl, da freuts euch,
da kriagts recht viel z doa,
da war ja mei Steig
und mei Stadl viel zu kloa;
könnt ma dee Lauser jetzt
im Stroh drinnet habn,
O Gott, o Herr Gott,
wie dröschet ma s zamm!

Das Feuerscheibentreiben ist speziell im Werdenfelser Landl gepflegt worden, ein Osterbrauch. Feurige Holzscheiben, die mit leicht brennbaren Stoffen garniert waren, ließ man einen Abhang hinabrollen – prächtig sah das aus in der Frühlingsnacht. Und der Bursch rief seinem Feuerrad nach:

Oh, du liabe Scheibn,
Wo muaß ih dih hintreibn,
wohl in die Mittenwalder Gmoan –
ich woaß schoh, wenn ih moan!

Ein heimlicher Wunsch also eilte mit der Scheibe zu Tal. Wer das Talent dazu hatte, fertigte sich einen Bogen oder eine Schleuder und sandte einen Feuerpfeil in die Tiefe.

Im Ammergau verkündeten die Feuerscheiben der Osterzeit weniger die Sehnsucht nach der Geliebten als die Rüge für die Wintersünden der Dörfler, wie begleitende Verse erklärten.

Der Fasching bringt natürlich durch die allenthalben verbreitete Sitte des Maskenlaufens der zarten Anspielungen und groben Scherze viele. Hier hat sich ein uralter Brauch erhalten: Das Ausspielen. Besonders sinnenfällige Ereignisse des vergangenen Jahres finden ihre Wiederkehr in dramatischer Form und zwar immer in der Stegreifkomödie.

Das punctum sextum gibt die hauptsächliche Materie dieser Komödien.

Um einen speziellen Fall aufzuführen: In Starnberg hatte man zu Anfang der 80er Jahre viel über galante Beziehungen eines Subalternbeamten geklatscht und der Hofbauer setzte es sich in den Kopf, den Fall zum Fastnachtsspiel zu verwenden. Er erstand einen Zigeunerwagen, möblierte ihn, spannte seine Ochsen davor und zog durchs Dorf; an allen Hauptplätzen wurde Rast gemacht und die Leute stauten sich, um in das Wageninnere zu schauen, in dem sich ein vertrauliches Spiel zwischen dem als Beamten maskierten Bauern und seinem als Frau gekleideten Freunde entwickelte, unzarter Späße voll. Die beabsichtigte Hauptstation des Gastspieles, das Haus des gerügten Beamten, wurde nicht erreicht: die Polizei schritt ein.

Aber sie vermochte gegen die Menge nicht aufzukommen. Wenn sie auch den Weitermarsch verhinderte – das Spiel nahm seinen Fortgang. Überdies wurde der Wagen in den Bach geschoben, so daß die unverdrossen agierenden Komödianten durch das bitterkalte Wasser gegen die Gensdarmen geschützt waren. Der Fall hätte sich beinahe zum Landfriedensbruch ausgewachsen, nachdem man bereits von Tutzing Verstärkung der Polizeimacht hatte einfordern müssen; der angesehene Hofbauer erhielt in der Folge einen vollen Monat Gefängnis zudiktiert.

Eine stehende Figur im ländlichen Faschingstreiben ist der Binder, der Schäffler also. Er tritt mit seinen Faßreifen und seinem Holzschlägel auf und hantiert an den Dicken herum, um sie vor dem Bersten zu schützen, an den Dürren, damit sie nicht ganz »derlexen«. In der Hauptsache aber hat er es auf die Weiblichkeit abgesehen, die er durch Aufzählung mancher geheimer Episoden des vergangenen Jahres blaß und rot macht und die er vor allen kommenden Eventualitäten schützen will.

Und dieser Eventualitäten sind viele. Das alte erotische Binderlied zählt sie sorglich auf:

Mei Handwerk, dees is halt a Binder,
unds Bindn, dees tuat mih halt freun,
mei Gschäfterl geht Summer und Winter
und bringt mir aa hübsch was ein.
In da Fruah, da geh ih zum Bindn,
mei Schlegerl, dees hab ih bei mir,
mei Hammerl, mei Zangerl, mei Windn
und Roaferl a drei, a vier.
Kaum kimm ih für d Kuchltür eini,
schreit d Köchin: »kimm, Bindersbua, her,«
und sagt: »heunt bist mir der meini,
warum kimmst denn so lang net auf d Stehr
»Warum moanst, daß ih bin net kemma
zu dir net hinauf in dei Zimmer?
Aber heunt bind ih dirs zwölfmal zua,
eher laß ih dir koan Ruah!«
Der Kellnarin, der bind ih ihr Fasserl,
weils allweil eisaugt beim Spund',
und in der Mittn, da hats a kloans Lasserl,
da bind ih halt hin fast a Stund;
mei Schlegerl derf ih net zu stark schwinga,
drum bind ih halt langsam und staad,
daßs mir koa Reiferl wegdraaht.
Die Sennrin im Stall hats vernumma:
»Ja, is denn da Bindersbua da?
Geh', kimm in Stall a weng uma,
Heunt bindst mir mei Soachküberl aa.
Aba oans, des will ih dir sagn:
Du muaßt halt recht sakerisch schlagn,
denn dei Bindn freut mih ja allmal,
dei Schlegerl hat gar an schön Knall.«
Bein Nachbarn, da hats noch a Alti,
dee mecht halt gern aa bundn sei.
dee hat a ganz a eiskalti –
alts Luada, was fallt dir denn ei?
Dee Alti, dee mecht ih net bindn,
mei Schlegerl, des kriagat sunst s Schwindn,
dee Alti kann bindn der Schneider,
geh, bringts mir des Schandluader weiter,
es nigglt, es nagglt der Stuhl,
dee Alti kann bindn wer will!der Reim findet sich in der altbayrischen Aussprache der beiden Worte »Stuhj« und »wuhj«.

Es liegt nicht in der Absicht dieser Publikation, die lange Reihe von altbayrischen Rügesitten in aller Ausführlichkeit zu behandeln. Es galt lediglich, Bindeglieder zu dem interessantesten und am wenigsten bekannten Rüge gerichte zu geben: dem Haberfeldtreiben.

Es ist aber auch angebracht, ein anderes Bindeglied anzuführen: das erotische Volkslied. Denn die massive Erotik der Habererrugsprüche erscheint dem zu kraß, der die erotischen bäuerlichen Schnaderhüpferl nicht kennt, die in einer Unzahl von Wirtshaus zu Wirtshaus gehen. Sie sind interessante Belege zur bäuerlichen Geselligkeit und deuten die Möglichkeiten an, die im Brauch des Haberfeldtreibens erfüllt werden.


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