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Das neunzehnte Kapitel

Welches von sehr viel Butter handelt; leider aber von einem geheimnisreichen Gestank

 

So groß ist also die Welt vom lieben Gott nicht gemacht, daß ein jeder neben einem jeden Platz hat. Und so muß eben dieweilen einer ausweichen und in die Seitengassen gehen, wenn der andere (der der Gewichtigere ist) den Weg braucht, oder er muß sich fröschlingsplatt an die Wand drücken, daß er dem anderen nicht lästig wird.

Oder muß daheim bleiben, nicht wahr?

Und überhaupt – was braucht's da viel meditieren und Gründe anschleppen: der Herr Stadtpfarrer ist einfach nicht da, und wenn der hochgünstige Leser mit dem Pater Guardian nicht zufrieden sein will, so müssen wir mit einem Achselzucken bedauern, recht sehr bedauern.

Und die Herren Weltpriester brauchen ihre Nase nicht in jedem Feuer drinnen zu haben, auf dem ein Kapuziner sein armes Haferl zum Sieden aufgestellt hat, und ihren Löffel nicht in eine jede Suppe zu tauchen, die der heiligen klösterlichen Armut auf den Tisch gebracht wird.

Und also genug davon.

Wir müssen von dem Festkoch reden, der auch sein braves Wörtchen verdient, wenn er auch nicht mit Messer und Gabel und Atzen und Schmatzen auftritt. Er schwitzt hinter der Wand und ist genau so redlich wie der Gast, dem der Schweiß erst an der vollen Tafel kommt.

Der Festkoch, der hatte, von der Frau Mutter Pentenrieder aus ihrem Wochenbett heraus tüchtig beraten, ein gar künstliches Paradewerk für den Tisch geschaffen, ein überaus delikates Standbild des heiligen Ordensvaters Franziskus – aus Butter.

Aus Butter!

Dem Pater Guardian wässerte der Mund sehr nach dem schönen fetten Schaustück.

»Nein, nein,« sagte er aber mit einer tiefen Entsagungsstimme und breitete den rechten Arm abwehrend vor sich hin, »hättet ihr mir einen heidnischen Apollo hingestellt oder einen Harlekinschauspieler – ich hätte ihn mit ruhiger Hand geköpft und verzehrt. Aber den heiligen Erzvater aufessen – nein, nein.«

Der Vater Hansjakob war erstaunt. »Nananana, Herr Pater. Immer tapfer zugegriffen! Sie müssen ja täglich den lebendigen Gott mit Fleisch und Blut essen, Menschheit und Gottheit, wie er in seiner Gloria ist und alles regiert im Himmel und auf der Erden – also tapfer zugegriffen!«

Der Pater Guardian fand den Einfall glänzend und die Rede meisterlich überzeugend gesetzt und nahm sein Messer ziemlich entschlossen zur Hand. Aber dann zauderte er doch wieder und sagte: »Nein, nein, ich will meinen heiligen Erzvater nicht köpfen.« Auch maß er bereits im Geiste aus, um wieviel weniger der schmale, asketisch empfundene Butterkopf ergiebig war, als etwa die heilige Brust und der heilige Unterleib.

»Butter ist Butter,« fuhr Hansjakob fröhlich fort, »nicht fürs Anschauen, sondern fürs Essen. Und dieser heilige Franziskus ist nicht geweiht. Packen Sie halt an; Sie sind ein Oberhaupt des heiligen Ordens und Ihnen gebührt das Kopfstück. Nur herunter damit!«

Der Pater Guardian stand jetzt auf und neigte das Haupt, während sein Messer wieder zuckte, und sagte einen langen lateinischen Spruch zu Ehren des heiligen Erzvaters auf. Man sah, wie schwer er die Entsagung aufgab.

»Schneiden Sie ab, schneiden Sie ab!« schrie Hansjakob eifrig. »Man tät ja meinen, Sie müßten den gebratenen Ochsen bei der Kaiserwahl transchieren. Einen festen Hieb durch den Hals, und Schluß.«

Der Pater Guardian wehrte ab. Nein, nein. Niemals brächte er's übers Herz, den heiligen Erzvater zu köpfen. Vielleicht aber könne er mit dem Messerlein ihm sacht unter der Schulter durchfahren – und da setzte er sein Messer fürsichtig an, maß unter der Schulter noch einen Zoll nach abwärts und sah dadurch seine Portion erheblich größer werden. (Man sieht daraus, daß Ehrerbietigkeit manchmal durchaus nicht schaden kann und daß geistliche Andacht sich oft auf der Stelle bezahlt macht.)

Und da hatte er also sein schönes Stück weg und speiste froh und bieder. Die Frau Gevatterin schnitt sich mit heiligglänzendem Gesicht das Bruststück des Herrn Erzvaters heraus und sagte mit hoher betender Stimme: »O du seraphinisches Butterherz des heiligen Patriarchen, o du süßeste allerheiligste Seitenwunde!« (Für die Freimaurer und andere schlechte Menschen muß man hier wohl bemerken, daß der heilige Franziskus durch seine inbrünstige Andacht mit den sämtlichen Wunden unseres Herrn ausgezeichnet worden ist. In der butterigen Nachbildung war dieser staunenswerten Auszeichnung keineswegs vergessen.)

Der Pater Guardian wünschte der Frau Gevatterin Glück zu der schönen Gottesgabe. »Das ist wahrhaftig ein Appetitsschnitzel, das nicht einmal der heilige Schutzengel verschmähen würde.«

Hansjakob war um die Hebamme besorgt. Aber es war unnötig; sie hatte sich schon über den heiligen Bauch des heiligen Erzvaters hergemacht und ihn samt Zubehör unter ihre Botmäßigkeit gebracht.

Der Pater Collektor (natürlich war er auch beim Taufschmause dabei), der Pater Collektor bat sich die Füße des heiligen Vaters aus. »Unsereiner,« sagte er, »hat immer ein paar Füße zu wenig. Ich brauche zwei zum Laufen um die Gaben unserer frommen Gönner und zwei zum Heimtragen der Gaben. Ach, wenn man nur immer genug nach Hause bringen könnte!«

Und insgeheim und in ganz tiefer Brust bedauerte der Pater Collektor, daß das schöne Butterbildnis nicht auf ein paar richtigen Plattfüßen stand, beispielsweise von dem hebräischen Kaliber, mit dem der Ortsjude Majer Cholmer die katholischen Straßen zu schänden pflegte.

Der Herr Bürgermeister Hansjakob Pentenrieder nahm schließlich die Schenkel des Butterwerkes. Und damit war der ganze große seraphinische heilige Patriarch verteilt und wurde auf etliche Schnittlein Brot gestrichen und gegessen und vergessen.

*

Als die Hebammin Rosina den heiligen Butterbauch verzehrt hatte, empfand sie freundlich ölige Gefühle in Hals und Busen und freute sich, daß der Wein nicht mehr in der Kehle kullerte, sondern unauffällig und rasch hinabglitt. Das stimmte sie auch weicher gegen den Mesner und sie vermochte den Groll hinabzuspülen, den sie noch einmal gegen ihn vorzutragen beabsichtigt hatte. Aber es fiel ihr nun ein, daß der Pfarrer eine gewaltige Prise Bresiltabak hatte schnupfen müssen und daß die Windeln des kleinen Pankraz daran schuld gewesen waren.

Auch fühlte sich ihre Nase noch nachträglich durch diese Windeln gekränkt und es war ihr, als ob sie die erlittenen Unannehmlichkeiten abwälzen und weitergeben müsse.

Sie war überhaupt eine unruhige Frau und der Wein des Herrn Bürgermeisters machte sie unternehmend. »Ob,« sagte sie, die spitze Nase pickend gegen den Pater Guardian steuernd, »ob wohl auch in dem Geruch aus den Windeln ein hoches Mysterium verbreitet worden ist? Wenn schon aus totgewässerten Asseln eine Heiligkeit herausgetan werden muß, so möchte ich wissen, wie man ein hoches Mysterium durch einen Geruch verbreiten kann??«

»Schnappermaul!« antwortete der Pater Guardian, »das ist etwas, was durchaus nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Ich möchte sogar behaupten: der gute kleine Pankraz hat schon bei der heiligen Taufe einen apostolischen Sinn entwickelt und gegen die goldreiche Decke und das batistene Taufhemd mit Verachtung durch eine wohlüberlegte Tat protestiert. Er wird also wohl nicht von dieser Welt sein und ihre Reichtümer mit apostolischem Geiste verachten. Was wetten wir: er wird das eitle Geld und das vergängliche Gut armen Ordensleuten schenken und – –«

Die Hebammin Rosina warf hier hemmenderweise ein, daß sie in ihrem Leben nicht gedacht hätte, daß der Gestank von Kinderwindeln so hohe Bedeutung hätte. Und ungläubig und kopfschüttelnd hielt sie sich wieder an ihren Wein.

Auch der Vater Hansjakob war nicht ganz überzeugt. Er war in seinem Städtchen ein großer Geschichtskenner und wußte über alle Kaiser Bescheid, die in den letzten tausend Jahren gestorben waren. So fiel ihm in diesem Augenblick leichtlich der Kaiser Konstantin der Fünfte ein mitsamt dem abscheulichen Geruch, den er bei der Taufe verbreitet hatte. Für den Kaiser Konstantin sei das gar keine gute Bedeutung gewesen, sagte Hansjakob, und man habe ihm in der Folge sogar den abscheulichen Schimpfnamen Taufscheißer beigelegt.

»Ja,« sagte der Pater Guardian belehrend, »das ist ganz was anderes: dieser Konstantinus Copronymus ist aber auch von Gott damit bestraft worden, daß er aus ihm einen Ketzer und Wüterich machte, der den gottseligen Mönchen die Augen ausstechen ließ. Unser kleiner Pankraz aber wird ganz im Gegenteil kein Kaiser, sondern unzweifelhaft ein Licht unseres heiligen Ordens werden.«

Die Hebammin Rosina lachte leise, aber häßlich.

Der Vater Hansjakob aber zog den Vergleich: »Der Kaiser ließ den Mönchen die Augen ausstechen und mein Pankraz soll ein Ordenslicht werden? Und haben alle beide bei der Taufe gleich grausam gestunken!?«

Der Pater Guardian klärte dahingegen auf, daß sich in den letzten tausend Jahren, die seit dem Konstantinus Copronymus verstrichen sind, allerhand geändert habe. Was habe sich überhaupt nicht schon alles geändert? Josua glaubte, die Sonne gehe und die Welt stehe – heutzutage sage man das gerade Gegenteil, wenn's auch schmerzlicherweis ein bissel gegen die Heilige Schrift geht.

»Hm. Die Sonne des Josua und die Windeln meines Buben – und die Mönche mit den ausgestochenen Augen und das heilige Licht meines Pankraz??« Der Bürgermeister bekannte, im Dunkeln zu tappen und die Hebammin Rosina kicherte merkwürdig.

»Ja damals! Vor tausend Jahren! Unser heiliger Orden hat ja damals leider noch nicht existiert. Wenn unser heiliger Patriarch, ja wenn nur einer von uns gelebt hätte, der Kaiser Konstantinus würde lieber selbst ein Auge verloren haben, als uns eines genommen.«

Der Vater Hansjakob sagte mit einem nachdenklichen Blinzeln: »Und dann hätten sie ihn niemals als Taufscheißer in ihre Bücher geschrieben.«

»Glauben! Glauben!« schrie der Pater Guardian. »Nicht disputieren. Gott kann aus Steinen Kinder Abrahams erwecken. Wir sind hier, um guten Mutes zu sein. Wollen wir eins trinken! Es lebe die Frau Mutter! Es lebe der glorreiche Täufling! Es lebe der Herr Vater! Es lebe die ganze glorwürdige Familie!«

Und so kürzte sich der von der Hebamme angesponnene Streit erheblich ab und ersoff im schönen Wein.

Aber der Gestank blieb Gestank und die Hebammin Rosina schüttelte noch mehrere Male anklagend das Haupt, wenn sie auch auf das Wort verzichtete.

 


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