Georg Queri
Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern
Georg Queri

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Das Haberfeldtreiben in neuer Blüte

Aber gleichwohl bleibt der alte Brauch im Schwang und bestätigt seine Existenz durch zahlreiche nächtliche Exzesse. Die Landpolizei, die man neuerdings zur Verfolgung des Unfugs angespornt hatte, ermüdet bald in der aussichtslosen Hatz nach den Tumultanten, der Landrichter häuft verärgert Stöße von inhaltlosen Vernehmungsprotokollen auf und die Bauernbürgermeister verlesen mit Schmunzeln Verordnung um Verordnung vor ihren Gemeindeangehörigen.

Unterm 7. Dezember 1848 – als 14 Jahre über den kräftigen Erlassen vergangen, aber keine Haberer gefangen waren – dekretiert die Regierung wieder:

»Die in jüngster Zeit in mehreren Orten, namentlich in den Landgerichten Rosenheim und Aibling vorgenommenen sog. Haberfeldtreiben, welche bereits in früheren Jahren die schwersten Verbrechen, Mord und Brandstiftung im Gefolge hatten, machen es der unterfertigten Stelle zur Pflicht, ein nachdrückliches Einschreiten gegen solche unter was immer für einem Vorwand eingetretenen Störungen der Ruhe und Ordnung einzuschärfen und selbe zur Warnung bekannt zu machen.«

»Es ist also folgender Erlaß vorschriftsmäßig anzuschlagen:

1. Die Gemeinde auf das Ungesetzliche solcher Handlungen, auf die hiedurch bevorstehende allgemeine Zügellosigkeit unter den jungen Burschen und die nach bekannten früheren Vorgängen häufig hiebei eintretende Beschädigung von Personen und Eigentum aufmerksam zu machen, dieselben

2. an ihre Pflicht, Recht und Ordnung in ihren Bezirken aufrecht zu halten, zu erinnern.

3. Bei Zuwiderhandlungen den Gemeinden 50 fl Strafe und Überbürdung der Kosten, sowie bei fortgesetzten Ruhestörungen noch die Einlegung militärischer Exekution.«

Auch dieser Erlaß war Papierverschwendung, es war nun einmal nicht möglich, das Landvolk von den Gefahren, die aus dem Brauche des Haberfeldtreibens für die Volksmoral erwuchsen, zu überzeugen. Und die Lust zum Radau war so tief eingewurzelt – weil eben der Exzeß so ziemlich die einzige Vergnügungsveranstaltung im bäuerlichen Leben bildete – daß sie auch durch drakonische Mittel nicht behoben werden konnte. Im übrigen erkannte der Bauer wohl die Dürftigkeit der landpolizeilichen Gewalt einerseits und die Sicherheit und Ungestörtheit, die seine weltabgeschiedenen Dörfer gewährleisteten, anderseits. Soweit es sich nicht um einige wenige reisende Hausierer handelte, hatte der Isarwinkel so gut wie keinen Verkehr; was in diesen kleinen Dörfern vor sich ging, hatte nur intime Bekannte und Verwandte zu Zeugen, die das tägliche Leben mit seiner Notdurft eng genug aneinanderband und miteinander verpflichtete, um eine Mitteilsamkeit an Fremde, wie die Boten des Landgerichts sie darstellten, im gegenseitigen Interesse zu unterdrücken.

Vielleicht konnten Pfarrer und Lehrer Vertraute der richterlichen Behörde werden – aber sie vermieden es. Der Lehrer war damals in zu kümmerlicher Abhängigkeit von der Gemeinde gehalten, um nicht aus Furcht verschwiegen zu bleiben. Auch stand der damalige Lehrer nicht auf einer Kulturstufe, die einen besonderen Abscheu vor der Sitte bei ihm voraussetzen mußte. Der Pfarrer endlich tat gut daran, an die schon früher von klerikaler Seite entdeckte pastorale Hilfskraft und sittliche Tendenz des Treibens zu glauben. Und wenn er die Auswüchse des Brauches erkannte: von der Kanzel aus gegen den tief eingewurzelten Brauch vorzugehen, konnte ihm gefährlich, ja verderblich werden. Er wußte, daß die Brutalität, mit der die Haberer vorgingen, keineswegs vor dem Talar Halt machte, um so weniger, als die Nacht und die Vermummung der Haberer vor der Erkennung schützte. Es war also besser für ihn, den weltlichen Gerichten die Arbeit allein zu überlassen.

Und mühsam kämpften die Landgerichte den von der Regierung befohlenen Kampf weiter. Sie sandten die Befehle an die Gemeindevorsteher hinaus; diese Leute unterzeichneten wohl den Revers, demzufolge sie von den Verordnungen der Regierung Kenntnis genommen hätten und die Befehle erfüllen würden – aber sie erkannten die Erfolglosigkeit der zugedachten Arbeit.

Der Gemeindevorsteher war auch beim besten Willen nicht der Mann, der beispielsweise eine allgemeine Entwaffnung durchführen konnte. Wenn es ihm auch gelang, von einer Reihe junger Knechte die Gewehre einzufordern und sie ihnen eventuell mit Gewalt und unter Hilfe des Ortswächters wegzunehmen, so konnte er als sozial Gleichgestellter, als Verwandter oder Freund unmöglich bei verheirateten, angesehenen Ortseingesessenen ein Gleiches tun, ohne durch Erfüllung der Amtspflicht seine persönliche Stellung zu erschüttern. Auch lag die Gefahr vor, daß – wie das im Bauernleben eben ist – dadurch Feindschaften entstehen würden, deren Folgen unter Umständen vernichtend sein konnten. Es war dem verheirateten, auf seinem Hofe sitzenden Bauern geradezu undenkbar, seine Waffe aus dem Haus zu geben, die der Sitte gemäß zum erwachsenen, wehrhaften Manne gehörte. Der Ortsvorsteher war also froh, daß der Bauer seine Waffe verbarg und ihm so die Gewalt mit ihren Konsequenzen ersparte. Und wie dem Bauern sein Gewehr, so war dem Knecht sein Scheibenstutzen lieb. Außerdem aber pflegten Bauer und Knecht einträchtig zu wildern. Gerade in jener Zeit war das Wildern in den ungeheuer wildreichen Revieren des Oberlandes eine so selbstverständliche Sache, daß es mehr einer Volkssitte als einem Vergehen gleichkam. Auch waren die Wilderer ebenso wie die Haberer dem Arm der Gerechtigkeit kaum erreichbar und die spärlich gesäten Jäger hüteten sich sehr vor Anzeigen oder einem Kugelwechsel, weil sie die Rache eines ganzen Dorfes zu fürchten hatten.

Es ergeben sich also summa summarum sehr ursprüngliche Moral- und Rechtszustände, deren Besserung nur durch zwei in weiter Ferne liegende Mittel zu erreichen war: durch gute Schulen und den Verkehr.


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