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Oder: der heiligen Gottesmutter Rekrut Pankraz Corleone Hansjakob
Heut steckt man die Buben im schönsten unvernünftigsten Alter unter die Soldaten – damals sind sie Muttergottesbuben geworden, verschworene, verlobte, geheiligte Sodales Mariani. Ihre Schritte gingen zu den Marienaltären, ihre Seufzer und ihre Inbrunst galten der Jungfrau und ihre Taten waren ritterlicher Dienst für die süße Königin. Die Feuer ihrer Augen flackerten zu der reinen Frau auf.
Die Studentenaufseher erwogen in klugen Jesuitenköpfen: heilige Ablenkung zum Heiligsten, süßer Lohn der gebändigten Brunst, Erziehung zur Würdigkeit.
Und Pankraz wurde ein marianischer Sodalis und lebte nach heiligen Regeln, die seinen Verkehr mit der Himmelskönigin nicht in wilde Freiheiten ausarten ließen. Der Pater Präfekt lehrte ihn die Formeln seiner Andacht und die Notwendigkeiten seiner Übungen.
Am Ende jedes Monats hatte er seine ritterlichen Leistungen für die Jungfrau in ein Büchlein einzutragen und Mariä zum süßen Geruch auf den Altar zu legen. Die Herren Patres sorgten durch aufklärenden Unterricht dafür, daß die heilige Gottesgebärerin nicht mit einfältigen Dingen regaliert wurde, sondern schematisch festgelegte Taten in Empfang nehmen konnte, die sich mühelos in ihren Lohnbüchern rubrizieren ließen.
Und Pankraz brauchte nicht Neues an Opfern und Leistungen zu erfinden und konnte niederschreiben, was die allerheiligste Jungfrau zu vernehmen gewohnt war:
»Heilige Jungfrau Maria! Ich armer Sünder bringe dir hier alle meine guten Werke, die ich dir zu Ehren in diesem Monat verrichtet habe, zum Opfer. Nimm sie hin und hänge dieselben zu deiner größeren Ehre um deinen Thron herum auf und gib mir ein, wie ich dich noch inbrünstiger ehren möge. Amen!
»Erstens: ich habe drei Nächte auf dem bloßen Boden geschlafen, ohne mich zuzudecken, und habe mir also dir zuliebe ein erschreckliches Bauchgrimmen geholt. Laß es zu deiner Ehre gereichen, dieses schmerzliche Bauchgrimmen!
»Zweitens: jede Woche hindurch habe ich nach dem Aufstehen am Montag auf Erbsen, am Dienstag und Mittwoch auf einem dreieckigen Stück Holz, am Donnerstag, Freitag und Samstag auf einem harten Stein kniend mein Morgengebet verrichtet und davon sind mir die Knie aufgeschwollen. Nimm meine geschwollenen Knie in deinen heiligen Schoß.
»Drittens: habe ich jeden Tag während der heiligen Messe einen eisernen Bußgürtel getragen, von dessen Druck mir oft übel geworden ist. Nimm meine Übelkeiten in Gnaden auf.
»Viertens: habe ich in der Frühe nichts Warmes, sondern verstohlenerweise so lange Obst gegessen, bis mir der Magen so weh getan hat, daß er hätte herausfallen mögen. Ich offeriere dir diesen meinen wehen Magen.
»Fünftens: ich habe am heiligen Karfreitag ein härenes Bußkleid getragen, und da ist mir von einem Spaßvogel meine Hose versteckt worden. Ich wurde aber darüber nicht ungeduldig, sondern ich habe dieselbe als verloren aufgeopfert. Doch habe ich hernach die verlorene Hose mit der Gnade Gottes wieder gefunden und aus Dankbarkeit einen Rosenkranz mit ausgespannten Armen gebetet. Und bei jedem Vaterunser habe ich mir eine Ohrfeige gegeben (statt dem Untermerkel, der die Hose gestohlen und die Ohrfeige verdient hatte). Ach, nimm vorlieb mit meinen Ohrfeigen, du Mutter der Barmherzigkeit!
»Sechstens: bin ich acht Tage auf der Gasse oder im Hause herumgegangen, ohne die Augen aufzutun. Einmal bin ich bei dieser Augenabtötung in eine tiefe Kotlache gefallen und bin, weil ich die anderen Leute dabei abscheulich bespritzte, ein Dreckferkel geschimpft worden. Ein anderes Mal fiel ich die halbe Stiege herab und schlug mir ein Loch in den Kopf. Sowohl das unbildvolle Schimpfen als auch das schmerzhafte Loch im Kopfe opfere ich dir auf, du Mutter der Reinigkeit.
»Siebtens: habe ich Steinchen in die Schuhe gesteckt, damit ich miserabel gegangen bin und an beiden Füßen mir Blattern zuziehen mußte. Setze diese nassen Blattern wie Perlen in deine heilige königliche Krone!
»Achtens: habe ich, als zwei Sodales rauften, Friede machen wollen, bin aber von ihnen grausam verprügelt worden. Laß dir das blaue Auge, das ich bei dieser Gelegenheit davongetragen habe, gefallen.
»Neuntens: habe ich dir ein heiliges Schweigen aufgeopfert und an den heiligen Samstagen weder bei Tisch noch in den Freistunden ein Wort geredet, auch nicht einmal meinem Präfekten, ungeachtet aller seiner Versuche, eine Antwort gegeben. Ich bin lieber zur Strafe auf dem Boden gesessen, als daß ich das heilige Gelübde des Schweigens gebrochen hätte. Als man mich deswegen auslachte, habe ich zu deiner größeren Ehre den Spöttern zum Trotz noch nicht geredet. Einmal habe ich aus Zorn über diese Quälereien geweint. Ich schenke dir diese Tränen.
»Zehntens: wenn ich nur immer etwas sah oder hörte, was dich, o heiligste Jungfrau von den Menschen hätte betrüben können, so habe ich sofort meinen Vorgesetzten Bericht darüber gegeben. Dir zu Ehren, o göttliche Mutter, habe ich die Sache oft größer gemacht als sie war, damit dem Übel vorgebeugt und das Laster empfindlicher bestraft und ausgemerzt werden könne.
»Elftens: ist mir die göttliche Liebe höher gestanden, als der menschliche Respekt. So habe ich ein paar fremde Herren, die in der Kirche schwätzten, alte Weiber geheißen. Und darum hat mich einer bei den Haaren geschüttelt, daß mir die Zähne klapperten. Ich lege in dein heiliges Herz die Haare, welche mir dieser Unchrist ausgerauft hat. Und auf der Straße sah ich einen Juden, und es fiel mir ein, daß er ein Feind deines Sohnes ist. Darum schlug ich ihm den Hut herab. Ich hätte den Juden dir zu Ehren gern totgeschlagen, aber dazu bin ich leider noch zu schwach. Vor allen Geistlichen habe ich den Hut fleißig abgezogen, aber den Weltlichen habe ich mit unverrücktem Hut und heiligem Trotze, weil sie dich nicht genügend ehren und keine marianischen Sodales sind, unter die Augen geschaut oder sie, um sie zu bekehren, mit hervorgestreckter Zunge oder mit langer Nase auf ihre Unwürdigkeit aufmerksam gemacht.
»Zwölftens: habe ich mich mit dem Federmesserl in den Finger geschnitten, daß es recht blutete. Und mit dem Blute habe ich neuerdings meinen Sodalisvertrag zu dir unterschrieben. Und als der Herr Präfekt den eingebundenen Finger sah und über die Verletzung Auskunft verlangte, so habe ich ihm erwidert, es hätte mich ein Kamerad geschnitten. Denn ich wollte, daß das gute Werk vor den Augen der Menschen verborgen bleiben sollte.
» Omnia ad majorem Dei Deiparaeque Virginis honorem et gloriam.«
*
Manchmal ließ Pankraz auch die Frau Mutterschwester in sein marianisches Herz gucken und erwartete mit sodalischem Ritterstolz ihre Bewunderung. Aber sie bekannte dann immer, daß sie eine ganz ungelehrte Frau sei und seine großen Taten nicht verstehe. Sie wisse nur die Marienbitten ihrer Gebetbücher und (sie gestand es zögernd und schamhaft) habe ganz einfältige Gebete zu der Himmelskönigin selbst erfunden, die wohl zu plump und zu abgeschmackt seien, um von der hohen Frau verstanden zu werden.
»Soll ich dir deine Gebete durch unsere Rhetorik schöner machen?« sagte Pankraz eifrig.
»Wie?« frug sie ängstlich.
»Willst du mir nicht eines sagen?«
Die Schmiedin erglühte, aber sie überwand ihre Scham und sagte zu dem Buben: »O du liebe Christkindlmutter, du hast einen Buben und ich habe keinen!«
»Weiter!« drängte Pankraz.
»Das ist alles,« hauchte die Schmiedin.
»Du, das ist kein Gebet!« Der Junge machte ernste strafende Augen und bedachte, daß der Herr Pater Plazidus so ein Gebet als ketzerisch verwerfen und wohl mit schwerem Büßen ahnden würde. Aber er wollte der Frau Mutterschwester nicht wehe tun. »Weißt du sonst kein Gebetlein an die heiligste Jungfrau?« drängte er hilfsbereit.
Die Schmiedin erglühte wieder und hastete verwirrt: »Du liebe Frau Gottesmutter, wenn dein Bub einmal ein bissel Zeit hat, dann könntest mit ihm reden.«
Pankraz wartete auf die Fortsetzung, aber die Schmiedin hatte keine.
»Du,« warnte er, »das sollst du nimmer sagen. Es ist Ketzerei.« Er sah sie erschrocken an und die Schmiedin ergriff die Schürze und schluchzte in das Musselin hinein.
»Und ich kann dir auch nicht helfen, weil hier die Rhetorik nicht helfen kann. Aber willst du nicht einmal gute Werke tun, Mariä zum süßen Geruch?«
»Was für Werke?« weinte die Schmiedin.
»Ei, leg dich doch auch einmal drei Nächte lang auf den bloßen Boden.«
Die Schmiedin schlug die Schürze vors Gesicht.
»Darfst dich aber beileib nicht zudecken!«
Da lief die Schmiedin zu ihrem Schmied und Pankraz war traurig, weil sie der heiligsten Jungfrau das kleine Opfer nicht bringen wollte. Er gedachte mit dem Pater Guardian zu sprechen, der den Fall gewiß zum besten lenken würde.
Als er das Haus verließ, sah er die Schmiedin am Arm ihres Mannes weinen und es dünkte ihm, als ob der Schmied in seinen blauen Augen eine unendliche Traurigkeit trage.
» Quo vadis?« sagte Pankraz leise und es war ihm unbehaglich, daß ihm diese quälerische Frage aufstieg. Er verschob das Gespräch mit dem Pater, kehrte verlegen zurück und tröstete den Schmied: »Es wird ja alles wieder gut werden!«
Rauh griff der Schmied nach seiner Hand und streichelte sie mit seiner hürnenen Haut. »Bub!« Und seine Augen leuchteten wieder in einer schimmernden Himmelsbläue und erinnerten den Jungen an die Gewölbdecke im Dom, aus der die vielen goldenen Sterne blitzten.