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Der Bauer und Wirt Johann Vogl von Wall interessiert erst als Vierziger. Zuerst tritt er um seiner erotischen Taten willen hervor. Er hat in dem Bauerndorf Wall bei Miesbach eine Bierwirtschaft, in der ganz blutjunge Burschen – Feiertagsschüler – gerne verkehren, weil sie wissen: hier jagt man sie nicht kurzerhand davon; hier erhalten sie Bier und Schnaps; und hier werden sie außerdem in die großen Geheimnisse des Lebens eingeweiht.
Tatsächlich pflegte auch der Daxer mit den Buben Reden zu führen, die mit Wohlbedacht auf die Verführung der Jugend hinarbeiteten. Dieser Zustand dauerte lange genug an, um eine ganze Generation von Bauern sittlich zu verderben – der Strafrichter konnte das späterhin konstatieren.
Ich will davon absehen, die Unmenge der erotischen Kraftäußerungen des Daxer aufzuzählen, so wie sie heute noch im Volksmunde leben. Es seien lediglich die Tatsachen notiert, die gerichtlich festgestellt wurden.
Der Daxer betrieb lange Zeit einen ausgedehnten Handel mit gedruckten Habererversen, die einerseits durch ihre Obszönität der Jugend gefährlich werden konnten, anderseits gerade in den heranwachsenden jungen Burschen die Lust zum Haberfeldtreiben frühzeitig weckten. 10, 15 oder 20 Pfennige war der normale Preis eines Habererzettels. En gros: das Hundert zu sieben Mark.
Und neben den Habererzetteln verkaufte der Daxer Präservativs an die Jugend, die er »Candinas« nannte. Als dieser Handel aufgedeckt wurde, entzog man ihm die Wirtschaftskonzession und der Daxer sandte einen entrüsteten Beschwerdebrief an das Bezirksamt, den er mit »Johann Vogl, Candinashändler« unterzeichnete.
Im Jahre 1894 wurde gegen ihn ein Verfahren wegen Notzucht eingeleitet, das durch Zeugenaussagen ein krasses Bild über des Daxers moralische Verkommenheit ergab. Als im Jahre darauf das Schwurgericht den Fall behandelte, konnte der Vorsitzende mit Recht sagen:
»Während meiner langen Praxis als Richter, die sich auf Jahrzehnte erstreckt und in der ich mich leider Gottes oft genug mit Sittlichkeitsverbrechen zu befassen hatte, ist mir noch nie – ich muß es sagen – ein so gemeiner Strick vorgekommen, wie Sie sind. Einen solchen Grad von sittlicher Verkommenheit wie Sie an den Tag legten, habe ich noch nie gefunden. Moral und Sitte müssen in dem Schmutz und Unrat, in welchem Sie herumwühlten, bei Ihnen ganz untergegangen sein. Wenn man solche Dinge hört, dann kann man begreifen, daß Ihnen solche Dinge zur Last liegen!«
Die Anklage hatte sich in der Hauptsache darauf gestützt, daß der Daxer im Jahre 1894 die halbidiotische 26jährige Bauerntochter Elise Feuerreiter von Aignhof bei Miesbach von der elterlichen Wohnung in den Wald gelockt und dort vergewaltigt hatte. Am selben Tage noch hatte das Mädchen mit ihrer Mutter am Waldsaum Streu zu holen, als der Daxer auftauchte und die Mutter in Gegenwart der Tochter unsittlich zu berühren versuchte. Die Frau setzte sich zur Wehr – der Daxer ging zur Tochter, warf sie auf einen Streuhaufen und suchte diese zu vergewaltigen. Die Mutter: »Alter Saustier, laßt mei Liesl geh!« Als der Daxer sich dadurch nicht stören ließ, schlug sie mit dem Rechen auf ihn ein und warf sich dann auf ihn und zerkratzte ihm das Gesicht. Da endlich ließ der Daxer von dem Mädchen ab und entfernte sich wortlos wie er gekommen war.
Der Daxer schien nicht im mindesten zu glauben, daß der Vorgang eine Strafverfolgung erfahren würde. Er war gefürchtet – seine Rachsucht pflegte ihn vor Anzeigen zu schützen. Aber die Familie Feuerreiter machte Anzeige . . .
Als ihre Aussagen ihn sehr belasteten, wurde er in Untersuchungshaft genommen. Aber durch einen geheimen Briefwechsel versuchte er eine Änderung ihrer Aussagen durch Drohungen zu erwirken und ließ, als das nichts half, durch seine Getreuen das Haus beschießen. Wenn diese Getreuen nicht rechtzeitig in Haft genommen worden wären, hätte ein anderer Racheplan seine Ausführung gefunden: eine raffinierte Brandstiftung in der Absicht, die ganze Familie Feuerreiter in den Flammen umkommen zu lassen.
Der Prozeß gegen den Daxer illustrierte durch zahlreiche Zeugenaussagen das Leben eines vielleicht krankhaften Erotikers. Hier einige Fakta:
An einem Charfreitag hatte sich der Daxer böhmische Bettelmusikanten verschrieben, die in seiner Stube aufspielen mußten. Die Tänzer: er und seine Frau, beide splinternackt. Aber zu der merkwürdigen Verirrung ein Funken religiöser Furcht: er hatte das Kruzifix verkehrt an die Wand gehängt . . .
Eine Nachbarin des Daxers war mit ihren Kindern, deren jüngstes 5, das älteste 12 Jahre zählte, auf dem Feld beim Heurechen. Der Daxer warf die Frau zu Boden, entblößte ihr die Vulva und sagte den Kindern: »Aus dem haareten Loch seids ös rauskemma!«
Ein Freund schickt sein 16jähriges Töchterchen zum Daxer mit der Bitte, er möchte ihm den Wagen leihen zur Wallfahrt nach Birkenstein zu Unserer lieben Frau. Sagt der Daxer: »Na bringst mir . . . haar von der Muattergottes mit . . .«
Es ist geradezu merkwürdig, daß die Taten des Daxer nicht als Taten eines Geisteskranken behandelt wurden; aber man fand an dem sehr intelligenten Menschen keine Spuren von Paralyse und auch die Tatsache, daß sein Vater durch Erhängen aus der Welt gegangen war, wurde nicht als ausschlaggebend betrachtet, da dem Gerichte wohl auch ein vielfach in Wall kursierendes Gerücht bekannt war, demzufolge der Vater vielleicht durch die Hand des Sohnes gestorben sei.
Das Gericht erkannte auf sieben Jahre Zuchthaus – die Leute in Wall empfanden es wie Erlösung. Es war ihnen nur zu gut bekannt, daß alle großen Übel ihrer Gegend vom Daxer ausgingen und daß die entarteten und immer mehr gefürchteten Haberfeldtreiben ihm zuzuschreiben waren.
Das gibt auch ein anonymer Habererbrief an das Miesbacher Bezirksamt kund:
»Im Juli 1894 hot sich in Wall Ein nets Ereigniß ergebn Da is aufra dapiga Baurntochter da Haberfeldmeister drauf glegn d Muata hot no rechtzeiti erdapt und bei dera Glegnheit s Gsicht recht verkratzt Wenns Glück will und daß worn is a BuaWenn der Vorgang Folgen hat und durch eine Geburt der Sachverhalt an den Tag kommt und der Daxer eingesperrt wird. Nacha glaubma mitn Haberfeldtreibn is jezt a Rua. Eingesant vo mehrere Waller.« |
Der Daxer versuchte alle Rechtswege, um von der schweren Zuchthausstrafe loszukommen. Als das Urteil rechtskräftig geworden war, glaubte er eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen zu können und arbeitete mittelst einer Geheimkorrespondenz mit seinem Bruder Franz in Wall eifrig daran, durch bezahlte falsche Zeugen die Zeugen Feuerreiter des Meineides zu beschuldigen und speziell der Elise Feuerreiter einen lasterhaften Lebenswandel nachzuweisen.
Hunderte von Briefen gingen in dieser Angelegenheit vom Untersuchungsgefängnis, vom Zuchthaus und von Wall hin und her. Da sie in einer unauffälligen Geheimsprache abgefaßt waren, dauerte es ziemlich lange, bis ihr Inhalt gerichtsbekannt wurde.
Aber dann mehrte sich des Daxers Zuchthausstrafe auf 18 Jahre. Er starb indessen bereits nach dreijährigem Zuchthausaufenthalt an einer tuberkulösen Eiterung.