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Der kleine Pankraz fällt darin unter die Werber des lieben Gottes
Und es geschah um diese Zeit, daß ein Bäschen des kleinen Pankraz in ein Nonnenkloster aufgenommen wurde.
»Hm,« sagte der Schmied.
Die Schmiedin aber erglühte: »Ich bin froh, wenn der Junge ein wenig von hier fortkommt. Seine Augen fragen so viel.«
»O!« antwortete der Schmied wichtig.
Und Pankraz erhielt Urlaub.
Frau Anna Pentenriederin hielt die Gelegenheit für glänzend. Der junge Pankraz würde mit den Freuden bekannt werden, die man den jungen Leuten vor ihrem Eintritt ins Kloster bereitet. Sie herzte ihn übermäßig, als sie mit ihm zum Feste zog.
Es gab eine herrliche Mahlzeit. Und was über diese Mahlzeit hinaus glänzend und angenehm war, das waren die heiligmäßigen geistlichen Herren, die am Tische teilnahmen, der Pater Franz, der Pater Xaver, der Pater Elias, der Pater Augustin und der Pater Maurus. Auch ein alter Benefiziat war da und eine Menge weltlicher Vettern und Basen.
Und auch der Pater Guardian Pankraz war da. Er verspeiste demütig, was der liebe Gott in seiner Vorsehung auf den Tisch gestellt hatte. Aber während des Mahles blinzelte er einige Male zu dem kleinen Pankraz hinüber und einmal lispelte er: »Pankraz, nun kommt die Reihe an dich. Jetzt kannst du dir bald deinen Orden heraussuchen.«
Die Frau Mutter warf hastig dazwischen: »Ich zwinge dich zu nichts, mein lieber Sohn, wenn du nur auch in ein Kloster gehst.«
Der alte Pater Augustin fing das Wort hocherfreut auf. »Eiei, eiei! Komm nur zu uns, mein Kind, zu den Augustinern!« Und die alte Frau Schwester des ehrwürdigen Paters Augustin frohlockte ihm mit ausgestreckten Händen zu.
Der kleine Pankraz aber schüttelte den Kopf und sagte kurzweg nein.
»Jaja,« sagte der Herr Vetter, der die fromme Schwester des Paters Augustin geheiratet hatte, »lieber kleiner Pankraz, so was läßt sich nicht über die Knie abbrechen. Eile mit Weile heißt's. Das Klosterleben ist ein heilig Leben und es ist auch ein ganz bequemes, ein ganz gutes Leben.« Und dabei zwinkerte der Herr Vetter den heiligmäßigen Herren mit den Augen zu und bat sie in dieser stummen Sprache, in seinem Vortrag keine Beleidigung und keine Herabsetzung ihrer Verdienste, sondern nur eine politische Absicht zu finden. Und als er sah, daß die Gefahr unterbrochen zu werden vorüber war, steigerte er seinen Vortrag: »Siehst du, mein liebes Vetterchen Pankraz, das Klosterleben ist überhaupt nur purer Spaß. Da machen sich furchtsame Seelen oft eine Vorstellung davon, als ob's im Kloster schrecklicher als in der Hölle sei. Und ist nichts anderes als der reine Himmel auf Erden.«
Die Frau Base schüttelte den Kopf: »Schwör du nicht gar so hoch, mein Lieber!«
»Nein, nein, es ist wahrhaftig so. Gehorsam, ewige Armut und Keuschheit, das sind die gewöhnlichen Gespenster. Aber: gehst du in ein Kloster, in welches du immer willst, überall hast du deine ordentliche Kleidung, überall deinen gedeckten Tisch, überall dein eigenes Zimmer, dein Bett und was du sonst brauchst. Bist du krank, so ist der Klosterdoktor da mit seiner Klosterapotheke. Bist du gesund, so ist dein Essen, dein Trinken, dein Garten, deine Schießstätte und deine Kegelbahn da. Willst du für die Langeweile einen Zeitvertreib, so hast du die schöne Klosterbibliothek. In dem einen Orden kannst du einen Bart tragen, in dem anderen darfst du das nicht; in dem einen kannst du das Haar lang tragen, in dem anderen kurz. O, wie man sich das gute Leben heraussuchen kann! Freilich hat man in den Klöstern keine samtenen Westen, keine glänzenden Hüte und keine seidenen Kleider, außer man bringt's so weit, daß man einen Euer Gnaden oder Euer Exzellenz heißt. Aber was ist das für ein Vorteil, daß einen kein Kaufmann und kein Handwerksmann mahnt, daß man keine Schulden und keine hungernden Weiber und Kinder hat!«
Die Herren Patres hatten die Rede aufmerksam mit angehört und fanden, daß der Herr Vetter gut als Werber vorarbeite.
Nur der Pater Franz machte einen Einwand: »In meinem Orden sieht allerdings alles sehr arm aus.«
»Aber,« warf der Herr Vetter in hoher Entrüstung ein, »was Ihr da sagt, Hochwürden! Ich kenne Ihre scheinbare Armut und halte sie für ein prachtvolles politisches Stückchen. Der Glanz eines fürstlichen Hofes zeigt sich auch oft nur nach außen hin und ist nicht mehr als Politik.«
Der Pater Franz zuckte die Achseln und lächelte ein wenig. »Man nennt uns Bettler, und der Name ist eben nicht schön.«
Der Herr Vetter vergaloppierte sich jetzt mit einem mächtigen Einwand: »Ja, man müßte schon glauben, daß euch geistlichen asketischen Bettelherren oft das Herz im Leibe zerbrechen möchte, hihihihi, wenn ihr von Leuten Almosen bettelt und fordert, die weit ärmer sind als ihr.«
»Psst, psst!« warnte die Frau Base.
»Du hast recht, liebe Frau,« sagte der Herr Vetter, »du hast recht. Aber ich wollte nichts Übles von dem heiligen Orden sagen. Ich wollte nur behaupten, daß sich ein Ordensmann aus dem Betteln kein Gewissen machen darf, weil der Staat, in dem er lebt, ihn so stark überhand nehmen ließ und darum auch die Verpflichtung hat, ihn zu erhalten. Gott und Staat wollen, daß Mönche sind. Wollen auch, daß sie leben. Und so müssen sie auch wollen, daß sie betteln oder der Staat muß sie auf eine andere Art erhalten.«
Der Pater Guardian pflichtete ernstlich Beifall. »Das ist so wahr gesprochen als schön und bündig.«
Da zog der Pater Maurus ein schiefes Gesicht und streifte mit einem Rügeblick den Pater Guardian ein ganz klein wenig von oben herab. Er hatte das Recht, als Mitglied eines Herrenstiftes in dem Kapuziner den Kleineren und Unbedeutenderen zu sehen. Er hatte auch die Pflicht, den Rang seines Klosters aufrecht zu erhalten. Er blinzelte gemütlich zu dem kleinen Pankraz hin und fragte ihn, ob er auch wisse, daß es Klöster gäbe, die überhaupt nicht betteln dürfen, die feinen Herrenklöster, die exempten Stifte? Hihihi, die Armut!
Die Frau Bürgermeisterin warf ihrem Kinde einen liebevollen Blick zu: »Hast du's gehört, liebes Pankrazerl?«
Auch der Herr Vetter war der Überzeugung, daß das Kapitel von der Armut abgetan sei. Er ging mit einem diebischen Lächeln zum Gehorsam über. »Der Gehorsam – –«
Der Pater Augustin lachte laut. »Das wär' mir das Rechte! Wenn die Obrigkeit was will, was uns nicht paßt, so muß sie mit dem Kapitel und mit dem Konvent raufen. Da hängt einer am anderen wie die Beeren an der Weintraube. Unser Wille muß geschehen und sollte ein Kloster darüber auf die Gant kommen!«
»Natürlich,« bestätigte der Pater Maurus. »Oder es müssen seine Gnaden und Exzellenzen belieben zu resignieren.«
Der Herr Vetter lachte mitwissend und ging ins Heiklere über: »Und wie ist's mit der Keuschheit bestellt, he?!« Und er regalierte die weiblichen Gäste mit reichlichem Augenzwinkern.
Die Frau Bürgermeisterin aber mißverstand und glaubte, ihrem Pankraz gerade in diesem Punkt Glück wünschen zu müssen. Die Keuschheit sei das Schönste, was es gebe. Keusche Menschen sind zufrieden. Sie erklärte ihm, daß der Ehestand ein Wehestand sei. Was die Männer für Köpfe hätten!
Und der Herr Vetter respondierte: »Um ein Weib an der Seite ist es ein Kreuz.« Seine Frau wehrte zwar heftig ab, aber der Herr Vetter blieb bei seinem Worte.
Auch der Pater Franz war nicht gut auf die Weiber zu sprechen. Er zitierte aus der Heiligen Schrift: daß keine Bosheit größer sei als die der Weiber. Daß ein böses Weib ist wie ein Joch Ochsen, und der ein solches habe, dem ist, als habe er einen Skorpion ergriffen.
Allerhand erzählten sie dem kleinen Pankraz (und das kleine Bürschchen mußte den erfahrenen Menschen glauben), und erhärteten, daß das größte Glück der Keuschheit darin bestünde, von keinem ehelichen Weibe geplagt zu werden. Er sah manchmal scheu auf seine Frau Mutter und staunte darüber, daß sie so völlig mit alledem einverstanden war. Auch von der Frau Base wunderte es ihn. Aber der Pater Augustin ließ ihm nicht viel Zeit zum Nachdenken, sondern trank seine Gesundheit aus einem vollen Glase. Hilflos sah der kleine Pankraz auf den Pater Guardian. Der nickte spöttisch und gab die Genehmigung, mit dem Augustiner anzustoßen.
Der Pater Franz erblickte darin eine ungerechte Bevorzugung und wies den Kleinen auf die großen Vorteile des Franziskanerordens hin. »Wir stehen als große Gelehrte im Ruhm!« erinnerte er.
Der Augustiner heftete ein zugekniffenes Auge auf ihn und frug: »Aber doch nicht als Prediger?«
»Nun,« sagte der Franziskaner spitzig, »ich glaube, wir dürfen uns da die Hände reichen.«
»Zwei Hosen«, brummte ein alter Vetter Bräuer dazwischen, »und ein Tuch.«
Der Pater Maurus betrachtete den kleinen Klosteraspiranten jetzt sehr kritisch und sagte mit zarter Fürsorge im Ton: »Ein bißchen gering für sein Alter! Ich würde von einem schweren Orden recht abraten.« Und der Herr Vetter pflichtete ihm bei: »Es ist schon wahr, in einem Stift wär's besser. Da hat man eigene Köche und eigene Bräuhäuser und eigene Apotheken.«
»Und eigene Bäckereien«, ergänzte der Pater Maurus eifrig, »und unsere eigenen Hofkeller, unsere eigenen Hut-, Strumpf- und Zeugfabriken.«
»Pah!« brummte der Franziskaner. »Haben wir vielleicht kein Bräuhaus, keine Tuchmacherei und keine Apotheken?«
Der Augustiner rühmte: »Wir haben eine große Fleischhauerei, wir haben eine Wachszieherei, wir haben eine Branntweinbrennerei – –«
»So?!« Der Pater Elias meldete sich sehr ernsthaft zum Wort. »So!? Branntwein, Bier, Apotheken, Geschichten und Zeugs übereinander! Und wir haben, was kein Orden außer uns besitzt, nämlich das allerheiligste Skapulier.«
»Hm, hm,« brummte der Herr Vetter nach, »und ungarischen Tabak und Melissengeist. Aber keine Schuh habt's nicht am Fuß.«
Der Pater Elias spielte noch ein paar Trümpfe aus: »Und den heiligen Vater Joseph haben wir und den heiligen Schutzengel haben wir auch. Alle zwei mit Brüderschaften.«
»Brüderschaften!!« schrie der Augustiner hitzig, »Wir haben die Mariä Trost-, Sebastiani-, Nikolai-, Tolentini-, Mauritii- und die Monikagürtelbruderschaft. was sind das für Gnadenschätze!«
Der Pater Maurus aus dem Stift wurde wieder hochmütig, »Wir haben unsere eigenen Kutschen und unsere Pferde.«
Der Franziskaner blinzelte ihn wütend an. »Kutschen und Pferde können wir auch haben, wir brauchen nur zu unseren lieben Schwestern, den Klosterfrauen, schicken. Die Frau Äbtissin, Hochwürdengnaden, macht sich eine Freude daraus, wenn sie uns bedienen darf.«
Der Augustiner schätzte jetzt auch den Reichtum seines Klosters etwas höher ein, sprach von Billards in seinem Kloster, von den schönen Lustgärten und den großen Sälen; von eigenen Häusern und hohen Bauten in Wien, wie sie kein Fürst in der Stadt habe.
Der Franziskaner sagte spöttisch, daß man davon nichts herunterbeißen könne. Aber davon könne man 'runterbeißen, von den schönen Sachen, die die Leute den Franziskanern bis zum Klosterpförtchen nachtragen: Kälber, Gerste, Korn, Schmalz, Gänse und Lämmer! Was kost's? Nichts kost's, da schenkt man ein kleines Lukaszetterl her, ein bleiernes Ringerl an den Finger, oder ein Rosenkränzl. Kleinigkeiten, nicht mehr.
Der Pater Maurus rühmte dagegen den dienenden Stab des Klosters, den Hofkellermeister, den Hofbaumeister, den Hofgärtner, den Forstmeister – –
»Brauchen wir nicht!« schrie der Franziskaner drein, »wir brauchen den einen nicht und den anderen nicht. Kommt der Tag, bringt der Tag. Wir stehlen nichts und kaufen nichts. Und doch können wir unsere geistlichen Väter auch noch reich machen.«
Der Pater Maurus sah den Franziskaner mitleidig an. »Was braucht's da geistliche Väter? Wir brauchen keine Vormundschaft – wir sind selbst die Herren, Warum die Zügel, die Macht und das Rentbuch aus der Hand geben? Wir lassen uns nicht an der Nase kitzeln und es soll uns niemand auf den Zähldaumen schauen.«
»Und noch eins: wir sind ständisch und können zu Inful und Stab kommen. Als Prälaten können wir über die Fratres Minores von den Rekruten unseres Ordens die Weihe sprechen lassen – jawohl: von den Kleinen des Konvents! – während der Pfarrer, die Dechanten und die Domherrn nur Salz, Palmen, Wasser, Holz und vielleicht einen schweinernen Schinken weihen können. Das ist schon was anderes, mein lieber kleiner Pankraz, wenn man so dasitzt auf dem Prälatenthron, und wenn das diamantene Pektoral auf der Brust funkelt!«
Und er strich mit seiner fetten weichen weißen Hand ein unsichtbares Kleinod am Halse zurecht.
Jetzt fand's der Pater Guardian an der Zeit, sein Sprüchlein einzuwerfen. Gewissermaßen Öl gegen die Welle des Hochmutes zu gießen und Asche auf den Stolz zu streuen. » Hi in curribus, et hi in equis,« sagte er im hohen Predigerton; » nos autem in nomine Domini!«
Und der junge Pankraz sah ihn augenblicklich mit verklärten Augen an und schwur ihm stumm zu, den niederen Orden zu wählen, der seinen ganzen Reichtum, seinen Prunk und seine Macht auf den Namen des Herrn stellte.
*
Weiß der Teufel, was die ehrwürdigen Herren noch unter sich ausgetragen hätten und wohin sich ihr aus dem Becher gestärkter und geschwellter Ton verirrt hätte – wenn nicht in diesem Augenblick Vater Hansjakob zur Türe hereingekommen wäre.
Wir haben ihn leider nicht vermißt, und das müßte uns eigentlich nachdenklich machen: wir wandeln so sehr mit dieser ganzen Geschichte an ihm vorbei, heben Mutter, Sohn und den geistlichen Beirat auf hohe Sockel, lassen viele Menschen bedeutend reden und handeln – nur ihn nicht, nur ihn nicht!
Es muß uns doch einmal nachdenklich machen.
Aber jetzt sind wir froh um ihn und um seine Absicht, Frau und Sohn abzuholen, wie ein Schutzengel tritt er vor Wütende und Gefährdete und wendet allein durch seinen Schritt, durch sein Eintreten und durch seinen Gruß verwickelte und verbogene Dinge.
Ein ganz kleines Fältchen stieg ihm auf der Stirne hoch, als er in die Augen seines Buben sah – sie glommen von tiefinnerlichen Feuern. Aber der Herr Bürgermeister beruhigte sich wieder, nahm ein wenig Platz (um nicht als unhöflicher Mann zu gelten), und die hohen geistlichen Reden versiegten in dem Augenblick, da er nach einem Stuhle griff. Man sprach plötzlich vom guten und vom schlechten Wetter, vom Steigen und vom Fallen des Barometers und von den elenden Wegen, welche doch vor zwanzig oder dreißig Jahren lange nicht so schlecht waren, als sie jetzt sind.
Und eifrig wurden die Gläser geschwungen.